Positivus 2012

Von Pärnu aus wollten Sabrina und ich am Freitag ganz gediegen nach Salacgrīva zum Positivus-Festival fahren. Pustekuchen! Als wir gegen 13:30 Uhr endlich abfahren wollten, fuhr nur noch ein Bus dorthin. Der war natürlich bereits ausgebucht. Was also tun, trampen oder eine andere Lösung finden? Wir entschieden uns nach langem Hin und Her doch für Letzteres, dem Bus nach Ikla, einem estnischen Dorf an der Grenze zu Lettland. Der Busfahrer ließ uns ca. 20 m davor raus und dann mussten wir zu Fuß weiter. Wir gingen mit Sack und Pack, d.h. zwei riesigen Wanderrucksäcken inkl. Isomatten und Schlafsäcken sowie Proviant für das Festival über die Grenze, um in der lettischen Stadt Ainaži einen Bus nach Salacgrīva zu nehmen. Gegen 19 Uhr erreichten wir dann endlich erschöpft, aber glücklich das Ziel. Schwere Geburt!

Das Festival, für mich das erste überhaupt, war cool, vor allem wegen seiner Lage direkt am Meer in einem Wald. Leider hat es Samstag ganz schön  geregnet, sodass das Gelände einer Schlammpiste glich – NEGATIVUS. Aber meine zwei Jahre alten 19€-Deichmann-Turnschuhe hielten dem Matsch stand. 😉 Bands auf dem Konzert waren u.a.: Keane, Damien Rice (nur er und seine Gitarre – sehr cool!), King Charles, Friendly Fires, Ewert and the Two Dragons (Estnische Band, von der ich vorher schon das Album hatte und deren Konzert in Pärnu wir Donnerstag zufällig gehört haben), The Vaccines, Skyforger (Bekannte lettische Metal-Band) und Manic Street Preachers. Die meisten Bands kannte ich vorher nicht, aber es waren einige „Ohrenschmäuse“ dabei!

 

Sightseeing pur

Am Freitag (wie gesagt in Lettland ein Feiertag) war nochmal klassisches Sightseeing angesagt, allerdings eher unklassisch in der Moskauer Vorstadt. Paul und ich nahmen an der Free Tour statt, die jeden Tag um 12 Uhr an der Petrikirche startet und eben in besagten Rigaer Vorort führt. Der Rundgang dauert ca. 2,5 Stunden und ist eher locker gehalten, aber trotzdem informativ. So erfuhren wir z.B., dass die Markthallen vom Zentralmarkt aus den 1920er Jahren, fünf ehemalige Zeppelinhangars, gar nicht immer dort standen. Stattdessen wurde eine Konstruktion aus Ziegeln und Stahlbeton errichtet und für die Dächer die Stahlkonstruktion der Hangars vom Luftschiffhafen Vaiņode (bis 1919 auf deutschem Territorium) im Südosten Lettlands verwendet. Der Zentralmarkt galt in den 1930er Jahren als der größte und modernste Markt Europas. Er hat heute eine Gesamtfläche von 72.300 m² und beschäftigt 253 Angestellte.
Nach dem Stadtrundgang fuhren wir spontan nach Jūrmala in „Rigas Badewanne“, obwohl sich der Himmel etwas zugezogen hatte. Bevor der nach Sommer duftende Regen einsetzte, schafften wir es noch, durch die Fußgängerzone zu schlendern und barfuß am Strand zu spazieren.
In der Nacht machten wir dann die Stadt unsicher: Zuerst glühten wir im TAKA vor, bei dem zufällig eine Live-Band Klezmer und andere Musik spielte und anschließend gingen wir zum Tanzen in den Klub „Piens“. Dort wollten sie uns erst nicht reinlassen, weil wir Ausländer sind. Das klingt jetzt erstmal hart, aber der Grund ist, dass die Letten auch mal etwas Eigenes für sich haben möchten – schließlich überfüllen die Ausländer und Touristen schon sämtliche Bars und Klubs in der Altstadt. Nach kurzem Hin und Her und mithilfe der einheimischen Russischlehrerin von Eva wurden wir dann aber eingelassen und konnten ordentlich abzappeln. In Absatzschuhen…! *g*

Singen verbindet

In Lettland gehört Singen zum täglichen Leben. Ich glaube, dass in kaum einem anderen Land mehr gesungen wird. Es gibt gefühlte tausend Chöre allein in Riga und mit Liedern hat die lettische Bevölkerung sogar ihre ersehnte Unabhängigkeit von den sowjetischen Okkupanten ersungen. Da ist es nur logisch, dass auch ich mir nach knapp fünf Wochen einen Chor gesucht habe. Sicherlich hatten sich einige von euch schon gefragt, wann es denn endlich so weit ist! *g*

Jetzt singe ich im Jugendchor Mūza, wobei die SängerInnen stellenweise auch über 30 sind. Jugend ist in dem Falle also ein dehnbarer Begriff. Am Mittwoch war ich zum ersten Mal bei der Probe in der Kleinen Gilde (in Riga seit dem 14. Jh. Zusammenschluss ausschließlich deutscher Handwerker) und wurde anschließend direkt dazu „aufgefordert“, beim gestrigen Konzert mitzusingen. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen! 😉 Die Lieder waren aber auch nicht so schwe. Wir haben auch nur zwei alleine gesungen, weil noch drei andere Chöre das Konzert mitgestaltet haben. Vor dem Konzert wurden wir kostenlos mit Mittag versorgt und danach gab es noch ein geselliges Beisammensein aller Teilnehmer bei Kaffee und Kuchen – und einem Spiel, bei dem man aus Spaghetti und Marshmallows ein möglichst hohes Haus bauen sollte.

Ihr werdet euch sicherlich fragen, wie es mit der Verständigung aussieht. Im Chor ist ein Mädchen, die mal für neun Monate in Berlin gewohnt hat und daher Deutsch spricht. Ansonsten unterhalte ich mich mit den anderen auf Englisch und versuche auch manchmal einige Dinge auf Lettisch zu sagen. Wenn sich die Letten unterhalten, höre ich wiederum aufmerksam zu und versuche etwas zu verstehen. In der Probe selbst klappt das schon ganz gut, da ich zumindest die Zahlen (für Takte und Seiten) und einige andere Anweisungen wie „gerade“ schon im Sprachkurs gelernt und halbwegs verinnerlicht habe. Mal sehen, wie viel mir der Chor in den kommenden vier Monaten noch beim Lettisch lernen helfen wird…