Märchenstunde

Ein Viertel meiner Zeit hier in China ist leider schon vorbei. Das gibt mir die ideale Gelegenheit (und Ausrede), ein bisschen zurückzublicken und ein paar der vielen kleinen Geschichten über kulturelle und sprachliche Barrieren und Differenzen zu erzählen, die mir bisher passiert sind.

Spontan fange ich mit etwas an, das jetzt schon einige Wochen her ist. Ich war mit einer chinesischen Freundin unterwegs, in einer sehr touristischen Gegend mit Souvenirläden und, und, und. Bis wir irgendwann in eine der Seitenstraßen abgebogen, wo dann „das chinesische Leben“ anfing: Alte Menschen, die zusammen saßen und Karten spielten, Gemüsehändler, die mit Kunden feilschten, die dreckigen Rückseiten der von vorne so herausgeputzten Häuser.

Meiner Meinung nach ein Foto wert.

Und ein Fahrrad, auf dessen Gepäckträger ein Hühnerkäfig befestigt war. Natürlich habe ich das sofort fotografiert- da kam ein älterer Mann von hinten zu mir und schaute mir über die Schulter auf das Display. Als er sah, dass ich die Hühner fotografiert habe, schüttelte er nur den Kopf und sagte etwas auf chinesisch. So wurde auch meine Freundin auf die Lage aufmerksam und fragte nur etwas wie „Gibt’s in Deutschland keine Hühner oder warum fotografierst du das jetzt?!“ Auch meine Antwort „Schon, aber die fahren für gewöhnlich nicht Fahrrad…“ konnte sie nicht unbedingt davon überzeugen, dass ich doch noch ganz bei Trost bin. Sie hatte den Gesichtsausdruck, den man bei so vielen Chinesen sieht, und der vermutlich nur bedeutet: „Stupid foreigners.“.

Als ich vor kurzem nochmal in dieser Gegend war, lief eine junge Chinesin hinter uns. Sobald sie uns sah, ließ sie es sich nicht nehmen, lautstark, oder doch zumindest für uns hörbar, „Weiguoren! Weiguoren!“ (Ausländer! Ausländer!“) zu rufen. Ja, richtig, Ausländer. Möchte sie uns damit jetzt etwas sagen, womöglich etwas, das wir noch nicht wussten? Oder verstehen wir nur ganz einfach nicht, warum man bei solch einem Anblick so aus dem Häuschen geraten kann?

Schwarzbrot (schwarz gefärbtes Toastbrot)

Spannend sind vor allem immer wieder meine zahlreichen Besuche bei „jia le fou“ (Carrefour). Die Waagen, die man dort kaufen kann, stehen zum Ausprobieren auf dem Boden. Und das verleitet natürlich dazu, das auch wirklich zu machen. Da ich selbst keine Waage habe, ist das also für mich der einzige Weg zur Gewichtsselbstkontrolle, bei dem fantastischen Essen hier eine recht interessante Einkaufsnebenbeschäftigung. Für gewöhnlich schleiche ich also einige Minuten im engeren Radius um die Waagen herum (Carrefour hat ein hervorragendes Sortiment an Klobürsten (rechts neben Waagen), Kochtöpfen (vor den Waagen) und Badematten (links neben den Waagen)), bevor die Luft mehr oder weniger rein ist, also wenn ich nicht Gefahr laufe, wegen der für chinesische Verhältnisse hohen Zahl auf der Anzeige ausgelacht zu werden. Auf meinen Schleichgängen um die Waagen herum habe ich nämlich auch, natürlich rein zufällig, mehrere Male die Gewichte der Chinesen sehen können, die sich vor mir gewogen haben: Mehr als einmal musste ich feststellen, dass chinesische Männer, die gleich groß wie oder sogar größer als ich sind, hin und wieder auch gerne mal unter 55 Kilo wiegen. Von den Damen möchte ich an dieser Stelle gar nicht reden, ich persönlich bin ja der festen Überzeugung, dass es da erhebliche Unterschiede in der Knochenstruktur gibt, die zu diesen Differenzen führen. Nachdem die Waage und der notwendige Umkreis also frei sind (ein recht kompliziertes Unterfangen), wage ich es, mich zu wiegen. Und dann hilft nur noch eins: Das Regal mit den Importprodukten. Nutella ist alle, und Kinderschokolade gibt mir überlebensesentielle heimatliche Gefühle, deren positive Wirkung auf mich in der weiten Ferne nicht außer Acht gelassen werden sollten.

Nichts für große Ausländer

Wo wir schon beim Thema Körper sind, Sarah, eine Freiwillige aus Shanghai, und ich, waren, als sie mich über Ostern besucht hat, ein bisschen shoppen. Oder zumindest war das mehr oder weniger der Plan. Mit chinesischen Einheitsgrößen (XXS oder 34) kann eine normale westliche Frau nämlich herzlich wenig anfangen. In einem Laden ging es sogar so weit, dass die Verkäuferin uns zeltförmige ‚T- Shirts’ anbot, weil sie wohl dachte, in den Rest passen wir eh nicht rein. Das Ende vom Lied war, dass ich den Laden mit einer Hose mit Gummizug verließ und wir der Verkäuferin die Bezeichnung ‚Muffin tops’ beigebracht haben. Zum Glück gibt’s H&M, die bieten auch westliche Normalgrößen (chinesische Übergrößen) an. Und viele unglaublich gute und günstige chinesische Restaurants, in denen man diese Unverschämtheiten leicht veressen, äh, vergessen kann.

Essen ist überhaupt sehr wichtig hier. Leider gibt es in der Kantine immer das Gleiche (Mein Kollege nennt es mitunter „Scheiß- auf- Reis“) und Abendessen gibt es schon um 17 Uhr. Immer später noch mal essen zu gehen wird auf die Dauer teuer, auch wenn man gut und gern mal für weniger als einen Euro richtig satt werden kann. Doch letzte Woche konnte ich zum Glück eine Kochplatte kaufen (danke, Omi), selbstverständlich bei Carrefour. Wieder mal ein Einkauf, bei dem geschätzte zehn Chinesen staunend dabei zusahen, wie ich das gute Stück aussuchte, bezahlte und stolz aus dem Laden trug. Leider habe ich vergessen, Öl zu kaufen. Also wollte ich das nachholen, als ich letzten Sonntag aus Shanghai zurückkam. Ich wusste zwar das Wort für Öl nicht, war mir aber sicher, dass ich nicht lange suchen müsste: Ich habe schon Sonnenblumenöl zum Verkauf bei China Mobile gesehen, also sollte es das doch bei Family Mart sowieso geben. Falsch gedacht. Ich war in 5 verschiedenen Geschäften und versuchte vergeblich, mit dem Wort „oil“ weiterzukommen. Auch Ausdruckstanz (Pfanne in der linken Hand, Flasche Öl in der rechten Hand, Öl in Pfanne gießen, zischendes Geräusch, braten) hat nicht gefruchtet. Stattdessen wurde mir in 3 von 5 Läden Bier angeboten, in einem habe ich einen Streit zwischen den Ladenbesitzern ausgelöst, in einem wurden nur die Schultern gezuckt. Im 6. Laden konnte ich dann, endlich, Sonnenblumenöl kaufen. Sehr zur Belustigung der anderen Fahrgäste in der U- Bahn gab es aber nur 4- Liter- Behälter.

So unfähig wir Ausländer hier auch manchmal in alltäglichen Situationen wirken, so spitzfindig werden wir dann doch beim Entdecken von falschem Englisch. In der neuen U- Bahn darf man nicht brennen, vor dem Shangri- La Hotel wäre das Gras sehr glücklich, wenn man drum herum geht und in einer Toilette in Hangzhou soll man eilend kommen und dann bitte waschen, waschen, bevor man geht. Eine Kollegin hat vor kurzem sogar in einer Speisekarte als englische Übersetzung einen Klapptisch entdeckt (eigentlich ein Sandwich).

Jetzt wird es aber genug der Märchenstunde, es ist allerhöchste Eisenbahn, weiter zu arbeiten. Heute habe ich nämlich eine sehr wichtige Aufgabe bekommen: Die Schule möchte in der internationalen Klasse ein Werbevideo für ausländische Lehrer drehen. Dummerweise ist die Deutschlehrerin Chinesin, nur die Freiwillige (ich) ist Deutsche. Kein Problem, was nicht passt wird passend gemacht und Freiwillige können selbstverständlich auch mal gefreiwilligt werden, für die Kamera (und das Image) zu unterrichten. Ich soll jetzt also mal wieder ein bisschen wiederholen, möglichst leicht, damit die Schüler möglichst aktiv sein können. „Sind ja nur 10 Minuten. Die Stunde ist dann heute Nachmittag!“. Spontaneität und Flexibilität sind das halbe Leben.

3 Gedanken zu „Märchenstunde

  1. Hanni, der Move mit dem Öl und der Pfanne gefällt mir unglaublich gut. Das lässt sich doch in unsere breit gefächertes Sortiment an Ausdruckstänzen durchaus gut einbauen. Sehr gut. Weiter so.

  2. Fein, Hanni, das hört sich ja nach einer Menge Abenteuer an! Ich würde dich ja so gerne besuchen kommen, aber zeitlich geht es wohl leider nicht – obwohl, vielleicht nach Weihnachten?

    Kramar

    • Soweit ich weiß, hab ich im Januar nicht frei.. Und auch über Silvester und so nicht. Schade. Wenn sich was ergibt sag ich’s dir, Maurinchen! 🙂

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