Ziemlich genau nach einer Woche in St. Petersburg melde ich mich zum ersten Mal zu Wort.
Zuerst einmal: Ich bin gut angekommen, fühle mich sehr wohl und habe mich schon gut eingelebt. Die erste Woche verging wie im Flug, oder, besser gesagt, wie im Schlaf. Oder noch besser gesagt, im Schlaf.
Um ehrlich zu sein, habe ich bis jetzt kaum etwas von der Stadt gesehen, auf der andere Seite aber doch schon Dinge, die sonst wohl nur sehr wenige zu Gesicht bekommen werden. Auf diese Weise kann ich mich trösten, dass die erste Woche hauptsächlich Willkommens-Partys zum Opfer viel.
Aber nun der Reihe nach.
Ich bin also am 03. Februar in St. Petersburg, Flughafen Pulkovo, gelandet. Dort wurde ich von einer Tutorien (selber auch Studentin), welche sich um ankommende Studenten kümmert, erwartet und mit einigen anderen Deutschen zum Unigelände gebracht. So gab es im Taxi bereits Gelegenheit sich kennenzulernen. Es ist ja doch nett, auch entgegen seiner Vorsätze, sich durch deutsch und deutsche Gewohnheiten etwas heimischer zu fühlen. Es macht vieles einfacher. Nach kurzer Einführung erhielten wir mit dem Ausfüllen eines Formulars unsere Zimmerschlüssel. Mir wurde zwar zunächst ein Doppelzimmer zugeteilt, dieses wurde aber umgehend gegen ein Einzelzimmer getauscht, da ich dies auch so angegeben hatte. Weiter ging es gleich, weiterhin in Begleitung der Tutorin, in ein günstiges Russisches Restaurant zum Abendessen und zu einem Supermarkt. So waren bereits einige Anlaufpunkte bekannt, die Zeit in St. Petersburg konnte also beginnen.
Ich wohne in einem im vergangenen November fertiggestellten Wohnheim in der 1. Etage (welche in Russland allerdings als 2. Etage bezeichnet wird) auf einem Flur mit mittlerweile etwa 10 weiteren Austauschstudenten. Ein Großteil aller Studenten kommt aus Finnland, Frankreich und Deutschland. Es gibt allerdings auch Ungaren, Tschechen, Südkoreaner, Italiener und einige Vertreter anderer Nationen, im Gegensatz zu Russen.
Wie die Bilder schon zeigen, besteht jedes Zimmer in meinem Wohnheim aus einem Schlafraum mit Bett, Schränken und Schreibtisch sowie einem eigenen Bad mit Toilette und Dusche. Diesen Luxus genießen die Studenten im alten Wohnheim mit Bädern auf dem Gang nicht.
Dass es hier keine Russischen Studenten gibt, hat einige nachhaltige Folgen, die auch meine erste Woche bestimmt haben. Statt Russisch verbessert sich maximal die Kenntnis der englischen Sprache, außerdem lernt man von Tag zu Tag weitere Übersetzungen für „Prost!“ in anderen Sprachen. Das alles ist ehrlich gesagt sehr angenehm, interessant und einfach. Es wird nie langweilig, jeden Tag kommen neue Studenten an und ständig ist irgendetwas los. Jeden Abend gab es eine Gruppe in der Studentenkneipe „Bermudy“, welche sich an die Wohnheime angrenzend an deren Rückseite befindet. Dort befindet sich auch ein Kicker, der gegen 10 Rubel (ca. 21 Euro-Cent) 6 Bälle auswirft. Aber auch andere Lokalitäten wurden getestet. Kicker sind grundsätzlich vorhanden.
Durch lange Nächte wurden die Tage kürzer. Die Zeitverschiebung lud zusätzlich dazu ein, den Rhythmus gar nicht erst umzustellen (St. Petersburg ist Mitteleuropa zeitlich drei Stunden voraus). So war nicht allzu viel Zeit um im Hellen die Stadt zu erkunden, obwohl sich die Uni und die Wohnheime unmittelbar im Zentrum, beim „Nevski-Prospekt“ befinden. Dafür lernt man sich in der Gemeinschaftsküche der Etage besser kennen, untereinander, bis 22 Uhr auch mit bis zu zwei Gästen pro Zimmer, z.B. aus dem andern, alten Wohnheim. Danach muss man sich gut mit der Frau verstehen, die am Eingang sitzt, oder sie mit Russisch oder kleinen Aufmerksamkeiten beeindrucken um Gäste zu empfangen oder Gast zu sein. Wenn man geschickt ist, ist das kein Problem. Ich bin soweit geschickt.
24-Stunden Läden die „Produktej“ (Lebensmittel) verkaufen gibt es zu Genüge, doch 22 Uhr ist auch die magische Grenze, ab welcher kein Alkohol mehr verkauft werden darf. Hier sind die Ausnahmen mit voranschreitender Zeit erheblich schwieriger zu verhandeln, bis sie ab 00h fast unmöglich werden. Ein Bier in einer Kneipe, welche jederzeit Alkohol ausschenken darf, kostete etwa 120 Rubel (ca. 2,55 Euro). Der Wechselkurs liegt aktuell bei 1 Euro = 47,4 Rubel.
Mir kommt mein Eintrag bislang sehr trocken vor, rein objektiv-informierend, das ist eigentlich nicht so mein Ding. Aber genau wie bei einer Sprache, die man beginnt zu lernen, zunächst die trockene Grammatik aus dem Buch notwendig ist um später durch Sprechen weiter zu lernen, komme ich nicht umhin, hiermit eine eher trockene Grundlage für spätere Einträge zu schaffen.
Zuletzt berichte ich über einige tiefere Erlebnisse, die ich hier bereits gemacht habe, welche in genau die Richtung gehen, in die ich im Vorfeld gehofft hatte, gehen zu können.
Gleich am Ankunftsabend, nachdem wir im Supermarkt fertig waren, traf ich mich mit einem guten Freund, den ich seit seinen beiden Auslandssemestern in Heilbronn kenne: Roma. Nachdem ich ihn auf etlichen Umwegen und Hilfe einer Gruppe St. Petersburger in einer verabredeten Metrostation gefunden hatten, fuhren wir mit seiner Freundin Polina zur Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin, Mascha, die aus St. Petersburg kommt, und nun in Heilbronn studiert. In einem Café „Shokoladniza“ auf dem „Nevski Prospekt“ wartete die Gesellschaft gegen 23:30h auf uns, war aber noch hellwach. So hatte ich nach Aufbruch aus Mülheim gegen 7:45h Russischer Zeit also am selben Tag schon das Glück, einen authentischen Blick auf das Leben in St. Petersburg werfen zu können. So wie es ist, wenn man dort immer wohnt. Und das ist mir wichtig. Ich will wissen, wie dieses Land, diese Stadt, und das Leben dort wirklich ist. Auch wenn ich schon vorher wusste, dass es nicht daraus besteht, jeden Abend in internationalen Gruppen Feiern zu gehen.
Ich hatte also einen schönen ersten Abend. Zwar habe ich mich aus sprachlichen Gründen etwas zurückgehalten, mich aber gleich integriert gefühlt. Nach Ende der Feier wurde ich sogar von zwei von Maschas Freunden nach Hause gefahren, wie selbstverständlich.
Glück heißt hier übrigens nicht Zufall, denn es gab viel und lange Planung um diesen Abend, vielmehr glücklich sein.
Einmal habe ich es dann aber doch in die Stadt geschafft, in Begleitung von Mina, einer äußerst freudigen Koreanerin. Zusammen haben wir auf dem Weg zur Blut-Kirche und der Eremitage zahlreiche Innenhöfe durchstöbert, und dabei teils erstaunliche Entdeckungen gemacht. Hinter den Eingangstoren zwischen den Häusern verbergen sich oft verblüffend große Freiflächen, komplett umgeben von Häusern. Oft sind diese sogar noch mit weiteren Innenhöfen verbunden, die man von der Straße niemals vermutet hätte, und die auf keiner Karte eingezeichnet sind. Mal finden sich in ihnen Geschäfte und Büros, vielfach Bars, Cafés und Clubs, manchmal auch nur das wahre Gesicht der Großstadt, nämlich Eingänge zu den vielen Wohnhäusern, deren Dimensionen hinter den Fassaden auf den Straßen absolut nicht ersichtlich sind. Dazu kommen typisch Russische Spielplätze, mit vielen bunten Eisenkonstrukten zum Klettern und Spielen. Es ist dort oft so ruhig, dass man fast vergisst, im Zentrum der 5-Millionen-Metropole unterwegs zu sein. Es wirkt russischer als St. Petersburg. Ein gewisses Etwas von Abenteuer ist auch dabei.
Dann aber noch schnell zur Eremitage, ein paar Fotos machen, bevor der Akku der Kamera leer ist. Von da an nur noch mit den Augen genießen, herrlich.
Zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Sochi, Russland, habe ich mich wieder mit Roma getroffen. Er hatte mich für den Abend zum Essen eingeladen, bzw. Polina bekochte uns hervorragend bei ihnen zuhause. Mir gefällt ihr zuhause sehr. Ein Apartment im 10. Stock eines großen Wohnhauses, das von außen Richtung westlicher Vorstellungen über russische Wohnblöcke geht. So schätze ich die Vorstellung jedenfalls ein. Roma und Polina wohnen im einem Schlaf- und Wohnviertel von St. Petersburg, dem „Krasnoselsky Rayon“, etwa 30 Minuten mit der Metro inkl. Fußweg vom Prachtboulevard „Nevski Prospekt“ entfernt. Dieses Viertel, am süd-westlichen Ende der mit der Metro zu erschließenden Stadt ist ein sehr lebhaftes Viertel, grade zur Rushhour. Volle Busse, Metros, Trams und etwas weniger Glanz und Schein als in der Stadtmitte. Sämtliche Hauser sind hier höher als im Zentrum und machen auf mich einen praktischeren Eindruck. Trotzdem sind sehr viele Gebäude so prächtig, elegant und schön wie in der Innenstadt. Durch leichten Schneefall war die Atmosphäre besonders warm. Die Aussicht aus den großzügigen Fenstern des Apartments hat mich als höhenliebenden Menschen besonders glücklich gemacht. Die Übersicht auf die Lichter des Viertels und das orangefarbene Leuten des Himmels über dem Zentrum – klasse! Aus der gemütlichen Wohnung ging es wieder zurück Richtung „Nevski Prospekt“, wo Polina, Roma und ich mit vier oder fünf von Romas Freunden, in deren WG, die Eröffnungszeremonie sahen. Dabei lag der Fokus natürlich nicht auf Reden, sondern dem Verfolgen des Geschehens in Sochi. Auf Russisch wurden Fehler vom Sofa aus ein wenig schadenfroh kommentiert, ich war dabei allerdings so oder so nur Zuschauer. Ich glaube die Jungs waren auch etwas schüchtern mir gegenüber, als einzigem fremden in der vertrauten Runde. Nach Ende der Zeremonie ging es recht schnell wieder nach Hause, denn am nächsten Tag stand für die Jungs Arbeit an.
Allgemein sind Russische Wohnungen meinen bisherigen Erfahrungen nach viel prächtiger und schöner als deutsche. Die Decken sind in der Regel höher, die Einrichtung klassisch-edler, Verzierungen und Stuck sind keine Besonderheit. Auch nicht in der WG von Romas Freunden. Wohnlichere, gemütlicher und wärmer. Das sind meine Eindrücke Russischer Wohnungen, im Vergleich zu den deutschen, auf ähnlichem Standard. Allerdings nie in einem Ein- oder Mehrfamilienhaus, sondern in großen Wohngebäuden. Und nicht so modern und unbedingt perfekt. Nicht besser oder schlechter, aber einfach anders.
Als bisher letzte besondere Erfahrung möchte ich vom heutigen Abend erzählen, den ich mit Nastja verbracht habe, die ich ebenfalls in Heilbronn, während ihres Auslandssemesters kennengelernt habe. Sie hatte ich nach nicht-touristischen und besonderen Orten gefragt, und genau so hat sie mich durch den alten Stadtkern geführt (Metrostation „Chernyshevskaya“). Allein der Weg zur ersten Station ist, wie überall in St. Petersburg, ein Erlebnis. Wunderschöne Architektur, elegante Menschen mit Pelzmänteln und Strumpfhosen, viele bunte Lichter und wieder eine so lebendige Atmosphäre.
Mit ein bisschen Glück konnten wir in ein ehemals von wohlhabenden Besitzern bewohntes (natürlich hohes, großes) Haus gelangen, das mittlerweile ein wenig verfallen, aber immer noch sehr beeindruckend war. Die Wandfarbe war etwa im Türkise-Ton des Juweliers Tiffany gehalten, der Stil passte ebenfalls. Eine Mischung aus altem Schick und fälliger Aufbesserung vermischten sich zu einem einzigartigen Erlebnis, besonders in den nachträglich angebrachten Übergängen über den Innenhof, zur gegenüberliegenden Seite des Hauses, in der 2. sowie 4. Russischen Etage. Diese waren ihrer Zeit auch ein Trick gewesen, um die (Miet-) Preise in die Höhe zu treiben. Nastja erzählte mir, dass heute nur noch arme Menschen dort wohnen, die eine Wohnung in diesem tollen Haus geerbt hatten. Blicke durch die Fenster aus dem Innenhof in die Wohnungen ließen darauf schließen, dass sie Recht hat.
Weiter ging es zur Neva, die durch schneebedecktes, tauendes Eis grade in weiß getaucht ist, vorbei an kleinen Museen und Cafés zu einem Punkt, an dem eine Art Mahnmal gegen politische Inhaftierungen errichtet ist. Genau auf der gegenüberliegenden Nevaseite befindet sich ein noch aktives Gefängnis für politische Häftlinge, das Gerüchten zu Folge nach unterirdisch mit einem KGB-, heute FSB-Gebäude, verbunden sein soll. Dort, so munkelt man, habe Putin zu seiner Zeit bei der Sowjetischen Staatssicherheit gearbeitet. Immerhin der Ausblick, den die Häftlinge dort auf die Neva haben, ist nicht übel.
Zum Aufwärmen und Unterhalten hatten wir dann noch in einem Café einer der vielen starbucksähnlichen Russischen Kaffeehausketten Gelegenheit. Diese hieß passenderweise „Кофе Хауз” (Coffee House).
Das sind die Erfahrungen meiner ersten Woche, nach der Grammatik dann doch noch etwas Sprachpraxis.
Um nicht auch die letzten drei Leser, die bis hierhin durchgehalten haben, abzuschrecken, verweise ich auf den nächsten Eintrag, in dem ich von allem weitern berichte und zeige. Und das ist noch einiges.
Auf eine neue spannende Woche (die noch vorlesungsfrei ist)!
Philipp Palm

Platz vor der Eremitage

Eremitage

Kazaner Kathedrale, direkt bei unserem Wohnheim

Kazaner Kathedrale von unserem Platz im Cafe

Blut-Kirche

Blut-Kirche

Mit Mina vor der Blut-Kirche

Uni bei Nacht

Roma und Polina

Metro Station Avtovo

Unglaublich lange Rolltreppen zur Metro



Blutkirche auch aus Innenhof zu sehen

In einem Innenhof

Blick nach rechts auf dem Weg zum Supermarkt (Gebaeude der Russischen Marine)

Vernetzte Innenhoefe

Nevski Prospekt auf Hoehe des Wohnheims

Haus des Buchs. Oben hat der Gruender des Russischen facebooks „www.vk.ru“ (frueher vkontakte) sein Buero

Alter Hausdurchgang in Tiffany Farben

Treppenhaus im selben Gebaeude

Blick aus dem Durchgang im 4. Stock

In der Mitte: Gefaengnis fuer politische Gefangene

Mahnmal gegen Inhaftierung politischer Gegner


Erstes Kochen im Wohnheim

Besonderer Kakao Genuss

Mina und ich im Bermudy

Unsere Etagenkueche

Bermudy