Der Winter ist noch nicht vergangen

Jüdisches Riga

Mein Wochenende stand im Zeichen der jüdischen Vergangenheit Rigas. Nachdem das historische Speicherviertel eine kleine Enttäuschung war, erkundigten wir (Amélie, Eva von der deutschen Botschaft und ich) am Samstag kurzerhand die Moskauer Vorstadt. Die wird so genannt, weil dort früher fast ausschließlich Russen und Juden gewohnt haben und die Hauptstraße zur Landstraße nach Moskau führte. Die Gegend zählt nicht zu den attraktivsten Rigas und irgendwie ist eine etwas deprimierte Stimmung spürbar. Das Viertel ist von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnet und mir wurde auch schon mehrmals geraten, dort abends nicht unbedingt alleine durch die Straßen zu gehen. Alle Gegenden, die in Riga jenseits der Bahnschienen liegen, gelten als zwielichtig. Gestern verstärkte das trübe Wetter sogar tagsüber das Gefühl, in einer unsicheren Umgebung unterwegs zu sein. Vermutlich würde das Ganze bei Sonnenschein schon wieder ganz anders aussehen. Jedenfalls gingen wir zu der Stelle, an der bis 1941 die Große Choralsynagoge stand, die größte Synagoge Rigas. Heute sind nur noch das Fundament und einige Mauerreste erhalten. Die Nazis hatten kurz nach der Okkupation 300 Juden darin eingeschlossen und das Gotteshaus angezündet – es gab keine Überlebenden. Nun erinnern eine Gedenktafel, ein Gedenkstein und ein Denkmal an dieses Verbrechen und das Schicksal der lettischen Juden.

Ruine der vormals größten Synagoge Rigas

Anschließend gingen wir dorthin, wo das Rigaer Ghetto, in das ca. 30.000 Rigaer Juden gesperrt wurden, lag. Allerdings nur für 35 Tage, denn dann wurde das Ghetto von den Nazis „geräumt“, um Platz für deutsche Juden zu schaffen (die Konzentrationslager im Reichsgebiet waren schon voll). Heute zum Sonntag haben Amélie und ich unser Wissen in der jüdischen Geschichte Lettlands mit einem Besuch im Jüdischen Museum gleich noch weiter vertieft.

Ansonsten ist die Moskauer Vorstadt vor allem für die Akademie der Wissenschaften bekannt, einem 1958 im stalinistischen Zuckerbäckerstil erbauten Hochhaus (auch „Stalins Geburtstagstorte“ genannt). Außerdem steht in dem Viertel der mit 37 m höchste klassizistische Holzbau Lettlands, die evangelisch-lutherische Jesuskirche.

"Stalins Geburstagstorte"Akademie der WissenschaftenJesuskirche aus Holz

Hier noch weitere Eindrücke von meinem nunmehr vierten Wochenende in Riga:

"Rauchen ist tödlich." (v.a. bei dieser Zigarettengröße)Ein Cocktail am FreitagabendDer Winter ist noch nicht vergangen

Sitz des Erzbischofs von Riga - St.-Jakobs-Kathedrale

Sonntagsspaziergang

Gestern habe ich auf der Messe Bettina, die Mitarbeiterin vom „Kontaktbüro Hochschulen Mecklenburg-Vorpommern“, kennengelernt und erfahren, dass auch sie bis Juli in Riga sein wird. Abends haben wir dann gleich noch ein, okay zwei, Bierchen getrunken, denn Kontakte müssen schließlich gepflegt werden. Zuerst waren wir in der Bar „Ezītis miglā“ (Der Igel im Nebel), die hinter der RTU liegt und sehr günstig und gemütlich ist. Danach waren wir noch im „Folkklubs Ala Pagrabs“ essen. Für mich gab es sehr leckere Braune Erbsen mit Speck, ein traditionelles lettisches Gericht. Wir hatten außerdem das Glück, dass Samstags immer Livemusik gespielt wird. Diesmal war eine dreiköpfige Band (Gitarre, Geige und Kontrabass) da, die Gypsy-Swing à la Django Reinhardt und Stéphane Grappelli geboten hat. Es war ein total toller Abend! 🙂 Beide Kneipen/Restaurants waren sehr günstig, weil sie eben keine Touristenattraktionen sind, sondern eher versteckt in Seitenstraßen und dunklen Kellereingängen liegen.

Gypsy-Swing in Riga

Nachdem ich heute Wäsche gewaschen und mein Zimmer sowie das Bad geputzt hatte, habe ich mich mit meiner Kamera aufgemacht, um euch endlich mehr Fotos zeigen zu können. Zuerst führte mich mein Weg in Rigas Jugendstilviertel, von dem ich im November sogar schon einen Artikel in der Lausitz am Sonntag gelesen hatte. Viele Gebäude stammen vom jüdischen, deutschbaltischen Architekten Michail Eisenstein, der mit mehr als fünfzig von ihm entworfenen Häusern das Rigaer Stadtbild entscheidend prägte. Mehr zum art nouveau mit Bildern könnte ihr unter „Wissenswertes und Kurioses“ lesen.
Mein Weg führte mich dann noch ein wenig durch die Gassen der Altstadt hin zum „Donegan’s Pub“, in dem ich die Konferenz der 2. Bundesliga geguckt habe. Auf dem Weg nach Hause habe ich dann noch einen neuen Pullover im Ausverkauf erstanden. Ich musste nämlich feststellen, dass ich doch ganz schön wenig Klamotten hier hab, was der Gewichtsbegrenzung auf 20 kg geschuldet war. Jetzt bin ich also stolze Besitzerin eines petrolfarbenen, mit Erdbeeren gemusterten Wollpullovers. Sehr schick!

Rīgas Tehniskā universitāte (RTU)

Es mācos latviešu valodu.

> Ich lerne Lettisch. <

Heute hatte ich das erste Mal Sprachkurs am VALODU MĀCĪBU CENTRS. Die Anmeldung verlief problemlos per Kontaktformular auf der Website der Schule. Ich meinte nur, dass ich bis Ende Juli Zeit und 300 € zur Verfügung habe, die ich auch gern aufbrauchen möchte und jetzt habe ich mittwochs und freitags von 10-12 Uhr Unterricht – bis Ende Juni. Da müsste ich doch einiges lernen können! Auch wenn die Sprachen doch sehr unterschiedlich sind, glaube ich, dass meine Russischkenntnisse mir noch helfen werden, vor allem was die lettische Grammatik anbelangt. Momentan sind wir zu sechst im Kurs: vier Männer mittleren Alters aus Deutschland, Frankreich und Schweden, ein lettlandrussisscher Junge (jetzt wo sich die Letten im Referendum dagegen entschieden haben, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen…) und ich als einzige Frau. Auch wenn die anderen den Kurs schon letzte Woche angefangen habe, konnte ich gut nachziehen. Ich stelle mich gar nicht mal so dumm an, was mir auch die Lehrerin bestätigte. Mal schauen also, was daraus noch so wird. Den Kurs darf ich außerdem während der Arbeitszeit besuchen, womit wir beim nächsten Thema wären.

Seit Montag bin ich nun die neue Freiwillige bzw. Praktikantin im DAAD-Informationszentrum Riga, dessen Büro sich in der RTU (Technischen Universität Riga) befindet.

Rīgas Tehniskā universitāte (RTU)

In den Räumen nebenan sind noch das Baltisch-Deutsche Hochschulkontor und das Kontaktbüro Hochschulen Mecklenburg-Vorpommern untergebracht. Gemeinsam versuchen die drei Einrichtungen für Deutschland als Hochschulstandort zu werben. Ab morgen findet z.B. die Internationale Bildungsmesse SKOLA 2012 in Riga statt, bei der wir auch alle zusammen einen Stand betreuen. Und ich bin mit eingeteilt, sodass ich gleich in der ersten Woche auch am Samstag arbeiten muss. Ich bin also sofort eingespannt, was mich riesig freut. In den nächsten Tagen werde ich euch dann berichten, wie es war.
Am besten aber war der Einstand am Montag: Zum Abschied meiner Vorgängerin waren wir gleich mal auf Kosten des Chefs Armenisch essen. Das Restaurant war echt nobel und es hat sehr gut geschmeckt. Leider wird sowas nicht ständig vorkommen, sondern wahrscheinlich erst wieder, wenn ich meinen Ausstand habe. Bis dahin muss ich einfach selber noch das ein oder andere Restaurant testen. Das dürfte nicht allzu schwierig sein, denn gastronomische Angebote in Riga sind erschwinglich. Genau wie Bars und Kneipen, zumal man am Abend scheinbar von Happy Hour zu Happy Hour ziehen kann. Gestern war ich zum Abschied meiner Vorgängerin noch mit im Shot Café und konnte zwei echt große Cocktails für 4 Lats (ca. 5,74 €) bekommen. 🙂

Zugefrorene Daugava

Angekommen

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge bin ich am Freitag mit einer Propellermaschine gut in Riga gelandet. Dort wurde ich von dem Mädchen, deren Zimmer ich – leider erst ab Donnerstag – übernehmen werde, abgeholt und zur WG gelotst. Die Altbauwohnung liegt in einem Jugendstilgebäude an einer der Hauptverkehrsadern der Stadt, der Brīvības iela (Freiheitsstraße). Ich konnte die letzten zwei Nächte trotz des Lärms gut schlafen und hoffe auch mal, dass das so bleiben wird. Die Wohnung ist sonst leider sehr heruntergekommen, aber die Schönheit aus vergangenen Zeiten lässt sich noch erahnen. Immerhin gibt es schnelles WLan und warmes Wasser, was ich in Kaliningrad nicht immer hatte 😉

Heute habe ich zu Fuß ein wenig die Stadt erkundet und dabei auch schon einige schöne Stellen in den Seitenstraßen entlang der Brīvības iela entdeckt. Seit gestern Abend schneit es immer wieder und die Temperaturen liegen bei knapp unter 0°C. Dadurch wirkt alles etwas grau, aber trotzdem gefällt mir vor allem die Altstadt sehr gut. In den kommenden Wochen und Monaten habe ich ja genug Zeit, sämtliche Seiten Rigas kennenzulernen und auch euch zu präsentieren. Für heute kann ich nämlich noch nicht sehr viele Fotos bieten:

Und jetzt guck ich Tatort per Livestream!