Zwischen Patriotismus und Nationalismus

„Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“ (Johannes Rau)

Demnach ist an Patriotismus nichts auszusetzen. Trotzdem sind wir Deutschen diesem gegenüber sehr skeptisch gesinnt. Die Frage, die sich unter anderem stellt, ist, ob Vaterlandsliebe wirklich – wie so oft behauptet wird – die weitere Entfaltung der europäischen Idee erschwert?

Laut Daniela Mikhaylowa, Vorsitzende der Initiative für Chancengleichheit in Sofia, nimmt der Nationalismus in Bulgarien zu. Dabei war Bulgarien lange ein Paradebeispiel für ethnische Toleranz. Im Mai 2011 lobte UN – Generalsekretär Ban Ki-moon Bulgarien als Beispiel für das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen und Religionen auf dem Balkan. Seine Rede beendete er mit „I think that all of you have a great reason to be proud of being Bulgarian […].“ Abgesehen vom allgegenwärtigem Antiziganismus kann ich dem zustimmen.

Viele Bulgaren sind zurecht stolz, während des 2. Weltkriegs die ca. 50.000 bulgarischen Juden nicht an das NS-Deutschland ausgeliefert zu haben. Andere, in diesem Kontext dunklere Kapitel der bulgarischen Staatsgeschichte werden jedoch geleugnet, – was auf eine verzerrte Darstellung und Rhetorik schließen lässt.

Andrerseits: Nach dem Ende des Sozialismus 1989 wurde ein gewaltsamer Konflikt zwischen der slawischen Mehrheit und der türkischen Minderheit vermieden. Die türkische Minderheit erhielt die ihr zustehenden Bürgerrechte und gründete ihre eigene Partei „Движение за права и свободи“ (Bewegung für Rechte und Freiheiten).

Heute ist es ethnisch angespannter, denn der Wunsch nach einer monoethischen Bevölkerungsstruktur nimmt immer weiter zu. Was vor allem an der tiefgreifenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krise des Landes liegt. Kann es sein, dass eine unmittelbare Konsequenz von gelebtem Patriotismus vielleicht sogar Fremdenfeindlichkeit ist? Birgt Patriotismus potenziell deshalb stets eine gewisse Gefahr mit sich, weil es in schwierigen Zeiten oft überschwappen kann? Wie stark ist das Akzeptieren der vermeintlich fremden (?) Mitmenschen an Wohlstand und Stabilität gekoppelt?

Wie ist es mit unreflektierter, öffentlich zur Schau getragener Vaterlandsliebe? Wobei es mir selbstverständlich nicht zusteht, darüber zu urteilen, inwieweit Reflexion greift. Außerdem gehört jene Form von Patriotismus, wörtlich gesehen einfach mal Flagge zu zeigen, in vielen Ländern einfach zum guten Ton. Einige Schüler beispielsweise begründen die an ihre Federtasche gepinte Flagge mit: „Weil ich Bulgare bin!“

Wenn ich in Veliko Tarnovo die Hauptstraße entlanglaufe, kommt kurz vor der bekannten Ulitsa Vasil Lewski ein Abschnitt, in dem man quasi in ein Flaggenmeer taucht. Anscheinend nur auf Wunsch des Gemeinderates hin.

Andrerseits ist es so, dass ich im Gespräch mit Bulgaren über einen eventuellen Patriotismus oft ein verwundertes „Gibt es einen solchen?!“ zu hören bekomme. Der in Österreich lebende Journalist Todor Ovtcharov behauptet, Patriotismus sei ein für ihn fremdes Gefühl. Außerdem glaube er nicht, dass man auf den Ort, wo man geboren wurde, stolz sein könne, da man diese Entscheidung nicht selber getroffen habe. Natürlich ist der Begriff „Heimat“ auch pragmatisch behaftet. Aber ich bezweifle, dass man Emotionen, die man mit seiner Heimat verbindet, mit einer solchen Nüchternheit betrachten kann. Ovtcharov zufolge dürfe man sich aus dem gleichen Grund auch nicht für seine Herkunft schämen.

„Es ist mir unerklärlich, wieso es Leute gibt, die ihr Land auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen, um sich dann im Ausland gegen die Brust zu prahlen und zu behaupten, dass ihr Heimat das Paradies auf Erden. […]“

 

Den meisten Bulgaren ist das Gefühl von Patriotismus nicht fremd, denn sie leben ihn gern. Was auch völlig in Ordnung ist, solange es nur dabei bleibt. Und so lange der sogenannte „Square of Tolerance“ in Sofia, bestehend aus einer katholischen Kathedrale, einer Moschee, einer Synagoge und einer orthodoxen Kirche bleibt, was es ist … und zwar ein Zeichen dafür, dass seit Jahrhunderten ethnische und religiöse Vielfalt in Bulgarien völlig normal ist.

Quellen:

– Konstantin Sachariew: Magisterarbeit: Nation und Minderheit in Bulgarien, Institut für Politik- und Verwaltungswissenschaften der Universität Rostock, 2006, S. 25 ff.

Ulrich Büchsenschütz: Nationalismus und Demokratie in Bulgarien seit 1989. In: Egbert Jahn (Hrsg.): Nationalismus im spät- und postkommunistischen Europa. 2: Nationalismus in den Nationalstaaten, Nomos, 2009, S. 614.