Archiv für den Monat: September 2013

Es geht bergauf!

„Ich lerne, dass bei Weitem nicht alles so ist, wie ich es kenne.“ (Anna Veigel, leitet „kulturweit“)

Wieder ist eine intensiv erlebte Woche vergangen und nun kann ich endlich behaupten, wirklich angekommen zu sein. Allmählich fühle ich mich hier wohl. Bereits jetzt zeichnet sich mein „kulturweit“- Einsatz für mich persönlich als eine sehr wertvolle Lernerfahrung ab. Ich weiß jetzt, wie man selbstständig ein Honigglas öffnet, Wäsche wäscht, nachhaltig (!) einkauft und so „kocht“, dass eine Person mit normalem Magenvolumen auch aufessen kann. 😉 Gar nicht so einfach! Ich vermisse das „Hotel-Papa“ überhaupt nicht. Es ist eine oft witzige und befreiende Erfahrung zum ersten Mal allein einen Haushalt zu führen – und das gleich im Ausland. Es sind viele gelungene Kleinigkeiten, die ein jedes Mal ein bisschen stärker machen. Aber das Leben hier wirft auch unglaublich viele Fragen auf – was wiederum verunsichert. In Bulgarien haben Kultur und Bildung eine hohe gesellschaftliche Priorität. Aber wie ist ein Bildungssystem zu erklären, wo junge Menschen zwar zu selbstständigen Köpfen erzogen werden sollen, indem aber in der gesamten Schulzeit kein Politikunterricht vorgesehen ist? Warum möchten sehr viele junge Bulgaren  – mit denen ich ins Gespräch gekommen bin (!) – nicht in Bulgarien studieren und leben? Warum behaupten sie, sie seien froh, die Freizügigkeit innerhalb der EU genießen zu können, denn sie würden sich hier nicht „zuhause“ fühlen? Und vor allem, wie sieht die Zukunft eines Landes aus, wenn seine jungen Fachkräfte auswandern? Ich habe bewusst Fragen formuliert, weil es mir nicht zusteht, als Außenstehende Schlussfolgerungen zu ziehen. Ich hoffe natürlich trotzdem, während der nächsten Monate den Antworten näher zu kommen.

Zu meiner Arbeit am Fremdsprachengymnasium kann ich sagen: es ist super! Ich habe anders als erwartet, viele verschiedene Möglichkeiten, eigene Ideen in den Unterricht einzubringen. Mein erstes Projekt habe ich anlässlich des „Tag der europäischen Sprachen“ am 26.09. in jeweils vier Klassen durchführen dürfen. Als ich den Lehrerinnen zunächst vorschlug, den Unterricht nach draußen zu verlegen, wurde ich ziemlich skeptisch angeschaut – nach dem Motto: „Ooh nein, noch so eine verrückte Idee aus Deutschland“. Aber glücklicherweise konnte ich sie überzeugen. Und da auch die Schüler begeistert waren und bei den spielerischen Einheiten zur Wortschatzerweiterung (teils aus der Theaterpädagogik) gut mitgemacht haben – waren sie sogar positiv überrascht. Und nun darf ich mir auch für den 3. Oktober etwas zunächst „Verrücktes“  ausdenken …

Außerdem hier ein kleines Update: Veliko Tarnovo, bereits jetzt eines der kulturellen Zentren Bulgariens, bewirbt sich für den Titel „Kulturhauptstadt Europas 2019“. Ich zumindest fiebere als neuer Tarnovoer der Benennung entgegen!

Liebe Grüße in die weite Welt,

Sonem

Das Ziel erreichen ≠ ankommen

So, nun bin ich seit fast vier Tagen in Bulgarien und obwohl ich mir sämtliche Situationen sehr, sehr häufig vorgestellt habe – ist es absolut anders und erscheint mir noch (!) größtenteils fremd. Ich fühle mich aufgewühlt, marginal verwirrt, aber auf jeden Fall stellt sich mir die Frage, ob ich hier ein kleines Stück „Zuhause“ wiederfinden werde. Naja, die Seele reist ja bekanntlich zu Fuß.

Hier ein paar bildliche Eindrücke vom wunderschönen Veliko Tarnovo:

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Nach dem ereignisreichen und nachhaltig wirklich gutem (?!) Vorbereitungsseminar am Werbellinsee fühle ich mich gut vorbereitet. Ein nicht unwesentliches Kriterium für die Teilnahme an „kulturweit“ ist, dass man sich die Lebensbedingungen im Gastland realistisch vorstellen kann. Hierunter habe ich mir nie vorgestellt, dass eventuell auch die Tatsache, im Restaurant die Speisekarte nicht lesen zu können, inbegriffen ist.

„Wir“ trauen uns zu, in Integrationsdebatten ständig mit Begriffen wie „Heimat, Identität und Kultur“ um uns zu werfen – ohne den Prozess der gesellschaftlichen Inklusion je am eigenen Ich gespürt zu haben. Ohne je mit der Frage konfrontiert gewesen zu sein, wie es sich denn anfühlt, nicht in der Sprache kommunizieren zu können, in der das (neue) Umfeld „denkt“.

Heute bin ich durch die Altstadt spaziert – frei nach der mir von meiner Mentorin auferlegten Maxime: „In Veliko Tarnovo kann man sich nicht verlaufen – einfach immer die Hauptstraße entlang!“ Doch meine Vorliebe  für schmale und geheimnisvoll wirkende Gassen und der Wille möglichst schnell auf die Stambolov-Brücke zu gelangen, führte dazu, dass wir irgendwann am Jantra-Ufer einen nicht so ganz idyllischen Hang zur Brücke hochklettern mussten. Kurz bevor ich denken konnte: „Die Mühe hat sich doch gelohnt!“ – stand ich plötzlich am Anfang einer ganz anderen Brücke. Und nachdem wir dann noch ein paar Eisenbahnschienen überquert hatten – waren wir plötzlich in einer malerisch eingebetteten Grünanlage.

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EIn Denkmal für die Zarenfamilie Assen an der berühmten Stambolow-Brücke.

Ein Denkmal für die Zarenfamilie Assen an der berühmten Stambolow-Brücke.

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Gestern war in Bulgarien der erste Schultag nach den Sommerferien und somit bereits mein erster Arbeitstag. Für diesen Tag war nur eine kleine Feier zur Eröffnung des neuen Schuljahres vorgesehen, die mit dem Hissen der bulgarischen Flagge begann. Diese Zeremonie wurde mit der Nationalhymne musikalisch untermalt. Anschließend wurde auch die Schulhymne gesungen, während drei Schüler mit der Schulfahne im Kreis gingen. Zum Schuljahresanfang ist es üblich, die Lehrer mit Blumen zu beschenken.

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Es wird auch als völlig selbstverständlich angesehen, dass Ehemalige kommen, mithelfen und vor allem für eine gute Stimmung sorgen. Ich habe das Gefühl, dass die Bindung der Schüler bzw. der Ehemaligen zu ihrer Schule viel intensiver als in Deutschland ist. Beneidenswert! Mehr zu meiner Arbeit am Fremdsprachengymnasium „Prof. Dr. Assen Zlatorov“ im nächsten Artikel – und vielleicht gibt es auch eine Exkursion in die bulgarische Küche ;-).

Bis dahin alles Liebe,

Sonem