Schule auf Chinesisch

Während der Großteil Deutschlands vermutlich die letzten Tage auf der faulen Haut lag, ging hier in Suzhou das Leben weiter wie eh und je- wenn nicht sogar noch arbeitsreicher. Nach den Ferien letzte Woche war ja dann am Donnerstag und Freitag wieder regulärer Unterricht. Aber damit nicht genug- nachdem die Schule im Sommer einen oder zwei neue Deutschlehrer bekommen wird, standen also Auswahlgespräche an. Und welcher Tag eignet sich dafür wohl am allerbesten…? Richtig. Der Ostersamstag. Das nebenbei halbherzig bemerkte „Ostern ist ja übrigens das wichtigste Fest im Christentum…“ meines deutschen Kollegen wurde mehr oder weniger schlichtweg ignoriert. Na gut, mitgehangen, mitgefangen. So versammelte sich also die Deutsche Abteilung der SFLS am Ostersamstag morgen um 9 Uhr im Deutschen Haus, dem Klassenzimmer, um die 7 Bewerberinnen in Augenschein zu nehmen. An sich eine wirklich interessante Sache, bisher war ich in all meinen Bewerbungsgesprächen ja logischerweise in der Bewerberposition. Interessant waren auch die Bewerberinnen an sich, oder vielmehr deren Lebensläufe, sofern sie auf Deutsch waren. Neben dem Studium haben einige von ihnen recht außergewöhnliche Sachen gemacht, wie zum Beispiel bei der Synchronisation eines Films zu helfen oder ein Praktikum bei den Olympischen Sommerspielen in Beijing. Und was mich am meisten erstaunt hat, war das Alter: Eine Bewerberin macht dieses Jahr ihren Bachelor, hat ein Jahr in Deutschland studiert, nebenbei dies und jenes gemacht. Jahrgang? 1990. Sie war keine 22 Jahre alt! Mit 21 Jahren macht Otto Normalabiturient in Deutschland vielleicht nach dem Abschluss und ein bisschen Jobben grade noch einen Roadtrip in den USA, vielleicht studiert er auch im zweiten, dritten Semester, aber ich wage zu behaupten, dass die wenigsten in diesem Alter ein abgeschlossenes Studium mit Auslandsjahr und zahlreichen Projekten vorweisen können (Ich selbst werde mich da nach langwierigem Nachrechnen und Eingestehen meines nicht ganz so ehrgeizigen Zeitmanagements auch zur breiten Masse zählen müssen). Für mich ist das ein gutes Beispiel für die harte Konkurrenz um Arbeitsplätze in China. Man ist hier gezwungen, alles möglichst schnell und möglichst gut zu machen, ansonsten hat man kaum eine Chance, um an die Spitze zu kommen. Genau das spiegelt ja auch das Schulsystem wider: Es gibt Rankinglisten für die besten Schulen; die, die an der Spitze stehen, haben den höchsten Zulauf an neuen Schülern und Eltern, die bereit sind, die horrenden Schulgebühren zu bezahlen. An dieser Schule hier gab es dieses Jahr wieder so viele neue Schüler, dass diese ein Auswahlverfahren durchlaufen und Tests schreiben mussten (Dreimal dürft ihr raten, wann..? Richtig, letzte Woche während der Feiertage). An den teuersten Schulen steht die Schulleitung dann folglich aber auch am meisten unter Druck, den Eltern etwas für das viele Geld zu bieten, es gibt neben dem regulären Unterricht noch Evening Classes und Hausaufgabenbetreuung, und das alles auch am Wochenende. Der letzte macht das Licht aus, und das ist normalerweise um 21:30 Uhr, kann aber auch mal später werden. Als ich einmal in meiner zweiten oder dritten Woche hier zwei Schülerinnen gefragt habe, was diese am Wochenende vorhaben, sahen sie mich nur mit großen Augen an und sagten „Lernen…?!“. Ich denke hier oft zurück an meine letzten Jahre in der Schule. 2010 gab es in vielen bayrischen Städten Streiks gegen das G8. Es wurde gegen hohe Stundenzahlen, Überbelastung und Stofffülle demonstriert. Verglichen mit dem hier hatten wir es aber doch recht angenehm. Natürlich kann man das deutsche Schulsystem nicht einfach mit dem chinesischen vergleichen, dafür sind Land und Leute einfach viel zu unterschiedlich. Genauso wie ich am chinesischen Schulsystem verzweifeln würde, geht es bestimmt auch chinesischen Schülern in Deutschland. Die Lernformen sind völlig unterschiedlich. Chinesische Schüler können unglaublich viel auswendig lernen, das alles ist jederzeit abrufbar und wird auch wieder und wieder verwendet. Die Speicherkapazitäten im Kopf wirken bei manchen Schülern hier unersättlich. Der Großteil des Unterrichts ist Frontalunterricht, wobei das in den Fremdsprachen schon viel lockerer gehandhabt wird, es gibt auch oft Gruppenarbeiten. Chinesische Schüler gehen also mit einem wirklich enorm hohen Wissensstand aus ihrer Schullaufbahn, nur leider fehlen dann oft die Kompetenzen, dieses Wissen auch anzuwenden oder sich neues Wissen selbstständig zu erschließen. Beide Schulsysteme haben also ihre Vor- und Nachteile.

An sich sind die Schüler hier doch ganz anders, als ich noch in Deutschland erwartet hätte: Man hört ja oft, dass chinesische Schüler angeblich so müde, überfordert und völlig überarbeitet seien und dass sie im Unterricht regelmäßig  einschlafen würden. Das bestätigt sich hier nicht. Ich habe das Gefühl, dass sich eine durchschnittliche chinesische Klasse kaum von einer deutschen unterscheidet, außer, dass es hier im Unterricht vielleicht etwas lauter ist. In den Mittagspausen schlafen zwar einige Schüler an ihren Tischen im Klassenraum, aber generell sind die Schüler hier mindestens so aktiv und lebhaft wie deutsche Schüler. Vor allem wird hier auch sehr viel Sport gemacht, in den Zwischenstunden und Pausen, in den Sportstunden oder einfach nach Schulschluss. Natürlich lebt man hier sozusagen für die Schule, ich habe aber nicht das Gefühl, dass sich die Schüler sehr groß daran stören würden. Die meisten sind es auch einfach nicht anders gewöhnt. Wieder einmal ein Beispiel dafür, dass China doch um Welten besser ist als sein im Ausland doch manchmal durchwachsener Ruf.

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