Die ständige, drückende, feuchte Hitze, die auch bei Regen nicht nachließ, weicht langsam einem Wetter- Chaos, das ich so noch nie erlebt habe. Der Sommer ist vorbei, sollte man zumindest meinen, bis er am nächsten Tag mit voller Wucht zurückkommt. Die Temperaturen fallen und steigen, mal scheint die Sonne und aufkommender Wind reißt ein paar blaue Löcher in den sonst immergrauen Himmel, manchmal schafft er sogar weiße Tupfen in den zur Abwechslung mal blauen Himmel. Am nächsten Tag regnet es wieder aus vollen Güssen und nicht nur einmal gab es Gewitter, bei denen sämtliche Bürokollegen zusammenzuckten, wenn ein einziger Blitz das Stockfinster vor dem Fenster durchbrach und gleichzeitig ein Donner zu hören war, der so laut war, das man schon befürchtete, dass es auch das Haus nebenan sein könnte, das gerade in sich zusammenfällt. Jeder Tag ist wie eine neue Jahreszeit. Das Gute: Zumindest das ewige Schwitzen ist vorbei und auch die furchtbar trockene Luft der Klimaanlage. Das Schlechte: Die ständigen Schwankungen sind anstrengend. Die Meisten sind dauernd müde und schlapp.
Letzten Montag hat die Schule begonnen. Der erste Schultag war leider verregnet, was die geplante Schuleröffnungsfeier und den Fahnenappell auf dem Schulhof ausfallen ließen. So kamen also am nächsten Montag nochmal alle Schüler in ihrer „regulären“ Schuluniform, die ich bisher noch nie gesehen hatte und von der ich daher irrtümlich annahm, sie sei neu: Die Mädchen tragen graue, knielange Faltenröcke, weiße Blusen und Strümpfe, die Jungen dunkelblaue Hosen und hellblau- weiß- gestreifte Hemden. Aus Bequemlichkeitsgründen wird auf das Tragen dieser jedoch an den meisten Tagen des Jahres verzichtet und statt ihrer die jogginganzugähnlichen Kombinationen aus weinrot und dunkelblau bevorzugt. Wenn man die Tatsache bedenkt, was die Schüler für gewöhnliche Schultage haben, kann man ihnen das nicht verdenken, einige Schüler machen sich um 6 Uhr 30 morgens auf den Schulweg, nach 8 regulären Schulstunden gibt es noch Hausaufgabenbetreuung oder „Interessensfächer“, also weitere Fremdsprachen. Hin und wieder liege ich schon im Bett, wenn der Schulgong die Erlösung für den Tag kundgibt. Auf einem Stundenplan, der in einem Klassenzimmer auslag, stand neben den Fächern für Freitag in einer extra Spalte „no pain, no gain“.
Der Fahnenappell wurde also am Montag in der Woche darauf nachgeholt, zufällig war dieser Tag „Lehrertag“. Lehrer haben in China eine vollkommen andere Stellung als in Deutschland. In Deutschland hört man häufig, dass Eltern und Kinder auf einer Seite stehen, der Lehrer auf einer anderen. Für schlechte Noten wird häufig erst mal der Lehrer verantwortlich gemacht. In China ist es andersrum: Lehrer werden von der Bevölkerung gemeinhin respektiert und bewundert. Wenn die Noten nicht stimmen, dann ist eindeutig der Schüler schuld, weil er faul ist. Natürlich ist es in einem Land wie China, das von „guanxi“, also einem Netzwerk einflussreicher und einem wohlgesonnenen Menschen, nicht abwegig, sich auch bei den Lehrern der Kinder zumindest erkenntlich zu zeigen. So bekommen Lehrer am Lehrertag Geschenke: Blumen, Schokolade, Karten, manchmal sogar Schmuck oder andere Dinge. Auch die Schulleitung hat dieses Jahr jedem Lehrer und auch ihrer einzigen Freiwilligen mit einer Blume, einer Karte und Pralinen eine Freude gemacht.
Mit dem neuen Schuljahr kam natürlich auch eine neue Deutschklasse hinzu. Einen kompletten „Deutsch- Neuanfang“ habe ich ja noch gar nicht erlebt, deswegen ist es spannend zu sehen, wie schwer es den Schülern am Anfang verständlicherweise fällt, sich in die deutsche Phonetik einzuarbeiten. Der „ich-“ und der „ach- Laut“, „ei“ spricht man wie „ai“ und „eu“ wie „oi“, es gibt ä, ö, ü und ß, und wie erklärt man das den Schülern?
Je mehr chinesisch ich lerne, desto mehr fallen mir auch die Schwierigkeiten auf, die ein chinesischer Schüler ohne Zweifel haben muss, wenn er deutsch lernt (was umgekehrt natürlich nicht anders ist). Aber es hilft auch immer mehr, diese schon nicht mehr ganz so fremde Kultur weiter verstehen zu lernen. Und es wird auch Zeit: Meine zweite Halbzeit ist schon längst angebrochen, meine Nachfolgerin steht schon fest und auch wenn ich noch über 4 Monate habe, scheint das Ende meines Freiwillendienstes hier unhaltbar näher zu rücken. Jetzt wird aber erst mal versucht, diesen verrückten Spätsommer- Herbst- Mix unbeschadet zu überstehen, bevor der Wintermelancholie Platz gemacht wird!