So fern und doch so nah- Die EM in China

In Europa herrscht Fußballfieber, und auch vor dem weit entfernten China macht die Epidemie keinen Halt. Über See- und Landweg schwappen die Wellen an und führen zu Open- Air Übertragungen bei subtropischen Temperaturen. Das einzige, dass die Fußballeuphorie hier stört, ist die Übertragungszeit: Dank Zeitverschiebung muss man sich als echter Fan schon mal die ein oder andere Nacht um die Ohren hauen: Um 2:45 Uhr ist dann Anstoß.

Ich persönlich muss gestehen, dass ich mir nur drei Spiele angesehen habe: In einer Nacht in Shanghai mit holländischen Freunden war natürlich Holland gegen Dänemark Pflicht, danach auch Deutschland gegen Portugal. Das alles in einer Bar, die ihrem Namen, Windows, alle Ehre macht mit bodentiefen Fenstern hoch über Shanghai. Beim Schlusspfiff geht die Sonne auf, Deutschland hat gewonnen, und da wird auch das bei manchen, wie mir zum Beispiel,  für Fußball meist noch so kalte Herz erweicht und lässt einen zum richtigen Patrioten werden. Das letzte Spiel, das ich mir angesehen habe, war Deutschland gegen Griechenland am vergangenen Freitag. Die Wartezeit haben wir uns diesmal etwas anders vertrieben: Erst das Geburtstagsessen einer Freundin, danach, typisch chinesisch, eine Runde KTV, also Karaoke singen. Dann sind wir in eine chinesische Disco gegangen. Trotzdem hingen soweit man sehen konnte europäische Flaggen und Spielpläne. Sogar  die Kellner haben Sportsgeist bewiesen- mit kleinen aufgeklebten Fähnchen auf den Wangen.

Wer einen Kopfstand macht, erkennt eine Deutschlandflagge

Das manche der Flaggen, bevorzugt die deutschen, auf dem Kopf standen und klebten, musste man hinnehmen- auf unsere freundlich gemeinten und in eher schlechtem als rechtem Chinesisch angemerkten Korrekturen reagierte man eher halbherzig. Aber was soll’s, der Wille zählt. Und es war interessant zu sehen, dass doch die meisten Chinesen die Deutschen unterstützen. Nachdem wir uns die nächsten ein bis zwei Stunden also um die Ohren gehauen haben, ging es pünktlich um 2 Uhr auf den Weg. Natürlich nicht ohne den essentiellen (Nach-) Mitternachtssnack auf dem Streetfoodmarkt- Gemüse, Fleisch und Brot vom Grill, zum Nachtisch ein köstlicher herzhafter Pfannkuchen. Definitiv eine Sache, die ich  vermissen werde, wenn ich wieder zuhause bin. Anschließend hatten wir keine Zeit mehr zu verlieren und haben uns direkt ein Taxi zu der Bar im Stadtteil SIP genommen, um dort das Spiel in einer „Expat- Bar“ anzusehen. Undglaublich, was so alles auf die Beine kommt um fast drei Uhr nachts, und so konnte man vor allem auch mal sehen, wie viele Deutsche sich so in Suzhou wohl herumtreiben.

Ein typischer Streetfoodmarktbesuch

Es war die meiste Nacht über heiß und schwül, die kleinen Regenschauer gegen Ende des Spiels fand ich also ganz erfrischend. Das Spiel selbst fand ich auch ziemlich spannend, zumindest hat es mich meine Müdigkeit bis kurz vor Schluss vergessen lassen. Nachdem ich allerdings zwei Minuten vor Spielschluss auf die Toilette gegangen bin und gesehen habe, dass auf dem Fernseher innen in der Bar das Spiel schon vorbei war, hat mich auch nichts mehr gehalten- die Kellner haben schon angefangen, alle Polsterstühle hereinzuräumen (auch unsere) und langsam wurde es in den nassen Sachen dann doch kalt. Nichts wie schnell ins Taxi und nach Hause.

Das Schöne an solchen langen Nächten ist, dass man die Stadt mal richtig aufwachen sieht- ein Sonnenaufgang aus dem Taxi, und mit der Sonne wachen auch die ersten Einheimischen auf, vor allem ältere Menschen, die schon um fünf oder halb sechs Uhr morgens Tai- Chi machen. Wie ich finde, eine schöne Art, den Tag zu begrüßen, ich finde es schon beruhigend, wenn ich den Menschen bei ihren langsamen Bewegungen nur zuschaue. Selbst ausprobiert habe ich es bisher leider nicht, das möchte ich aber auf jeden Fall noch.

Auch die chinesischen Zeitungen fiebern eifrig mit

Zurück zum Thema, Fußball.

Heute Nacht wird es mit Sicherheit noch einmal richtig spannend, allerdings weiß ich nicht, ob ich so lang durchhalte… Vielleicht passiert mir ja das Gleiche wie meinem deutschen Kollegen: Der ist eines ‚Fußballnachts‘ zufällig um zwei Uhr morgens aufgewacht, und statt sich einfach wieder gemütlich ins Bett zu legen, hat er sich angezogen, sich ein Taxi zu einem nahegelegenen Hotel genommen, wo ihm versprochen wurde, dass alle Spiele der EM übertragen werden. Er hat also, als einziger Gast, das Spiel komplett angesehen und ist danach wieder für 2 Stündchen ins Bett gegangen. Am nächsten Tag ist er tapfer ins Büro gekommen. Das nenne ich mal einen anständigen Deutschen!

Aber wenn’s bei mir heute Abend nichts wird- ich darf ja nach wie vor optimistisch sein, dass ich mir das letzte Deutschlandspiel am Sonntag ansehen darf.

Ein Gedanke zu „So fern und doch so nah- Die EM in China

Kommentare sind geschlossen.