Diesem chinesischen Sprichwort zufolge kommt Hangzhou dieselbe paradieshafte Bedeutung zu wie unserer letzten Reise-Destination, Suzhou. Tatsächlich ist der örtliche Westsee von unzähligen Poeten romantisiert worden und findet sich nicht zuletzt auf der 1-Yuan-Note.
Mit 4,3 Mio. Einwohnern ist Hangzhou zwar nach hiesigen Maßstäben eine Kleinstadt, doch ihre dokumentierte Geschichte von über 4700 Jahren lässt sie aus der Masse herausstechen, ebenso wie die überaus pittoreske Touristenmeile in der Innenstadt. Während sich hier ausgewiesene Luxusmarken wie Aston Martin, Gucci oder Prada tummeln, ist die sonstige Architektur eher gesichtslos, wie in so vielen chinesischen Wachstumszentren.
Recht zentral befindet sich auch eine Kirche, von außen gut durch ein kreuzförmiges Fenster kenntlich gemacht. Die letzten Klänge des gerade beendeten Gottesdienstes lagen noch in der Luft, als wir eintraten, sodass sich eine eigenartige Ambivalenz aus Vertrautem und Ungewohntem ergab. Das Gedeck für das Abendmahl erschien konventionell zu sein, eine Orgel hingegen fehlte. Im Gespräch mit einem Mitarbeiter kam die Frage auf, ob es sich um ein katholisches oder evangelisches Gotteshaus handele. „We don’t really care – it’s basically Jesus“, lautete sinngemäß die Antwort.
Der Westsee war selbst für unsere deutschen, d.h. natur-verwöhnten Augen eine angenehme Überraschung und das nahezu mediterrane Flair (Sonnenschein inklusive) erlaubte es uns, den dritten Advent im T-Shirt zu verbringen. Dementsprechend begrenzt war denn auch unsere weihnachtliche Stimmung zu diesem Zeitpunkt…
Wie paradiesisch die Umgebung Hangzhous für Großstadt-Chinesen erscheinen muss, wurde durch ein oft wiederkehrendes Phänomen eindrucksvoll aufgezeigt: Foto-Tourismus für die eigene Hochzeit. Man stelle sich folgende Szene vor: Am sonnenbeschienen Ufer des Sees hält ein schwarzer Van. Drei Paare in Hochzeitskleidern springen überfallartig heraus, getrieben vom Fotografen und seinen Assistenten. Letztere modellieren noch, nicht eben zimperlich, den Bauch des Bräutigams, um die Sicht auf die dahinter liegende Pagode freizugeben und das Ensemble möglichst heroisch aussehen zu lassen. Und während sich die Augen der Fotografierten noch nicht an das grelle Licht gewöhnt haben, wird schon das nächste Paar herbeigezerrt. Angeblich machen solche Fotos einen Großteil der Ausgaben zur Trauung aus und werden bei betuchten Eheleuten vorzugsweise in Paris oder Venedig aufgenommen.
Besagte Pagode, eben noch verdeckt durch die männliche Leibesfülle, war das erste Ziel unserer Tour. Nachdem die Eintrittskarten gekauft waren und wir das Edelstahl-Drehkreuz passiert hatten, eröffnete sich uns ein imposanter Anblick: Gesäumt von wenig frequentierten Treppenstufen führte eine in den sozialistischen Trendfarben gelb, violett und grün schimmernde Rolltreppe hinauf zu der Pagode. Nur wenige Schritte weiter befördern zwei hochmoderne Fahrstühle die Besucherströme in luftige Höhen, wo man unwillkürlich von der Besucherplattform eine vollautomatische 360°-Drehung erwartet.
Ebenso obligatorisch wie der Besuch der Pagode war für uns eine Bootstour auf dem See. Zwar ließ sich unser Gondoliere partout nicht zum Singen überreden, die leichte Briese gab uns aber endlich das maritime Gefühl, das in der Hafenstadt Shanghai nie aufkommt. Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichten wir das Ufer, von dem aus wir die Wasser-Show zu Chopins neuesten treibenden Beats genießen konnten.
Als eigentlicher Höhepunkt unseres Kurzurlaubes stellte sich der letzte Tag heraus, an dem wir uns Klappräder mieteten, die vermutlich an einer deutschen Fahrrad-Prüfung grandios gescheitert wären. Ohne Gangschaltung (dafür aber mit vielen Stopps, um die herausgesprungenen Ketten wieder einzulegen) machten wir uns an die schweißtreibende Fahrt in die südlich gelegenen hügeligen Tee-Anbaugebiete. Das nichtssagende Museum zu diesem Sujet ward schnell vergessen, als wir, beschienen von der abendlichen Sonne, auf einer abgelegenen Terrasse den berühmten grünen Tee und geröstete Wassermelonenkerne serviert bekamen. Gestört wurde diese Idylle lediglich von drei dröhnenden Ferraris, die mit unverminderter Geschwindigkeit durch die Dorfstraßen schossen. Um jedoch im Bilderbuch zu bleiben: Jan-Luis und ich folgten einer alten Dame, vorbei an freilaufendem Federvieh, hinauf in die Tee-Plantagen, wo wir einige Blätter zu kaufen gedachten. Obwohl der Preis anscheinend mit den zurückgelegten Höhenmetern zunahm, gaben wir uns der Vorstellung hin, einmal kein industrielles Massenprodukt zu erwerben und griffen nach einer ausgiebigen Kostprobe zu.