Warum mache ich das eigentlich?

Tja, DAS frage ich mich schon eine ganze Weile und ab morgen gibt es kein Zurück mehr. Ich mache eine „Fahrradtour“ von Klaipėda (Litauen) nach Tallinn (Estland). 739 km insgesamt, 576 davon mit dem Rad, durchschnittlich 82 km am Tag – OHNE Training. Das grenzt schon fast an selbstbestimmtes selbstverletzendes Verhalten. Werde ich nach zehn Tagen noch sitzen können? Werde ich meine Beine noch bewegen können?
Leider kann ich euch von meinem mit Sicherheit schmerzhaften körperlichen Niedergang nicht live berichten. Ihr müsst also warten, bis ich wieder Internet habe. Das kann bis spätestens 23.7. dauern, denn nach der Fahrradkarawane – so nennt sich dieses wahnwitzige Projekt von  »kulturweit« – mache ich noch einige Tage Urlaub in Tallinn, Helsinki (Finnland), Pärnu (Estland) und beim Positivus-Festival in Salacgrīva (Lettland). Drückt mir die Daumen, dass ich heil zurück komme und Petrus Gnade mit uns hat!

Achso, warum ich das jetzt eigentlich mache, kann ich euch dann vielleicht in zwei Wochen genauer erklären… 😉

Auf nach Rēzekne

Gestern habe ich bewiesen, dass ich auch mal spontan sein kann. Früh gegen viertel neun entschied ich, für zwei Tage nach Rēzekne zu fahren und dort die »kulturweit«-Freiwillige Christiane zu besuchen. Zwei Stunden später saß ich im Zug!

Rēzekne ist eine kleine Stadt mit knapp 35.000 Einwohnern – die Mehrheit davon sind ethnische Russen – im Herzen von Latgale (Lettgallen) im Südosten Lettlands, fast vier Stunden von Rīga entfernt. Der Ort hat nicht sehr viel zu bieten und in anderthalb Stunden hat man eigentlich alles Wichtige gesehen. Rēzekne ist ein verträumtes Provinzstädtchen mit Charme. Leider wurde im Zweiten Weltkrieg ein Großteil der historischen Gebäude zerstört. Die auffälligste Sehenswürdigkeit ist der Alte Burgberg mit Resten der Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert. Von dort hat man einen tollen Ausblick auf das recht sowjetisch anmutende Rēzekne, v.a. auf die katholische Herz-Jesu-Kirche (Latgale ist im Gegensatz zum restlichen Lettland nicht evangelisch). Das Wahrzeichen der Stadt ist die Freiheitsstatue „Latgales Māra“, ein Symbol für die Unabhängigkeit. Direkt im Ort befindet sich au0erdem der Kovšu-See, der momentan allerdings noch gefroren ist. Im Sommer möchte ich nochmal zu Christiane fahren, weil es im Umland Rēzeknes noch ganz viele andere Seen und eine tolle Landschaft gibt…

Bei Christiane habe ich jetzt auch endlich mal den legendären bittersüßen Rīgas Melnais Balzams (kurz nur Balzsams) probiert, einen traditionellen lettischen Magenbitter mit 45 % Alkoholgehalt. Pur schmeckt er echt gewöhnungsbedürftig, aber die Einheimischen trinken ihn oft mit Johannisbeer- oder Grapefruitsaft. Das haben wir gestern dann auch getan, aber Balzams wird trotzdem nicht zu meinem Lieblingsgetränk werden.

Heute waren wir bei Ginta, der Mentorin von Christiane und Deutschlehrerin an ihrer Schule, zum Ostereierfärben eingeladen. Wir haben die Eier erst mit Blättern, Blüten, Fäden oder Wachs verziert und sie anschließend im Zwiebelschalensud gefärbt. Jetzt habe auch ich also, obwohl „allein“ in Lettland, wenigstens ein paar hübsche Ostereier zum Frühstück. In diesem Sinne: Priecīgas Lieldienas! (Frohe Ostern!)

 

Russisch-orthodoxe Christi-Geburt-Kathedrale

Im Okkupationsmuseum

Obwohl der Sonntag zunächst verregnet war, wollte ich natürlich nicht tatenlos zu Hause rumsitzen. Also beschlossen Amélie und ich, ins Okkupationsmuseum zu gehen. In unseren Plan eingeweiht, schloss sich auch Bettina mit zwei deutschen und zwei lettischen Freunden an. Das Okkupationsmuseum informiert über die Besatzung Lettlands durch die Nationalsozialisten sowie die Sowjetunion von 1940 bis 1991. Es dokumentiert damit die systematische Verhinderung der nationalen Eigenständigkeit des Landes und die Verbrechen am lettischen Volk während dieser Zeit. Die Ausstellungen sind sehr interessant, allerdings  sogar für meinen Geschmack zu umfangreich bzw. zu schwere Kost. Da das Museum aber keinen Eintritt verlangt, werde ich irgendwann nochmal hingehen um mir den Rest anzuschauen. Interessant ist, dass das Okkupationsmuseum Teil des diplomatischen Protokolls in Lettland ist. So wird es häufig von ausländischen Staatsgästen besucht, wie z.B. von Horst Köhler und Angela Merkel.

Auch "Schwarzer Sarg" genannt - Das Okkupationsmuseum (r.)Denkmal der lettischen Schützen vor dem Museum

Gestern Nachmittag und Abend war ich mal auf der anderen Flussseite unterwegs, denn Amélie wohnt im Stadtteil Āgenskalns. Dort stehen noch viele alte Holzhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, wegen derer Riga auch zum UNESCO-Welterbe ernannt wurde. Allerdings habe ich sie nicht fotografiert, weil es geregnet hat. Ihr müsst euch also noch etwas gedulden!

Am Freitag war ich das erste Mal in der deutschen Botschaft hier in Riga, weil ich gemeinsam mit anderen Freiwilligen von »kulturweit« oder dem Europäischen Freiwilligendienst an den von der Botschaft ins Leben gerufenen Tagen der deutschen Sprache teilnehmen werde. Wir (Botschaft, DAAD, evtl. Goethe-Institut, Zentrum für Auslandsschulwesen etc.) werden in verschiedene Städte Lettlands fahren und dort quasi Werbung für Deutschland bzw. Deutsch als Fremdsprache machen. Das bedeutet also, dass ich demnächst öfter mal auf Dienstreise sein werde, denn fünf Termine sind schon fix. Ich freu mich drauf und werde euch dann fein berichten. Los geht es am 22. März in Talsi, also in anderthalb Wochen.

Hier noch einige Fotos vom heutigen Sonntag:

Die Bremer Stadtmusikanten, gestiftet von Rigas Partnerstadt BremenPetrikirche und Roland-Statue - Symbol einer Freien HansestadtRussisch-orthodoxe Christi-Geburt-Kathedrale

Auf dem Rückweg aus der Stadt bin ich noch meine ab morgen wahrscheinlich reguläre Fahrradstrecke abgelaufen. Und siehe da, es gibt tatsächlich in Riga EINEN Fahrradweg – rot und auf der Straße aufgemalt, mit eigenen Schildern und Ampeln. Wenn ich den benutze, ist es zwar ein kleiner Umweg, andererseits ist das bestimmt sicherer als auf der Straße und nicht so nervig wie eine Slalomfahrt zwischen den Fußgängern.