Begibt man sich auf die Suche nach einem authentischen Ausdruck des Nationalcharakters in einem fremden Land, so vermutet man diesen zumeist in den landesweiten Feiertagen zu finden. Schließlich sind diese doch ein Spiegel des Stolzes, der Errungenschaften, Wünsche und Ängste eines Volkes in rituell konzentrierter Form.
Als eine solche Gelegenheit bot sich mir vor kurzem das chinesische Mondfest dar: Schon etliche Jahrhunderte vor Christi Geburt begann die herrschende Dynastie in China, dem zum Zeitpunkt der herbstlichen Tagundnachtgleiche außergewöhnlich hell scheinenden Mond Opfergaben zu erbringen. Im Laufe der Zeit rankten sich im Volksmund verschiedene Sagen um das Fest und man begann, einander Mondkuchen zum Geschenk zu machen. Traditionell gefüllt mit einem ganzen Eigelb (in Variationen heutzutage aber auch mit roten Bohnen oder Fleischfüllung) werden diese kulinarischen Besonderheiten zwar alljährlich massenweise verschenkt, jedoch hält sich der Genuss beim Verzehr – auch bei vielen Chinesen – in engen Grenzen.
Was ich allerdings erlebte, war wohl ebenso wenig authentisch, wie die vom Kommerz überformte Shanghaier Gesellschaft representativ für den Rest Chinas ist. Anstelle handgearbeiteter Mondkuchen mit dem symbolträchtigen Inhalt reichten wir unseren rund 25 Gästen (hauptsächlich Franzosen, einige Chinesen) mehrfach eingeschweißte und abgepackte Küchlein; komplettiert wurde das Menü durch die Mitbringsel der Gäste. Neben zwei großen Eimern voller Chicken Wings von KFC, die es hier unter Einheimischen zu erschreckender Popularität gebracht haben, fanden sich darunter überraschenderweise auch einige der in Deutschland längst totgesagten Alcopops. Internationale Blase?
Eine Anmerkung übrigens zu vielen chinesischen Feiertagen: Wirklich frei sind diese nicht, denn anders als in Deutschland muss die entgangene Arbeitszeit hier an anderer Stelle nachgeholt werden. Beim kommenden Nationalfeiertag, der sich in diesem Jahr zu einer ganzen „Goldenen Woche“ erstreckt, ist dies jedoch aus Prestige-Gründen anders und die in allen großen Straßen aufgehängten Flaggen lassen Großes erahnen…