Auf nach Rēzekne

Gestern habe ich bewiesen, dass ich auch mal spontan sein kann. Früh gegen viertel neun entschied ich, für zwei Tage nach Rēzekne zu fahren und dort die »kulturweit«-Freiwillige Christiane zu besuchen. Zwei Stunden später saß ich im Zug!

Rēzekne ist eine kleine Stadt mit knapp 35.000 Einwohnern – die Mehrheit davon sind ethnische Russen – im Herzen von Latgale (Lettgallen) im Südosten Lettlands, fast vier Stunden von Rīga entfernt. Der Ort hat nicht sehr viel zu bieten und in anderthalb Stunden hat man eigentlich alles Wichtige gesehen. Rēzekne ist ein verträumtes Provinzstädtchen mit Charme. Leider wurde im Zweiten Weltkrieg ein Großteil der historischen Gebäude zerstört. Die auffälligste Sehenswürdigkeit ist der Alte Burgberg mit Resten der Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert. Von dort hat man einen tollen Ausblick auf das recht sowjetisch anmutende Rēzekne, v.a. auf die katholische Herz-Jesu-Kirche (Latgale ist im Gegensatz zum restlichen Lettland nicht evangelisch). Das Wahrzeichen der Stadt ist die Freiheitsstatue „Latgales Māra“, ein Symbol für die Unabhängigkeit. Direkt im Ort befindet sich au0erdem der Kovšu-See, der momentan allerdings noch gefroren ist. Im Sommer möchte ich nochmal zu Christiane fahren, weil es im Umland Rēzeknes noch ganz viele andere Seen und eine tolle Landschaft gibt…

Bei Christiane habe ich jetzt auch endlich mal den legendären bittersüßen Rīgas Melnais Balzams (kurz nur Balzsams) probiert, einen traditionellen lettischen Magenbitter mit 45 % Alkoholgehalt. Pur schmeckt er echt gewöhnungsbedürftig, aber die Einheimischen trinken ihn oft mit Johannisbeer- oder Grapefruitsaft. Das haben wir gestern dann auch getan, aber Balzams wird trotzdem nicht zu meinem Lieblingsgetränk werden.

Heute waren wir bei Ginta, der Mentorin von Christiane und Deutschlehrerin an ihrer Schule, zum Ostereierfärben eingeladen. Wir haben die Eier erst mit Blättern, Blüten, Fäden oder Wachs verziert und sie anschließend im Zwiebelschalensud gefärbt. Jetzt habe auch ich also, obwohl „allein“ in Lettland, wenigstens ein paar hübsche Ostereier zum Frühstück. In diesem Sinne: Priecīgas Lieldienas! (Frohe Ostern!)

 

Ich will Meer sehen

Und das geht am besten in Jūrmala, der Badewanne Rigas, zehn Kilometer nordwestlich der Hauptstadt. Mit dem Zug fuhren wir (Bettina und zwei ihrer Freunde) in die 25 km lange (!) und flächenmäßig zweitgrößte Stadt Lettlands. 1959 vereinigte man drei Städte und später noch mehrere Fischerdörfer zu Jūrmala. Im Sommer strömen scharenweise Touristen, aber auch Rigaer in den größten Kurort des Baltikums. Die Stadt ist heute außerdem einer der begehrtesten Orte für die reichen Letten geworden, die mit restaurierten Holzvillen und schicken Neubauten ihr Vermögen zur Schau stellen. Auch der lettische Präsident hat am Strand eine Residenz, kameraüberwacht und gesichert mit hohen Mauern. Wir stiegen in Majori, dem Herzstück Jūrmalas aus und liefen dann Richtung Westen nach Dubulti am Meer entlang. Leider hat es heute häufig geregnet, aber die Bilder sind trotzdem ganz schön geworden.

In dieser Woche war natürlich noch mehr los, wie ihr den letzten beiden Fotos entnehmen könnt: Am Mittwoch habe ich meine ehemalige Mitbewohnerin aus Passau getroffen, die gerade eine Freundin in Riga besucht. Die wiederum heißt natürlich auch Laura – es gibt ja keine anderen Namen – und stammt aus Riga, studiert aber in Passau dasselbe wie ich mal studiert habe. Alles klar?! Jedenfalls waren wir u.a. im Lido essen und danach Bowlen. Ich war natürlich gar nicht so schlecht. 😉

Am Donnerstag fand der erste „Tag der deutschen Sprache“ statt, ein von der Botschaft geplanter und durchgeführter Besuch in einer DSD-Schule in Talsi. Ziel war es, deutschlernenden Schülern eine Plattform für Informationen zum Studium in Deutschland zu geben und Kindern der 5. Klasse die deutsche Sprache näherzubringen, damit sie diese als 2. Fremdsprache wählen. Nur soviel zum Tag in Talsi:

Die sechs Phasen der Planung: 1. Begeisterung 2. Verwirrung 3. Ernüchterung 4. Suche nach dem Schuldigen 5. Bestrafung der Unschuldigen 6. Auszeichnung der Nichtbeteiligten.

Wir Freiwilligen (= Laufpersonal) haben schön die ersten 3-4 Phasen von obigem Zitat durchlebt. Es war sehr ernüchternd, von den Mitarbeitern der Botschaft alleingelassen und ohne richtigen Dank wieder nach Hause geschickt! Hoffentlich verlaufen die nächsten Termine besser. Zu allem Überfluss habe ich auch nicht mal etwas vom Ort gesehen. Lediglich die Fahrt nach Talsi hat sich gelohnt, weil ich zum ersten Mal das ländliche Lettland sehen konnte. Manchmal sieht man kilometerweit keine Häuser, aber Bushaltestellen mitten in der Pampa. Das erinnert mich sehr an Kaliningrad. Aber laut Statistik leben in Lettland auch nur 35 Einwohner pro Quadratkilometer.

Russisch-orthodoxe Christi-Geburt-Kathedrale

Im Okkupationsmuseum

Obwohl der Sonntag zunächst verregnet war, wollte ich natürlich nicht tatenlos zu Hause rumsitzen. Also beschlossen Amélie und ich, ins Okkupationsmuseum zu gehen. In unseren Plan eingeweiht, schloss sich auch Bettina mit zwei deutschen und zwei lettischen Freunden an. Das Okkupationsmuseum informiert über die Besatzung Lettlands durch die Nationalsozialisten sowie die Sowjetunion von 1940 bis 1991. Es dokumentiert damit die systematische Verhinderung der nationalen Eigenständigkeit des Landes und die Verbrechen am lettischen Volk während dieser Zeit. Die Ausstellungen sind sehr interessant, allerdings  sogar für meinen Geschmack zu umfangreich bzw. zu schwere Kost. Da das Museum aber keinen Eintritt verlangt, werde ich irgendwann nochmal hingehen um mir den Rest anzuschauen. Interessant ist, dass das Okkupationsmuseum Teil des diplomatischen Protokolls in Lettland ist. So wird es häufig von ausländischen Staatsgästen besucht, wie z.B. von Horst Köhler und Angela Merkel.

Auch "Schwarzer Sarg" genannt - Das Okkupationsmuseum (r.)Denkmal der lettischen Schützen vor dem Museum

Gestern Nachmittag und Abend war ich mal auf der anderen Flussseite unterwegs, denn Amélie wohnt im Stadtteil Āgenskalns. Dort stehen noch viele alte Holzhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, wegen derer Riga auch zum UNESCO-Welterbe ernannt wurde. Allerdings habe ich sie nicht fotografiert, weil es geregnet hat. Ihr müsst euch also noch etwas gedulden!

Am Freitag war ich das erste Mal in der deutschen Botschaft hier in Riga, weil ich gemeinsam mit anderen Freiwilligen von »kulturweit« oder dem Europäischen Freiwilligendienst an den von der Botschaft ins Leben gerufenen Tagen der deutschen Sprache teilnehmen werde. Wir (Botschaft, DAAD, evtl. Goethe-Institut, Zentrum für Auslandsschulwesen etc.) werden in verschiedene Städte Lettlands fahren und dort quasi Werbung für Deutschland bzw. Deutsch als Fremdsprache machen. Das bedeutet also, dass ich demnächst öfter mal auf Dienstreise sein werde, denn fünf Termine sind schon fix. Ich freu mich drauf und werde euch dann fein berichten. Los geht es am 22. März in Talsi, also in anderthalb Wochen.

Hier noch einige Fotos vom heutigen Sonntag:

Die Bremer Stadtmusikanten, gestiftet von Rigas Partnerstadt BremenPetrikirche und Roland-Statue - Symbol einer Freien HansestadtRussisch-orthodoxe Christi-Geburt-Kathedrale

Auf dem Rückweg aus der Stadt bin ich noch meine ab morgen wahrscheinlich reguläre Fahrradstrecke abgelaufen. Und siehe da, es gibt tatsächlich in Riga EINEN Fahrradweg – rot und auf der Straße aufgemalt, mit eigenen Schildern und Ampeln. Wenn ich den benutze, ist es zwar ein kleiner Umweg, andererseits ist das bestimmt sicherer als auf der Straße und nicht so nervig wie eine Slalomfahrt zwischen den Fußgängern.