Das Topthema: Geneva…

Geneva. Würde in Sri Lanka ein Unwort des Jahres gekürt, wäre “Geneva” zur Zeit auf jeden Fall ganz vorne mit dabei. In allen Medien – Zeitungen, Fernsehen, Radio, Online-Medien – dreht sich zur Zeit (fast) alles um die aktuelle Sitzung des United Nations Human Rights Councils (UNHRC) in Genf und die dort von den USA vorgebrachte Resolution zu Sri Lanka. Heute war es nun (endlich) so weit – der UNHRC hat über die von den USA vorgebrachte Resolution abgestimmt. Mit 24 Für-Stimmen für, 15 Gegen-Stimmen und 8 Enthaltungen wurde die Resolution verabschiedet. Wenn man – wie dir sri lankische Regierung es tut – die Gegen-Stimmen und Enthaltungen als Kategorie „solidarisch mit Sri Lanka“ zusammenzählt, wird daraus ein denkbar knappes Ergebnis, was sicherlich einigen Diskussionsstoff für die morgigen Zeitungen liefern wird. Ich bin schon gespannt.

Für alle Interessierten, die in den letzten Wochen nicht täglich mit diesem Thema konfrontiert waren, möchte ich die Gelegenheit nutzen, die Hintergründe und Ereignisse ein wenig zusammenzufassen. Dies ist ein Versuch der fairen Berichterstattung, die in diesem Fall wirklich nicht ganz einfach ist. Ich beschränke mich in diesem Artikel ausschließlich auf die Ereignesse der vergangenen vier Wochen und die Umstände der Resolution des UNHRC. Ein umfassendes und fundiertes Hintergrundwissen über den fast 30jährigen Konflikt in Sri Lanka, der 2009 von der Regierung beendet wurde, lässt sich an dieser Stelle nicht geben. Ich werde mich allerdings bemühen, die Zusammenhänge in der Zukunft auf diesem Blog weiter zu beleuchten.

Zurück zum Thema: Bereits vor Beginn der Sitzung am 27. Februar 2012 fingen in Sri Lanka die Wogen an, höher zu schlagen. Der 27. Februar selbst ist mir noch besonders gut im Gedächtnis, denn es war mein erster Arbeitstag. Bereits auf den Titelseiten der zwei Zeitungen, die ich jeden Tag lese, wurde ich direkt mit dem Thema „US Resolution gegen Sri Lanka“ konfrontiert. Für den Tag waren Proteste von Unterstützern der sri lankischen Regierung gegen die geplante Vorbringung der Resolution seitens der USA angekündigt. Ich habe mir natürlich gleich Gedanken gemacht, ob das auf mich irgendwelche Auswirkungen haben würde, denn schließlich unterstütze Deutschland die Resolution… Hatte es aber bisher nicht.

Solche Proteste hat es in den vergangenen Wochen noch öfter geben. Soweit mir aus den Medien bekannt, wurden sie alle von der Regierung organisiert. Mit welcher Motivation die Leute an ihnen teilgenommen haben, ist meiner Meinung nach nicht eindeutig zu sagen. Bei vielen der Protestierenden handelte es sich um Angestellte staatlicher Institutionen und Ministerien, aber auch einige buddhistische Mönche nahmen an ihnen Teil. Hier findet ihr einen Artikel zu den Protesten vom 15. März 2012 auf Aljazeera English.

Zudem wurde von verschiedenen Politikern zum Boykott amerikanischer Produkte und Anbieter, wie z.B. Coca Cola, Google und Yahoo, aufgerufen. Dies wurde allerdings seitens der Bevölkerung eher belächelt. Nur als Randbemerkung: die Email-Adressen der meisten höheren Staatsdiener enden entweder auf gmail.com, yahoo.com oder hotmail.com. Kein Kommentar…

Insgesamt habe ich in den letzten dreieinhalb Wochen den Eindruck gewonnen, dass eine Mehrheit der Sri Lanker nicht mit der vorgebrachten Resolution einverstanden ist. Vornehmlich, weil sie als Eingriff in die inneren Angelegenheiten des Landes, und somit als Angriff auf Sri Lankas Souveränität und Unabhängigkeit empfunden wird. Ein Argument, dass ich von mehreren Sri Lankern persönlich gehört habe und das sich auch in den verschiedensten Medienberichten widerspiegelt, ist, dass der Bericht der sri lankischen Lessons Learnt and Reconciliation Commission (LLRC), der im November fertig gestellt und im Dezember dem Parlament vorgelegt wurde, noch nicht einmal drei (bzw. nun vier) Monate alt ist. Nach solch einer kurzen Zeit, so das Argument, lässt sich noch nicht objektiv bewerten, ob die Regierung Sri Lankas die Ergebnisse und Empfehlungen des Berichts vollständig umsetzt.*

Zusammenfassend: Diese Resolution zum jetzigen Zeitpunkt kann als Vorverurteilung wahrgenommen werden, da man durchaus der Meinung sein kann, dass mehr Zeit nötig ist, um die Ergebnisse und Empfehlungen des LLRC Berichts im Parlament zu behandeln und umzusetzen. Auf der anderen Seite stehen die Argumente der Kritiker, besonders in Bezug auf die Transparenz und Rechenschaftspflicht der Regierung, was die Geschehnisse der letzten Monate des Konflikts anbetrifft. Die LLRC wurde von der Regierung selbst berufen und von vielen Seiten kritisiert, da sie nach Meinung der Kritiker nicht unabhängig genug sei. Auch der Bericht ist auf Kritik gestoßen, da er zwar auch Aktivitäten der sri lankischen Armee und Regierung behandelt, vielen Kritikern aber nicht weit genug geht und gewisse Situationen und Vorwürfe nicht aufgreift oder behandelt.

Den vollständigen Text der Resolution, so wie sie von den USA in den UNHRC eingebracht wurde, könnt ihr hier nachlesen.

Und hier könnt ihr den Bericht der Lessons Learnt and Reconciliation Commission (LLRC) von Sri Lanka herunterladen (PDF).

Die Inhalte aller in diesem Artikel verlinkten Seiten stimmen nicht zwangsläufig mit meiner persönlichen Ansicht überein! Sie sollen euch, den Lesern ermöglichen, sich ein möglichst breitgefächertes Bild der verschiedenen Ansichten und Stimmen in den Medien zu verschaffen.

Ich hoffe es ist mir gelungen, euch einen kleinen Einblick in die aktuellen Vorgänge hier vor Ort und in Geneva zu geben. Ich bin mir bewusst, dass dies für viele Beteiligte ein sehr sensibles Thema ist und hoffe, dass ich mit meiner Darstellung niemanden verletze. Fragen, Anregungen und Kommentare nehme ich natürlich jederzeit gerne entgegen.

Mit Spannung werde ich die weiteren Entwicklungen verfolgen und euch von Zeit zu Zeit davon berichten. Und der nächste Artikel wird nicht so lang – versprochen.