Rumpelnd rollte die Karawane

Ich bin wieder hier – mit deutlich mehr Beinmuskeln, Hornhaut am Hintern und der beeindruckenden Erkenntnis, dass man sich an Schmerzen durchaus gewöhnen kann! Ansonsten kann ich nur sagen: Ich bin stolz auf mich und auf uns, die knapp 560 km radfahrend überstanden zu haben! Es war einfach ein tolles Gefühl, nach einer megageilen Zeit mit super Leuten in Tallinn anzukommen!!! 😀

Für die Karawane haben einige Freiwillige einen Kanon umgedichtet, den wir dann als Hymne immer wieder gesungen haben, am Ende auch live vor Publikum auf dem Rathausplatz in Tallinn.

Achso, warum ich das jetzt eigentlich gemacht habe: Wegen der einzigartigen Chance, das Baltikum noch besser kennen und „spüren“ zu lernen. Dass das „spüren“ lernen derart mit Schmerzen verbunden sein würde, realisierte ich leider erst später. 😉 Aber es gibt vermutlich keine intensivere Erfahrung als die, drei Länder innerhalb von zehn Tagen per Fahrrad zu erkunden (fernab der Großstädte und Touristenzentren) und dadurch die Authentizität dieser Regionen zu erleben. Sehr empfehlenswert!

 

Sightseeing pur

Am Freitag (wie gesagt in Lettland ein Feiertag) war nochmal klassisches Sightseeing angesagt, allerdings eher unklassisch in der Moskauer Vorstadt. Paul und ich nahmen an der Free Tour statt, die jeden Tag um 12 Uhr an der Petrikirche startet und eben in besagten Rigaer Vorort führt. Der Rundgang dauert ca. 2,5 Stunden und ist eher locker gehalten, aber trotzdem informativ. So erfuhren wir z.B., dass die Markthallen vom Zentralmarkt aus den 1920er Jahren, fünf ehemalige Zeppelinhangars, gar nicht immer dort standen. Stattdessen wurde eine Konstruktion aus Ziegeln und Stahlbeton errichtet und für die Dächer die Stahlkonstruktion der Hangars vom Luftschiffhafen Vaiņode (bis 1919 auf deutschem Territorium) im Südosten Lettlands verwendet. Der Zentralmarkt galt in den 1930er Jahren als der größte und modernste Markt Europas. Er hat heute eine Gesamtfläche von 72.300 m² und beschäftigt 253 Angestellte.
Nach dem Stadtrundgang fuhren wir spontan nach Jūrmala in „Rigas Badewanne“, obwohl sich der Himmel etwas zugezogen hatte. Bevor der nach Sommer duftende Regen einsetzte, schafften wir es noch, durch die Fußgängerzone zu schlendern und barfuß am Strand zu spazieren.
In der Nacht machten wir dann die Stadt unsicher: Zuerst glühten wir im TAKA vor, bei dem zufällig eine Live-Band Klezmer und andere Musik spielte und anschließend gingen wir zum Tanzen in den Klub „Piens“. Dort wollten sie uns erst nicht reinlassen, weil wir Ausländer sind. Das klingt jetzt erstmal hart, aber der Grund ist, dass die Letten auch mal etwas Eigenes für sich haben möchten – schließlich überfüllen die Ausländer und Touristen schon sämtliche Bars und Klubs in der Altstadt. Nach kurzem Hin und Her und mithilfe der einheimischen Russischlehrerin von Eva wurden wir dann aber eingelassen und konnten ordentlich abzappeln. In Absatzschuhen…! *g*

Im Geocaching-Fieber Richtung Open-Air-Konzert

Am Donnerstag liehen wir Paul über das Fahrradverleihsystem BalticBike für 48 Stunden ein Rad, damit wir die Stadt besser erkunden können – beispielsweise beim Geocaching. Dabei handelt es sich um eine Art elektronische Schatzsuche. Die Verstecke („Geocaches“, kurz „Caches“) werden anhand geografischer Koordinaten im Internet veröffentlicht und können anschließend mit Hilfe eines GPS-Empfängers, also Pauls Handy, gesucht werden. Da wir schon in Deutschland ab und zu auf Schnitzeljagd gehen, haben wir gedacht, dass es ganz witzig wäre, Riga auf diese Weise kennenzulernen. So absolvierten wir z.B. im Jugendstilviertel einen Multi-Cache, der aus mehreren Stationen besteht und bei dem sich die Koordinaten des Cache-Verstecks durch Hinweise ergeben, die man an den einzelnen Punkten findet.

Am Abend hatte ich dann die Ehre und das Vergnügen mit „meinem“ Chor beim Open-Air-Konzert Ar Domu par Rītdienu anlässlich des Jahrestags der Unabhängigkeitserklärung 1990 am 4. Mai zu singen. Die Veranstaltung wurde live im Fernsehsender LTV1 übertragen, der lettischen ARD. Es nahmen bekannte lettische Stars wie Renārs Kaupers von der Band „Prāta Vētra“, Intars Busulis, DaGamba (lettische „Apocalyptica“), The Sound Poets, Goran Gora und Anete Kozlovska teil. Für die beiden letztgenannten Künstler waren wir bei jeweils einem Lied der Backgroundchor, also totaaaaaaaal wichtig. Hier zwei Videos dazu, die Paul aufgenommen hat:

Anete – Tik daudz smieklu

Goran Gora – Tikai saknes neatdod

Auch wenn wir nicht allzu viel zu tun hatten, war es eine tolle Erfahrung – zumal wir mit in den V.I.P.-Bereich durften. 😉

Langes Wochenende

Endlich, endlich ist es soweit: Seit Sonntag ist Paul zu Besuch in Riga und ich hätte ihn doch am Flughafen wegen seiner neuen Brille fast nicht erkannt… Wunderschön, genau wie das Wetter momentan! 🙂

Am Montag haben wir nach einem ausgiebigen Plinse-Frühstück einen Spaziergang nach Mežaparks zum Ķīšezers-See gemacht, wo wir einfach zwei Stunden lang in der Sonne gechillt und uns direkt den ersten Sonnenbrand der Saison geholt haben. Abkühlung brachte uns dann aber der Besuch des Eishockeyspiels zwischen Lettland und Frankreich (European Hockey Challenge), das erst im Penalty-Schießen entschieden wurde.

Gestern fuhren wir zusammen mit Eva und Bettina nach Sigulda in den Gauja-Nationalpark, der früher im Deutschen als „Livländische Schweiz“ bezeichnet wurde. Wir haben uns Mountainbikes geliehen und dann eine ca. 20 Kilometer lange Radtour links und rechts des Flusses Gauja unternommen – von Sigulda über Krimulda und Turaida zurück nach Sigulda. Die Strecke verfügte zum Glück nicht über langweilige Asphaltwege, sondern führte sprichwörtlich über Stock und Stein. Es waren sogar zwei Berge mit Steigungen bis zu 11 Prozent dabei, was man von Lettland überhaupt nicht erwarten würde. Auf dem Weg lagen verschiedene Sehenswürdigkeiten wie die Bob- und Rodelbahn Sigulda, die Drahtseilbahn über die Gauja, das Schloss Krimulda mit den Parkanlagen, die Ruine der Ordensburg Krimulda, die Gutmannshöhle und das Museumsreservat Turaida mit der gleichnamigen Burg. Die Gutmannshöhle liegt am Ufer der Gauja und entstand vor Jahrtausenden in den Felsklippen. Sie ist die größte Höhle Lettlands und seit Jahrhunderten Ziel von Besuchern, wie mehr als 300 Jahre alte Inschriften zeigen. Die Burg Turaida wurde auf Anordnung des Erzbischofs Albert von Riga 1214 auf den Resten einer livischen Holzburg errichtet. Im Jahr 1776 brannte sie mit Ausnahme des Turms ab und ist heute mit Museum, Park, Skulpturengarten, Holzkirche und einigen rekonstruierten Bauernhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert ein beliebter Ausflugsort.