Der Abschied

14.07.2013

Es ist nicht alles immer so wie man es sich vorstellt. Während ich mir diesen Tag mindestens fünfzigmal ausgemalt habe und ich in jeder meiner Vorstellungen hyperaufgedreht und in voler Vorfreude war, stellte sich heute eine Ruhe ein, die mir selbst fast unheimlich war. Obwohl es kein Tag wie jeder andere war, liefen alle Abläufe automatisch ab. Aufstehen, Duschen, Anziehen und Zähneputzen waren mehr als normal und mir gar nicht als „das letzte Mal“ bewusst. Fast so als hätte ich es noch gar nicht realisiert, dass es heute vorbei ist…

Mich störte es nicht einmal, dass ich die letzten zwei Tage schon aus dem Koffer lebte…

Doch mein erstes Ziel heute führte mich aus meiner Wohnung und ein letztes Mal in den Yuexiu-Park, wo ich geduldig und morgensportmäßig die Anhöhe erklomm und auf dem „Gipfel“ das Museum besuchte (und Eintritt zahlte!), um dort meinen original chinesischen Stempel zu bekommen, den ich mit meinem chinesischem Namen bedrucken wollte:

尹婵娟 (Yin Chanjuan)

Das Yin steht hierbei für Elenas Familienname, da ich sie mir als „große Schwester“ ausgesucht habe. Und Chanjuan, der Namen der Mondgöttin, wurde mir auf einem Schulausflug verliehen, weil ich angeblich meiner Lieblingsanime-Heldin Sailor Moon aus meiner Jugend ähnlich sehen sollte. 😉

Als ich nun im obersten Stockwerk des Museums ankam und fragte, wo man denn hier die Stempel machen lassen könne, schaute mich die Verkäuferin erst ziemlich verständnislos an und zeigte mir Postkarten und Anhänger, weil sie dachte, dass ich wohl etwas anderes meinte. Erst eine andere Mitarbeiterin begriff, was ich wollte und klärte mich darüber auf, dass der „Meister“, der die Stempel gemacht hat, gegangen sei und diese hier schon lange nicht mehr verkauft werden… Schade!

Das wird wohl doch nichts mit meinem persönlichen Andenken…

Frustriert bin ich zu der Ubahn gegangen und  nachdem ich mein letztes Kleingeld zusammengekratzt habe, und bin nach Zhujiang Newtown gefahren. Das letzte Mal zu Elenas Büro.

Es war auch gut besucht muss ich sagen und so hatte ich die Möglichkeit mich von vielen anderen Schülern, die Elena neben mir unterrichtet, zu verabschieden. Ich kann es kaum glauben, mit wie vielen verschiedenen Nationalitäten ich in diesem Jahr in Kontakt gekommen bin…

Leider hatte ich nicht viel Zeit zum Plaudern, denn es warteten die letzten Vorbereitungen auf mich zuhause. Deshalb reichte es nur für zwei schnelle Kaffee und ein paar Verabschiedungen, bevor ich ihr Büro verlassen musste. An der Tür verabschiedete Elena sich nur vorläufig von mir, da wir uns ja heute Abend wiedersehen würden, aber trotzdem standen uns beiden die Tränen in den Augen und keiner von uns beide musste es aussprechen, dass wir uns sehr vermissen würden. Dieses Büro, ihre Schule, war mein Lieblingsort gewesen und ich glaube fast, dass ich dort mehr Zeit verbracht habe als bei mir in der Wohnung!

Erst als die Tür ins Schloss gefallen war, erlaubte ich mir meine Tränen laufen zu lassen und so machte ich mich auf den Weg zum Bus, wo ich mein letztes Guthaben auf meiner Ubahnkarte aufbrauchte. Die letzte „Busfahrt“ in der Stadt. Der letzte Heimweg. Alle anderen Wege führen jetzt nicht mehr zu meiner Wohnung hin, sondern nur noch weg davon.

Zuhause angekommen, habe ich mich dann an die Arbeit gemacht. Mein Koffer wurde vollends gepackt und beisete gestellt.

Alles, was ich nicht mehr brauchte, wurde weggeschmissen. Und so türmte sich recht schnell ein großer Berg über und neben dem Mülleimer im Erdgeschoss.
Handtücher, alte Klamotten, die stark unter der kalten Waschmaschine gelitten hatten, Lebensmittel, Kaputtes, Putzlappen und vieles mehr.

Als letztes gesellte sich mein Reiskocher zu den Sachen dazu, der mittlerweile begonen hatte zu leben.

Meine Güte war das eckelhaft! Eigentlich wollte ich ihn nur noch einmal ausspülen, bevor ich ihn im Zimmer verstaut hätte, aber stattdessen starrten mich unzählige Schimmelpilze daraus an. Igitt!

Bevor ihr jetzt denkt, dass ich vergessen habe, ihn vor langer Zeit sauberzumachen, kann ich zu meiner Verteidigung sagen, dass ich ihn blitzblank sauber gemacht hatte, nachdem ich ihn zuletzt (vor drei Monaten?) in Gebrauch hatte. Ich kann mir das nur erklären, dass Feuchtigkeit eingedrungen ist oder ich ihn vielleicht nich 100% abgetrocknet hatte, die sich dann (wie alles andere auch in meinem Zimmer) in Schimmel verwandelt hat.

Aber ganz ehrlich. Wer mein Fenster gesehen hat, der wundert sich über nichts mehr. Schimmel gehört in so feuchten Regionen wohl zum Alltag.

Trotzdem sah ich den Reiskocher jetzt als GEsundheits risiko an und entsorgte ihn mit den anderen Dingen. Ich hätte ihn wohl sauber bekommen, aber das nur oberflächlich. Wie denn auch mit nur fleißend kaltem Wasser?

Dann folgten die letzten Putzgänge und während mein Fußboden trocknete, sprang ich noch einmnal unter die Dusche, da ich ja mit Elena zum Abendessen verabredet war.

Und dann sollten wir uns auch schon treffen.

Ich brachte meinen Wasserspender noch schnell zu Security und dann fand ich mich am Westtor der Universität ein. Dort wartete Elena schon auf mich und mit ihr Yafang und Li Laoshi und einer von Elenas Schülern, mit dem wir mal zusammen im Malaxiangguo-Restaurant gewesen waren. Wow! Vor Rührung musste ich wirklich fast weinen, aber ich riss mich zusammen. Ich kann heute ja nicht den ganzen Tag heulen 😉

Gemeinsam sind wir dann in ein weiteres Campusrestaurant gegangen und zwar in das, in dem ich noch nie vorher gewesen bin! Eine Premiere am letzten Tag also.

Dort bestellten wir unglaublich viele Dinge und ließen es uns schmecken. Es gab kaltes Hühnerfleisch (ist so ecklig, wie es sich anhört), süß-Sauer, Pilze, Gemüse, Auberginen und Kartoffeln, sowie frittierte Sesamkuchen! Insgesamt also wirklich sehr lecker, wenn man von dem kalten Hühnerfleisch absah, welches ich unbemerkt in meine Serviette gespuckt habe.

Trotzdem wollte sich bei mir der Appettit nicht wirklich einstellen, da ich schon ziemlich nervös war. In einer Stunde sollte ich zum Flughafen aufbrechen.

Dennoch war das das shönste Abschiedsessen, welches ich mir je hätte vorstellen können! Vielen Dank, meine Freunde!

Gegen halb acht haben wir uns dann endgültig verbaschiedet und Li Laoshi und Yafang sind nach Hause gegangen, während Elena und der Japaner mich nach Hause begleiteten.

Elena wollte mich sowieso zum Flughafen bringen und der Japaner bot sich an, mir mit meinen vielen und schweren Koffern zu helfen. Das war wirklich total lieb! Ich konnte wirklich jede Hilfe gebrauchen! Schließlich fürchtete ich, dass mein Koffer wohl ein gewaltiges Übergepäck haben würde…

Die letzten Dinge (Handy, Ladegerät,Laptop und Co.) wurden eingepackt und die Wohnung wurde so verlassen, wie ich sie damals vorgefunden hatte. Leer und verlassen.

Nur ein oder zwei Schimmelflecken mehr gab es, die noch nicht wieder überstrichen waren.

Mit den Beiden zur Unterstützung ging ich ein letztes Mal zu meiner Schule und gab dort Schlüssel und Materialien ab, die ich nicht mehr brauchte. Wie meine Ubahnkarte zum Beispiel.

Dann ging es weiter zum Bus, wo ich mir vorher im Busbüro drei Tickets kaufte. Die letzten 75 Kuai…

Nun hatten wir noch 10 Minuten Zeit bis der Bus fuhr. In der Zeit gab ich Elena ihren Abschiedsbrief und eins meiner Kuscheltiere, welches mich beim Chinesischlernen begleitet hatte.Sie freute sich riesig und kämpfte wieder gegen die Tränen an, die sie aber wieder unterdrückte. Wie machte sie das nur?

Als es nun wirklich zum „Boarding“ ging, brach in diesem Moment der Himmel auf und es goss in Strömen. Auf den letzten Metern wurden wir drei bis auf die Knochen durchnässt. Außerdem weigerte sich der Busfahrer die Ladefläche untern zu öffnen, weshalb wir meinen Monsterkoffer zwei Meter nach oben hieven mussten. Alleine mit Elena hätte ich das nie geschafft. Da machte sich die Kraft eines Mannes doch besser her!

Und dann fuhren wir im Bus aus der Stadt. 90 Minuten in denen mir bewusst wurde, was ich hinter lassen würde, während die Stadt im Regen versank.

Elena meinte dazu nur, dass Guangzhou anscheinend ziemlich traurig war, dass ich nach Hause gehe.

Am Flughafen ging es dann zum Infoschalter und dann weiter zum Check-in Counter, wo ich schon zitternd auf das Übergwicht und die Strafe wartete.

Als dann 32 Kilo (9 Kilo Übergwicht) verkündet wurden, brach ich fast zusammen. Wer sollte das bezahlen? Aber die nette Angestellte erlies mir drei Kilo und so musste ich „nur“ 80 Euro Übergwicht bezahlen. Puhh….

Das waren weniger als damals in Berlin.

Dann wurde das Gepäck aufgegeben und ich konnte beruhigt aufatmen. Wir drei setzten uns dann noch irgendwo in einen ruhigen Bereich und warteten bis 23:15.

Jetzt folgte der echte Abschied und ich und Elena lagen uns eigentlich die ganze Zeit nur in den Armen. Wie schwer kann nur der Abschied sein? Zugegeben, der von meiner Familie war schlimmer, aber trozdem zerbrach mir schon wieder das Herz. Flughäfen haben für mich dieses unangenehme Gefühl des Abschieds…

Wir beide ermunterten uns gegenseitig, lachten, um nicht zu weinen und gaben uns gegenseitig die Kraft nicht zu weinen. Und bis ich hinter dem Sicherheitsbereich verschwunden war, schaffte ich es meine Tränen zurückzuhalten. Und da sah ich meine Lehrerin, meine Freundin, meine große Schwester zum letzten Mal…

Völlig automatisiert ging ich durch die Sicherheitskontrolle. Diesmal fanden sie nichts zum beanstanden und ich konnte endlich mal ohne Probleme durch den Check 😉

Im Dutyfree-Bereich konnte ich dann noch ein bisschen herumschlendern.

Und siehe da: In dem einen Geschäft fand ich chinesische Stempel!

Nun konnte ich doch noch einen kaufen! Also fragte ich die Verkäuferin, wo man sie gravieren könnte. Doch sie gab nur zurück, dass der Mitarbeiter schon gegangen war.

Endlich sah ich es ein. Es sollte halt einfach nicht sein, nachdem jetzt alle Versuche fehlgeschlagen waren!

Für die letzte Viertelstunde nahm ich dann noch vor dem Gate Platz und wartete darauf, dass wir zum Boarding aufgerufen wurden.Und um Mitternacht bestieg ich das Flugzeug.

 

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