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Meine Entsendeorganisation

„kulturweit und Ich“

Dass man mich im Ausland vielleicht nicht als Deutsche wahrnimmt, war mir nicht immer bewusst. Ich bin im toleranten und sehr bunten Hamburg aufgewachsen und es gab nie einen Anlass, der mich an mein Selbstbild zweifeln ließ. Erst als ich die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch beim PAD erhielt, habe ich angefangen, mich konkreter mit meinem Hintergrund und der zukünftigen Rolle als „Kulturbotschafter“ auseinanderzusetzen. Ich weiß, dass mein Äußeres nicht dem Zerrbild einer blonden, im Stechschritt marschierenden Walküre entspricht. Nicht einschätzen zu können, inwiefern ich die Wurzeln meiner Eltern thematisieren muss und welches Wissen ich über Deutschland und seine gesellschaftliche Zusammensetzung als gegeben voraussetzen darf, löste in gewisser Hinsicht ein beklemmendes Gefühl aus.

Doch glücklicherweise habe ich feststellen dürfen, dass insbesondere in der Schule klar ist, dass Deutschland seit Jahrzehnten ein buntes Einwanderungsland ist. Viele Schüler setzen sich gezielt mit Deutschland und nahezu all den damit verbundenen gesellschaftlichen Fragesstellungen auseinander, da eine erhebliche Zahl in Deutschland studieren und leben möchte.

Vor einigen Tagen hatten wir im DSD-Raum Besuch. Die Tochter einer Mitarbeiterin der Schule kam mit ihrem Freund (A) aus München. Nachdem ich den beiden mit dem Satz „Das ist unsere Freiwillige aus Deutschland“ vorgestellt wurde, grinste mich A an und behauptete charmant „Ooh, da merkt man bereits an der Aussprache, dass du sehr gut deutsch sprichst.“ Irritation. Ich wiederholte bemüht freundlich „Ich bin Deutsche.“ Plötzlich sag A verwirrt aus. Da machte man jemandem schon ein Kompliment und bekam nicht mal ein Danke! Nach einer kurzen, wortkargen Pause sagte er hartnäckig: „Aber ‚Volksdeutsche‘ bist du ja nicht, oder?“

Fragend, ob er nicht zugehört hatte oder es nicht wahrhaben wollte, fragte ich ihn, was denn „Volksdeutsche“ seien. Da seine Definition Expressionen wie „gleiches Blut“ etc. einschloß, erspare ich euch die Taktlosigkeit. „Du hast auf dem Vorbereitungsseminar gelernt, wie du mit solch einer Situation umzugehen hast!“ – dachte ich mir.

Ich erwarte nicht, dass man mich zwangsläufig als Deutsche wahrnimmt. Insbesondere bei meinem Namen … aber einen historischen Ausdruck in einem völlig falschen Kontext zu missbrauchen, ist krötig. Besonders schade, wenn es junge Leute wie A (max. 30 Jahre alt) sind, die durch ein Mangel an Geschichtsbewusstsein auffallen. Es stellen sich mir einige Fragen. Ist ihm in München denn noch nie ein nichtblonder Deutscher über den Weg gelaufen?

Da A aber im Laufe des „Gesprächs“ auch Plattitüden wie „Mit Roma kann man ja auch einfach nicht friedlich zusammenleben!“ gebrauchte, verzichtete auf weitere Aufklärungsversuche mit dem Satz: „Ich seh schon, mit Ihnen könnte ich mich gut streiten.“ Aber besser, man einigt sich darauf, dass man sich uneinig ist. 😉

Auch möchte ich vor allem solche Erfahrungen nicht missen und bin im Nachhinein froh, denn sie machen einem klar, wie man von Fremden wahrgenommen wird. – Und das hilft enorm, sich seiner selbst bewusst zu werden.

Pozdravi,

Sonem

 

*Als „Volksdeutsche“ bezeichnete man außerhalb Deutschlands und Österreichs lebende „ethnische Deutsche“ (besonders in ost- und südosteuropäischen Ländern bis 1945). (Duden)

Es geht bergauf!

„Ich lerne, dass bei Weitem nicht alles so ist, wie ich es kenne.“ (Anna Veigel, leitet „kulturweit“)

Wieder ist eine intensiv erlebte Woche vergangen und nun kann ich endlich behaupten, wirklich angekommen zu sein. Allmählich fühle ich mich hier wohl. Bereits jetzt zeichnet sich mein „kulturweit“- Einsatz für mich persönlich als eine sehr wertvolle Lernerfahrung ab. Ich weiß jetzt, wie man selbstständig ein Honigglas öffnet, Wäsche wäscht, nachhaltig (!) einkauft und so „kocht“, dass eine Person mit normalem Magenvolumen auch aufessen kann. 😉 Gar nicht so einfach! Ich vermisse das „Hotel-Papa“ überhaupt nicht. Es ist eine oft witzige und befreiende Erfahrung zum ersten Mal allein einen Haushalt zu führen – und das gleich im Ausland. Es sind viele gelungene Kleinigkeiten, die ein jedes Mal ein bisschen stärker machen. Aber das Leben hier wirft auch unglaublich viele Fragen auf – was wiederum verunsichert. In Bulgarien haben Kultur und Bildung eine hohe gesellschaftliche Priorität. Aber wie ist ein Bildungssystem zu erklären, wo junge Menschen zwar zu selbstständigen Köpfen erzogen werden sollen, indem aber in der gesamten Schulzeit kein Politikunterricht vorgesehen ist? Warum möchten sehr viele junge Bulgaren  – mit denen ich ins Gespräch gekommen bin (!) – nicht in Bulgarien studieren und leben? Warum behaupten sie, sie seien froh, die Freizügigkeit innerhalb der EU genießen zu können, denn sie würden sich hier nicht „zuhause“ fühlen? Und vor allem, wie sieht die Zukunft eines Landes aus, wenn seine jungen Fachkräfte auswandern? Ich habe bewusst Fragen formuliert, weil es mir nicht zusteht, als Außenstehende Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich hoffe natürlich trotzdem, während der nächsten Monate den Antworten näher zu kommen.

Zu meiner Arbeit am Fremdsprachengymnasium kann ich sagen: es ist super! Ich habe anders als erwartet, viele verschiedene Möglichkeiten, eigene Ideen in den Unterricht einzubringen. Mein erstes Projekt habe ich anlässlich des „Tag der europäischen Sprachen“ am 26.09. in jeweils vier Klassen durchführen dürfen. Als ich den Lehrerinnen zunächst vorschlug, den Unterricht nach draußen zu verlegen, wurde ich ziemlich skeptisch angeschaut – nach dem Motto: „Ooh nein, noch so eine verrückte Idee aus Deutschland“. Aber glücklicherweise konnte ich sie überzeugen. Und da auch die Schüler begeistert waren und bei den spielerischen Einheiten zur Wortschatzerweiterung (teils aus der Theaterpädagogik) gut mitgemacht haben – waren sie sogar positiv überrascht. Und nun darf ich mir auch für den 3. Oktober etwas zunächst „Verrücktes“  ausdenken …

Außerdem hier ein kleines Update: Veliko Tarnovo, bereits jetzt eines der kulturellen Zentren Bulgariens, bewirbt sich für den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2019“. Ich zumindest fiebere als neuer Tarnovoer der Benennung entgegen!

Liebe Grüße in die weite Welt,

Sonem