Gedanken im November

Raus aufs Land (1)

Kloster in Geghard

Die postsowjetische Millionenstadt Eriwan versprüht mitunter den ambivalenten Charme eines rostigen Zweitakters und einer überteuerten Edelboutique in einem. Wer die Chance hat, flüchtet also dann und wann am Wochenende zumindest ein paar Kilometer mit dem Bus aufs Land. Immerhin gibt es einige beachtliche mittelalterliche Kloster- und Festungsanlagen in der Umgebung, die im Sommer sogar Touristen anlocken. Und auch wenn ich (zumindest noch) nicht gerade Experte für vorderasiatische Geschichte bin, sind all diese geheimnisvollen alten Steine, und die neugierig die Fremden musternden Dorfbewohner mir immer eine willkommene Abwechslung.

Tempel in Garni

Bevor der Winter kommt (2)

In Deutschland hat es an diesem Wochenende geschneit, habe ich gelesen. Der Kalender sagt, es sei der erste Advent. Ob ich das glauben kann? – Ende November sind in diesem Jahr in Eriwan noch nicht einmal alle Blätter von den Bäumen gefallen. Bei rund fünfzehn Grad Tagestemperaturen ziehe ich zwar mittlerweile eine Jacke an, aber in der Sonne ist es immer noch sehr angenehm warm.

Umso unpassender erscheinen mir da die obligatorischen Rituale von Adventsbasteln bis Weihnachtsfeier. Aber vielleicht macht gerade das echten Kulturaustausch aus: Wir gestalten im Deutschunterricht einen Adventskalender und erzählen vom Nikolaus, während draußen der armenische Herbst einfach kein Ende finden will.

Das Gefühl von Schwere (3)

Am Sonntag war ich also endlich einmal dort. Das Genozid-Mahnmal Tsitsernakaberd liegt ein Stückchen außerhalb des Zentrums, beim Sport- und Konzertkomplex; da wo man es ein bisschen – aber nie so ganz – vergessen kann. Jetzt habe ich zum ersten Mal die Ausstellung besucht, all die Fotos und Texte gesehen, verstanden und doch nicht so ganz begriffen.

Dazu kommt der Eindruck einer türkisch-armenischen Konferenz am Vortag zu den komplizierten Beziehungen der beiden Nachbarländer, bei der es – nicht nur und doch immer ein bisschen – um „the genocide issue“ ging.

Kein greifbarer Gedanke, nur das Gefühl von Schwere, einem lastenden Gewicht. Lastend auf dem sonnigen Nachmittag am Denkmal und den kleinen Häppchen in der Kaffeepause zwischen den Vorträgen.

Blick von Tsitsernakaberd auf die Stadt

Dieser Beitrag wurde unter Ausflug, Erlebnis, Fotos, Geschichte, Politik, Privat, Zuhause abgelegt und mit , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.