alltägliches

Morgens, irgendwann zwischen acht und neun Uhr.
Ort: Haltestelle 百色路平伏路 (Baiselu Pingfulu)
Ich stehe mit einigen anderen an der Bushaltestelle und warte auf den 720er.  DSCN0851[1]

Sobald sich dieser blicken lässt, drängt ein Teil der Menschen auf die Straße und kommt dem Bus entgegen. Es entsteht ein Gedränge am Eingang; jeder will als erstes hinein und sich einen der begehrten Sitzplätze ergattern. Um hineinzukommen, hält man entweder seine Metrokarte an ein Lesegerät, das  – düüt – zwei Yuan abbucht, oder man wirft das Bargeld in einen kleinen Schlitz.
Im Businneren dann Ernüchterung: Alle Sitzplätze sind schon belegt, man muss stehen und mit jeder weiteren Haltestelle wird es enger. Etwa fünfzehn Minuten später quetsche ich mich an den anderen Fahrgästen vorbei Richtung Hintertür und steige aus.
Um den Bürgersteig zu erreichen, muss man ein kleines Stück der Straße überqueren, das Motorrad- und Fahrradweg ist und bei dem man immer schön darauf achten muss, nicht angefahren zu werden. Aber das passt schon, Chinesen sind da geübt drin und umfahren einen umsichtig. Weiter geht es auf dem Bürgersteig, an dem es rechts und links kleine Stände mit Straßenessen gibt. Dort holen sich viele für ein paar Yuan ihr Frühstück.
Über eine kleine Brücke gelange ich zur Metrostation, hole wieder meine Metrokarte heraus, es macht „Düüt“, ich gehe durch das Drehkreuz durch und fahre die Rolltreppen hoch zum Bahngleis. „Please hold the handrail“, ermahnt mich eine blecherne Stimme. Hmmh, nö.
Oben angekommen warte ich auf die Bahn, die laut Anzeige in etwa einer Minute ankommen soll. Wartend lasse ich den Blick über den Bahnsteig gleiten – links stehen einige Fahrgäste und vertreiben sich die Zeit mit ihren Smartphones. Rechts ist eine Bank, auf der eine Frau mit Koffer sitzt und auf ihr Smartphone schaut. Sie scheint eine Serie zu gucken. Dahinter sieht man einen kleinen Zeitungsstand mit u.a. chinesischen Ausgaben westlicher Zeitschriften. Gegenüber steigen grade die Fahrgäste ein und da rauscht auch schon meine Bahn heran.

 DSCN0852[1]
Ich stelle mich brav auf die gelben Pfeile, die anzeigen, dass einsteigende Fahrgäste die Mitte doch bitte den aussteigenden freihalten sollen. Was nicht bedeutet, dass man erst aussteigen lässt, ganz im Gegenteil. Beides geschieht gleichzeitig, natürlich nicht ohne Gedrängel.
Drinnen angekommen ergibt sich wieder ein ähnliches Bild wie draußen: Die meisten Fahrgäste schauen wieder auf ihr –
richtig, Smartphone.
Ich wende den Blick ab und schaue aus dem Fenster. Diese Linie ist eine der wenigen in Shanghai, die überirdisch fahren. Jetzt sind wir in einer Gegend, in der die Häuser in einem doch eher traurigem Zustand sind. Die meisten sehen sehr heruntergekommen und einfach aus; einigen fehlen Teile der (Wellblech-)Dächer oder ganze Wände. Man erkennt mit Schutt gefüllte, halboffene Räume, in denen Wäsche im Wind flattert. Manchmal sieht man auch die Menschen, die dort wohnen und verblüffend „normal“ aussehen. Mich erinnert dieses Wohngebiet immer ein bisschen an Nachrichtenbilder von Kriegsgebieten.

 

上海南站 – Shanghai South Railway Station. Endstation. Ich steige mit den anderen Fahrgästen aus und gelange durch die Unterführung zum Bahnsteig meiner Anschlussbahn. Mit der fahre ich noch eine Station, steige aus und gehe durch eine Fußgängerunterführung auf die andere Straßenseite. An den Eingängen der Unterführung sitzen immer kleine Straßenverkäufer, die ihre Schals, Schuhe und Handtaschen anbieten. Dazwischen sind auch immer wieder Stände, an denen man Folien auf sein Handy kleben lassen kann (getestet und für gut befunden!).

 

Wenn ich aus der Unterführung rauskomme, biege ich rechts ab und gehe an der wahrscheinlich einzigen Buswarteschlange Shanghais vorbei (Achtung, Hyperbel, ich hab das auch schon woanders gesehen, aber nie so ordentlich wie hier). Nach fünf Minuten laufen biege ich wieder rechts ab und sehe auch schon die vielen Fahnen meiner Schule, die direkt am Tor gehisst werden. Dahinter sieht man das schöne rote Schulgebäude, in dem ich gleich die nächsten Stunden verbringen werde. Ich gehe zum Tor, grüße den Wärter und werde hineingelassen. Schnell laufe ich die paar Meter bis zur Tür, gehe zum Aufzug und fahre bis in den dritten Stock (den deutschen zweiten Stock; man zählt das Erdgeschoss mit). Dort ist mein Arbeitsplatz, nämlich in einem der vielen Lehrerzimmer, die mehr einem Büro ähneln als den Lehrerzimmern, die ich aus Deutschland kenne. Jeder Lehrer hat seinen angestammten Schreibtisch mit allem Drum und Dran. Mein Lehrerzimmer ist das der Englischlehrer, deswegen ist grade eine englische Unterhaltung am Gange, als ich den Raum betrete. Ich gehe schweigend zu meinem Schreibtisch, denn hier in China begrüßt und verabschiedet man sich bei der Arbeit nicht. Daran musste ich mich auch erst gewöhnen.

 

Und dann fahre ich meinen Laptop hoch und beginne mit meiner Arbeit, korrigiere Texte, recherchiere Unterrichtsinhalte und erstelle Powerpointpräsentationen. Gegen elf  gibt es Mittagessen in der Kantine, danach gebe ich meine Deutsche Ecke. Irgendwann zwischen zwei und drei habe ich Schluss und mache mich auf den Heimweg.

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