Passend zum Datum, wenn auch unbewusst, fragt mich gestern Morgen ein sri lankischer Kollege von Save the Children, aus welchem Teil Deutschlands ich denn komme – West- oder Ostdeutschland. Ich stutze einen Moment. Dann antworte ich schließlich mit Westdeutschland. Meine spontane Antwort – Norddeutschland – liegt mir immer noch auf der Zunge. Auf Westdeutschland wäre ich von alleine nicht gekommen. Aber es bleibt leider keine Zeit, dies mit ihm zu erläutern. Wir müssen weiter, zum nächsten Meeting.
Die Teilung, die im Kopf meines Gesprächspartners anscheinend noch präsenter ist, als in meinem eigenen, bringt mich zum Stutzen. Ich denke schon lange nicht mehr in Ost- und West. Habe dies vielleicht auch nie getan. Die einzige konkrete Erinnerung, die ich an ein geteiltes Deutschland habe, ist der Eindruck von einer Karte mit der eingezeichneten Grenze, die in einem unsere Kinderbücher abgebildet war. Ich war zwei Jahre alt als die Mauer fiel. Drei, als Deutschland vereinigt wurde.
Ich gehöre zur Generation „danach“. Die Generation, die zwar die Fakten und Geschichten kennt, aber keine eigenen Erinnerungen an die Zeit vor der Wiedervereinigung hat. Und nun erkenne ich, dass mein Stutzen, mein Denken in anderen Kategorien, meine andere Perspektive, mir neue Hoffnung gibt. Nicht nur für mein eigenes Land, sondern auch für das Land, das ich derzeit mein Zuhause nenne. Heilungsprozesse brauchen Zeit. Perspektiv- und Einstellungswechsel auch. Aber es ist möglich. Alle Sri Lanker, die älter als fünf Jahre sind, haben höchstwahrscheinlich eigene Erinnerungen an den Krieg. Aber die Kleinen, die kurz vor oder nach 2009 geboren wurden, die werden ohne diese Eindrücke aus erster Hand aufwachsen. Für sie ist alles möglich. Alle Perspektiven stehen ihnen offen.
Ich hoffe und wünsche mir, dass die Gesellschaft, die Eltern, das Bildungssystem es ihnen ermöglichen und erlauben werden, ohne die alten Kategorien, mit anderen Ideen und Perspektiven, aufzuwachsen. Und ich bin dankbar und auch ein wenig stolz darauf, dass meine Familie, meine Gesellschaft, mein Bildungssystem mir dies möglich gemacht haben.