Zu kurz gekommen

Hier ist er nun, der zweite Bericht aus Prag. Fast ein halbes Jahr ist es nun her, dass es etwas zu lesen gab. Es wäre eine schwache Ausrede zu behaupten, ich hätte in dieser Zeit keine Minute gehabt, einen Text zu schreiben, der dich auf dem Laufenden hält. Die hatte ich durchaus, allerdings habe ich die scheinbar stets anders zu nutzen gewusst. Nun aber ist der Moment gekommen, den ich definitiv mit Sinn füllen sollte – Eine halbe Stunde warten beim Friseur.

Lehren

Vielleicht beginnen wir mit dem, was hier eigentlich meine Aufgabe ist, nämlich der Arbeit an der Schule. Dort sieht es inzwischen so aus, dass ich oft allein unterrichte, vor allem die Vorbereitung zum Wettbewerb „Jugend Debattiert International“ (JDI) lag zu größeren Teilen auch in meinen Händen. Wie die Regeln und Inhalte den Schülern vermittelt werden sollen, wurde einigen von uns tschechischen Freiwilligen bei Seminaren im Goethe-Institut in Prag erklärt. Es war schon absurd, dass wir, die gerade frisch die Schule verlassen hatten, auf Augenhöhe neben gestandenen Lehrer diskutierten. Spaß gemacht hat es aber definitiv, zumal es nicht nur um Fortbildung geht, wenn Freunde in Prag sind.

Was aus unterrichtet werden und folgend unterrichten entstand, hat mich selbst überrascht: Beim JDI-Wettbewerb auf Stadtebene empfand ich auf einmal eine Art Patriotismus für meine Schule und habe ehrlich und überzeugt „unseren“ Kandidaten die Daumen gedrückt. Vor allem natürlich dem Schüler aus “meinem“ Kurs. Dass der während der Debatte die Zeit vor allem damit verbrachte, das obligatorische Wasserglas zu leeren, das man ihm auf den Tisch gestellt hatte, war trotzdem keine Enttäuschung. Zumindest war er der mit Abstand humorvollste Kandidat.

Reisen

Natürlich führen meine Wege nicht nur zur Schule und zurück. Vom Beginn des Freiwilligendienstes an war ich nun in fünf Ländern. Das ist für „kulturweit“-Maßstäbe wohl nicht allzu viel, aber dennoch erwähnenswert. So fand das Zwischenseminar in einer Holzhütte im Nirgendwo der Slowakei statt, in dem wir uns alle wesentlich besser kennenlernen konnten.

Fahrten nach Wien, Bratislava, Brünn und Budapest (Klimax) folgten. So toll Reisen auch ist, stelle ich bei jedem Trip fest: Mir fehlt mein Prag.

Yann Tiersen in Prag

Yann Tiersen in Prag

Meine Stadt

Das hat kurz gefasst zwei Gründe. Der eine ist, dass meine anfängliche Begeisterung für diese Stadt nicht das geringste Bisschen nachgelassen hat. Wo genau die eigentlich herkommt, ist schwer zu beschreiben.

Ich vermute, sie entsteht durch die Atmosphäre der Stadt, ein Zusammentreffen von Schönheit der Straßenund Gassen, tollen Veranstaltungen und Konzerten und nicht zuletzt der einzigartigen Kneipenkultur. Dort sitzt man nicht selten Stunden mit Freunden, erzählt und genießt ein tschechisches Bier (nach dem nächsten). An dieser Stelle möchte ich kurz ein Geständnis ablegen:

Tschechisches Bier ist um Längen besser als deutsches.

Zurück zum Thema und damit dem zweiten, persönlicherem Grund. Meine Prager Freunde. Nie hätte ich gedacht, dass ich dermaßen gut und selbstverständlich von den Abiturienten hier aufgenommen werde. Das sind schon lange keine Schüler mehr, das sind echte Freunde. Ihre Besuche in der Pause, vor allem die der Freundinnen, sorgen nicht selten für ein Grins

Bernard - Natürlich Tschechisch

Bernard – Natürlich Tschechisch

en oder einen Spruch einer der Lehrerinnen im Deutschkabinett. Das ist es aber wirklich wert. Inzwischen geht diese Integration soweit, dass ich mit dem Arbeitskollegen des Vaters einer „Schülerin“ Volleyballspielen gehe. Ich glaube, das sagt alles.

Freunde, ist das ein Jahr

Was Freunde angeht, ist dieses Jahr wahrlich ein besonderes. Neben meinen tschechischen Freundschaften gibt es nämlich auch die zu anderen Freiwilligen. Die meisten davon reichen in andere tschechische Städte und Ungarn. Obwohl ich die nur alle paar Monate sehe, sind sie wirklich gute Freunde geworden. Als Beispiel dienen die folgenden beiden: Sindy hat in meiner WG ihre eigene Zahnbürste und auch Mathilde deponiert inzwischen Kosmetik bei uns. Die beiden fragen auch nicht mehr, ob sie bei mir nächtigen könnten, sie kündigen sich an.

Das tolle daran ist, dass ich weiß, dass ich das andersherum genauso tun kann, allerdings nicht nur bei den beiden sondern bei so vielen tollen Leuten, zu denen ich im letzten Jahr Beziehungen aufbauen durfte.

Woran nicht zu denken ist

In der letzten Zeit hat mich eigentlich nur eins deprimiert. Das war die Fahrt nach Deutschland um eine Uni anzusehen. Schon beim Verlassen der Wohnung in Prag habe ich alles hier vermisst. Aber vermutlich hat eine Freundin objektiv ganz richtig beurteilt: „Vermutlich vermisst du Prag schon in diesem Moment, weil du dich mit der Zeit danach, in der du nicht hier bist, nun wirklich intensiv auseinandersetzen musst.“ Tatsächlich suche ich nach Unis, von denen aus Prag gut zu erreichen ist oder die Partneruniversitäten in Prag hat. Ob das wirklich das klügste Kriterium ist um eine Hochschule auszuwählen, darf bezweifelt werden.

Der vorige Absatz war definitiv zu lang dafür, dass es mir hier unfassbar gut geht und das Leben einfach Spaß macht. Die gute Verena, die leider nur ein halbes Jahr in Prag war, meinte mal, ich würde hier „das Jahr meines Lebens verbringen“. Wer weiß, was danach kommt – Momentan sieht es aber wirklich danach aus.

P.S.: Drei Zentimeter sind nicht sechs. Die Frisur war das Warten nicht wert.

„Vorbereitungsseminar“ – Alles klar

Vor dem Seminar:

Laut Informationspapieren erwarten mich Workshops zu Interkultureller Kommunikation, Globalisierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Transkulturalität und ähnlich anspruchsvoll klingenden Themen. Da musste ich wohl mein seit den Abi-Prüfungen vor sich hin vegetierendes Gehirn mal wieder ein wenig ankurbeln. Nach drei Monaten Party, Reisen und Nichtstun sah ich das als große Herausforderung an – gleichzeitig aber auch als Möglichkeit, wieder intellektuell gefordert zu sein.

Die ersten Tage:

Unglaublich. Die Themen interessierten mich schon jetzt nicht mehr großartig, dafür aber umso mehr alle anderen Freiwilligen. Mit jedem konnte man reden, sich überall beliebig beim Essen mit an den Tisch setzen, auch wenn alle Gespräche zunächst so abliefen (und es bei den nächsten Vorbereitungsseminaren auch tun werden):

  • „Wie ist denn dein Name?“
  • „Ah, cool. Wo gehst du denn hin?“
  • „Das klingt aber spannend!“ (gelegentlich müssen an dieser Stelle geographische Schwächen überspielt werden)
  • „Und wo kommst du eigentlich her?“

Zwar waren alle sehr, sehr nett. Diejenigen aber, mit denen man sich dann noch mehr zu sagen hatte, waren wirklich toll.

Die nächsten Tage:

Aufstehen, zu spät zum Frühstück, zu spät zur Homezone oder Workshop, abends bis um 3 Uhr morgens reden, Spaß haben und was die Jugend sonst zu später Stund so treibt… Worte wie „Nachhaltigkeit“, „Vegetarismus“, „Reflexion“ oder „Energizer“ waren tabu. Sowieso sind viele dieser Begriffe eher zum Running Gag mutiert als ernsthafter Denkanstoß zu werden.

Der Abschied:

Emotionaler als gedacht, definitiv. Im Gegensatz zu anderen ist mir meine Homezone nie wirklich ans Herz gewachsen. Dafür aber einige andere, die ich hoffentlich so schnell wie möglich wiedersehen werde und muss. Die Vorstellung, seine neuen Bekanntschaften, die zum Teil innerhalb dieser kurzen Zeit zu Freundschaften wurden, schon wieder loslassen zu müssen, schmerzt doch sehr.

Danke für die tolle Zeit und ein lautes „Es lebe DIE AG!“

//Richard
P.S: Wer einen angenehm reflektiert(!)-amüsanten Text über das Vorbereitungsseminar lesen möchte, dem sei Susas Beitrag sehr empfohlen.