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Portait eines Menschen

Mein nicht alltäglicher Alltag

Heute möchte ich euch von meinem Alltag erzählen. Der meistens gar nicht viel Alltägliches beinhaltet. Aber genau dies definiert ihn so treffend. Eine große Veränderung, mit der ich alltäglich konfrontiert werde: nach Sonem wird hier so gut wie nie gerufen! Zumindest nicht in der Einsatzstelle. Entweder bin ich Sonche (eine Verniedlichung meines Namens) oder Sonja. Begeistert bin ich davon zwar nicht, aber schließlich zählt die Geste dahinter. Und außerdem kommt ein neuer Name zeitlich genau richtig, denn ich verändere mich hier selbstverständlich. All die Erfahrungen haben ihren Preis: sie stellen die eigene Sicht auf jegliche Dinge in Frage.

Darüber habe ich auch bereits mit Daniela (Freiwillige in Sliwen) philosophiert, während ich ihr meine Stadt im schönsten Licht vorstellen durfte. Cafe – Hopping durfte dabei natürlich nicht fehlen!

Daniela streitet immer noch vehement dafür, dass die Eule (!) auf diesem Platz vor dem Reiterdenkmal ein Pinguin ist ...

Daniela streitet vehement dafür, dass die Eule (Symbol der Weisheit!) auf dem Platz vor dem Reiterdenkmal ein Pinguin ist …

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Mittlerweile ist auch in meinem Kühlschrank wieder Platz für eine abwechslungsreiche Ernährung. Die 2 kg Tomaten, die ich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse statt der gewünschten 2 (!) Tomaten gekauft hatte, wurden mehr oder weniger kreativ aufgebraucht. Aber ich esse hier mittlerweile eh fast alles. Ihr glaubt mir nicht? 😉 Bei meiner praktizierten Kochkunst und der Tatsache, dass ich viele Speisekarten nicht lesen kann, weil sie auf kyrillisch sind, bleibt mir nichts anderes übrig.

Nein, dass ist natürlich nur ein parnierter Pfannkuchen.

Et Voilà! Schnitzel mit einer Kugel Vanille-Eis drauf … oder?!

Wenn ich aber nicht gerade meine kulinarischen Grenzen austeste, arbeite ich. Mit den Schülern aus der 9. Klasse nehme ich momentan am Projekt „Grenzenlos Glücklich“ teil. Es wurde 2012 in Ungarn von einer „kulturweit“ – Freiwilligen ins Leben gerufen. Im Grunde geht es darum, sich mit jungen Menschen weltweit auf die Suche nach Glück zu begeben und dabei wesentlichen Fragen näher zu kommen. Dabei ist das Skizzieren vom „großen Glück“ gleichrangig mit Glücksmomenten im Alltag. Wenn man sich die Arbeitsergebnisse der Schüler anschaut, stellt sich einem oft die Frage, ob das große Glück nicht das kleine Glück im Alltag ist. Für mich ist es auch wichtig, Ihnen in diesem Kontext vor allem alternative Lebensentwürfe vorzustellen …  Ich halte euch auf dem Laufenden!

Ein schöner, sommerlicher Herbst.

Ein schöner, sommerlicher Herbst.

Der Oktober neigt sich langsam dem Ende zu und wir haben hier meistens ca. 23 Grad. Sollte das Wetter hier mal unangenehmer sein, spiele ich halt mit meiner Lieblings-Bulgarin! Die mich übrigens völlig ohne Worte versteht!

                 Sofia möchte Schwimmen lernen.

Hier ist Sofia damit beschäftigt, das Schwimmen zu lernen.

Am Wochenende bin ich über Plowdiw nach Kardzhali gefahren. Nach Plowdiw muss ich als Geschichtsbegeisterte unbedingt nochmal hinfahren, denn auch heute noch ist der römische Einfluss nicht zu übersehen.

Das römische Theater

Das römische Theater

In Khardzhali fand letzte Woche die Veranstaltungsreihe „Deutschland feiert mit Kardzhali“ statt, wodurch die deutsche Botschaft mal stärkere Präsenz außerhalb Sofias gezeigt hat. Unter anderem gab es in diesem Rahmen ein Konzert der fränkischen Gruppe „Gankino Circus“, die in ihrem Auftritt Indie Folk, Franken und Progressive mit Balkanrhythmen verbunden hat. Richtige Partystimmung kam leider trotzdem nicht auf. Und das, obwohl mindestens eine Berlinerin und eine Hamburgerin dabei waren! 😉

Außerdem machten wir in Kardzhali eine kleine Wanderung nach Zimzelen, wo („von Gott geschaffene“*) politische Kunst von uns bestaunt wurde. Denn wir Freiwillige sehen keineswegs ein traditionelles Brautpaar … Vielleicht entsteht ja inspiriert hiervon ein Freiwilligenprojekt zum Umgang mit Minderheiten in Bulgarien.

Das sind doch eindeutig zwei Bräute, oder?

Diese Skulptur namens „Wedding stone“ ist angeblich natürlich geformt und wurde 1974 für ein Naturdenkmal erklärt. Das sind doch eindeutig zwei Bräute, oder?

Gestern bekam ich ziemlich plötzlich den ersten Anflug von Heimweh zu spüren. Aber nach ca. 190 Gramm Schokolade und aufmunternden Worten von Clemens, einem Mitfreiwilligen in Shumen, sah die Welt am nächsten Morgen schon ganz anders aus. 🙂

*Julian („kulturweit“ – Freiwilliger)

„Wahr ist nicht, was A sagt, sondern was B versteht.“

Heute bin ich bereits seit einem Monat hier. Es fällt mir ausgesprochen schwer zu begreifen, wie viel ich in einem solch kurzem Zeitraum erlebt habe. Mir gefällt mein neuer Alltag mit all seinen Facetten so gut, dass ich sogar mit dem Gedanken spiele, meinen Freiwilligendienst zu verlängern. Na gut, mir fehlen Spannbettlaken und Sushi-Restaurants. Aber ansonsten finde ich hier jeden Tag etwas, was das wieder vollkommen wettmacht!

Ich habe meine coolen Mitfreiwilligen unglaublich gern, die hier fast meine „Ersatz – Familie“ sind – sich aber noch an meine Tollpatschigkeit gewöhnen müssen … 😉  Vielleicht hat sich auch deshalb meine ursprüngliche Angst vor Heimweh als unhaltbar herausgestellt. Aber sicher auch, weil die Lieben Zuhause wirklich nur eine Facebook – Nachricht oder einen Skype – Anruf entfernt sind.

Es ist auch ein gutes Gefühl, wenn die Schüler zu mir kommen und fragen, wann ich wieder eine Stunde mit ihnen habe und dass sie sich drauf freuen.

Außerdem ist es schön, wenn die Leute mich überrascht anlächeln, wenn ich (versuche) etwas auf Bulgarisch zu sagen. Einige Schüler beispielsweise finden es zwar merkwürdig, aber gleichzeitig echt cool, dass ich Bulgarisch lerne und korrigieren mich immer nachsichtig, nachdem sie mich ausgelacht haben.

Letzte Woche habe ich indessen erfahren, wie viel an der allseits bekannten Annahme, die Sprache sei die Quelle der Missverständnisse, dran ist. Ich habe einer Lehrerin erzählt, für welche meiner geplanten Projekte eventuell ihre Klasse infrage käme und wie mein bisheriger Eindruck ist. Nach gefühlt jedem Satz bekam ich von ihr ein lautstarkes „Aha!“ zu hören. Nicht nur, dass mich dieser Ausruf verunsicherte, weil für mich ein „Aha!“ mit einem skeptischen „Interessant!“ gleichzusetzen ist, sondern fragte ich mich auch, ob ich irgendwas falsch gemacht hatte. Uns wurde auf dem Vorbereitungsseminar doch nahegelegt, zunächst die lernende, beobachtende Rolle einzunehmen. Und ich musste natürlich bereits nach drei Wochen alle mit meinen überambitionierten, aufwändigen Ideen nerven!

Ein paar Tage später habe ich durch meine Mentorin erfahren, dass dieses vielsagende „Aha!“ ein Ausdruck von (großer) Zustimmung ist. So leicht kann man sich irren! Laut meiner Mentorin ist die bulgarische Sprache mit zahlreichen Interjektionen behaftet, „da die Bulgaren leichtverständliche Klänge mögen.“ Tja … mal sehen, welcher ich das nächste Mal unwissend begegne.

Inspiriert davon habe ich heute in der 10. Klasse das Kommunikationsquadrat (Schulz von Thun) thematisieren dürfen. Obwohl ich eigentlich deutlich machen wollte wie durch gestörte Kommunikation Missverständnisse und folglich Konflikte entstehen, konnten sich die Schüler von der gruseligen Vorstellung eines Menschen mit 4 Ohren nicht losreißen! Erst als ich es anhand eines Bespiels ( – Ehepaar im Auto – die Frau fährt – der Mann wird ungeduldig und äußert dies durch Sätze wie „Du, es ist grün!“ – ) veranschaulicht habe, konnten sie drüber lachen und hatten es anscheinend einigermaßen verstanden. Einige menschliche Phänomene sind wohl überall auf der Welt vertreten!

„kulturweit und Ich“

Dass man mich im Ausland vielleicht nicht als Deutsche wahrnimmt, war mir nicht immer bewusst. Ich bin im toleranten und sehr bunten Hamburg aufgewachsen und es gab nie einen Anlass, der mich an mein Selbstbild zweifeln ließ. Erst als ich die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch beim PAD erhielt, habe ich angefangen, mich konkreter mit meinem Hintergrund und der zukünftigen Rolle als „Kulturbotschafter“ auseinanderzusetzen. Ich weiß, dass mein Äußeres nicht dem Zerrbild einer blonden, im Stechschritt marschierenden Walküre entspricht. Nicht einschätzen zu können, inwiefern ich die Wurzeln meiner Eltern thematisieren muss und welches Wissen ich über Deutschland und seine gesellschaftliche Zusammensetzung als gegeben voraussetzen darf, löste in gewisser Hinsicht ein beklemmendes Gefühl aus.

Doch glücklicherweise habe ich feststellen dürfen, dass insbesondere in der Schule klar ist, dass Deutschland seit Jahrzehnten ein buntes Einwanderungsland ist. Viele Schüler setzen sich gezielt mit Deutschland und nahezu all den damit verbundenen gesellschaftlichen Fragesstellungen auseinander, da eine erhebliche Zahl in Deutschland studieren und leben möchte.

Vor einigen Tagen hatten wir im DSD-Raum Besuch. Die Tochter einer Mitarbeiterin der Schule kam mit ihrem Freund (A) aus München. Nachdem ich den beiden mit dem Satz „Das ist unsere Freiwillige aus Deutschland“ vorgestellt wurde, grinste mich A an und behauptete charmant „Ooh, da merkt man bereits an der Aussprache, dass du sehr gut deutsch sprichst.“ Irritation. Ich wiederholte bemüht freundlich „Ich bin Deutsche.“ Plötzlich sag A verwirrt aus. Da machte man jemandem schon ein Kompliment und bekam nicht mal ein Danke! Nach einer kurzen, wortkargen Pause sagte er hartnäckig: „Aber ‚Volksdeutsche‘ bist du ja nicht, oder?“

Fragend, ob er nicht zugehört hatte oder es nicht wahrhaben wollte, fragte ich ihn, was denn „Volksdeutsche“ seien. Da seine Definition Expressionen wie „gleiches Blut“ etc. einschloß, erspare ich euch die Taktlosigkeit. „Du hast auf dem Vorbereitungsseminar gelernt, wie du mit solch einer Situation umzugehen hast!“ – dachte ich mir.

Ich erwarte nicht, dass man mich zwangsläufig als Deutsche wahrnimmt. Insbesondere bei meinem Namen … aber einen historischen Ausdruck in einem völlig falschen Kontext zu missbrauchen, ist krötig. Besonders schade, wenn es junge Leute wie A (max. 30 Jahre alt) sind, die durch ein Mangel an Geschichtsbewusstsein auffallen. Es stellen sich mir einige Fragen. Ist ihm in München denn noch nie ein nichtblonder Deutscher über den Weg gelaufen?

Da A aber im Laufe des „Gesprächs“ auch Plattitüden wie „Mit Roma kann man ja auch einfach nicht friedlich zusammenleben!“ gebrauchte, verzichtete auf weitere Aufklärungsversuche mit dem Satz: „Ich seh schon, mit Ihnen könnte ich mich gut streiten.“ Aber besser, man einigt sich darauf, dass man sich uneinig ist. 😉

Auch möchte ich vor allem solche Erfahrungen nicht missen und bin im Nachhinein froh, denn sie machen einem klar, wie man von Fremden wahrgenommen wird. – Und das hilft enorm, sich seiner selbst bewusst zu werden.

Pozdravi,

Sonem

 

*Als „Volksdeutsche“ bezeichnete man außerhalb Deutschlands und Österreichs lebende „ethnische Deutsche“ (besonders in ost- und südosteuropäischen Ländern bis 1945). (Duden)