Beograd

Liebes Publikum, hört mich mental tief Luft holen.

 

Zehn Tage sind ne verdammt lange Zeit, um sie in einem einzigen Blogbeitrag unterzubringen.

Auf die Gefahr hin, ein bisschen narzisstisch zu wirken, fange ich also erstmal mit dem heutigen Tag, meinem 19. Geburtstag, an. Hab eine riesige Torte von Oma Dragica bekommen und meine Geschenke aus Deutschland ausgepackt. Hab mit allen, die ich gern hab, telefoniert. Und werde den Rest des Nachmittags damit verbringen, meine Lieblingsserien nachzuholen, die ich wegens des Zwischenseminars und meinen beiden Wochenenden in Beograd verpasst habe.

Überhaupt, Beograd. Ich liebe Beograd! Wunderbare Stadt mit einem tollen Flair, einer bewegten Geschichte und hauptsächlich netten Leuten. Naja, solange man nicht homosexuell ist, aber das ist hier auf dem Balkan allgemein ein schwieriges Thema. Auf dem Zwischenseminar haben wir den ausgesprochen guten (und teilweise, wenns um die Mentalität hier geht, sehr treffenden) Film „Parada“ gesehen. Da geht’s um die PrideParade von 2010, der ersten und bis dato einzigen richtigen, die in Serbien abgehalten wurde. Damals wurde die ganze Haupteinkaufsstraße, die Knez Mihalova, von Skinheads und Hooligans komplett demoliert. 200 Menschen wurden verletzt. Auch dieses Jahr hat die serbische Regierung die PrideParade in letzter Sekunde abgesagt, weil die Sicherheit der Beteiligten nicht gewährleistet werden könne. Tatsächlich hats wohl auch viel damit zu tun, dass man keine Lust hatte, wieder mal die ganze Knez Mihalova zu renovieren…

Während des Zwischenseminars waren wir auch für einen Tag in Beograd, und haben das Museum der Roma-Kultur besucht. Sehr spannend, denn in der Berichterstattung über Sinti und Roma wird ja häufig eher über sie als von ihnen selbst gesprochen. Insofern war es sehr gut, mal die Perspektive eines Angehörigen dieser in den meisten Ländern nach wie vor sozial geächteten ethnischen Gruppe zu hören. Und nein, man sagt nicht „Zigeuner“ oder „zigani“.

Obwohl es den Roma in Serbien immer noch vergleichsweise gut geht, ist ihre Situation gerade auf dem Land oft katastrophal. Und auch in Beograd gibt es Hunderttausende Roma, die ein Dasein weit unterhalb irgendwelcher Armutsgrenzen fristen.

Aber von diesen eher unschönen Seiten abgesehen ist Beograd wirklich eine spannende Stadt mit einem ganz eigenen, etwas bröckelnden Charme. Und spätestens, wenn man mal den wunderschönen Sonnenuntergang vom obersten Punkt der Festung Kalemegdan gesehen hat, und wie Novi Beograd sich rosarot färbt und die Lichter der Brücken sich in der Sava spiegeln, dann kann man diese Stadt nur lieb gewinnen. Nur ein paar Straßen weiter erinnern andererseits die Ruinen des ehemaligen Verteidigungsministeriums, das von der NATO ausgebombt wurde, an die weniger malerischen Kapitel der jüngeren Geschichte Serbiens. Auch die Ruinen eines Funkturms sind stehen gelassen worden, Mahnmal für die Opfer des Krieges.

Das Zwischenseminar in Sremski Karlovci war im Übrigen ebenfalls sehr interessant. Man glaubt immer gar nicht, wie viel man bei einem Seminar zu tun haben kann, und wie schnell so eine Woche verfliegt. Ich fand es jedenfalls eine tolle Chance, mich mit den anderen Freiwilligen aus der Region auszutauschen über ihre Erlebnisse, und die Situation in den anderen Ländern mit Kroatien zu vergleichen.

Apropos Situation in Kroatien: Ich wollte ja schon die ganze Zeit mal was über die EU schreiben, aber war mir nicht ganz sicher was, weil bisher irgendwelche wirklich sichtbaren Anzeichen für den EU-Einfluss gefehlt haben. Jetzt hab ich sie. Direkt hier, in meiner Wohnung.

Heizungsregler!

Ja, ganz richtig, bisher liefen die Heizungen nämlich einfach durchgehend, von sechs Uhr morgens bis zehn oder elf am Abend. Aber jetzt, der EU sei Dank, haben wir in der Wohnung ein Kalorimeter und können die Heizung so einstellen, wie wir das wollen. Hurra!

Und sonst? Ich hab heut den berühmten „Sein oder nicht sein“-Monolog von Hamlet auf Kroatisch gelesen. Will ich mir im Laufe der Woche mal weiter zu Gemüte führen. Zuerst hab ichs mit der Bibel probiert, aber so bibelfest bin ich nicht, und den Monolog kann ich auswendig. Ich weiß zwar nicht, obs ne gute Idee ist, mit Shakespeare Kroatisch zu lernen, weil ich dann vermutlich einen total veralteten Kauderwelsch lerne, aber für jetzt ists hilfreich, um neue Wörter zu lernen und grammatikalische Strukturen besser zu durchschauen.

Nachdem ich ja jetzt fast zehn Tage in Serbien war, kann ich übrigens feststellen, dass Serbisch zwar im Prinzip wirklich ziemlich ähnlich ist, aber von der Intonation oder der Sprachmelodie her etwas anders ist. Mir kams ein wenig härter vor, aber das ist wirklich nur ganz subjektiv.

Mein Freiwilligenprojekt wird ein dadaistischer Lyrikworkshop, über den ich gesternmorgen mehr wegwerfe.

In diesem Sinne: Jolifanto.

So viel für jetzt.

Bald mehr.

 

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