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Rund um das Thema Sprache

„Wahr ist nicht, was A sagt, sondern was B versteht.“

Heute bin ich bereits seit einem Monat hier. Es fällt mir ausgesprochen schwer zu begreifen, wie viel ich in einem solch kurzem Zeitraum erlebt habe. Mir gefällt mein neuer Alltag mit all seinen Facetten so gut, dass ich sogar mit dem Gedanken spiele, meinen Freiwilligendienst zu verlängern. Na gut, mir fehlen Spannbettlaken und Sushi-Restaurants. Aber ansonsten finde ich hier jeden Tag etwas, was das wieder vollkommen wettmacht!

Ich habe meine coolen Mitfreiwilligen unglaublich gern, die hier fast meine „Ersatz – Familie“ sind – sich aber noch an meine Tollpatschigkeit gewöhnen müssen … 😉  Vielleicht hat sich auch deshalb meine ursprüngliche Angst vor Heimweh als unhaltbar herausgestellt. Aber sicher auch, weil die Lieben Zuhause wirklich nur eine Facebook – Nachricht oder einen Skype – Anruf entfernt sind.

Es ist auch ein gutes Gefühl, wenn die Schüler zu mir kommen und fragen, wann ich wieder eine Stunde mit ihnen habe und dass sie sich drauf freuen.

Außerdem ist es schön, wenn die Leute mich überrascht anlächeln, wenn ich (versuche) etwas auf Bulgarisch zu sagen. Einige Schüler beispielsweise finden es zwar merkwürdig, aber gleichzeitig echt cool, dass ich Bulgarisch lerne und korrigieren mich immer nachsichtig, nachdem sie mich ausgelacht haben.

Letzte Woche habe ich indessen erfahren, wie viel an der allseits bekannten Annahme, die Sprache sei die Quelle der Missverständnisse, dran ist. Ich habe einer Lehrerin erzählt, für welche meiner geplanten Projekte eventuell ihre Klasse infrage käme und wie mein bisheriger Eindruck ist. Nach gefühlt jedem Satz bekam ich von ihr ein lautstarkes „Aha!“ zu hören. Nicht nur, dass mich dieser Ausruf verunsicherte, weil für mich ein „Aha!“ mit einem skeptischen „Interessant!“ gleichzusetzen ist, sondern fragte ich mich auch, ob ich irgendwas falsch gemacht hatte. Uns wurde auf dem Vorbereitungsseminar doch nahegelegt, zunächst die lernende, beobachtende Rolle einzunehmen. Und ich musste natürlich bereits nach drei Wochen alle mit meinen überambitionierten, aufwändigen Ideen nerven!

Ein paar Tage später habe ich durch meine Mentorin erfahren, dass dieses vielsagende „Aha!“ ein Ausdruck von (großer) Zustimmung ist. So leicht kann man sich irren! Laut meiner Mentorin ist die bulgarische Sprache mit zahlreichen Interjektionen behaftet, „da die Bulgaren leichtverständliche Klänge mögen.“ Tja … mal sehen, welcher ich das nächste Mal unwissend begegne.

Inspiriert davon habe ich heute in der 10. Klasse das Kommunikationsquadrat (Schulz von Thun) thematisieren dürfen. Obwohl ich eigentlich deutlich machen wollte wie durch gestörte Kommunikation Missverständnisse und folglich Konflikte entstehen, konnten sich die Schüler von der gruseligen Vorstellung eines Menschen mit 4 Ohren nicht losreißen! Erst als ich es anhand eines Bespiels ( – Ehepaar im Auto – die Frau fährt – der Mann wird ungeduldig und äußert dies durch Sätze wie „Du, es ist grün!“ – ) veranschaulicht habe, konnten sie drüber lachen und hatten es anscheinend einigermaßen verstanden. Einige menschliche Phänomene sind wohl überall auf der Welt vertreten!

Das Ziel erreichen ≠ ankommen

So, nun bin ich seit fast vier Tagen in Bulgarien und obwohl ich mir sämtliche Situationen sehr, sehr häufig vorgestellt habe – ist es absolut anders und erscheint mir noch (!) größtenteils fremd. Ich fühle mich aufgewühlt, marginal verwirrt, aber auf jeden Fall stellt sich mir die Frage, ob ich hier ein kleines Stück „Zuhause“ wiederfinden werde. Naja, die Seele reist ja bekanntlich zu Fuß.

Hier ein paar bildliche Eindrücke vom wunderschönen Veliko Tarnovo:

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Nach dem ereignisreichen und nachhaltig wirklich gutem (?!) Vorbereitungsseminar am Werbellinsee fühle ich mich gut vorbereitet. Ein nicht unwesentliches Kriterium für die Teilnahme an „kulturweit“ ist, dass man sich die Lebensbedingungen im Gastland realistisch vorstellen kann. Hierunter habe ich mir nie vorgestellt, dass eventuell auch die Tatsache, im Restaurant die Speisekarte nicht lesen zu können, inbegriffen ist.

„Wir“ trauen uns zu, in Integrationsdebatten ständig mit Begriffen wie „Heimat, Identität und Kultur“ um uns zu werfen – ohne den Prozess der gesellschaftlichen Inklusion je am eigenen Ich gespürt zu haben. Ohne je mit der Frage konfrontiert gewesen zu sein, wie es sich denn anfühlt, nicht in der Sprache kommunizieren zu können, in der das (neue) Umfeld „denkt“.

Heute bin ich durch die Altstadt spaziert – frei nach der mir von meiner Mentorin auferlegten Maxime: „In Veliko Tarnovo kann man sich nicht verlaufen – einfach immer die Hauptstraße entlang!“ Doch meine Vorliebe  für schmale und geheimnisvoll wirkende Gassen und der Wille möglichst schnell auf die Stambolov-Brücke zu gelangen, führte dazu, dass wir irgendwann am Jantra-Ufer einen nicht so ganz idyllischen Hang zur Brücke hochklettern mussten. Kurz bevor ich denken konnte: „Die Mühe hat sich doch gelohnt!“ – stand ich plötzlich am Anfang einer ganz anderen Brücke. Und nachdem wir dann noch ein paar Eisenbahnschienen überquert hatten – waren wir plötzlich in einer malerisch eingebetteten Grünanlage.

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EIn Denkmal für die Zarenfamilie Assen an der berühmten Stambolow-Brücke.

Ein Denkmal für die Zarenfamilie Assen an der berühmten Stambolow-Brücke.

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Gestern war in Bulgarien der erste Schultag nach den Sommerferien und somit bereits mein erster Arbeitstag. Für diesen Tag war nur eine kleine Feier zur Eröffnung des neuen Schuljahres vorgesehen, die mit dem Hissen der bulgarischen Flagge begann. Diese Zeremonie wurde mit der Nationalhymne musikalisch untermalt. Anschließend wurde auch die Schulhymne gesungen, während drei Schüler mit der Schulfahne im Kreis gingen. Zum Schuljahresanfang ist es üblich, die Lehrer mit Blumen zu beschenken.

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Es wird auch als völlig selbstverständlich angesehen, dass Ehemalige kommen, mithelfen und vor allem für eine gute Stimmung sorgen. Ich habe das Gefühl, dass die Bindung der Schüler bzw. der Ehemaligen zu ihrer Schule viel intensiver als in Deutschland ist. Beneidenswert! Mehr zu meiner Arbeit am Fremdsprachengymnasium „Prof. Dr. Assen Zlatorov“ im nächsten Artikel – und vielleicht gibt es auch eine Exkursion in die bulgarische Küche ;-).

Bis dahin alles Liebe,

Sonem