alltägliches – Klappe, die zweite

Das erste, was ich jeden Tag höre, ist mein Handywecker, der mich sanft, aber bestimmt aus meinen Träumen reißt. Ich verfluche ihn innerlich, weil heute Montag ist; es ist 7 Uhr und ich habe wie jeden Montag Frühlesen. Nach ein paar Mal hin und herwälzen kann ich mich dazu überwinden, aus der warmen Decke zu schlüpfen und mich umzuziehen. Diesen Morgen habe ich Lust auf chinesische Crêpes, die es immer morgens bis 8 Uhr vor der Schule gibt. Also streife ich mir meine Jacke über und nehme den Regenschirm mit, denn es gießt in Strömen (wenigstens ist die Luft dann besser). Ich laufe die Treppen runter und gehe aus dem Schultor, wobei mir hereinströmende Schüler entgegenkommen. Am kleinen Straßenstand, der eigentlich nur ein großer Fahrradanhänger ist, stehen zwei Schüler, die sich grade ihr Frühstück holen. Etwas weiter rechts gibt es einen weiteren Stand, der eine Art große Sushi anbietet. Auch da stehen einige Schüler.
Während die Frau den Teig auf die heiße Platte streicht, fragt sie mich, was für Zutaten ich möchte. Heute nehme ich statt den knusprigen Teigplatten, die ich normalerweise esse, 油条 (yoú tiáo), frittierte Teigstangen. Dazu kommt kleingehacktes, eingelegtes Gemüse, eine braune Soße, Kräuter und Würstchen. Ihr Mann, der rechts neben mir steht und einen großen Regenschirm hält, sagt mir den Preis: 5 Yuan, etwa 60 Cent und 0,5 Yuan teurer als die nicht-油条 (yoú tiáo)-Version. Ich gebe ihm das Geld, einen zerknitterten und schon ziemlich abgewetzten lila-blauen Schein. Am Anfang habe ich mich oft gewundert, dass das Geld hier manchmal schon so abgegriffen aussieht, aber inzwischen merke ich es kaum mehr. Ich freue mich einfach nur über neue Scheine:D
Jetzt ist die Frau fertig mit dem Crêpe und greift nach einer kleinen Plastiktüte, teilt gekonnt das Crêpe in zwei Hälften und steckt es hinein.
Ich nehme es entgegen, laufe schnell über die Straße zurück zur Schule und hoch in mein Zimmer, wo ich das Crêpe esse. Nicht schlecht, urteile ich, aber ich bevorzuge doch die knusprigere Version.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es 7:30 Uhr ist und damit Zeit zu gehen. Schnell stecke ich das kleine Vokabelheft der 10. Klasse ein (Niveau A2) und verlasse mein Zimmer. Mit dem Regenschirm links und dem Crêpe rechts in der Hand gehe ich über den Campus zum Hauptgebäude und durch die Eingangshalle zur Treppe. Am Aufzug stehen schwatzende Schüler; viele davon mit ihrem Frühstück. Ganz vorn mit dabei sind frittierte Teigtaschen und Würstchen. Letztere haben einen ziemlich eigenwilligen Geruch, von dem mir am Anfang manchmal schlecht geworden ist, weil, naja, er ein bisschen eklig ist. Aber man gewöhnt sich an alles, von daher ist es kein Problem mehr.

Ich gehe die Treppen zum 3. Stock hoch und biege links ab. In Zimmer 308 wartet meine Klasse auf mich, in der ich die nächsten 20 Minuten deutsche Vokabeln vorlese. Eine Melodie kündigt statt einem Gong den Stundenbeginn an. Jedes Wort zweimal und die Schüler sprechen es im Chor nach – wieviel dieses Frühlesen wirklich bringt, sei mal so dahingestellt, weil es nicht meine Aufgabe ist, falsche Aussprache zu korrigieren, sondern nur vorzulesen. Etwa ein Drittel, manchmal auch die Hälfte der Schüler hört mir sowieso nicht zu, sondern quatscht leise mit ihren Nachbarn oder spielt mit dem Handy. Die ersten paar Male war das ziemlich ungewohnt, aber ich weiß, dass die meisten Schüler einfach nicht besonders motiviert sind, was den Deutschunterricht angeht, von daher stört es mich nicht mehr.

Wieder erklingt die Melodie und erlöst mich von den wahrscheinlich langweiligsten zwanzig Minuten des Tages; ich verabschiede mich kurz und gehe wieder zurück in mein Zimmer, um ein bisschen weiterzuschlafen. Die Aufgaben der Deutschlehrer für mich halten sich noch immer ziemlich in Grenzen und wenn ich nicht meine Deutsche Ecke hätte und ab und an eigene Ideen einbringen würde, hätte ich wahrscheinlich gar nichts zu tun.

Nachmittags erstelle ich eine PPT zum Thema Jugendsprache; ich hatte meiner Abteilungsleiterin vorgeschlagen, dass ich doch eine Einheit über Umgangs- bzw. Jugendsprache in den 12. Klassen halten könnte, weil die für gewöhnlich die unmotiviertesten Schüler sind und das ein interessanteres Thema sein könnte.

Es macht erstaunlich viel Spaß, diese Präsentation zu gestalten – mein persönliches Highlight ist der Dialog am Ende, auch wenn er etwas dick aufgetragen ist.

Mit dem USB-Stick in der einen Hand und einer Packung Lebkuchen in der anderen laufe ich wieder rüber und gehe zu meiner Abteilungsleiterin, um ihr die PPT zu zeigen. Sie ist von den Lebkuchen sichtbar mehr angetan als von meiner PPT, aber ich kann das souverän ignorieren:D Auf dem Weg zurück zu meiner Wohnung bleibe ich kurz im ersten Stock stehen und stecke meinen Kopf in den Raum der Fahrer und entdecke Herrn Pan, „meinen“ Fahrer. Lachend begrüßt er mich als ich durch den kleinen, etwas versifften Raum zu ihm gehe und mich auf einen Stuhl neben ihm fallen lasse. Ich biete ihm die Lebkuchen an, die er auch noch nie gesehen oder probiert hat. Er befindet sie für ziemlich gut. Dann sitze ich noch etwa eine Stunde bei ihm und lasse mich von ihm über das deutsche Flirten ausfragen – „Wenn ein Junge ein Mädchen mag, wie sagt er ihr das in Deutschland? Ist es ok, wenn ein Mädchen einen Jungen nur als Freund mag und sich dann allein mit ihm trifft?“ Es war echt interessant zu hören, wie es in China ist. Scheinbar haben chinesische Männer zwei Möglichkeiten, wenn sie verliebt sind: Entweder sie gehen direkt zum Mädchen hin und sagen „Ich mag dich, magst du mich auch? Wollen wir zusammen sein?“ oder aber sie behalten es für sich und zerbrechen sich den ganzen Tag darüber den Kopf. Beides nicht so mein Ding, aber gut, andere Länder, andere Sitten;)

Gegen sechs gehe ich hoch, hole etwas Geld und gehe zum Grill zwei Straßen weiter. Diese Straßengrills sieht man relativ häufig; man kann sich aus einem großen Angebot von Gemüse, Fisch, Fleisch und anderem Zeugs seine eigene Portion zusammenstellen und grillen lassen. Das Ganze kostet meist nicht mehr als 2 Euro, ist also günstig und vor allem lecker!

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Besser spät als nie – Halloween 2013

Da ich grade erstaunlich gutes Internet habe, nutze ich die Gelegenheit, euch etwas über Halloween zu erzählen. Ich hatte die Bilder vergessen und grade beim Durchstöbern meiner Ordner wieder entdeckt, deswegen kommt der Eintrag so verspätet:D

An Halloween war ich an der WFLMS und wie so oft hatten die Schüler ein Event veranstaltet, dieses Mal natürlich zu Halloween (wobei nicht alle Kostüme Halloween-mäßig waren, aber das tat der guten Stimmung keinen Abbruch). Es ist hier Tradition, dass sich sämtliche  Lehrer und Schüler an Halloween aufwändig verkleiden und sich dann in der Mittagspause im Innenhof zu treffen, wo sie sich dann erstmal zu lauter Musik gegenseitig bestaunen. Es gab kleine Halloween-Sticker, die man an die besten Kostüme kleben durfte. Manche waren an einigen Stellen fast voll von ihnen:D Ich finde es immer wieder schön zu sehen was für ein freundschaftliches Verhältnis Lehrer und Schüler hier oft haben; die Lehrer sind oft noch sehr jung und verstehen sich gut mit den Schülern.

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大观园和朱家角

An einem Wochenende (das schon erschreckend lange her ist) durfte ich dank meiner Chinesischlehrerin an einem Ausflug der Austauschschüler teilnehmen. Sie unterrichtet die fünf ebenfalls (drei Thailänder, eine Spanierin und ein Deutscher, alle um die 16 Jahre alt). Wir sind zu 大观园 (Daguanyuan) gefahren, was eine große Parkanlage westlich von Shanghai ist und zu 朱家角 (Zhujiajiao), ein Teil der Altstadt, der mit vielen Wasserwegen durchzogen ist.

Treffen sollte um 11 Uhr in der großen Eingangshalle sein. Dort traf ich auch die Austauschschüler, mit denen ich über eine halbe Stunde auf unsere Ansprechperson Herrn Zhou wartete. Irgendwann kam er dann, lief mit uns zum Bus, wo er sich umdrehte und fragte: „你们饿了吗?“ (Habt ihr Hunger?). Daraufhin lief er wieder zurück Richtung Mensa, wir natürlich hinterher. In der Mensa angekommen, ging er zu ein paar Bediensteten, wechselte ein paar schnelle Worte und lief dann wieder raus. Irritiert folgten wir ihm dann wieder in den Bus, der uns aus der Schule und ein paar Meter die Straße entlang fuhr. Dort stiegen wir allesamt aus, um in einem Restaurant zu Mittag zu essen. Es gab (typisch chinesisch) verschiedene Gemüse- und Fleischgerichte, Rührei und einen Art Kuchen aus Hirse, der überraschend gut schmeckte.

Nach dem Mittagessen ging es dann endlich nach 大观园 (Daguanyuan), wo wir nach etwa einer Stunde Fahrt ankamen. 大观园 (Daguanyuan) ist ein wunderschön ruhiger Garten mit mehreren restaurierten und rekonstruierten, alten Gebäuden. In denen waren einzelne Räume so hergerichtet wie sie zur Kaiserzeit aussahen und Herr Zhou erzählte uns den Hintergrund dazu. Der Garten selbst war unglaublich schön, sauber und vor allem ruhig, fast schon friedlich. In Shanghai findet man selten Orte, an denen man ungestört von Menschenmassen entspannen kann und 大观园 (Daguanyuan) war eine willkommene Abwechslung.
Wir hatten auch großes Glück mit dem Wetter,  an dem Tag schien die Sonne und es waren etwa 20°C.

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Im Anschluss daran sind wir dann nach 朱家角 (Zhujiajiao) gefahren. Da ich einige Tage vorher schon in 七宝 (Qibao) war, was ebenfalls eine antike Kanalstadt ist, war 朱家角(Zhujiajiao) nichts besonders neues (ich finde sowieso, dass viele „antike“ chinesische Städte mit Kanälen irgendwie alle gleich aussehen). 朱家角 (Zhujiajiao) ist westlicher als 七宝 (Qibao) und hat mehr auf Ausländer abgestimmte Geschäfte wie Cafés oder Souvenirshops.

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Wir liefen durch die vielen kleinen Gassen, vorbei an den Shops voll mit Krimskrams wie Porzellanfiguren, Spielkarten oder Holzschnitzerein. Es gab auch viele Geschäfte mit Spezialitäten wie kleinen Wachteleiern (zumindest glaube ich, dass das welche waren) oder Stinketofu oder chinesischem Gebäck. Herr Zhou und unser Fahrer kauften uns ab und an etwas von den Essensständen, um uns mal probieren zu lassen.
Abends aßen wir in einem kleinen Restaurant direkt an einem der vielen Kanäle und danach hatten wir noch ein wenig freie Zeit, um selbst die Gassen erkunden zu können.

Danach ging es wieder ab in den Bus und Richtung Schule.

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Weihnachten… oder so

Wenn ich mir die neuesten Blogposts anderer kulturweit-Freiwilligen ansehe, erinnern sie mich daran, dass ich doch auch mal etwas über die Vorweihnachtszeit in meinem Einsatzort schreiben könnte.

Weihnachten wird in China nicht wirklich gefeiert; es ist mehr ein kommerzielles Event, das die Leute zum Shoppen nutzen. Pünktlich zum Beginn der Adventszeit wurde die Stadt dekoriert und leuchtet und blinkt seitdem fast noch mehr als sonst schon. Man sieht bunt leuchtende Plastikweihnachtsbäume, blinkende Grünflächen und Bäume mit LED-Tannenzapfen, die ein bisschen aussehen wie der Baum der Seelen aus Avatar.
An Weihnachten selbst wird normal gearbeitet, weil es hier ein Wochentag wie jeder anderer ist. Weil meine Schwester mich zu Weihnachten besuchen kommt, habe ich mir für diese Zeit frei genommen (wobei sich meine Arbeit hier sowieso stark in Grenzen hält).

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Apropos Arbeit, an den Schulen habe ich das Thema natürlich auch aufgegriffen und in den deutschen EckenWeihnachtsfeste gemacht und ihnen etwas über Adventskränze und -kalender erzählt und deutsche Weihnachtsspezialitäten angeboten (zum Glück gibt es die hier zu kaufen! Etwas überteuert natürlich, aber besser als nichts). Am besten hat ihnen Gewürzspekulatius und Christstollen probiert (die Namen waren übrigens richtige Zungenbrecher für die Schüler:D). Dann habe ich noch mit ihnen gewichtelt, was ihnen auch sehr viel Spaß gemacht hat.

Ich werde wie schone erwähnt mit meiner Schwester Weihnachten und Silvester feiern können und danach gehen wir auf Reisen Richtung Süden nach Chaozhou, zu unseren Wurzeln, und Hongkong. Ich freu mich schon riesig:)

 

P.S.: Das Internet ist grade wirklich sehr sehr gut, ich weiß überhaupt nicht was los ist:D Aber das hab ich schnell dazu genutzt, endlich mehr Bilder hochzuladen und in den Beiträgen einzufügen. Guckstu hier, hier und hier.

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Shanghai und die Luft

Aus gegebenen Anlass möchte ich an dieser Stelle ein mal etwas über die Luftverschmutzung in Shanghai schreiben.

Als eine der häufigsten Fragen, die ich am Anfang zu hören bekommen habe, war „Ist die Luft wirklich so schlecht wie man sagt?“ und meine übliche Antwort war etwas wie „Och nö, geht. Ist nicht so schlimm.“. Zu der Zeit habe ich mich nicht wirklich dafür interessiert und auch nichts von der Feinstaubbelastung gespürt. Wahrscheinlich wäre das noch immer meine Antwort, wäre die Luftverschmutzung in letzter Zeit nicht so extrem schlecht geworden.

Die Luft in Deutschland ist ziemlich gut; der Grenzwert für PM 10 (eine Feinstaubgröße) beträgt 50 µg/m³. Die meisten Menschen machen sich  deswegen keine Gedanken um die Luft und die Feinstaubbelastung, wozu auch? Ironischerweise kann man das aber auch für viele Chinesen hier in Shanghai sagen (ich schätze mal in anderen chinesischen Städten auch). Obwohl gestern und heute die Höchstwerte um ein Vielfaches überstiegen wurden (momentan haben wir PM10 535, PM2.5 505) und schon längst eine gesundheitsgefährdende Größe angenommen haben, trägt rund zwei Drittel der Chinesen keine Maske draußen.

Nur um mal ein Gefühl dafür zu geben:
Auf dem Air Quality Index (AQI) reicht die Skala von 0 bis 500 und bezieht sich auf PM 2.5, die kleinere und gefährlichere Feinstaubgröße. Je höher der Index, desto stärker die Belastung. Das bedeutet, wir haben die Skala heute bereits überschritten.

AQIAir Pollution LevelHealth Implications
0 – 50GoodAir quality is considered satisfactory, and air pollution poses little or no risk
51 -100ModerateAir quality is acceptable; however, for some pollutants there may be a moderate health concern for a very small number of people who are unusually sensitive to air pollution.
101-150Unhealthy for Sensitive GroupsMembers of sensitive groups may experience health effects. The general public is not likely to be affected.
151-200UnhealthyEveryone may begin to experience health effects; members of sensitive groups may experience more serious health effects
201-300Very UnhealthyHealth warnings of emergency conditions. The entire population is more likely to be affected.
300+HazardousHealth alert: everyone may experience more serious health effects

(Quelle: http://aqicn.org/mask/)

Es wundert mich wirklich, wie sorglos die Menschen hier mit der Luftverschmutzung umgehen. Die meisten wissen von den extremen Werten, die wir im Moment haben, aber weil sie keine Beschwerden haben und schlechte Luft gewohnt sind, stört es sie nicht weiter. Ich selbst habe gestern Kopfschmerzen bekommen, wenn ich Treppen gestiegen bin oder mich etwas länger draußen aufgehalten habe und mir dann angesichts der Werte eine Maske aus der Apotheke gekauft. Wenn ich Lehrer gefragt habe, ob sie manchmal eine Maske tragen, haben die meisten verneint und gemeint, dass man es nicht braucht. Viele kümmert die schlechte Luft einfach nicht; ich glaube, dass sie wenig über die Folgen von hoher Feinstaubbelastung nicht aufgeklärt sind (z.B. dass es u.a. das Risiko für Lungenkrebs und damit die Sterblichkeit erhöht). Aber wenn man sich überlegt, dass der ganze Nebel draußen nicht auf hoher Luftfeuchtigkeit, sondern der Feinstaubbelastung beruht, ist es schon etwas unheimlich. Die ganze Stadt ist in einen grauen Schleier gehüllt; die meiste Zeit war es praktisch windstill, sodass der Smog auch nicht abziehen kann.

Am Tor der WFLMS sind heute Schilder, die vor der schlechten Luft warnen.
Einige Lehrer in meinem Büro tragen sogar in der Schule Masken und diskutieren über die Luftverschmutzung. Denn egal wie hoch die Werte sind, die Leute müssen arbeiten gehen; die Regierung kümmert es nicht.

 

 

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update

Ich glaube, ich sollte mal wieder einiges aus meinem Alltag erzählen, davon hab ich hier ja noch relativ wenig berichtet.

Ich gehe jeden Dienstag und Donnerstag nachmittags zum Chinesischunterricht zu Frau Liang, die drei Büros weiter sitzt. Mit ihr verstehe ich mich ziemlich gut, sie ist eine geduldige Lehrerin, mit der man gut plaudern kann. Als ich ihr erzählt hab, dass ich gerne koche und chinesische Gerichte ausprobieren möchte, hat sie mir zur nächsten Stunde eine Packung 年糕 (Niangao) mitgebracht, ein traditionelles Gericht, das man normalerweise zu Neujahr isst. Der Name bedeutet wortwörtlich „Jahr hoch“ und steht für den Wunsch, sich jedes Jahr weiterzuentwickeln und seine Fähigkeiten auszubilden. Sie hat mich auch zu sich zum Essen eingeladen und mir angeboten, ihrer Mutter beim Kochen zuzusehen. Mal sehen, wann es sich ergibt, das würde ich nämlich wirklich gerne mal.

Dann habe ich in den letzten Tagen Kontakte zu anderen ausländischen Lehrern hier geknüpft. Dazu muss man sagen, dass ich mit denen normalerweise nichts zu tun habe, weil sie in anderen Lehrerzimmern sitzen und sie daher praktisch nie sehe. Auf meinem Gang wohnen noch zwei kanadische Lehrerinnen, Yvette und Fairly, beide etwa Mitte Zwanzig. Im Flur unter mir wohnt ein Englischlehrer, Larry, der bereits um die 70 ist und schon seit 10 Jahren an dieser Schule lebt und arbeitet. Im gleichen Lehrerzimmer wie Larry ist auch noch ein weiterer ausländischer Lehrer, David, den ich mal im Aufzug angesprochen hatte und mit dem ich mich ziemlich gut verstehe. Leider treffe ich die anderen praktisch nie, obwohl wir entweder im gleichen Haus wohnen oder im gleichen Flur arbeiten. Manchmal habe ich die Kanadierinnen zum Mittagessen getroffen, aber die meiste Zeit sieht man sich irgendwie eher selten.

In der letzten Zeit habe ich auch damit begonnen, die Gegend hier mehr zu erkunden. Ich habe mich am Sonntag in den 720er Richtung 莲花路地铁站 (Lian hua lu di tie zhan) gesetzt, bin durch den Minhang District gefahren und habe entdeckt, dass man auf dieser Strecke an einigen Fressstraßen voll Garküchen, einem großen Supermarkt und einer Uni vorbeikommt. Die Linie endet dann an einer Haltestelle der Metrolinie 1, wo ich ausgestiegen und in eine der Imbisse gegenüber gegangen bin. Es war einer von denen, die man hier überall findet: Etwas klein, etwas schäbig; Plastikhocker an schlichten Tischen, an den Wänden leicht vergilbte Fotos der Speisen, daneben Tafeln mit den Gerichten in chinesischer Schrift. Ich ging zum Tresen und antwortete auf die Frage „你吃什么?“ (Was willst du essen?) mit „什么最好吃?“ (Was schmeckt am besten?). Diese Frage funktioniert erstaunlich gut, vor allem wenn man keine Ahnung vom Angebot hat.   Letzten Endes entschied ich mich für eine leicht scharfe Nudelsuppe mit Rind, nichts besonderes, aber es schmeckte und machte satt. Schräg gegenüber von mir saß ein junger Mann, der seine Suppe laut schlürfte und mit seinem scheinbar leicht schwerhörigen Bruder telefonierte, weil er jeden Satz etwa fünfmal wiederholen musste, bis dieser ihn verstand (na gut, vielleicht war es dort auch sehr laut). Rechts an der Wand saßen zwei Männer, die nicht viel älter als ich sein konnten und durch ihr Aussehen ziemlich auffielen. Sie hatten lange Haare, die sie als eine Art hohen Dutt trugen. In dem Dutt steckten kleine Stäbchen (oder so) und ein schwarzes Band hielt alles zusammen. Sie trugen schwarze Kung Fu-Anzüge und in schönem Kontrast dazu Nike Sportschuhe. Hätte zu gern gewusst, woher die wohl kamen…

Außerdem war ich endlich mal im Walmart hier in der Nähe und habe einige praktische Dinge gekauft, die ich seit Ewigkeiten gesucht, aber nie gefunden habe. Im gleichen Gebäude gibt es auch ein McDonalds, das immer voll zu sein scheint.

Demnächst will ich die anderen Buslinien ausprobieren und schauen, wo die so hinführen. Zum Glück kostet eine Busfahrt nur 2 Yuan, also umgerechnet 0,25€.

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Ein Brief

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Liebes Shanghai,

ich bin jetzt schon ganze 63 Tage bei dir und wollte mich mal bei dir melden.
Auch wenn ich schon viele deiner Seiten gesehen habe – neben den bekanntesten Sehenswürdigkeiten auch deine verschiedenen Viertel mit den unzähligen kleinen Gassen voller Straßenstände mit Waren aller Art -, gibt es noch genug Dinge zu sehen. Zum Beispiel Qibao, der Altstadt; den Fuxing Park, der für seine Ruhe bekannt ist oder M50, Shanghais SoHo mit temporärer chinesischer Kunst. Ich muss auch noch dein Expo-Gelände bestaunen und dich an der Hailun Road Station besuchen, wo du das 1933 Old Factory Building stehen hast. Ich war auch noch nicht am Hafen oder in deinem Freizeitpark, der gar nicht mal so weit weg von mir ist. Du siehst also, ich bin noch lange nicht fertig damit, dich kennen zu lernen.

Nichtsdestotrotz habe ich mir inzwischen doch schon einen recht guten Eindruck von dir machen können und muss sagen: Nicht schlecht, Herr Specht! Ich mag wie du es schaffst, so viele Kontraste in dir zu vereinen wie keine andere Stadt, in der ich vorher war. Ich mag, dass du modern, manchmal fast schon westlich sein kannst und dir trotzdem immer einen gewissen chinesischen Touch beibehältst. Auch wenn leider viele historische Teile neuen Bauten weichen mussten, hast du immer noch Ecken, an denen man das „eigentliche“ China spüren kann. Aber am meisten gefällt mir deine Vielfältigkeit – es gibt noch so viele Dinge, die ich bei dir ausprobieren muss. Neben den ganzen Orten auch banale Dinge wie deine vielen Restaurants, Bars oder Clubs, von denen ich noch längst nicht alle kenne. Danke, dass es bei dir nie langweilig wird! In letzter Zeit habe ich angefangen, Strecken öfter zu Fuß zu laufen als mit dem Bus oder der Metro zu fahren. Dadurch konnte ich deinen Aufbau besser kennen lernen und habe jetzt ein besseres Verständnis von dir. Dabei habe ich auch das ein oder andere entdeckt, was jetzt auf meiner „Places to go“-Liste steht.

Ich finde es auch wirklich toll, dass bei dir wirklich immer (!) was los ist. Wenn man mal auf Seiten wie shanghaiexpat.com oder smartshanghai.com geht, findet man grundsätzlich mehrere Veranstaltungen pro Tag, zu denen man gehen kann. Egal ob Musik, Kunst, Literatur oder einfach nur Ausgehen, du hast immer was anzubieten.

Aber natürlich gibt es trotzdem Dinge, die ich nicht so gern an dir mag. Wie so ziemlich jeder Shanghaier stört mich deine riesige Größe; ich mein, klar, so viel Vielfalt braucht Platz, aber dass man praktisch immer mit etwa einer Stunde Fahrt rechnen muss, ist doch zu viel des Guten. Das Ganze wäre vielleicht halb so schlimm, wenn viele deiner Metrostationen, Straßen und überhaupt Ballungspunkte an sich nicht so unglaublich laut und hektisch wären. Der allgegenwärtige Lärm kann einem nach einen langen Tag schon mal den letzten Nerv rauben. Muss wirklich immer und überall irgendetwas blinken, surren, hupen oder piepen? Selbst in Bus und Bahn ist die Werbung mit Musik untermalt… Wenn du mich fragst, ist weniger manchmal eben doch mehr.

Aber alles in allem muss ich doch zugeben, dich wirklich gern zu mögen und dich in mein Herz geschlossen zu haben. Selbst wenn man in manchen deiner Metrostationen schon mal (gefühlt) einen Kilometer laufen muss, um umzusteigen, weiß ich wirklich zu schätzen, was du doch für ein Schmelztiegel gegensätzlichster Welten bist. Allein, dass man bei dir so viele Expats trifft, die aus aller Herren Länder hergekommen sind und ihren Teil zu deiner Einzigartigkeit beitragen, ist wirklich aufregend… Aber nicht nur Ausländer, auch Chinesen aus anderen Teilen dieses riesigen Landes kommen hierher, um ihr Glück zu versuchen – du bist praktisch Chinas Stadt der Chancen.
Ich finde, du bist eine atemberaubende Stadt, die einen wirklich packen kann. Dich nur für ein paar Tage oder Wochen zu besuchen und dabei nur die bekanntesten Sehenswürdigkeiten zu besuchen, kommt dir gar nicht gerecht. Ich bin dankbar, ein Jahr bei dir leben zu dürfen und dich nicht nur mal sehen, sondern wirklich erleben zu dürfen.

Und wenn ich dich dann irgendwann in acht Monaten und ein paar zerquetschten Tagen wirklich verlassen muss, verspreche ich dir eins: Ich komme wieder! So schnell wirst du mich nicht los;)

 

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lückenfüller

Momentan gibt es leider nicht so viel Spannendes zu berichten, aber damit ihr trotzdem was zu lesen habt, hab ich hier mal einen Blogtipp:

Ich bin vor zwei, drei Jahren mal auf folgenden Blog gestossen: https://kulturweit.blog/unmittelbarst
Damals war der Gedanke, selbst ins Ausland zu gehen, noch in ziemlicher Ferne. Dass ich auch ausgerechnet in Shanghai gelandet bin, nenne ich mal Ironie des Schicksals:D

Den Blog habe ich immer gern gelesen, vielleicht gefällt er ja dem ein oder andern auch:)

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alltägliches

Morgens, irgendwann zwischen acht und neun Uhr.
Ort: Haltestelle 百色路平伏路 (Baiselu Pingfulu)
Ich stehe mit einigen anderen an der Bushaltestelle und warte auf den 720er.  DSCN0851[1]

Sobald sich dieser blicken lässt, drängt ein Teil der Menschen auf die Straße und kommt dem Bus entgegen. Es entsteht ein Gedränge am Eingang; jeder will als erstes hinein und sich einen der begehrten Sitzplätze ergattern. Um hineinzukommen, hält man entweder seine Metrokarte an ein Lesegerät, das  – düüt – zwei Yuan abbucht, oder man wirft das Bargeld in einen kleinen Schlitz.
Im Businneren dann Ernüchterung: Alle Sitzplätze sind schon belegt, man muss stehen und mit jeder weiteren Haltestelle wird es enger. Etwa fünfzehn Minuten später quetsche ich mich an den anderen Fahrgästen vorbei Richtung Hintertür und steige aus.
Um den Bürgersteig zu erreichen, muss man ein kleines Stück der Straße überqueren, das Motorrad- und Fahrradweg ist und bei dem man immer schön darauf achten muss, nicht angefahren zu werden. Aber das passt schon, Chinesen sind da geübt drin und umfahren einen umsichtig. Weiter geht es auf dem Bürgersteig, an dem es rechts und links kleine Stände mit Straßenessen gibt. Dort holen sich viele für ein paar Yuan ihr Frühstück.
Über eine kleine Brücke gelange ich zur Metrostation, hole wieder meine Metrokarte heraus, es macht „Düüt“, ich gehe durch das Drehkreuz durch und fahre die Rolltreppen hoch zum Bahngleis. „Please hold the handrail“, ermahnt mich eine blecherne Stimme. Hmmh, nö.
Oben angekommen warte ich auf die Bahn, die laut Anzeige in etwa einer Minute ankommen soll. Wartend lasse ich den Blick über den Bahnsteig gleiten – links stehen einige Fahrgäste und vertreiben sich die Zeit mit ihren Smartphones. Rechts ist eine Bank, auf der eine Frau mit Koffer sitzt und auf ihr Smartphone schaut. Sie scheint eine Serie zu gucken. Dahinter sieht man einen kleinen Zeitungsstand mit u.a. chinesischen Ausgaben westlicher Zeitschriften. Gegenüber steigen grade die Fahrgäste ein und da rauscht auch schon meine Bahn heran.

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Ich stelle mich brav auf die gelben Pfeile, die anzeigen, dass einsteigende Fahrgäste die Mitte doch bitte den aussteigenden freihalten sollen. Was nicht bedeutet, dass man erst aussteigen lässt, ganz im Gegenteil. Beides geschieht gleichzeitig, natürlich nicht ohne Gedrängel.
Drinnen angekommen ergibt sich wieder ein ähnliches Bild wie draußen: Die meisten Fahrgäste schauen wieder auf ihr –
richtig, Smartphone.
Ich wende den Blick ab und schaue aus dem Fenster. Diese Linie ist eine der wenigen in Shanghai, die überirdisch fahren. Jetzt sind wir in einer Gegend, in der die Häuser in einem doch eher traurigem Zustand sind. Die meisten sehen sehr heruntergekommen und einfach aus; einigen fehlen Teile der (Wellblech-)Dächer oder ganze Wände. Man erkennt mit Schutt gefüllte, halboffene Räume, in denen Wäsche im Wind flattert. Manchmal sieht man auch die Menschen, die dort wohnen und verblüffend „normal“ aussehen. Mich erinnert dieses Wohngebiet immer ein bisschen an Nachrichtenbilder von Kriegsgebieten.

 

上海南站 – Shanghai South Railway Station. Endstation. Ich steige mit den anderen Fahrgästen aus und gelange durch die Unterführung zum Bahnsteig meiner Anschlussbahn. Mit der fahre ich noch eine Station, steige aus und gehe durch eine Fußgängerunterführung auf die andere Straßenseite. An den Eingängen der Unterführung sitzen immer kleine Straßenverkäufer, die ihre Schals, Schuhe und Handtaschen anbieten. Dazwischen sind auch immer wieder Stände, an denen man Folien auf sein Handy kleben lassen kann (getestet und für gut befunden!).

 

Wenn ich aus der Unterführung rauskomme, biege ich rechts ab und gehe an der wahrscheinlich einzigen Buswarteschlange Shanghais vorbei (Achtung, Hyperbel, ich hab das auch schon woanders gesehen, aber nie so ordentlich wie hier). Nach fünf Minuten laufen biege ich wieder rechts ab und sehe auch schon die vielen Fahnen meiner Schule, die direkt am Tor gehisst werden. Dahinter sieht man das schöne rote Schulgebäude, in dem ich gleich die nächsten Stunden verbringen werde. Ich gehe zum Tor, grüße den Wärter und werde hineingelassen. Schnell laufe ich die paar Meter bis zur Tür, gehe zum Aufzug und fahre bis in den dritten Stock (den deutschen zweiten Stock; man zählt das Erdgeschoss mit). Dort ist mein Arbeitsplatz, nämlich in einem der vielen Lehrerzimmer, die mehr einem Büro ähneln als den Lehrerzimmern, die ich aus Deutschland kenne. Jeder Lehrer hat seinen angestammten Schreibtisch mit allem Drum und Dran. Mein Lehrerzimmer ist das der Englischlehrer, deswegen ist grade eine englische Unterhaltung am Gange, als ich den Raum betrete. Ich gehe schweigend zu meinem Schreibtisch, denn hier in China begrüßt und verabschiedet man sich bei der Arbeit nicht. Daran musste ich mich auch erst gewöhnen.

 

Und dann fahre ich meinen Laptop hoch und beginne mit meiner Arbeit, korrigiere Texte, recherchiere Unterrichtsinhalte und erstelle Powerpointpräsentationen. Gegen elf  gibt es Mittagessen in der Kantine, danach gebe ich meine Deutsche Ecke. Irgendwann zwischen zwei und drei habe ich Schluss und mache mich auf den Heimweg.

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„Und, hast du dich schon eingelebt?“

Gute Frage…. Wenn das mal so einfach zu beantworten wäre.
Aber so vom Gefühl her: Joa, doch schon. Aber noch nicht ganz.

Ich würde sagen, ich habe mich gewöhnt – an China, die Menschen, die Stadt und ihre gigantische Größe, an den Lärm, die Enge in den Metrostationen und das Gedränge überall. Gewöhnt an das Essen, an Chinesisch sprechen; daran, dass man hin und wieder denkt: „Sind die verrückt?“ und an das Erklären, wieso ich denn chinesisch aussehe, aber irgendwie trotzdem deutsch bin.
Daran, dass ich nie unbemerkt das Schulgelände betreten oder verlassen kann, weil der einzige Eingang rund um die Uhr bewacht ist (was eine ziemlich sichere Wohnsituation ergibt) und dass das Essen mittags in der Schulkantine in einem Metalltablett serviert wird, das mich am Anfang immer an Gefängnisessen erinnert hat.

Inzwischen habe ich guten Chinesischunterricht an der I&C, einen potentiellen Tandempartner für Chinesisch-Deutsch (hat sich so ergeben) und neue (zumeist westliche) Bekanntschaften geschlossen. Und je mehr Leute ich hier kennen lerne, die mir sympathisch sind, je fester mein Alltag wird und je mehr ich die Stadt erkunde, desto mehr kann ich mich hier heimisch fühlen. Ich würde noch nicht behaupten, dass Shanghai schon mein Zuhause ist, aber ich habe jetzt das Gefühl, wirklich angekommen zu sein.

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