Der Titel dieses Eintrags lässt einen Poetischen Text vermuten. Was euch wirklich erwartet, ist eine Zusammenfassung meines zweiten vollen Monats hier. Für alle, die nur an einem kurzen Update interessiert sind: ich erlebe hier nicht nur immer noch, sondern oft und öfter Dinge, die mich dazu bringen wie ein Honigkuchenpferd grinsend durch die Straßen zu laufen. Insofern gehts mir super!
Mein 19. Geburtstag
In der Schule wurde ich charmant mit „Kind, was ist nur los mit dir?“ oder „Du siehst ja sogar an deinem Geburtstag müde aus!“ begrüßt. Es stimmt, dass mein Schlafbedürfnis hier um ein Vielfaches zugenommen hat und als ich mit der versprochenen Torte in der Hand kurz vor Pausenende ins Lehrerzimmer gestolpert bin, sah ich mit Sicherheit nicht so aus … wie ein Geburtstagskind nunmal auszusehen hat! Kein Wunder, schließlich wurde an dem Morgen so geduscht:
Und dabei hatte ich nur wenige Tage zuvor mitbekommen, wie einem anderen Freiwilligen telefonisch mitgeteilt wurde, dass ihm für die nächsten drei Tage kein Wasser zur Verfügung stehe. Tja! Ein bisschen Mitleid hatte ich ja schon, aber wie gut, dass in meiner Stadt so etwas nicht vorkommt, dachte ich.
Anlässlich meines Geburtstags bekam ich von meinen lieben kulturweit – Bulgaren Besuch. Ich führte sie zwar ohne ausgetüftelten Plan, dafür aber hoffentlich inbrünstig genug durch meine bulgarische Heimat (?),- stets mit dem Ziel vor Augen, dass Veliko Tarnovo auf Marlenes Ranking über die schönsten Städte Bulgariens vor Plowdiw stehen muss.
Abends haben wir dann unter anderem einer einheimischen Rockband zugehört und kurz eine Chalga – Party mit unserer Anwesenheit vergnügt. Da dies meine erste Chalga- Party war, war ich zunächst ein bisschen überfordert von der Einlasskontrolle, der Atmosphäre, vom umherirrendem Laserlicht, welches in den Haaren der Frauen glitzerte, die ziemlich leicht bekleidet auf einem Podest tanzten. Eine charakteristische Eigenschaft des Chalga ist, dass angeblich mit den Werten jener kleinen Gruppe gespielt wird, die in bestimmter Hinsicht von den Folgen des Postsozialismus profitiert. In diesem Kontext möchte ich den in Österreich lebenden, bulgarischen Journalisten Todor Ovtcharov zitieren:
„Tschalga“ […] ist ein Begriff, der gleichzeitig Musik sowie Weltanschauung der dominierenden Subkultur auf der Balkanhalbinsel bezeichnet. Tschalga verbindet bulgarische, serbische, rumänische, griechische, türkische, arabische und Roma-Melodien mit den Standards der MTV-Popmusik aus den USA. […]
Nur wer blind ist, kann sagen, dass die „Tschalga“, egal ob in der Musik, im Lifestyle oder in der Politik in Bulgarien nicht allgegenwärtig ist. Manchmal kommt es mir vor, dass das Leben der meisten Bulgaren der letzten zwanzig Jahren einem „Tschalga“-Song ähnelt. Das heißt natürlich gar nicht, dass es nicht Leute gibt, die außerhalb dieser dominierenden Popkultur leben und kreativ sind. […]“Wieder zuhause entdeckten wir ein überraschendes Talent. Wer hätte gedacht, dass wir einen DJ unter uns haben! Am Sonntag wurde dann bei frühlingshaften Temperaturen und ohne Frühstück (das tut mir wirklich Leid!) der malerische Nordosten der Stadt mit seinen zahlreichen Kirchen erkundigt. Danke, für das tolle Wochenende!
Meine Arbeit …
… macht mir nach wie vor Freude! Und obwohl ich diesen Aspekt nicht häufig betone, lerne ich viel. Gestern habe ich beispielsweise gelernt, was eine „Reuse“ ist, dass man statt ruhelos auch „ahasverisch“ benutzen kann und dass auch „die“ Jogurt grammatikalisch richtig ist! Insofern hält auch das Korrigieren von Klassenarbeiten immer einen Grund zum Schmunzeln bereit.
Mittlerweile haben wir auch schon ein Ritual zu Stundenbeginn. Die Schüler drehen den Spieß einfach um und fragen, welches neue Wort ich auf Bulgarisch gelernt habe. Die ersten fünf Minuten werden dann erstmal mit der Korrektur meeiner Aussprache verbracht.
Was mein Freiwilligenprojekt betrifft, werde ich hoffentlich in Kooperation mit dem Verein „Amaro Drom e.V.“ den Umgang mit Minderheiten sowohl in Bulgarien, als auch in Deutschland thematisieren. Dieses Vorhaben besteht schon seit einiger Zeit, weiterentwickeln konnte ich die Idee während des Zwischenseminars in Rumänien, das in Sibiu (Hermannstadt) stattfand. Erster Stopp auf der Hinreise war das kleine Wien Osteuropas – Ruse an der Donau. Die Nacht wurde äußerst gemütlich bei zwei Engländern verbracht: Dank an Mandy und Marc! Gleich am nächsten Morgen ging es nach Bukarest – das Paris des Ostens. Mindestens, wie ich finde!
Zwischen dem Analysieren und dem Lösen von Problemen war genügend Raum für bereichernde Denkanstöße, Vorfreude auf das Konzert von dem Hamburger Künstler Nils Frevert, mehr oder weniger witzigen Wortspielen mit meinem Namen, Energizern …
Das inhaltliche Highlight war für mich ohne Zweifel das Hintergrundgespräch mit einem politischen Berater des ehemaligen Roma-Königs.
Besuch von Someia und Jörg
Ende des Monats bekam ich Besuch von zwei Freunden. Da die beiden mir nicht sagen konnten, an welchem der vier Busbahnhöfe sie angekommen waren, dauerte es etwas länger als ein bisschen, bis ich sie endlich in die Arme schließen konnte! Durch sie wurde ich an meine ersten Tage hier erinnert. Inzwischen ist eine gewisse Improvisation im Alltag für mich völlig selbstverständlich und stört mich keineswegs. Ganz im Gegenteil! Zu sehen, wie die beiden am Anfang damit haderten, löste ein merkwürdiges, aber vertrautes Gefühl aus.
Danke, an euch beiden! – Für die gefühlte Jahresration an Süßigkeiten, für den langersehnten neuen Roman von Ferdinand von Schirach und vor allem dafür, dass ihr nun Teil einer wunderbaren Zeit hier seid.
Erschöpft von den teils außer Kontrolle geratenen Schneeballschlachten und straffem Touri-Programm tagsüber ließen wir die Abende bei live gespielter Musik ausklingen.
Bei unserem Spaziergang durch den „Heiligen Wald“ Sveta Gora entdeckten wir einen Schneemann mit einem Hakenkreuz und anderen Merkwürdigkeiten. Dieser wurde natürlich kurzerhand verschönert. Aus dem Hakenkreuz wurde ein Herz und zu guter Letzt wurden ihm noch zwei Arme … ähh Äste angesteckt. Der heißt nun alle Menschen willkommen und umarmt sie!
In diesem Sinne,
Sonem.