Einen halben Kilometer über Guangzhou

01.11.2012

Ich habe mir am Morgen noch nicht denken können, was im Laufe des Tages auf mich zukommen könnte, aber so ist das meistens mit dem Unvorhersehbaren. Man weiß es vorher einfach nicht.

Heute bin ich früher aufgestanden, damit ich rechtzeitig in der Schule bin. Denn heute standen verschiedene Dinge auf dem Plan: Eine Vertragsunterzeichnung, das Doppel-U-Konzert und dann noch viel viel Korrekturarbeiten.

Mit letzerem habe ich meinen Tag begonnen, weil ich morgens um halb neun nichts Besseres zu tun habe als Vokabelteste zu korrigieren. Gut, irgendwo muss man aber anfangen, wenn man den riesen Stapel Hefte (100 Vokabelteste und 100 Workbooks) durcharbeiten muss.

Um 9 Uhr waren dann Peter Jandok vom Goethe Institut in Peking bei uns, seine Assistentin Quier und Christian alias Doppel-U bei uns. Während der Rapper und Quier alles für das Konzert vorbereiteten, bin ich mit Peter und Lisa zum Schulleiter gegangen. Dort  wurden wir alle erst einmal mit Obst und Wasser empfangen, bevor er und Peter den neuen PASCH-Schulen-Vertrag unterzeichneten.  Es wurden eine Menge offizielle Bilder gemacht, Hände geschüttelt und ich kam mir ehrlich gesagt ein bisschen fehl am Platz vor. Vor Allem wenn drei von vier Leuten Chinesisch sprechen und man selbst als einzige nicht. Naja, gut.

Vor dem Konzert gab es erst einen Workshop mit der 8. Klasse und Doppel-U. Dort haben die Schüler zusammen den „Erlkönig“ von Goethe einstudiert und gemeinsam gerappt. Zuerst waren alle ein wenig skeptisch und schüchtern, aber recht bald hat es geklappt. Die Schüler haben glaube ich etwas ganz Neues und Besonderes erlebt, denn wie oft haben sie die Möglichkeit so etwas zu erleben?

Workshop

Gut, das Gedicht war etwas schwer, schon allein wegen der Aussprache, aber die Schüler haben es toll gemacht. Vor Allem die Mädels in der ersten Reihe waren sehr begeistert.

Nach dem Workshop kamen dann auch die anderen Deutschklassen, also alle 190 Schüler, um das Konzert zu sehen. Der ganze Saal war voll und auch ein paar chinesische Lehrer waren dabei. Ich denke nur, dass der Zeitpunkt recht ungünstig war, denn nächste Woche sind sehr wichtige Prüfungen für die chinesischen Schüler und manche Lehrer und Schüler wollten ursprünglich nicht kommen, doch waren sie dann doch da.

Dafür dass die ich wohl die einzige im Raum war, die die Texte in der Geschwindigkeit verstanden hat, waren die Schüler aber recht gut dabei und ich glaube sie hatten Spaß.

Ich persönlich fand das Konzert hervorragend und ich bin natürlich ein besonderer Fan von 200 Jahre alter Lyrik 😉 Die Texte von Goethe und Schiller einmal gerappt zu hören, war für mich einfach ein komplett neuer und interessanter Interpretationsansatz. Neben den literarisch bekannten Texten brachte er aber auch eigene Texte mit, die er mit viel Leidenschaft rübergebracht hat.

Um ehrlich zu sein, ist Rap nicht meine Musikrichtung und auch nicht wirklich die Art von Musik, die mir gefällt, aber ich bin definitiv ein Mensch, der sich auf Neues einlässt. Und ich finde, dass das was ich gesehen habe, mich zutiefst beeindruckt hat. Auch das „Vorurteil“, dass alle Rapper nur den Gettho-Style oder die Pseudo-Gangster-Schiene fahren, wurde ausgeräumt. Ich fand die Lyrics sehr gut und zum Teil auch sehr tiefgründig und meine Erwartungen wurden übertroffen. Bei „So smooth“  habe ich mir sogar die Tränen weggedrückt, weil mich der Text einfach mit meinen Gefühlen übermannt hat. Also alles in Allem war ich sehr begeisert.

(Check it out for yourself!: http://www.doppel-u.de/cms/)

Christian und Ich, sowie Peter, Lisa und Quier wurden dann vom Schulleiter zum Essen in einem Restaurant auf dem Campus eingeladen. Das Essen fand ich sehr sehr lecker. Es gab Panierte Garnelen in Süß-Saurer-Sauce, Gemüsestreifen, Salat, Lotuswurzel, Fisch und halbe Papayas, die gefüllt waren mit weißen Pilzen und Syrup. Unser Schulleiter war sehr eifrig und legte mir und Christan immer verschiedene Dinge zum Probieren auf den Teller. So auch eigroße grüne Klöpse. Mir wurden sie als „Kuchen“ angepriesen, aber sie sahen eher aus wie geschälte 1000-jährige Eier. Letztendlich war es auch süßlich, denn der mit Algen gefärbte Reis war glasiert und mit Nüssen und Gemüse gefüllt. Aber als Kuchen geht das sicher nicht durch. Wir sollten auch kleine Blätterteigtaschen essen, die mit Rindfleisch gefüllt und mit Käse überbacken waren. Ich war zunächst überrascht wie westlich das aussah, aber das Fleisch war sehr zäh und hat mich stark an meine bisherigen Erfahrungen mit chinesischem Fleisch erinnert.

„Kuchen“

Zum Abschluss hat jeder Gast auch ein Geschenk bekommen. Eine Tasse aus speziellem Ton mit den Schriftzeichen unserer Schule. Und ratet mal, wer auch ein Geschenk bekommen hat 🙂 Tja, ich hab mich sehr gefreut und der Schulleiter sich über mein: „Wo hen gaoxing“ (我很高兴).

Mein Geschenk

Der Nachmittag sollte aber was ganz anderes für uns bereithalten. Ich, Quier und Christian sind auf Sightseeing-Tour geganen. Unser erstes Ziel war der Yuexiu-Park, an den ihr euch vielleicht noch erinnern könnt. Die Geschichte zu der Ziegenstatue ist, dass es damals bor langer Zeit eine große Hungersnot gegeben hat und die Leute haben zu ihren Göttern gebetet. Diese schickten ihnen fünf Boten, die fünf Ziegen. Diese brachten Getreide und von da an wurden die Ernte und auch das Wetter wieder besser und die Hungersnot war vorüber. Die fünf Boten aber wurden zu Stein und stehen heute noch im Yuexiu-Park. Das ist die Legende, die diese fünf Ziegen zum Stadtsymbol von Guangzhou macht.

Die 5 Ziegen

Im selben Park, aber auf dem  höchsten Punkt  des Berges, steht das Zhenhai-Schloss, welches 1380 gebaut wurde. In dem Schloss gibt es heute ein kleines Museum und man kann auch auf den Balkon des höchsten Stockwerks gehen kann. Von dort aus hat man eine schöne Aussicht auf die Stadt vor einem. Es war echt klasse.

Zhenhai Schloss

Aussicht vom Zhenhai-Schloss

Das Highlight kam aber dann danach. Wir sind nämlich zum Fernsehturm gefahren, den ihr wohl alle schon aus meinen Blogeinträgen kennt. Oben drauf war ich noch nie, aber das sollte sich schnell ändern. Schließlich ist der Kanton Tower das vierthöchste freistehende Gebäude der Welt mit seinen 600 Metern Gesamthöhe. Vor dem Turm zu stehen ist nochmal mehr beeindruckender als ich bisher gedacht hätte. Von weitem sieht er zwar groß aus, aber direkt vor dem Turm sieht er einfach nur riesig aus! Und der Aufzug ist verglast, sodass man die Auffahrt mit verfolgen kann und da wird einem echt anders.

Ich war hier xD

Wahnsinn. Und das sind auch die Preise. 150 Kuai, um in den 108. Stock zu fahren. Aber die Aussicht lohnt sich allemal! 433,2 Meter über dem Boden kann man in alle Richtungen der Stadt schauen. Nur ist das Unfassbare, dass man das Ende der Stadt nicht sieht. Die Stadt erstreckt sich in alle Himmelsrichtungen bis zum Horizont und noch weiter. Man kann wirklich in keine Himmelsrichtung etwas anderes als Stadt sehen. Das ist so krass.

Blickrichtung Ost

Blickrichtung Nord

Jedoch wollten wir noch bis Sonnenuntergang warten, also haben wir uns einen ganz besonderen Zeitvertreib ausgesucht. Auf dem Turm kann man verschieden Aktivitäten machen. Man kann auf den höchsten Aussichtspunkt für 400 Kuai, aber das ist meistens für Brautpaare, die besondere Fotos wollen. Dann gibt es noch die „Bubble Tram“, die an einen kleinen Jahrmarkt erinnert. In kleinen Kugeln fährt man auf Schienen in 20 Minuten einmal sehr langsam um die Turmspitze herum. Kosten: 150 Kuai. Das gleiche kostet auch das, wofür wir uns entschieden haben. Denn aus irgendeinem Grund hat jemand sich etwas ganz besonderes einfallen lassen, um die restlichen Meter zur Turmspitze „sinnvoll“ zu nutzen. Einen Freefall-Tower.

Sky Drop

Und da dazu noch der höchstgelegene Freefall-tower der Welt. Es sind zwar „nur“ 30 Meter, aber wenn man aus 484 Metern Höhe fallen gelassen wird, dann ist es egal wie lange man fällt.

Ich und Christian haben uns verrückterweise dafür entschieden und das Ganze kostete mich extrem viel Mut. Aber im Nachhinein den Schwanz einziehen ist nicht 😉

Also sind wir beide raus auf die Freie Plattform in einem höheren Stockwerk und haben uns unserer Herausforderung gestellt. Angst hatte ich schon muss ich sagen, besonders als man mich in dem Sitz festschnallte. Es gibt nur vier Sitze und anscheinend traut sich sonst keiner damit zu fahren. Der Rest zieht die „Bubble Tram“ vor….

Richtig krass wurde es erst als wir hochgezogen wurden, denn da wurde es ernst. Man fährt immer weiter hoch und man sieht am Ende nichts mehr bis auf die unendlichen Weiten der Stadt. Die Aussicht ist noch hundertmal besser als im 108. Stock! Leiderfährt man mit der Gewissheit hoch, dass man oben fallen gelassen wird… Und als das passiert ist, habe ich es bereut in das Teil eingestiegen zu sein. Der Sturz kombiniert mit der Aussicht ist gleichzeitig schlimm und hammergeil. Einfach unglaublich. Doch ich war umso froher als ich untern wieder aussteigen konnte. Meine Knie waren butterweich und ich hab mich gefühlt wie eine Betrunkene. Aber es war so geil. Das Adrenalin rauschte noch durch meinen ganzen Körper und mein Herz klopfte wie wild. Doch es war vorbei.

Dachten wir zumindest.

Denn als wir ausgestiegen sind, wurden wir zur Rückseite des Turms geführt und da stand… noch ein Freefall-Tower!!!

Im Gegensatz zum ersten, saßen wir hier nicht richtig, sondern unsere Füße baumelten frei. Wir waren lediglich in einem Sitz eingeschnallt. Und dieser Tower fuhr genauso hoch wie der andere, nur wurden wir hier ganz oben um 45° nach vorne gekippt und dann fallen gelassen. Ich kann mich nur noch an meinen Schrei erinnern. Und an das noch krassere Herzklopfen und Adrenalin danach.

Ich hätte mich so etwas niemals getraut. Und ich weiß jetzt immer noch nicht woher ich den Mut genommen habe, aber das war es absolut wert. Denn hey –ich war auf dem höchstgelegenen Freefall-Tower der Welt! Und die Aussicht hat sich in meinen Kopf eingebrannt. Der absolute Wahnsinn!

Gläserne Aussichtsplattform

Als ich und Christian zurück zu Quier, die nicht mitfahren wollte, gegangen sind, sind wir gemeinsam zurück in den 108. Stock gefahren. Und dort haben wir den Sonnenuntergang abgewartet. Der schönste Sonnenuntergang in meinem Leben. Über den Dächern der Stadt, während sich untergehende Sonne in den Glasfassaden der Hochhäuser spiegelt. Ein traumhaft schönes Bild. Schöner als alles andere.

Blickrichtung West

Und nach dem Sonnenuntergang wurden in der gesamten Stadt die Lichter eingeschalten, die Straßenlampen gingen an und die Skyline wurde beleuchtet. Es ist als schaut man auf eine andere Stadt hinaus. Und wir haben echt die beste Zeit überhaupt erwischt. Wir haben beides gesehen und den Übergang. Zwei Gesichter der Stadt, die ihre Maske mit der Sonne anlegt.

Nordblick bei Nacht

Da wir alle mittlerweile am Verhungern waren sind wir hinaus in die Nacht und sind mit der U-Bahn nach Zhujiang New Town gefahren, um dort etwas Essbares zu finden. Ergebnis: Subway und danach ein Bier! Der perfekte Abschluss für einen Tag, der so viele Eindrücke bei mir hinterlassen hat.

Aussicht aus einem halben Kilometer Höhe, den höchstgelegenen Freefall-Tower, den schönsten Sonnenuntergang, den ich je gesehen habe. Das alles sind Bilder, die ich nie wieder vergessen werde.

Ein einfach genialer Tag! In Tag, der in mir wieder hervorgerufen hat, welche Erinnerungen ich mit nach Hause bringen werde!

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