Ein Brief

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Liebes Shanghai,

ich bin jetzt schon ganze 63 Tage bei dir und wollte mich mal bei dir melden.
Auch wenn ich schon viele deiner Seiten gesehen habe – neben den bekanntesten Sehenswürdigkeiten auch deine verschiedenen Viertel mit den unzähligen kleinen Gassen voller Straßenstände mit Waren aller Art -, gibt es noch genug Dinge zu sehen. Zum Beispiel Qibao, der Altstadt; den Fuxing Park, der für seine Ruhe bekannt ist oder M50, Shanghais SoHo mit temporärer chinesischer Kunst. Ich muss auch noch dein Expo-Gelände bestaunen und dich an der Hailun Road Station besuchen, wo du das 1933 Old Factory Building stehen hast. Ich war auch noch nicht am Hafen oder in deinem Freizeitpark, der gar nicht mal so weit weg von mir ist. Du siehst also, ich bin noch lange nicht fertig damit, dich kennen zu lernen.

Nichtsdestotrotz habe ich mir inzwischen doch schon einen recht guten Eindruck von dir machen können und muss sagen: Nicht schlecht, Herr Specht! Ich mag wie du es schaffst, so viele Kontraste in dir zu vereinen wie keine andere Stadt, in der ich vorher war. Ich mag, dass du modern, manchmal fast schon westlich sein kannst und dir trotzdem immer einen gewissen chinesischen Touch beibehältst. Auch wenn leider viele historische Teile neuen Bauten weichen mussten, hast du immer noch Ecken, an denen man das „eigentliche“ China spüren kann. Aber am meisten gefällt mir deine Vielfältigkeit – es gibt noch so viele Dinge, die ich bei dir ausprobieren muss. Neben den ganzen Orten auch banale Dinge wie deine vielen Restaurants, Bars oder Clubs, von denen ich noch längst nicht alle kenne. Danke, dass es bei dir nie langweilig wird! In letzter Zeit habe ich angefangen, Strecken öfter zu Fuß zu laufen als mit dem Bus oder der Metro zu fahren. Dadurch konnte ich deinen Aufbau besser kennen lernen und habe jetzt ein besseres Verständnis von dir. Dabei habe ich auch das ein oder andere entdeckt, was jetzt auf meiner „Places to go“-Liste steht.

Ich finde es auch wirklich toll, dass bei dir wirklich immer (!) was los ist. Wenn man mal auf Seiten wie shanghaiexpat.com oder smartshanghai.com geht, findet man grundsätzlich mehrere Veranstaltungen pro Tag, zu denen man gehen kann. Egal ob Musik, Kunst, Literatur oder einfach nur Ausgehen, du hast immer was anzubieten.

Aber natürlich gibt es trotzdem Dinge, die ich nicht so gern an dir mag. Wie so ziemlich jeder Shanghaier stört mich deine riesige Größe; ich mein, klar, so viel Vielfalt braucht Platz, aber dass man praktisch immer mit etwa einer Stunde Fahrt rechnen muss, ist doch zu viel des Guten. Das Ganze wäre vielleicht halb so schlimm, wenn viele deiner Metrostationen, Straßen und überhaupt Ballungspunkte an sich nicht so unglaublich laut und hektisch wären. Der allgegenwärtige Lärm kann einem nach einen langen Tag schon mal den letzten Nerv rauben. Muss wirklich immer und überall irgendetwas blinken, surren, hupen oder piepen? Selbst in Bus und Bahn ist die Werbung mit Musik untermalt… Wenn du mich fragst, ist weniger manchmal eben doch mehr.

Aber alles in allem muss ich doch zugeben, dich wirklich gern zu mögen und dich in mein Herz geschlossen zu haben. Selbst wenn man in manchen deiner Metrostationen schon mal (gefühlt) einen Kilometer laufen muss, um umzusteigen, weiß ich wirklich zu schätzen, was du doch für ein Schmelztiegel gegensätzlichster Welten bist. Allein, dass man bei dir so viele Expats trifft, die aus aller Herren Länder hergekommen sind und ihren Teil zu deiner Einzigartigkeit beitragen, ist wirklich aufregend… Aber nicht nur Ausländer, auch Chinesen aus anderen Teilen dieses riesigen Landes kommen hierher, um ihr Glück zu versuchen – du bist praktisch Chinas Stadt der Chancen.
Ich finde, du bist eine atemberaubende Stadt, die einen wirklich packen kann. Dich nur für ein paar Tage oder Wochen zu besuchen und dabei nur die bekanntesten Sehenswürdigkeiten zu besuchen, kommt dir gar nicht gerecht. Ich bin dankbar, ein Jahr bei dir leben zu dürfen und dich nicht nur mal sehen, sondern wirklich erleben zu dürfen.

Und wenn ich dich dann irgendwann in acht Monaten und ein paar zerquetschten Tagen wirklich verlassen muss, verspreche ich dir eins: Ich komme wieder! So schnell wirst du mich nicht los;)

 

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2 Antworten zu Ein Brief

  1. Julia sagt:

    oh wie schön :) ich freu mich auch wahnsinnig drauf die Stadt endlich wieder besuchen zu können. Wir rocken Silvester!!!
    Das, was du alles an SH magst, gibts auch in Hongkong – nur irgendwie amerikanischer und grüner.

  2. Chuong Fu To sagt:

    Na da hast du noch viel zu bestaunen. Grüße von uns und vielen Studenten, die wünschten sie wären wieder in Shanghai. In Erlangen scheint es für Chinesen einfach zu langweilig zu sein. Wir wünschen dir noch viel Spaß. :D

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