Die Hafenstadt Liepāja

Vor einer Weile hatten wir schon geplant, am 14.04. nach Liepāja (ca. 86.000 Einwohner und 3,5 h von Rīga entfernt im Westen Lettlands) zu fahren und gestern war es dann soweit. Leider fuhren letztlich nur Amélie und ich, weil Eva verschlafen hatte. 😉 Seit 2010 verkehren nur noch sporadisch Züge von , sodass wir auf den Bus angewiesen waren. Um 7:05 fuhren wir los, doch leider war der Bus so voll, dass wir knappe zwei Stunden bis Saldus stehen mussten. Es gibt für einen Samstagmorgen, an dem man eh schon vor dem Aufstehen los musste, angenehmere Beschäftigungen…

In Liepāja machten wir dann den Stadtspaziergang „Liepāja nach Noten“. Warum Noten? Weil Liepāja die Hauptstadt der lettischen Musik, insbesondere der Rockmusik, genannt wird. So verwundert es auch nicht, dass in Liepāja das erste Rockcafé Lettlands steht. Natürlich haben wir dort auch gleich Mittag gegessen. Die Stadt hat einige nette Ecken zu bieten und beeindruckt vor allem wegen der vielen Gegensätze. Liepāja, die drittgrößte Stadt Lettlands, musste wegen seines ganzjährig eisfreien Hafens während der russischen Herrschaft und der Sowjetokkupation als Militärbasis herhalten. 45 Jahre lang war es nach dem Zweiten Weltkrieg von der Außenwelt abgeschottet und für Ausländer und Einheimische ohne Sondergenehmigung gesperrt. Es verfiel regelrecht und musste Anfang der 90er Jahre ganz von vorn anfangen.

Von der Zeit als Militärbasis zeugen heute u.a. noch die Bauten im Stadtteil Karosta, den wir natürlich auch besucht haben. Und dank des Kriegshafens haben wir dann bei unserem Ausflug nach Liepāja wenigstens noch etwas Außergewöhnliches gesehen. Denn Karosta ist wohl einer der widersprüchlichsten Orte Lettlands – hier die goldenen Zwiebeltürme der orthodoxen Nikolai-Kathedrale vor sowjetischen Wohnsilos, dort zaristische Militärbauten und teils verödete Hafenanlagen. Die Gebäude stehen überwiegend leer und alles wirkt trist, was die Geschichte der Fremdbestimmung, aber auch die Orientierungslosigkeit nach der errungenen Unabhängigkeit verdeutlicht. Der im Norden von Liepāja gelegene Stadtteil diente ursprünglich als Stützpunkt der russischen Ostseeflotte. Ab 1890 entstand er auf Geheiß von Zar Alexander III. und dessen Sohn Nikolai II. Dass Liepāja als Standort ausgewählt wurde, lag nicht nur am eisfreien Hafen, sondern auch an der unmittelbaren Nähe zu Nimmersatt (lit. Nemirseta), dem nördlichsten Ort der bis 1918 zum Deutschen Reich gehörenden Provinz Ostpreußen. Anfang des 20. Jh. bildete Karosta einen von Liepāja völlig unabhängigen russischen Stadtteil mit eigener Post, eigener Energieversorgung und einer für damalige lettische Verhältnisse überdurchschnittlich guten Infrastruktur. Karostas Sonderrolle wird auch durch die Dimensionen der 1900-1903 auf Anordnung von Zar Nikolai II. errichteten Kathedrale deutlich: Das mit weithin sichtbaren goldenen Kuppeln ausgestattete Gotteshaus ist bis heute das höchste Kuppelgebäude an der Ostseeküste. Weil die Orthodoxen dieses Wochenende Ostern feiern, waren auch viele Gläubige vor Ort.
Während der Sowjetokkupation entstanden zahlreiche Plattenbauten, die nach dem Abzug der etwa 20.000 sowjetischen Soldaten 1994 mit einem Schlag leer standen. Seither ist Karosta nur noch zu etwas mehr als einem Drittel bewohnt, sodass wir den Eindruck bekamen, durch eine Geisterstadt zu laufen. Faszinierend für uns war aber unser Spaziergang an den Strand. Etwas nördlich von Karosta liegt der Nördliche Pier, der rund 2 km ins Meer ragt und einen herrlichen Blick auf den Hafen ermöglichte. In dem Moment kam auch endlich die Sonne hinter den Wolken hervor und ich konnte einige tolle Fotos schießen. Noch ein wenig weiter stadtauswärts befinden sich die Nördlichen Befestigungsanlagen. Sie wurden 1893-1906 auf Anordnung des russischen Zaren für Kriegszwecke gebaut, jedoch nie für die Verteidigung genutzt. Seit der Sprengung der Anlage noch vor dem Ersten Weltkrieg sind die Überreste sich selbst überlassen. Nur langsam scheinen die mächtigen Mauern zu verfallen – selbst die vom Meer um- und unterspülten Bauten trotzen der Kraft des Wassers. Sehr beeindruckend!

Noch ein wenig unnützes Wissen:

  1. 1899 wurde in Liepāja die erste elektrische Straßenbahn im Baltikum eröffnet.
  2. Rolf Kahn, der Vater von Oliver Kahn, wurde 1943 als Rolfs Kāns in Liepāja (dt. Libau) als Sohn eines baltendeutschen Vaters und einer lettischen Mutter geboren.

 

Ein Gedanke zu „Die Hafenstadt Liepāja

  1. Wow, sehr schöne und stimmungsvolle, teils auch nachdenklich stimmende Fotos. Gut gemacht Lauri :-*

    (mit DER Kamera natürlich auch nicht anders erwartet 😉

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