Touristen-Dasein

An Marions letztem Tag in Argentinien, entschieden wir uns, mit einer der bereits erwähnten Reiseagenturen einen Tagesausflug an die Salinas Grandes, riesige Salzseen in der Provinz Jujuy im Norden, zu machen.

Morgens um 7 Uhr ging es los in einer Camioneta (Kleinbus) gefüllt mit einer internationalen Touristengruppe. Die Tour würde den ganzen Tag dauern, da wir auf dem Weg durch die beeindruckende Landschaft Saltas und Jujuys immer wieder anhalten würden, um zu fotografieren oder die Souvenirbranche kleiner Orte auf der Strecke zu unterstützen.

Die Landschaft ist tatsächlich unbeschreiblich. Von grünen Tälern gelangt man in kakteenbewachsene Felslandschaften, durchquert Flüsschen und überwindet über 3000 Höhenmeter. Der Höhenkrankheit konnten wir dank der Kokablätter, mit denen wir von der Reiseleiterin versorgt wurden, vorbeugen. Man nimmt fünf bis sieben Blätter, rollt sie zu einem kleinen Päckchen und lässt dieses 30-40 Minuten zwischen Zähnen und Wangeninnerem stecken.

Gegen Mittag kamen wir in den Ort San Antonio de los Cobres, einem Dorf, das davon lebt, das hier täglich etliche Touristenbusse auf dem Weg in den Norden anhalten. Schon beim Aussteigen waren wir von Kindern und Frauen mit Babies umringt, die „Llamitas“ (kleine gehäkelte Lamafiguren) und Schals verkaufen wollten.

Ich habe mich selten davor so unwohl gefühlt wie in diesem Dorf. Die Menschen dort sind arm und tragen selbst nicht die Strickware, die sie verkaufen, sondern abgetragenen Kleidung im Kik-Stil. Die Straßen sind schmutzig. Ein Junge kam gleich her, um uns um Geld zu bitten. Viele der Dorfbewohner saßen oder standen am Straßenrand und schauten uns an und ich fühlte mich als Europäerin mit Lama-Strickmütze auf dem Kopf völlig fehl am Platz.

Es war ein Aufenthalt zum Mittagessen geplant und der Großteil unserer Gruppe verschwand sofort im Restaurant. Marion und ich gingen eine unheimlich lange Stunde lang durch den Ort und jede Art, sich zu verhalten oder auf bittende Verkaufsangebote zu reagieren, fühlte sich falsch an.

Am meisten schämte ich mich für einige Gruppenmitglieder, die durch den Ort liefen als seien sie auf Safari. Eine Frau ließ sich mit Indígena-Mädchen  im Arm fotografieren, ein Mann drehte ein Video davon, wie er einem kleinen Jungen Geld in die Hand legte. Mir kamen die Tränen vor Wut über dieses Verhalten der westlichen Touristen, das eindeutig zeigt, dass sie die Einwohner von San Antonio nicht für gleichwertige Menschen halten.

Durch das Aufeinanderstoßen von zwei so unterschiedlichen Welten wird die Ungerechtigkeit umso deutlicher. Auf der einen Seite sind die reichen Touristen aus Europa und den USA, die sich eine nette Tour durch Südamerika leisten können. Auf der anderen Seite sind die  Dorfbewohner, die von ihrem eigenen Land wahrscheinlich weniger gesehen haben, als jeder Touri auf der Durchreise. Auf der einen Seite stehen wir, auf der anderen Seite stehen Mädchen in unserem Alter, die schon Kinder haben, ohne große Perspektiven und die sich mit ihren Llamitas auch noch vor uns erniedrigen müssen, um überhaupt etwas zu verdienen.

Mit dieser Realität so konfrontiert zu werden, hat mich sehr betroffen und nachdenklich gemacht.

Den restlichen Tag verbrachten wir auf der Strecke zu den Salinas, wo wieder tolle Fotos gemacht wurden. Auf dem Rückweg hielten wir noch in Purmamarca, einem Ort, der vom Fotomotiv des „Bergs der sieben  Farben“ und dem Verkauf industrialisierter Andensouvenirs lebt. (Ich habe die Befürchtung, dass all diese immer wiederkehrenden günstigen Lamapullover und Mützen von unterbezahlten peruanischen Frauen, durch Kinderarbeit oder in China produziert werden.)

Dieser Tag hat mir einen neuen Eindruck davon verschafft, was alles zu Argentinien gehört: In Sachen landschaftlicher Vielfalt, aber auch was soziale Verhältnisse betrifft.

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Eine Antwort zu Touristen-Dasein

  1. Kathi sagt:

    Von den Lamitas und den Eindrücken der Gegensätze hatte auch Marion Anfang Januar berichtet, denen man sich schwer entziehen kann. Je weniger, desto mehr man die Sprache beherrscht. Die „Tourismos“, die die oft verarmte Situation der Bevölkerung in pittoreske Urlaubsfotos verarbeiten wollen ohne Rücksicht auf eine Persönlichkeitssphäre, nehmen leider immer mehr zu. Liegt das auch an den technisch immer besseren Kameras in den Händen von Laien-Fotografen? In den USA gibt es als Folge bereits gewerblich/touristisch verkleidete Indianer mit „Festpreisen“ und vorbereitetem Touristen-Foto-Ambiente. Kennst du den „geschäftstüchtigen“ Indianer aus dem (alten) Film „Ein Goldfisch an der Leine“ von Howard Hawks ? Falls nein, musst Du dir den später mal ansehen – nicht nur wegen dem Indianer , sondern wegen dem eingebauten Lach-Faktors im Film. Hilft Jedem, der mal schlecht drauf ist. Und dass Du wegen Deines in Argentinien auffälligen anderen (hellhäutigen) Aussehens vermehrt zur Kasse gebeten wirst – braucht dir wohl kein Kopfzerbrechen zu machen. Für dortige Verhältnisse ist die Einschätzung im Verhältnis wohl per se zutreffend – jeder Europäer ist aus der Perspektive dieser Menschen“wohlhabend“. Warum sollte man ihnen diese wenigen Cents/Pesos zu ihrem „geschäftlichen Erfolg“ nicht gönnen?
    Danke für Deine ausführlichen Schilderungen aus Argentinien und bis bald. Kathi

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