Und wieder daheim

Inzwischen bin ich seit über sechs Wochen wieder zu Hause. Die Tage rasen vorbei.  Zeit, einen abschließenden Artikel zu verfassen:)

Deutschland hat mich weniger umgehauen als erwartet. Einige „Kartoffeleigenschaften“ (an dieser Stelle ein Danke an Fanny für diese neue Vokabel) fielen mir natürlich bei meiner Rückkehr auf.

Vor allem die permanente Eile und Gereiztheit vieler Deutscher, zum Beispiel beim Schlangestehen sind ein auffälliger Kontrast zum Umgang mit Zeit in Südamerika. Ohne hier bestehende Clichés über dauerentspannte und herumsitzende Südamerikaner bestätigen zu wollen, glaube ich, dass Zeit hier in Deutschland eine viel wichtigere Rolle spielt und man deshalb auch schnell gereizt wird, wenn jemand sie einem „stiehlt“.

Was mir noch negativ auffiel, ist die Neigung dazu, sich zu beschweren, was mir vor allem deshalb immer noch sauer aufstößt, weil es mich- nachdem ich den Kontrast z.B. im Barrio gesehen habe- nervt, dass den Leuten hier gar nicht bewusst ist, wie gut es uns geht. Ich habe mit dem Überfluss, in dem wir hier wohnen, zu kämpfen, aber noch mehr damit, dass niemand ihn zu schätzen weiß.

Ich möchte aber nicht mit erhobenem Zeigefinger herumgehen und den Deutschen erzählen, wie böse und verschwenderisch sie leben. Ich glaube allerdings, dass es die Verhaltens- und Konsumweisen von jedem verändern wird, der einmal gesehen hat, wie krass der Kontrast zwischen dem Leben in Deutschland und weniger reichen Ländern ist. Ich glaube, dass es eine natürliche Reaktion ist, sich mehr Gedanken darüber zu machen, wie viele Dinge wir besitzen, die wir nicht brauchen und weniger solcher Dinge zu kaufen. Deshalb glaube ich auch, dass es gut für jeden- sowohl jungen als auch älteren Menschen- ist, einmal heraus aus dem westlichen Leben mit dem dazugehörigen Lebensstil zu kommen, um eine andere Perspektive auf dieses zu bekommen.

Insgesamt habe ich mich in Deutschland und meinem „alten Leben“ allerdings viel besser und schneller wieder eingefunden als gedacht und habe mir schnell wieder Beschäftigung gesucht. Ich wollte nicht, dass meine Verbindung zu Südamerika mit dem Tag, an dem mein Freiwilligendienst endet, abbricht.Deshalb machte ich mich zuerst auf die Suche nach Tandempartnern (nein, wir fahren nicht zusammen Fahrrad, wir sprechen Spanisch-Deutsch). Jetzt treffe ich mich wöchentlich mit meinen beiden spanischen Tandempartnern, um mein Castellano möglichst gut aufrecht zu erhalten.

Bald kommt noch eine neue Möglichkeit dazu: Silvana, meine uruguayische Gastschwester kommt nächste Woche nach Deutschland und bleibt ein Jahr als Au-pair in der Nähe von Kassel, sodass der Kontakt zu meiner Gastfamilie jetzt in Deutschland weiterläuft.

Weil ich schon in den vergangenen Jahren gerne ins Cine Latino, dem Filmfestival für lateinamerikanische Filme in Tübingen, gegangen bin und mitbekommen hatte, dass es im April wieder stattfinden würde, habe ich auch diese Möglichkeit, mit Lateinamerika in Verbindung zu bleiben, genutzt und auf gut Glück angefragt, ob ich noch mithelfen könne.

Glücklicherweise brauchte das Team tatsächlich noch Unterstützung und so habe ich die letzten Wochen bei der Organisation und Durchführung des Cine Latino mitgehofen. Für mich war es eine tolle Gelegenheit, Einblick in Kulturarbeit zu bekommen  (ein Berufsfeld, das ja sowieso ganz oben auf meiner Zukunftswunschliste steht) und mir kostenlos viele lateinamerikanische Filme anzuschauen:)

Gestern ging das Festival zu Ende und für mich geht es ab morgen in eine ganz andere Richtung: ich fliege nach Kiew zu einem internationalen Jugendforum und bin danach erst einmal in Osteuropa unterwegs- eine Region, auf die ich mich jetzt total freue, weil sie wieder etwas ganz anderes ist!

Ich weise noch schnell auf mein aktuelles Abecedario-Projekt hin, an dem ich immer noch arbeite: Zu finden hier auf dem Blog, oben als neue Rubrik. Viel Spaß damit!

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Volver

Es ist kaum zu glauben, doch seit meiner Ankunft in Buenos Aires am 16. September 2011 sind fünfeinhalb Monate vergangen, was bedeutet, dass ich die Tage nach Deutschland zurückfliegen werde.

Ich freue mich sehr aufs Heimkommen, doch ich habe diesen Kontinent auch lieben gelernt und werde ihn sehr vermissen.

Was ich vermissen werde:

  • den Sommer und das Draussen-Sein
  • die Plazas und, dass Menschen sich Zeit nehmen, sich hinzusetzen und Mate zu trinken
  • Helado, vor allem das beste Eis der Welt: Dulce de Leche Granizado
  • nie eine Jacke mitnehmen zu müssen
  • von Ladenbesitzern mit „Querida“ oder „mi hija“ angesprochen zu werden, als würden sie einen schon lange kennen
  • Castellano
  • Langstreckenreisebusse
  • Wachiturros aus Autoradios hören

Worauf ich mich freue:

  • meine Familie
  • meine Freunde
  • Butterbrezeln, dunkles Brot und leckere Äpfel
  • nicht mehr so sehr aufzufallen
  • Zeitung lesen
  • mich nicht mehr wie ein Stück Fleisch auf zwei Beinen fühlen zu müssen sobald ich das Haus verlasse
  • den deutschen Frühling
  • wieder problemlos Vegetarierin sein zu können
  • in Erinnerung an Südamerika zu schwelgen

 

Was ich mitnehme:

  • einen Riesenkoffer und einen prall gefüllten Monsterrucksack voller Erinnerungen
  • 2 kg Mate-Yerba, Tapas fuer Empanadas, Maniokmehl fuer Chipas, Dulce de Leche, Alfajores, Juguitos,…
  • meine erste längere Auslandserfahrung
  • bessere Spanischkenntnisse und einen Río de la Plata-Akzent
  • ein bisschen mehr Ahnung über die Landkarte, die Kultur, den Alltag und die Menschen Südamerikas
  • ein anderes Gefühl dafür, was eine lange Strecke ist
  • unbeschreibliche viele Erfahrungen und Erlebnisse
  • etwas mehr Geduld und Gelassenheit
  • ein paar liebe Bekanntschaften (naja, im Herzen zumindest)
  • seitenweise Stempel in meinem Reisepass und die damit verbundenen Erinnerungen

Was gibt es Priviligierteres als mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu gehen?

 

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Misiones in Bildern

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Mein Überfall- Ein unglaubliches Anekdötlein

Ein europäisches Vorurteil gegen diesen Kontinent ist, dass er extrem gefährlich ist und Überfaelle praktisch zur Tagesordnung gehören. Ohne das Risiko kleinreden zu wollen, will ich -bevor ich zum aufregenden Teil des Artikels komme, zu meiner unglaublichen Anekdote- betonen, dass das NICHT so ist.

Obwohl ich durch meine Äusseres wahrscheinlich ein perfektes Opfer für jeden Taschendieb und Strassenräuber wäre (weiblich, zierlich, offensichtlich europäisch und öfter mal allein unterwegs) ist mir in fünf Monaten Südamerika absolut nichts passiert.

Mir ist es wichitg, das zu unterstreichen, weil ich finde, dass in Deutschland eine Panikmache stattfindet, die Südamerika und seinem Gefahrenpotential Unrecht tut.

Aber nun zum Überfall, der mir ausgerechnet in einer der zehn sichersten Städte des Kontinents- Montevideo- passiert ist.

Wie bereits erwähnt wohnte ich in Montevideo bei Rossella und Marcelo, zwei ganz lieben Menschen, die ich übers Couchssurfen kennen gelernt habe. Am Samstagnachmittag fuhr ich zum Busbahnhof, um mir mein Ticket für die Weiterfahrt zu kaufen. Aus irgendeiner weisen Eingebung heraus packete ich dort noch all meine Kreditkarten, meinen Reisepass und das Ticket in meine „unsichtbare“ Bauchtasche und hatte meine Handy zum Glück auch zu Hause vergessen.

Auf der Rüfahrt vergaß der Busfahrer nämlich, mir Bescheid zu sagen, wo ich aussteigen muss, weshalb ich einen Block (ca. 100 Meter) zu spät ausstieg. In Montevideo wird die Siestazeit sehr ernst genommen und die Strassen sind wie leer gefegt.

Als ich an einer Gruppe junger Männer vorbei lief, erwarteten mich ein paar Sprüche und Pfiffe, die ich inzwischen gekonnt ignoriere. Da ich mittlerweile daran gewohnt bin, ungewollt die Aufmerksamkeit männlicher Wesen auf mich zu ziehen, dachte ich gar nicht mehr daran, dass sie auch etwas anderes im Sinn haben könnten.

Doch plötzlich riss jemand hinten an meiner Handtasche, so stark, dass der Lederriemen durchriss und als ich mich umdrehte, rannten gerade zwei Männer mit ihr weg. Sie blieben noch kurz stehen und drehten sich um, um zu überpruefen, wie ich reagierte und da ich nur erschrocken dastand, liefen sie weg und ich ebenso ganz schnell zur Wohnung.

In der Tasche befand sich mein Geldbeutel mit ca. 30 Euro in argentinischen und uruguayischen Pesos, meine praktisch kaputte Kamera und die Schlüssel zu Rossellas und Marcelos Wohnung.

Es hätte schlimmer kommen können. Was mich am meisten aergerte, war der Verlust meiner handbemalten Lederhandtasche vom Künstlermarkt in Córdoba und der Schlüssel.

Marcelo erklärte mir, dass der Dieb sich von meinem Gelb wahrscheinlich gerade Crack kaufte und den Rest samt meiner Tasche wegwarf. Das fand ich noch schlimmer, als wenn er sie seiner Novia geschenkt hätte.

Doch es kam ganz anders: Die beiden kümmerten sich ganz lieb um mich und riefen abends ein Taxi, um mich ans Terminal zu begleiten. Wir waren gerade etwa 100 m gefahren, als wir an einer Gruppe Muchachos vorbeifuhren und- oh Wunder!- einer davon hatte meine Handtasche um.

Marcelo reagierte blitzschnell, hielt das Taxi an, sprang raus und stellte den Typ zur Rede. Da dieser die Tasche auf freundliches Bitten hin nicht herausgeben wollte, drohte er ihm (die Drohung lautete „romper la cara“, was ungefähr soviel heisst wie „die Fresse polieren“). So viel war dem Typ, der nicht der Dieb war, die Damenhandtasche dann wohl doch nicht wert, denn er warf sie unter Verfluchungen auf den Boden und suchte schnell das Weite.

Ich konnte mein Glück und den Zufall nicht fassen, obwohl natürlich kein Inhalt mehr in der Tasche war. Mehr Glück im Unglück kann man wohl nicht haben. Marcelo war mein Held des Tages und ich konnte in Frieden Abschied von Uruguay nehmen.

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¡Hasta luego, Uruguay!

Von Misiones aus fuhren wir zurück nach Buenos Aires, wo ich ein paar Tage mit Ida verbrachte. Ich weiß nicht, ob es am Kontrast zum ruhigen Misiones lag oder daran, dass ich die Hauptstadt in falscher Erinnerung hatte, doch ich empfand Buenos Aires als extrem anstrengend. Lange Wege in öffentlichen Verkehrsmitteln, die ständige Vorsicht vor Taschendieben und Anmachsprüche in einer Masse, wie ich sie bei Buenos Aires gar nicht in Erinnerung gehabt hatte.

Nach wenigen Tagen ging es am Donnerstag allerdings schon weiter und ich nahm zum vorserst letzten Mal die Fähre auf die andere Seite des Río de la Plata, um mich von Uruguay zu verabschieden.

In Nueva Helvecia angekommen, war ich gerade auf der Suche nach dem neuen Haus meiner Gastfamilie, in das sie inzwischen gezogen war, als ich von hinten ein „Sofi!“ hörte. Es war Miriam, meine Gastmutter auf ihrem Moto, auf dem sie mich gleich mitsamt meiner riesigen Reisetasche mitnahm- eine echt neu-helvetische Begrüßung.

Auch das neue Haus ist für deutsche Verhältnisse sehr einfach, doch für meine Gastfamilie ist es ein echter Fortschritt, da es um einiges größer ist als das vorherige. Abends kamen einige Verwandte vorbei und als wir in einem Kreis aus Klappstühlen im Wohnzimmer saßen, Mate tranken und Pre-Pizza aßen, während der wilde Hund von außen mal wieder an der Tür randalierte, um hereingelassen zu werden, fühlte ich mich wieder wie in dem Uruguay, das ich kennen gelernt habe. Als Nachtisch gab es „mir zu Ehren“ Dulce-de-Leche-Eis mit Dulce-de-Leche-Pudding und Dulce de Leche drauf. Lecker!

Am nächsten Tag besuchte ich zuerst Gabi, die mich wiederum auf ihrem Moto die ca. 500 Meter lange Strecke zu ihrem Novio mitnahm, und danach Carlos und Nahuel.

Das Wiedersehen mit den beiden war besonders schön, weil sie bei meinem letzten Abschied nicht zu Hause gewesen waren. Man setzte sich auf Klappstühlen (sie sind für mich ein Symbol für Uruguay geworden) vors Haus und trank Mate. Die beiden erzählten mir vom Carnaval, weil sie mit ihrer Candombe-Comparsa (Gruppe) beim regionalen Wettbewerb in Colonia gewonnen hatten und beim größten Umzug in Montevideo hatten auftreten dürfen.

Gegen Nachmittag fuhr ich weiter nach Montevideo, zu Rossella und Marcelo, dem liebenswüdigen Paar, das ich vor Monaten beim Couchsurfen kennen gelernt hatte. Am Abend besuchten wir eine Murga, einie kabarettistische Aufführung, die Teil des uruguayischen Karnevals ist. Dabei persifliert eine Gruppe bunt verkleideter Männer singend und schauspielerisch aktuelle politische Ereignisse.

Am nächsten Tag wurde ich von meinen beiden Lieblings-Montevideoern (wie sich die Einwohner der Stadt wirklich nennen, konnte ich leider nicht herausfinden:) ) – wieder mit Mate dabei und Termo unterm Arm- zum Terminal Tres Cruces gebracht. Eine schöne Verabschiedung von Uruguay bevor ich in den Bus zurück nach Argentinien stieg .

 

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Jugamos y aprendemos no más- Realität und Resumé unseres Barrio- Projekts

Inzwischen sind die vier Wochen im Barrio Unidad vorbei. Ich bin mir sicher, dass die Arbeit dort eine der prägendsten Erfahrungen meines Lebens bleiben wird.

Nachdem ich in der ersten Woche auf Wolke 7 schwebte und das Gefühl hatte, die Welt retten zu können, kam ab der zweiten die Ernüchterung.

Wir hatten vor, mit den Kindern als Mini-Theaterstück „Die kleine Raupe Nimmersatt“ einzustudieren und aufzuführen. Das „Drehbuch“ war geschrieben, die Rollen verteilt, schon einige Kostüme gebastelt und es gab eine Body-Percussion-Gruppe, die für den Sound zuständig sein sollte und bereits probte. Doch da kaum eines der Kinder regelmäsig kam und wir jeden Tag mit anderen Kindern zu tun hatten, die oft viel lieber einfach nur malen wollten, entschieden wir uns, das Projekt aufzugeben und den Kindern das anzubieten, was sie sich wünschten.

Das sind Dinge, die uns so unspektakulär vorkamen, dass wir sie gar nicht als „Programm“ bezeichnet hätten. Eine Gruppe Jungs wartete jeden Tag auf uns, weil wir einen Fussball mitbrachten. Zwei Mädchen spielten die ganzen vier Wochen jeden Tag dasselbe Memory-Spiel. „Feuer, Wasser, Sturm“, der Mal- und Basteltisch und einfache Bilderbücher kamen am besten an.

Die Verhaltensweisen der Kinder waren für uns oft fremd und machten uns zu schaffen. Über einige ärgerte ich mich auch, solange bis wir die Ursachen verstanden. Dann macht es uns eher traurig.

Die Kinder gehen teilweise extrem brutal miteinander um. Für mich war es schockierend zu sehen, wie sie keine Hemmungen davor haben, kleineren Geschwistern mit der Faust auf den Kopf zu schlagen oder ein auf dem Fahrrad sitzendes Kind die Treppe hinunter zu schubsen. Doch natürlich ist dieser Umgang miteinander verständlich, wenn zu Hause Konflikte nur so gelöst werden und auch Gewalt durch die Eltern an der Tagesordnung ist. Die Kinder sind auch schon so abgehärtet, dass sie mit offenen Wunden an den Beinen herumlaufen, ohne sich zu beklagen.

Man kommt sich ziemlich machtlos und lächerlich vor, wenn man sich in so einer Umgebung hinstellt und den Kindern erzählt „Das macht man aber nicht“, nachdem ein Kind einem anderen eine Ohrfeige gegeben hat.

Alle Kinder versuchen auf irgendeine Art Aufmerksamkeit, Zuneigung und Lob zu bekommen, denn das ist es, was ihnen am meisten fehlt.

So zum Besipiel Daiana, ein extrem liebes Mädchen, das mir jeden Tag Briefe schrieb, wie toll sie meine Haare, meine Augen und mein Lächeln fand- ein Verhalten, mit dem es mir genauso schwer fiel, umzugehen, wie mit Mariano, der immer Bilder anderer Kinder als seine ausgab. Ich schimpfte ihn zweimal, weil er mich anlog, bis ich eine Situation mitbekam, die so ein Verhalten erklärt:

Ein Dreijähriger bat mich um Stifte und Papier zum Malen. Zufällig war seine Mutter anwesend, die zu mir meinte: „Du musst für ihn malen, er kann´s nicht.“ Ich war erschrocken, dass sie das vor ihrem Sohn so sagte und antwortete, dass ich ihn schon malen gesehen habe und es sehr schön fand. Doch sie wiederholte: “ Nein, nein! Er kann nicht malen. Er malt hässlich!“ Das sagte sie so lange, bis ihr Sohn sich nicht mehr traute zu malen und lieber spielen ging.

Den Kindern fehlt oft jegliches Selbstvertauen und sie baten uns für sie zu zeichnen, damit sie nur noch ausmalen müssen. Das ist eine Verhaltensweise, die mir bei Kindern bisher unbekannt war. Sie entsteht durch ungebildete Eltern und große Geschwister, die sich über die Zeichnungen der Kleinen lustig machen.

Ein anderer Fall war Fabricia. Sie war eines der anstrengendsten Kinder, weil sie versuchte, den größstmöglichen Schaden anzurichten und uns zu ärgern. Sie zerriss Bilder der anderen, kippte Spiele aus und verteilte den Inhalt der Mülltüte im ganzen Raum. Bis Katharina auf einen Trick kam: Wenn man Fabricia persönlich ansprach und sie bat, uns bei etwas zu helfen, ging sie in dieser Aufgabe völlig auf und sammelte zum Beispiel ganz gewissenhaft alle Kreiden ein. Ihr Verhalten war wieder nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit.

Um Aufmerksamkeit zu bekommen, hat praktisch jedes Kind seine eigene Taktik entwickelt: besonders lieb sein oder besonders frech, lügen oder weinen, ihre Talente präsentieren oder sich hilfloser stellen als sie sind.

Es gibt so viele einzelne Situationen und Bilder, die ich nicht mehr vergessen kann, dass ich hier nicht alle aufzählen kann:

Der kleine Adrian, der immer mit seinem nackten Hintern im Dreck sass, weil er unter der voellig kaputten Hose keine Unterhose trug. Araceli, die, nachdem ich ihr sagte, dass der Ball nicht nur ihr gehöre, ihre Apfelreste nach mir warf und das Schloss verschwinden ließ, bis wir drohten, dass wir nicht mehr kommen können würden und sie uns plötzlich umarmte und küsste. Einige Kinder, die immer störten und plötzlich hingerissen waren von einfachen Kinderbüchern und immer wieder die Geschichten nacherzählen wollten.

Was mich traurig macht, ist, dass wir die Situation der Kinder nicht ändern konnten. Einige der Kinder sind begabt und ehrgeizig und motiviert in der Schule. Trotzdem werden die Mädels, die uns jeden Tag um Hausaufgaben baten, vielleicht mit 15 Mütter werden und die Jungs, die so gut zeichnen koennen, dass ihr Talent gefördert werden sollte, bleiben wahrscheinlich auch im Barrio und werden im schlimmsten Fall Crack-süchtig. Als ich letzte Woche überfallen wurde, musste ich daran denken, dass das auch einer der Jungs aus dem Barrio in zehn Jahren hätte sein können, und die Tatsache, dass so eine Zukunft für einige nicht einmal unwahrscheinlich ist, macht mich wirklich traurig.

Ein Resumé für unser Projekt habe ich selbst noch nicht ganz gezogen. Ich weiss, dass es nicht nachhaltig war. Vielleicht hat es aber einigen Kindern einen etwas schöneren Sommer gebracht und einen Ort, um sich zu entfalten.

In meinem eigenen Leben wird das Projekt tiefere Spuren hinterlassen. Ich habe zum ersten Mal richtige Armut gesehen. Noch schlimmer als die fand ich aber die Vernachlässigung und das, was mangelnde Zuneigung mit Kindern macht.

Als Lolo, unser begeistertster Zeichner, uns am letzten Tag bat, ob er vielleicht ein paar Blätter Papier mit nach Hause nehmen könne, um auch dort malen zu können, wurde mir klar, dass wir immer noch nicht durchschaut hatten, wie die Kinder leben und was es bedeuten kann „arm“ zu sein.

 

Titelerklaerung:

„Jugamos y aprendemos“ (Wir spielen und lernen) war der Name unseres Projektes im Barrio. „No más“ ist ein Ausdruck, der in Misiones und im Barrio extrem oft gebraucht wird. Er bedeutet so viel wie „einfach“, „halt“, „nur“ oder „nichts mehr“. (Z.B. Servíte no más= Bedien dich einfach, Jugamos y aprendemos no más= Wir spielen und lernen einfach nur)

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Endstation Eldorado

Am Sonntag kamen Katharina, Carola und ich in der Kleinstadt Eldorado im Norden Misiones´ an, wo wir den nächsten Monat für die Wachnitz-Stiftung arbeiten. Eldorado wurde 1919 von Deutschen gegründet. Es hat 80.000 Einwohner und ist 18 km lang. Das weiß ich, weil die Stadt eine kreative Einteilung hat. Am Río Paraná, der als Anfang der Stadt interpretiert wird, beginnt man die Kilometer in Richtung Süden zu zählen. Die Innenstadt liegt auf Kilometer 9 und 10, wir leben im Kilometer 18, was, wie man sich errechnen kann, schon etwas außerhalb liegt.

Um auf das Grundstück der Familie Wachnitz, wo auch wir leben, zu gelangen, muss man die befestigten Straßen verlassen und rumpelt dann mit dem Auto noch ca. 10 Minuten über holprige Wege aus roter Erde immer mehr in den Wald aus exotischen Pflanzen, den ich (als Europäerin) schon als „Dschungel“ bezeichne:)

Wir wohnen zu dritt in einem Häuschen auf dem Grundstück von Gisela, der Erbin der Wachitz-Stiftung. Ich fühle mich jeden Tag von Neuem ans Paradies erinnert, in dem schattigen Garten mit zwei Seeerosenteichen zum Baden und (wie es sich für eine argentinische Familie gehört) zwei Quinchos (Häuschen) mit Asado-Grillen.

Umso krasser ist die Tatsache, dass das Barrio Unidad, das Armenviertel der Stadt, in dem wir arbeiten, nur ca. 300 Meter entfernt liegt.

Die Wachnitz-Stiftung ist ist eine Stiftung, die sich um den deutsch-argentinischen Austausch (Deutschkurse, Schüleraustausche, etc.) bemüht, aber auch viele soziale Projekte in Eldorado unterstützt.

Ich hatte erwartet, dass wir im Bereich des Deutschunterrichts eingesetzt werden würden und war deshalb auch überrascht, als uns eröffnet wurde, dass wir eine Ferienbetreuung im Armenviertel leiten sollten. Nach einer Woche Arbeit bin ich sehr dankbar dafür.

Die Kinder in Argentinien haben drei Monate Sommerferien. Viele Eltern schicken ihre Kinder in kostenpflichtige Ferienbetreuungen und Sommerschulen- die in den Armenviertel natürlich nicht. Wir bieten im Barrio täglich eine Ferienbetreuung mit Nachhilfestunden an, da viele der Kinder, die Prüfungen nicht bestanden haben. (Im Februar werden die Prüfungen wiederholt, wer sie nicht besteht muss die Klasse wiederholen. (In unserer Nachhilfe gibt es Zwölfjährige, die seit Jahren in der dritten Klasse hängen.)) Wir bieten Nachhilfe in Mathe und Lengua (Sprache) an, danach spielen und malen wir. Die Kinder, die teilnehmen, sind offiziell zwischen vier und 14 Jahre alt, in der Realität zwischen drei und 16.

Das Barrio Unidad ist das erste Armenviertel, das ich bewusst betreten habe. Auf den ersten Blick wirkt es sogar ganz romantisch mit kleinen Holzhäuschen, der roten Erde, freilaufenden Hühnern und einem Haufen kleiner Kinder auf der „Straße“. Die meisten Einwohner der Viertels leben von Planos Sociales (Sozialhilfe). Die Eltern arbeiten oft nicht; viele erhalten laut Gisela wegen der hohen Kinderzahl sogar relativ viel Geld, doch dieses wird oft nicht für Essen und die Kinder ausgegeben. Laut Gisela, deren Einschätzung ich nach einer Woche Erfahrung hier traue, gibt es im Barrio Kinder, die verhungern, während in den Gärten der Häuser oft nichts angebaut wird.

Viele der Kinder, die in unsere „Sommerschule“ kommen, sind verwahrlost, andere nicht. Einige haben Läuse, einige sind abgemagert oder haben zerrissene Kleider, andere sind komplett sauber, weil ihre Mütter sie extra vorher baden und tragen ordentliche Kleider.

Es wäre falsch, alle Bewohner über einen Kamm zu scheren, doch in vielen Familien werden die Kinder tatsächlich vernachlässigt und teilweise wohl auch misshandelt.

Zum ersten Mal habe ich bei dieser Arbeit das Gefühl, gebraucht zu werden und etwas wirklich Sinnvolles zu tun. Die Kinder freuen sich und blühen auf, weil wir kommen und sich jemand um sie kümmert.

Es ist jeden Abend, wenn wir pünktlich vor 19 Uhr das Barrio verlassen müssen, ein seltsames Gefühl, zurück in unsere heile Welt zu kehren. Wir lassen die Kinder zurück im Barrio, wo es dreckig und heiß ist und können  selbst in unserem privaten See baden. In dem Fluss, in dem die Kinder baden und die Frauen die Wäsche waschen, schwamm am ersten Tag ein nicht mehr identifizierbares, aufgedunsenes totes Tier. Es lässt mich nicht los, mir vorzustellen, dass einige der Kinder während wir uns ein nettes Abendessen machen daheim geschlagen oder missbraucht werden.

Auch wenn wir das nicht ändern können, glaube ich, dass es für die Kinder besser ist, einen Monat mit Nachhilfe und Spielen zu erleben als keinen. Deshalb empfinde ich die Arbeit hier als sehr erfüllend und motivierend und fühle mich in Eldorado gut aufgehoben.

 

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Station 7: Posadas- Einstimmung in Misiones

Posadas ist die Hauptstadt der Provinz Misiones, die ganz im Nordosten Argentiniens zwischen Paraguay und Brasilien liegt. Dementsprechend sind auch Flora und Fauna dort viel tropischer und exotischer als im Rest des Landes.

Die Stadt war die letzte Station auf unserer Reise und gleichzeitig ein schöner Einstieg in die nächsten vier Wochen, die wir in dieser Region verbringen würden.

Unsere Anreise war etwas abenteuerlich, weil unser Bus mitten auf einer der unendlichen Landstraßen eine Panne hatte. Zum Glück wurden wir nach einiger Zeit von einem vorbeifahrenden Bus eingesammelt und erreichten nach 20 Stunden unser Ziel.

In Posadas angekommen, stachen zwei Dinge ins Auge. Erstens die rote Erde, denn in ganz Misiones ist die Erde nicht braun, sondern rot. Und zweitens der Einfluss von Deutschen auf die Region. Als wir durch die „Avenida Rademacher“ an der Gomería „Hämmerle“ vorbeifuhren, zeigte sich deutlich, dass Misiones ab dem Ersten Weltkrieg ein beliebtes Ziel für deutsche Auswanderer war. 30% aller Misioneros haben deutsche Vorfahren.

Da Katharina, eine Kulturweit-Freiwillige, in Posadas eingesetzt war und sich auskennt, wurden wir gut in die Besonderheiten der Region eingeführt. Auf den Straßen werden „Chipas“ (Gebäcke aus Maniokmehl und Käse, die beim Kauen quietschen) verkauft, und statt heißem Mate wird hier Tereré, die kalte Version mit Eis und Saft getrunken. Den kulinarischen Höhepunkt erlebten wir, als wir zum ersten Mal eine reife Mango am Straßenrand fanden und direkt essen konnten.

Posadas liegt am Río Paraná und hat eine schöne Promenade, die Costanera, an der die Posaderos ihre Abende mit Blick auf das andere Ufer verbringen. Dort liegt Encarnación, die paraguayische Grenzstadt, die dafür bekannt ist, dass es dort viele billige Sachen zu kaufen gibt. Um uns das anzuschauen, überquerten wir am Freitag die Brücke nach Paraguay. Encarnación (zumindest der Teil, den wir gesehen haben) besteht wirklich nur aus Läden mit billigen Kleidern, Schuhen, Spielzeug, Elektrogeräten und Tereré-Kannen. Über alldem liegt ein Geruch von Kunststoff. Ich würde die Eindrücke eher als interessant als als schön bezeichnen, aber das waren sie immerhin auf jeden Fall. Außer einem Eis kaufte ich in Encarnación nichts

Misiones verdankt seinen Namen den Jesuitenmissionen des 17. und 18. Jahrhunderts, deren Ruinen in San Ignacio Miní wir am Tag danach besichtigten. Damals boten die Jesuiten dort den Guaraní, den Ureinwohnern, Zuflucht vor Sklavenhändlern. Sie erhielten medizinische Versorgung und eine Ausbildung, mussten dafür aber Teile ihrer eigenen Kultur aufgeben. Die Jesuiten konnten vor allem durch Kunst, Musik und dadurch, dass sie die Guaraní nicht zwangen, Spanisch zu sprechen ihre ganze Kultur aufzugeben, viele Indianer missionieren. Da der Orden der spanischen Krone aber zu wenig hörig war, wurde er 1767 aus deren Herrschaftsgebiet vertrieben. Die Missionen wurden bei Angriffen teilweise zerstört oder der Dschungel eroberte sie sich zurück. Zum Glück blieben einige als Ruinen erhalten und sind heute Weltkulturerbe. Für mich war dieser Teil der Geschichte Argentiniens sehr interessant, weil ich bisher kaum etwas davon gewusst hatte. Ich finde es beeindruckend, wie die beiden Kulturen im Einklang miteinander leben konnten und durch die Kombination eine neue Art von Kunst (die Mischung aus Guaraní-Kunst und Barock) entstehen konnte.

Am Sonntag, dem 15. Januar fuhren wir drei Stunden in Richtung Norden in die Stadt Eldorado, die Endstation unserer Reise.

 

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Zwischenstationen: Ganz schön spontan unterwegs

Nachdem ich mich an Saltas Flughafen von Marion verabschiedet hatte, stieß ich wieder auf die anderen Kulturweit- Freiwilligen. Ida und Fanny verabschiedeten wir schon am Freitag, weil sie schon früher ihr Projekt in Misiones beginnen mussten. Die letzte der vier Wochen reiste ich  gemeinsam mit Carola.

Wer mich kennt, weiß, dass bei mir was Reisen angeht, in Sachen Spontaneität noch Spielraum nach oben frei ist.Ich plane gerne mal vor und schon weiß auch gerne schon am Morgen, wo ich abends schlafen werde. Innerhalb unserer Reisegruppe war ich damit das Gegenstück zu den Jungs, die immer alles „ganz spontan“  angehen ließen. In den Tagen nach Salta nahmen Carola und ich uns ein Beispiel daran und wuchsen spontaneitätsmäßig über uns hinaus.

Los ging´s mit unserer Reise ins Bergdorf Cachi:

Als wir morgens an den Busbahnhof kamen, um ganz spontan eine Fahrt zu buchen, stellte sich heraus, dass die nächste erst wieder in drei Stunden ging. Egal! Das Warten lohnte sich. Die Fahrt nach Cachi ist spektakulär. In einem wackeligen alten Bus voller Backpacker und alter Dorfbewohner befuhren wir dünne Bergsträßchen durch die Valles Calchaquíes und den Nationalpark „Los Cardones“ (Die Kakteen).

In Cachi waren leider alle von uns angestrebten Hostels schon voll, aber zum Glück konnte man für uns noch ein Plätzchen in der Albergue Municipal, unserer bisher wohl spartanischsten, aber auch günstigsten Unterkunft, finden (20 Pesos= 4€ die Nacht).

Wir genossen zwei Tage der Ruhe in einem Dorf, das so fotogen ist, dass ich vermutete, dass die Bewohner alle einen Tourismus-Tauglichkeitskurs besucht haben. Die Einwohner grüßten immer nett und in der perfekten Western-Kulisse ritt ein langhaariges Mädchen ohne Sattel auf ihrem Schimmel durch die Straßen. Wenn das kein Fotomotiv ist:)

Am Sonntag machten wir eine Wanderung zu einem der für die Gegend charakteristischen Friedhöfe. Die Gräber bestehen aus Schutthaufen und oft schon verrotteten Holzkreuzen. Der Zerfall steht in einem krassen Kontrast zu den knallbunten Plastikblumen, die an jedem Grab befestigt sind. Obwohl auf dem Friedhof  Müll liegt und die Grabhäuschen teilweise komplett in sich zusammen gefallen sind, wirkt diese Art von Friedhöfen lebhafter und „fröhlicher“ (wenn man das von einem Friedhof sagen kann) als die deutschen Friedhöfe.

Von Cachi ging es weiter ins nächste Bergdorf Cafayate. Leider mussten wir um  dorthin zu gelangen über Salta zurück, das heißt fünf Stunden Fahrt nach Salta. Dort erfuhren wir überraschenderweise, dass der nächste Bus erst in drei Stunden fahren würde, kurz gewartet, offiziell drei Stunden weiter nach Cafayate. Leider hatten wir in mitten der nächsten spektakulären Landschaft im Nirgendwo einen geplatzten Reifen, sodass wir letztendlich um 21 Uhr am Ziel ankamen.

Die Suche nach dem Hostel „El Almacén“, in dem wir (doch etwas unspontan)  telefonisch reserviert hatten, entpuppte sich als einziges Missverständnis. Das Wort „almacén“ heißt nämlich auf Spanisch „Lebensmittelgeschäft“ und genau zu solchen schickten uns die Dorfbewohner, die wir nach dem Weg fragten – leider nachts mit unserem gefühlten Körpergewicht auf dem Rücken bei aufziehendem Sturm.

Als wir uns endlich dazu entschieden, im Hostel anzurufen, konnten die Mitarbeiter sich an keine Reservierung erinnern. Genial! Als wir ziemlich verzweifelt auf der Plaza ankamen, sammelte uns dort zum Glück ein Mensch auf, der vor kurzem erst eine Herberge eröffnet hatte und uns motiviert dort hinbrachte. Sie war zwar noch nicht wirklich fertig renoviert, aber für diese Nacht genau das richtige.

Da es in Cafayate gar nicht sooo viel zu sehen gab, wie war gedacht hatten, fuhren wir nach einer Bodega-Wanderung und dem Verzehr des ersten Wein-Eis meines Lebens (Cafayate ist der zweitwichtigste Weinproduzent des Landes) weiter nach Tafí del Valle.

Das liegt auf halbem Weg nach San Miguel de Tucumán, wo am Mittwoch unser Bus nach Misiones abfahren sollte. Da in Cafayate zur Zeit weder Internet noch Telefonleitungen funktionierten, konnten wir gar kein Hostel vorbestellen, doch das war nicht schlimm, denn als wir nach Tafí einfuhren, regnete es da heftig und die beiden spontanen Füchse entschieden sich innerhalb von zehn Minuten, wieder in den Bus zu steigen und doch gleich weiter nach Tucumán zu fahren.

Dort erlebten wir zum ersten Mal, was ich mir eigentlich von jeder argentinischen Stadt erwartet hatte: Wir wurden von der Hitze erschlagen. Es war bereits nach 19 Uhr und trotzdem wollte man sich nicht rühren, weil die Temperaturen so drückend waren.

San Miguel wird im Lonely Planet als Arbeiter- und Industriestadt mit bodenständigem Charme beschrieben, die solchen Menschen gefällt, denen auch Hitze und Gestank gefallen. Zu  dieser Sorte Menschen hatte ich mich zwar bisher nicht gezählt, aber ich fand´s trotzdem gar nicht so schlimm. Wahrscheinlich weil wir das einzigartige Privileg erlebten, die Stadt bei erfrischendem Regen zu besichtigen.

Schon den ganzen Tag freuten wir uns auf unsere letzte lange Busreise, denn ich bin zu einem großen Fan der Langstreckenbussse, mit denen man sich hier fortbewegt, geworden. Ich finde, es gibt keine bessere Art durch Argentinien zu reisen, als im zweiten Stock auf den Plätzen direkt hinter der Frontscheibe eines Doppeldeckerbusses durch die unendliche Landschaft zu fahren (außer vielleicht eine noch ökologischere). So bestiegen Carola und ich am  Mittwochabend den Bus, der uns in offiziell 17, 5 Stunden nach Posadas in Misiones bringen sollte.

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Touristen-Dasein

An Marions letztem Tag in Argentinien, entschieden wir uns, mit einer der bereits erwähnten Reiseagenturen einen Tagesausflug an die Salinas Grandes, riesige Salzseen in der Provinz Jujuy im Norden, zu machen.

Morgens um 7 Uhr ging es los in einer Camioneta (Kleinbus) gefüllt mit einer internationalen Touristengruppe. Die Tour würde den ganzen Tag dauern, da wir auf dem Weg durch die beeindruckende Landschaft Saltas und Jujuys immer wieder anhalten würden, um zu fotografieren oder die Souvenirbranche kleiner Orte auf der Strecke zu unterstützen.

Die Landschaft ist tatsächlich unbeschreiblich. Von grünen Tälern gelangt man in kakteenbewachsene Felslandschaften, durchquert Flüsschen und überwindet über 3000 Höhenmeter. Der Höhenkrankheit konnten wir dank der Kokablätter, mit denen wir von der Reiseleiterin versorgt wurden, vorbeugen. Man nimmt fünf bis sieben Blätter, rollt sie zu einem kleinen Päckchen und lässt dieses 30-40 Minuten zwischen Zähnen und Wangeninnerem stecken.

Gegen Mittag kamen wir in den Ort San Antonio de los Cobres, einem Dorf, das davon lebt, das hier täglich etliche Touristenbusse auf dem Weg in den Norden anhalten. Schon beim Aussteigen waren wir von Kindern und Frauen mit Babies umringt, die „Llamitas“ (kleine gehäkelte Lamafiguren) und Schals verkaufen wollten.

Ich habe mich selten davor so unwohl gefühlt wie in diesem Dorf. Die Menschen dort sind arm und tragen selbst nicht die Strickware, die sie verkaufen, sondern abgetragenen Kleidung im Kik-Stil. Die Straßen sind schmutzig. Ein Junge kam gleich her, um uns um Geld zu bitten. Viele der Dorfbewohner saßen oder standen am Straßenrand und schauten uns an und ich fühlte mich als Europäerin mit Lama-Strickmütze auf dem Kopf völlig fehl am Platz.

Es war ein Aufenthalt zum Mittagessen geplant und der Großteil unserer Gruppe verschwand sofort im Restaurant. Marion und ich gingen eine unheimlich lange Stunde lang durch den Ort und jede Art, sich zu verhalten oder auf bittende Verkaufsangebote zu reagieren, fühlte sich falsch an.

Am meisten schämte ich mich für einige Gruppenmitglieder, die durch den Ort liefen als seien sie auf Safari. Eine Frau ließ sich mit Indígena-Mädchen  im Arm fotografieren, ein Mann drehte ein Video davon, wie er einem kleinen Jungen Geld in die Hand legte. Mir kamen die Tränen vor Wut über dieses Verhalten der westlichen Touristen, das eindeutig zeigt, dass sie die Einwohner von San Antonio nicht für gleichwertige Menschen halten.

Durch das Aufeinanderstoßen von zwei so unterschiedlichen Welten wird die Ungerechtigkeit umso deutlicher. Auf der einen Seite sind die reichen Touristen aus Europa und den USA, die sich eine nette Tour durch Südamerika leisten können. Auf der anderen Seite sind die  Dorfbewohner, die von ihrem eigenen Land wahrscheinlich weniger gesehen haben, als jeder Touri auf der Durchreise. Auf der einen Seite stehen wir, auf der anderen Seite stehen Mädchen in unserem Alter, die schon Kinder haben, ohne große Perspektiven und die sich mit ihren Llamitas auch noch vor uns erniedrigen müssen, um überhaupt etwas zu verdienen.

Mit dieser Realität so konfrontiert zu werden, hat mich sehr betroffen und nachdenklich gemacht.

Den restlichen Tag verbrachten wir auf der Strecke zu den Salinas, wo wieder tolle Fotos gemacht wurden. Auf dem Rückweg hielten wir noch in Purmamarca, einem Ort, der vom Fotomotiv des „Bergs der sieben  Farben“ und dem Verkauf industrialisierter Andensouvenirs lebt. (Ich habe die Befürchtung, dass all diese immer wiederkehrenden günstigen Lamapullover und Mützen von unterbezahlten peruanischen Frauen, durch Kinderarbeit oder in China produziert werden.)

Dieser Tag hat mir einen neuen Eindruck davon verschafft, was alles zu Argentinien gehört: In Sachen landschaftlicher Vielfalt, aber auch was soziale Verhältnisse betrifft.

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