Das erste, was ich jeden Tag höre, ist mein Handywecker, der mich sanft, aber bestimmt aus meinen Träumen reißt. Ich verfluche ihn innerlich, weil heute Montag ist; es ist 7 Uhr und ich habe wie jeden Montag Frühlesen. Nach ein paar Mal hin und herwälzen kann ich mich dazu überwinden, aus der warmen Decke zu schlüpfen und mich umzuziehen. Diesen Morgen habe ich Lust auf chinesische Crêpes, die es immer morgens bis 8 Uhr vor der Schule gibt. Also streife ich mir meine Jacke über und nehme den Regenschirm mit, denn es gießt in Strömen (wenigstens ist die Luft dann besser). Ich laufe die Treppen runter und gehe aus dem Schultor, wobei mir hereinströmende Schüler entgegenkommen. Am kleinen Straßenstand, der eigentlich nur ein großer Fahrradanhänger ist, stehen zwei Schüler, die sich grade ihr Frühstück holen. Etwas weiter rechts gibt es einen weiteren Stand, der eine Art große Sushi anbietet. Auch da stehen einige Schüler.
Während die Frau den Teig auf die heiße Platte streicht, fragt sie mich, was für Zutaten ich möchte. Heute nehme ich statt den knusprigen Teigplatten, die ich normalerweise esse, 油条 (yoú tiáo), frittierte Teigstangen. Dazu kommt kleingehacktes, eingelegtes Gemüse, eine braune Soße, Kräuter und Würstchen. Ihr Mann, der rechts neben mir steht und einen großen Regenschirm hält, sagt mir den Preis: 5 Yuan, etwa 60 Cent und 0,5 Yuan teurer als die nicht-油条 (yoú tiáo)-Version. Ich gebe ihm das Geld, einen zerknitterten und schon ziemlich abgewetzten lila-blauen Schein. Am Anfang habe ich mich oft gewundert, dass das Geld hier manchmal schon so abgegriffen aussieht, aber inzwischen merke ich es kaum mehr. Ich freue mich einfach nur über neue Scheine:D
Jetzt ist die Frau fertig mit dem Crêpe und greift nach einer kleinen Plastiktüte, teilt gekonnt das Crêpe in zwei Hälften und steckt es hinein.
Ich nehme es entgegen, laufe schnell über die Straße zurück zur Schule und hoch in mein Zimmer, wo ich das Crêpe esse. Nicht schlecht, urteile ich, aber ich bevorzuge doch die knusprigere Version.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es 7:30 Uhr ist und damit Zeit zu gehen. Schnell stecke ich das kleine Vokabelheft der 10. Klasse ein (Niveau A2) und verlasse mein Zimmer. Mit dem Regenschirm links und dem Crêpe rechts in der Hand gehe ich über den Campus zum Hauptgebäude und durch die Eingangshalle zur Treppe. Am Aufzug stehen schwatzende Schüler; viele davon mit ihrem Frühstück. Ganz vorn mit dabei sind frittierte Teigtaschen und Würstchen. Letztere haben einen ziemlich eigenwilligen Geruch, von dem mir am Anfang manchmal schlecht geworden ist, weil, naja, er ein bisschen eklig ist. Aber man gewöhnt sich an alles, von daher ist es kein Problem mehr.
Ich gehe die Treppen zum 3. Stock hoch und biege links ab. In Zimmer 308 wartet meine Klasse auf mich, in der ich die nächsten 20 Minuten deutsche Vokabeln vorlese. Eine Melodie kündigt statt einem Gong den Stundenbeginn an. Jedes Wort zweimal und die Schüler sprechen es im Chor nach – wieviel dieses Frühlesen wirklich bringt, sei mal so dahingestellt, weil es nicht meine Aufgabe ist, falsche Aussprache zu korrigieren, sondern nur vorzulesen. Etwa ein Drittel, manchmal auch die Hälfte der Schüler hört mir sowieso nicht zu, sondern quatscht leise mit ihren Nachbarn oder spielt mit dem Handy. Die ersten paar Male war das ziemlich ungewohnt, aber ich weiß, dass die meisten Schüler einfach nicht besonders motiviert sind, was den Deutschunterricht angeht, von daher stört es mich nicht mehr.
Wieder erklingt die Melodie und erlöst mich von den wahrscheinlich langweiligsten zwanzig Minuten des Tages; ich verabschiede mich kurz und gehe wieder zurück in mein Zimmer, um ein bisschen weiterzuschlafen. Die Aufgaben der Deutschlehrer für mich halten sich noch immer ziemlich in Grenzen und wenn ich nicht meine Deutsche Ecke hätte und ab und an eigene Ideen einbringen würde, hätte ich wahrscheinlich gar nichts zu tun.
Nachmittags erstelle ich eine PPT zum Thema Jugendsprache; ich hatte meiner Abteilungsleiterin vorgeschlagen, dass ich doch eine Einheit über Umgangs- bzw. Jugendsprache in den 12. Klassen halten könnte, weil die für gewöhnlich die unmotiviertesten Schüler sind und das ein interessanteres Thema sein könnte.
Es macht erstaunlich viel Spaß, diese Präsentation zu gestalten – mein persönliches Highlight ist der Dialog am Ende, auch wenn er etwas dick aufgetragen ist.
Mit dem USB-Stick in der einen Hand und einer Packung Lebkuchen in der anderen laufe ich wieder rüber und gehe zu meiner Abteilungsleiterin, um ihr die PPT zu zeigen. Sie ist von den Lebkuchen sichtbar mehr angetan als von meiner PPT, aber ich kann das souverän ignorieren:D Auf dem Weg zurück zu meiner Wohnung bleibe ich kurz im ersten Stock stehen und stecke meinen Kopf in den Raum der Fahrer und entdecke Herrn Pan, „meinen“ Fahrer. Lachend begrüßt er mich als ich durch den kleinen, etwas versifften Raum zu ihm gehe und mich auf einen Stuhl neben ihm fallen lasse. Ich biete ihm die Lebkuchen an, die er auch noch nie gesehen oder probiert hat. Er befindet sie für ziemlich gut. Dann sitze ich noch etwa eine Stunde bei ihm und lasse mich von ihm über das deutsche Flirten ausfragen – „Wenn ein Junge ein Mädchen mag, wie sagt er ihr das in Deutschland? Ist es ok, wenn ein Mädchen einen Jungen nur als Freund mag und sich dann allein mit ihm trifft?“ Es war echt interessant zu hören, wie es in China ist. Scheinbar haben chinesische Männer zwei Möglichkeiten, wenn sie verliebt sind: Entweder sie gehen direkt zum Mädchen hin und sagen „Ich mag dich, magst du mich auch? Wollen wir zusammen sein?“ oder aber sie behalten es für sich und zerbrechen sich den ganzen Tag darüber den Kopf. Beides nicht so mein Ding, aber gut, andere Länder, andere Sitten;)
Gegen sechs gehe ich hoch, hole etwas Geld und gehe zum Grill zwei Straßen weiter. Diese Straßengrills sieht man relativ häufig; man kann sich aus einem großen Angebot von Gemüse, Fisch, Fleisch und anderem Zeugs seine eigene Portion zusammenstellen und grillen lassen. Das Ganze kostet meist nicht mehr als 2 Euro, ist also günstig und vor allem lecker!













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