Auf der Jagd nach dem Wind

Warum Kameramann kein Beruf aus dem Märchen ist.

Alik will heute den Wind einfangen. Aber der Wind will nicht so wie er soll. Alik ist 21 und arbeitet an seiner Diplomarbeit an der Filmhochschule. Jetzt renne ich mit ihm, seinem besten Freund David und einem geliehenen Camcorder durch die Innenstatdt. „Heute morgen war der Wind so gut. Ich dachte, da finden ich bestimmt etwas Interessantes“, meint er zu mir. Irgendwie hatte ich mir das mit dem Drehtag anders vorgestellt.

KameramannIn einem kleinen Grünstreifen bei der Oper entdecken wir dann schließlich ein paar Platanenzweige, die sich im Wind wiegen. Alik zoomt ganz nah heran, schraubt minutenlang am Stativ und den optischen Einstellungen herum und freut sich dann kindisch: „Seht mal, seht mal, wie eine Zeichnung“. Langsam beginne ich zu verstehen, was für einen Kameramann an einem mittelmäßig windigen Tag so interessant sein soll.

Am liebsten würde Alik später Tierfilme drehen und interessante Landschaften fotografieren. Dass er das in Armenien nicht tun kann, davon ist er überzeugt. Das Fernsehen bezahlt schlecht und die meisten Kameramänner filmen am Wochenende Hochzeiten. Große, verschwenderische Hochzeiten in einer kaputten Stadt voller falscher Pracht. Ein trauriger Job für jemanden, der eigentlich Kunst machen möchte.

Drei Stunden später. Der Wind hat inzwischen völlig nachgelassen und ist strömendem Regen gewichen. Wir haben Luftballons, Baumrinde und eine verspiegelte Häuserfassade gefilmt und dabei hundertmal die Ausstattung der Universitäten zur Hölle gewünscht: „Ja, das Stativ wackelt, das ist scheiße, aber scheiße ist bei uns normal“. Am Ende des ersten von vielleicht fünfzehn Drehtagen wünsche ich mir, Alik möge es schaffen, den Wind zu fangen an und darauf fort zu reiten – ganz so wie in den orientalischen Märchen.

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