Im Osten kaum Neues

Die Tage kommen und gehen, mit jedem Tag wird es ein bisschen kühler, aber viel mehr verändert sich und passiert auch nicht. Gerade kehrt hier eine Ruhe und Gemütlichkeit ein, von der ich nicht weiß, wie ich sie zuordnen soll. Ist es, weil wir wieder mitten drin sind im Semester? Weil das Wetter umschlingt und der spätsommerliche Tatendrang einer herbstlichen Gemächlichkeit gewichen ist? Oder ist es einfach, weil ich mich nach über 8 Monaten hier langsam richtig heimisch fühle? Ich dachte, ich täte das schon lang, als ich im Sommer in Deutschland war, ertappte ich mich mehr als einmal dabei, zu denken oder laut zu sagen „wenn ich wieder nach Hause fliege“. Zurzeit ist das Gefühl aber ein anderes. Aus den Bekanntschaften und oberflächlichen Freundschaften, die ich aufgebaut habe, sind zum Teil wirklich feste Freundschaften geworden. Mein chinesisch wird immer besser, ich kenne mich immer besser aus in dieser riesigen Stadt, und auch an die Macken und Stärken der Kollegen habe ich mich gewöhnt. Alles in allem ein sehr schönes Gefühl, zu wissen, dass ich hier ein Zuhause weit weg von meinem Zuhause habe.

Wie bereits erwähnt, es wird hier langsam kühl. Die halbe Schule hat sich schon von den unausweichlich umherfliegenden Grippeerregern treffen und direkt nach Hause verfrachten lassen. Zu meinem eigenen Erstaunen blieb ich bisher verschont, nachdem ich allerdings gestern lernte, wie ich jemandem erklären kann, dass ich erkältet bin und was genau mir alles weh tut, bin auch ich heute morgen mit einem Kratzen im Hals aufgewacht. Ich bleibe weiterhin zuversichtlich, dass es sich hierbei nur um die Verinnerlichung der gelernten Stoffes handelt.

Und wurde immer gesagt, das letzte Drittel der Freiwilligendienstes sei der Teil, an dem am meisten passiere. Man fühl sich sicher in seiner Umgebung und traut sich mehr. Natürlich habe ich das am Anfang abgetan, habe mich allerdings selbst letzte Woche eines Besseren belehrt. Ich war in Shanghai und wollte Geld abheben. Wie man es also so tut, wenn man Geld abheben möchte, ich suchte ich also eine Bank in der Nähe auf. Ich ging in die Kabine, schob den Riegel vor, Sicherheit geht ja schließlich vor alles. Ich steckte meine Karte in den Automaten, gab meine Zahl ein, bekam mein Geld, und ging. Erst als ich eine halbe Stunde später meinen Geldbeutel öffnete, bemerkte ich, dass da irgendetwas fehlte. Im Kopf ging ich alles durch. Karte rein, Geld raus… Karte raus? Nein, natürlich nicht. Wie oft habe ich mir gedacht, dass mir so etwas nie passieren könnte, man kann doch nicht einfach seine Karte stecken lassen. Tja, offensichtlich kann man das doch. Ich habe die Beine in die Hände genommen und bin zurück gerannt- Die Karte war natürlich weg. Zum Glück konnte die Karte schnell gesperrt werden und auch mein Geld ist noch da, wo es hingehört- auf meinem Konto. Am gleichen Abend stand ich um 9 Uhr am Hongqiao Bahnhof und wollte ein Ticket nach Suzhou kaufen. Dummerweise waren die letzten beiden Züge ausgebucht, und ich wurde zum anderen Bahnhof geschickt. Ich stand also in der U- Bahn- die dann tatsächlich stehenblieb, die Lichter ausschaltete und die Fahrgäste auffordern ließ, auszusteigen. Nach einer geschlagenen Viertelstunde des Wartens wurde mir also klar, dass ich auch den letzten Zug am Bahnhof kaum erwischen würde, und musste also die Nacht in Shanghai bleiben. Man lernt nicht aus, zumindest, was China- Abenteuer betrifft!

Neutralisiert wird meine eigene Unachtsamkeit hier zum Glück immer wieder von schönen Momenten und Begegnungen. Neulich stand ich mit einigen meiner Kollegen an der Bushaltestelle, als ein Bettler zu uns kam. Bevor noch einer von uns irgendwie reagieren könnte, sprang ein etwa 14- jähriger Junge auf, griff in seine Tasche, zog ein bisschen Kleingeld heraus, gab es dem Bettler und gab ihm zu verstehen, weiter zu gehen und uns in Ruhe zu lassen. Ich war völlig perplex und habe, gerührt wie ich war, wahrscheinlich sogar vergessen, ihm zu danken, was mir im Nachhinein sehr leid tut. In solchen Momenten wird mir immer wieder klar, wie gastfreundlich und vor allem sicher dieses Land ist, wenn man sich nur darauf einlässt.

Am Sonntag wurden in Deutschland wieder die Uhren umgestellt, ein Phänomen, dass es hier nicht gibt. In China unterscheidet man nicht zwischen Sommer- und Winterzeit, was ich am Anfang sehr merkwürdig fand. Unter der Berücksichtigung hingegen, dass das ganze, riesige Land eine einzige Zeitzone hat, ist es wohl nicht weiter verwunderlich. Wie dem auch sei, das Jahr neigt sich langsam dem Ende zu. Hier wird schon fleißig die Show für die Weihnachtsfeier geplant.

Es wird wohl auf einen derzeit sehr populären asiatischen Popsong hinauslaufen. Welcher, das dürfte ja wohl klar sein- Gangnam Style! Der Schulleiter ist von der Idee begeistert, und das meine ich ernst! Bis dahin ist aber zum Glück noch Zeit um noch mehr zu entdecken und zu erleben- und um noch mehr dieses Gefühl der zweiten Heimat zu genießen.