Fakten zu Lettland
Die Republik Lettland ist der mittlere der drei baltischen Staaten und liegt im Nordosten Europas an der Ostsee. Mit einer Fläche von 64.589 km² ist Lettland etwas kleiner als Bayern, hat aber nur unwesentlich mehr Einwohner als München. Genauer gesagt leben hier etwa 2 Mio. Menschen, ungefähr 700.000 davon in der Hauptstadt Riga.
Die EU und der Euro
Nur 13 Jahre nach der erneuten Unabhängigkeit von der Sowjetunion hat es Lettland 2004 geschafft, Mitglied der NATO und der EU zu werden. Wirtschaftlich gesehen steckt das Land aber wegen der steigenden Inflationsrate seit einigen Jahren in der Krise. Daher ist die ursprünglich für 2008 geplante Einführung des Euro auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Und so, wie es momentan aussieht, wird das auch noch eine Weile so bleiben – zumal die momentan stark angegriffene Eurozone nicht noch ein schwaches Mitglied braucht.
Einkommensschere und Lebenshaltungskosten
Wie in Russland hat auch in Lettland das kapitalistische Wirtschaftswunder nach der Unabhängigkeit einige wenige rasend schnell reich werden lassen, während der Großteil der Bevölkerung finanziell kaum über die Runden kommt. Das soziale Gefälle ist nach wie vor krass: Neben Porsche und Audi Q7 sieht man genug „Schrottkarren“ auf den Straßen.
Die Kosten für Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs liegen auf deutschem Niveau, obwohl das Durchschnittseinkommen der Letten deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt. Und vor allem im Zentrum sind auch die Mieten ungefähr so hoch wie in Deutschland. Eine Freundin hier zahlt für ihr WG-Zimmer in der Altstadt ca. 200 Lats, also fast 290 €. Daher können sich diese Wohnungen meist nur Neureiche oder Ausländer leisten.
Mittlerweile kann Lettland auch nicht mehr als billiges Urlaubsland angesehen werden, denn die Preise sind enorm hoch. Vor allem natürlich in den Touristenkneipen und -geschäften der Altstadt. Wenn man aber die Augen offenhält und auch mal in ungewöhnliche Locations geht, kann man sehr viel Geld sparen.
Lettische Sprache
Lettisch gehört zum baltischen Zweig der indogermanischen Sprachen, zu dem u.a. auch das Litauische zählt (Estnisch gehört zur Gruppe der finno-ugrischen Sprachen, ist also mit Finnisch und Ungarisch verwandt!), und hat keine direkte Verwandtschaft zu slawischen Sprachen. Charakteristisch für die lettische Sprache ist das „s“ an den Endungen männlicher Namen und Bezeichnungen und die Betonung auf der ersten Silbe. Zusammen mit deutlich unterschiedenen kurzen und langen Vokalen bekommt das Lettische dadurch seinen typisch singenden Klang.
Das „Paris des Nordens“ – Jugendstil in Riga
Etwa jedes dritte Haus im Zentrum Rigas lässt sich dem Jugendstil zurechnen. Da eine derartige Ansammlung von Jugendstilgebäuden vermutlich einzigartig auf der Welt ist, wurde das Rigaer Stadtzentrum 1997 von der UNESCO zum Welterbe erklärt. Der Wirtschaftsaufschwung Anfang des 20. Jahrhunderts und die damit einhergehende Wohnungsknappheit hatte einen Bauboom in Gang gesetzt. Mietshäuser schossen wie Pilze aus dem Boden, wobei sich die meist im Ausland ausgebildeten Architekten an der neuen „Mode“ orientierten. Leider verfielen viele Bauten zur Zeit der Sowjetokkupation allmählich, doch inzwischen werden sie nach und nach restauriert.
Religion
Seit der Reformation gehört die Mehrheit der lettischen Bevölkerung der evangelisch-lutherischen Konfession an (ca. 55%), aber im Osten des Landes (historisch mit Litauen und Polen verbunden) findet man noch überwiegend Katholiken (ca. 24%). Wie auch die römisch-katholische Kirche lehnt die lutherische Kirche Lettlands sowohl Homosexualität als auch Frauenordination ab. Da in Lettland, wie mehrfach erwähnt, sehr viele Russen leben, ist natürlich der russisch-orthodoxe Glaube vertreten (ca. 9%). Zur Veranschaulichung: In der Hauptstadt Riga gibt es 16 lutherische, sieben katholische und zehn orthodoxe Gotteshäuser.
Vor dem Holocaust spielte auch die jüdische Religion und Kultur im Gebiet Lettlands eine wichtige Rolle; heute existieren noch in neun lettischen Städten jüdische Synagogen und die Anzahl der jüdischen Bevölkerung beträgt etwa 10.000 Personen. Außerdem gibt es bis zu 6.000 Anhänger des Islam in Lettland, von denen sich jedoch nur ein kleiner Teil tatsächlich als religiös bekennt (die meisten sind Tataren und Aserbaidschaner).
Land der Lieder
Da die Letten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts daran gehindert wurden, eine nationale Kultur zu entwickeln, galt ihre Kreativität und Schaffenskraft der Folklore. Das Singen wurde den Letten quasi zur zweiten Natur und so singen die Menschen hier zu allen erdenklichen Anlässen. Fast jeder Lette war oder ist Mitglied in einem Chor und an dem seit 1873 alle fünf Jahre stattfindenden Sänger- und Tanzfest (das nächste Mal 2013) nehmen Zehntausende aus ganz Lettland teil. Es ist sogar in die UNESCO-Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen worden. Am liebsten singen die Letten Dainas, kurze, vierzeilige Lieder, die in unzähligen Variationen wiederholt werden können. Über Jahrhunderte nur mündlich überliefert, gelten sie heute als Fundament der lettischen Kultur. 2,5 Mio. Liedtexte wurden in den letzten 150 Jahren zusammengetragen, d.h. gut ein Lied pro Einwohner.
Nationalität versus Ethnie
Wie wir wissen, ist im deutschen Pass nur die Staatsangehörigkeit, d.h. die Nationalität einer Person als „deutsch“ ausgewiesen. Das heißt, wenn z.B. Adıvar Yılmaz einen deutschen Pass besitzt, ist er Deutscher. Anders in Lettland: Auf lettischen Pässen ist unter Nationalität die Ethnie der Person angegeben. Dort kann also stehen „Nationalität: Russisch“, obwohl die Person ja im Prinzip lettischer Staatsangehöriger ist. Deswegen spricht man oft davon, dass z.B. in Riga etwa 50% ethnische Russen leben, also Letten russischer Herkunft, sog. Lettlandrussen.
Eine Besonderheit in der EU: Die Nichtbürger Lettlands
In Lettland leben etwa 290.000 Menschen (14,1% aller Einwohner), die zwar ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht, aber weder die lettische noch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen. Sie verfügen lediglich über ein lettisches Passdokument, einen sogenannten Nichtbürgerpass. Damit dürfen sie Lettland jederzeit verlassen und auch wieder ohne besondere Erlaubnis zurückkehren. Ausländerrechtlich werden Nichtbürger behandelt wie Drittstaatsangehörige mit ständigem Aufenthaltstitel für Lettland. Sie können also visafrei im gesamten Schengenraum bis zu 90 Tage im Halbjahr reisen. Wenn sie aber z.B. in einem anderen EU-Staat arbeiten oder studieren möchten, müssen sie ein Visum und gegebenenfalls eine Arbeitserlaubnis beantragen. Allerdings werden ihnen für die Einreise nach Russland günstigere Visa als den Bürgern Lettlands ausgestellt und seit Juni 2008 sind für die meisten Nichtbürger sogar kurze visafreie Reisen nach Russland möglich.Die lettischen Nichtbürger haben kein aktives oder passives Wahlrecht, weder bei nationalen noch bei kommunalen Wahlen. Weiterhin sind sie von der Wahl bestimmter Berufe ausgeschlossen: Es ist ihnen z.B. nicht möglich, als Beamte, Polizisten oder Notare zu arbeiten.
Von all diesen Regelungen sind fast ausschließlich russischsprachige frühere Sowjetbürger, die nach 1940 nach Lettland gekommen sind, betroffen – genau wie auch die Kinder solcher Nichtbürger, die in Lettland zur Welt kommen. Ein Nichtbürger kann jedoch einen Antrag auf Erlangung der lettischen Staatsbürgerschaft stellen. Dafür benötigt er einen Wohnsitz in Lettland. Aueßrdem muss er einen Test in lettischer Sprache, Geschichte und den Grundlagen der lettischen Verfassung ablegen. Durch den EU-Beitritt ist die Attraktivität des lettischen Passes wegen der Reisefreiheit für die im Land lebenden Russen gestiegen. Seit 1995 haben aber trotzdem nur knapp 100.000 Einbürgerungen stattgefunden.
In Russland sieht man die lettische Handhabung mit den so genannten Nichtbürgern als eine Art historische Revanche für die Sowjetzeit. Das ist vielleicht etwas übertrieben, denn ich finde, dass Lettland schon das Recht hat, von seinen Bürgern die Beherrschung der offiziellen Staatssprache und ein eindeutiges Bekenntnis zum Land zu verlangen.
***Fortsetzung folgt***