Am Sonntag kamen Katharina, Carola und ich in der Kleinstadt Eldorado im Norden Misiones´ an, wo wir den nächsten Monat für die Wachnitz-Stiftung arbeiten. Eldorado wurde 1919 von Deutschen gegründet. Es hat 80.000 Einwohner und ist 18 km lang. Das weiß ich, weil die Stadt eine kreative Einteilung hat. Am Río Paraná, der als Anfang der Stadt interpretiert wird, beginnt man die Kilometer in Richtung Süden zu zählen. Die Innenstadt liegt auf Kilometer 9 und 10, wir leben im Kilometer 18, was, wie man sich errechnen kann, schon etwas außerhalb liegt.
Um auf das Grundstück der Familie Wachnitz, wo auch wir leben, zu gelangen, muss man die befestigten Straßen verlassen und rumpelt dann mit dem Auto noch ca. 10 Minuten über holprige Wege aus roter Erde immer mehr in den Wald aus exotischen Pflanzen, den ich (als Europäerin) schon als „Dschungel“ bezeichne:)
Wir wohnen zu dritt in einem Häuschen auf dem Grundstück von Gisela, der Erbin der Wachitz-Stiftung. Ich fühle mich jeden Tag von Neuem ans Paradies erinnert, in dem schattigen Garten mit zwei Seeerosenteichen zum Baden und (wie es sich für eine argentinische Familie gehört) zwei Quinchos (Häuschen) mit Asado-Grillen.
Umso krasser ist die Tatsache, dass das Barrio Unidad, das Armenviertel der Stadt, in dem wir arbeiten, nur ca. 300 Meter entfernt liegt.
Die Wachnitz-Stiftung ist ist eine Stiftung, die sich um den deutsch-argentinischen Austausch (Deutschkurse, Schüleraustausche, etc.) bemüht, aber auch viele soziale Projekte in Eldorado unterstützt.
Ich hatte erwartet, dass wir im Bereich des Deutschunterrichts eingesetzt werden würden und war deshalb auch überrascht, als uns eröffnet wurde, dass wir eine Ferienbetreuung im Armenviertel leiten sollten. Nach einer Woche Arbeit bin ich sehr dankbar dafür.
Die Kinder in Argentinien haben drei Monate Sommerferien. Viele Eltern schicken ihre Kinder in kostenpflichtige Ferienbetreuungen und Sommerschulen- die in den Armenviertel natürlich nicht. Wir bieten im Barrio täglich eine Ferienbetreuung mit Nachhilfestunden an, da viele der Kinder, die Prüfungen nicht bestanden haben. (Im Februar werden die Prüfungen wiederholt, wer sie nicht besteht muss die Klasse wiederholen. (In unserer Nachhilfe gibt es Zwölfjährige, die seit Jahren in der dritten Klasse hängen.)) Wir bieten Nachhilfe in Mathe und Lengua (Sprache) an, danach spielen und malen wir. Die Kinder, die teilnehmen, sind offiziell zwischen vier und 14 Jahre alt, in der Realität zwischen drei und 16.
Das Barrio Unidad ist das erste Armenviertel, das ich bewusst betreten habe. Auf den ersten Blick wirkt es sogar ganz romantisch mit kleinen Holzhäuschen, der roten Erde, freilaufenden Hühnern und einem Haufen kleiner Kinder auf der „Straße“. Die meisten Einwohner der Viertels leben von Planos Sociales (Sozialhilfe). Die Eltern arbeiten oft nicht; viele erhalten laut Gisela wegen der hohen Kinderzahl sogar relativ viel Geld, doch dieses wird oft nicht für Essen und die Kinder ausgegeben. Laut Gisela, deren Einschätzung ich nach einer Woche Erfahrung hier traue, gibt es im Barrio Kinder, die verhungern, während in den Gärten der Häuser oft nichts angebaut wird.
Viele der Kinder, die in unsere „Sommerschule“ kommen, sind verwahrlost, andere nicht. Einige haben Läuse, einige sind abgemagert oder haben zerrissene Kleider, andere sind komplett sauber, weil ihre Mütter sie extra vorher baden und tragen ordentliche Kleider.
Es wäre falsch, alle Bewohner über einen Kamm zu scheren, doch in vielen Familien werden die Kinder tatsächlich vernachlässigt und teilweise wohl auch misshandelt.
Zum ersten Mal habe ich bei dieser Arbeit das Gefühl, gebraucht zu werden und etwas wirklich Sinnvolles zu tun. Die Kinder freuen sich und blühen auf, weil wir kommen und sich jemand um sie kümmert.
Es ist jeden Abend, wenn wir pünktlich vor 19 Uhr das Barrio verlassen müssen, ein seltsames Gefühl, zurück in unsere heile Welt zu kehren. Wir lassen die Kinder zurück im Barrio, wo es dreckig und heiß ist und können selbst in unserem privaten See baden. In dem Fluss, in dem die Kinder baden und die Frauen die Wäsche waschen, schwamm am ersten Tag ein nicht mehr identifizierbares, aufgedunsenes totes Tier. Es lässt mich nicht los, mir vorzustellen, dass einige der Kinder während wir uns ein nettes Abendessen machen daheim geschlagen oder missbraucht werden.
Auch wenn wir das nicht ändern können, glaube ich, dass es für die Kinder besser ist, einen Monat mit Nachhilfe und Spielen zu erleben als keinen. Deshalb empfinde ich die Arbeit hier als sehr erfüllend und motivierend und fühle mich in Eldorado gut aufgehoben.
Wieso hast du eigentlich den Titel geändert?
War mir doch etwas zu plakativ…
Liebe Sophie, ich freue mich über Deine reflektierten Beobachtungen. Wir schauen regelmäßig auf Deinem Blog vorbei. Leider ist „Muss nur noch kurz die Welt retten“ bl0ß ein Songtext… Grade in Südamerika gäbe es in dieser Hinsicht sicher großen Bedarf. Nichtsdestotrotz kannst Du – wenn auch für begrenzte Zeit – für einige Begegnungen auf Deiner Reise, als Anlass für unerwarterte, positive Erlebnisse in guter Erinnerung bleiben. Lass‘ Dich nicht von Begegnungen mit „Tristesse-Verhältnissen“ runterziehen. Nur wer sich selbst gut fühlt, kann an Andere positives Feeling weitergeben … Genieße also Dein Dschungel-Paradies.
Fotos!!!