Do you have a bag?

22 10 2010

Nach dem Regen leider keine SINN-flut.

Lost in Translation. Die peinlichste Situation meines Aufenthaltes…Ein Erfahrungsbericht:

Ausländer werden in Vietnam in der Regel als Tây bezeichnet. Das bedeutet so viel wie “Westler“. Auch wenn die Regierung in den letzten Jahren viel dafür getan hat den Tourismus zu fördern, gibt es immer noch Regionen in Vietnam, in denen man als Westler angestarrt wird wie ein Außerirdischer, weil die Einheimischen den Anblick von Weißen nicht gewohnt sind.

Schließlich öffnete die kommunistische Regierung erst Ende der 80er Jahre das Land allmählich für Touristen. Durch die Aufnahme Vietnams in die Südostasiatische Staatengemeinschaft ASEAN 1995 wurde der Aufbruch gefördert.  Die Vietnamesen wissen, dass ihr Land nicht so beliebt und reisefreundlich ist wie das benachbarte Thailand oder Malaysia, was nicht zuletzt an den Visabestimmungen, der Infrastruktur

Traffic in Hanoi

und der Geschichte des Landes liegen mag, spüren aber auch das aufkommende Interesse der Touristen an ihrem Land. Die Regierung will Vietnam als internationales Reiseziel vorantreiben „Vietnam – das Reiseziel des 21. Jahrhundert“ lautet das Motto der Touristenbehörde in Hanoi. Durch den aufkommenden Touristenboom haben die Vietnamesen in den letzten Jahren gelernt, mit fremden besser zu kommunizieren und umzugehen. Es kommt zusätzlich zum sogenannten Ausweicheffekt: Da Gewalt und Terroranschläge und Demonstartionen auf den Philippinen oder auch jüngst in Thailand zunehmen, zieht es auch Urlauber nach Vietnam, das in der Region den Ruf eines friedlichen Landes mit geringer Kriminalitätsrate hat. Auch wenn hier noch sehr viele Schritte getan werden müssen, von Seiten er Regierung und auch mit Hilfe privater Unternehmen.

Enjoying Vietnam

Ausruhen darf Vietnam sich jedenfalls nicht. Die Rückkehrerrate der Touristen ist leider erschreckend gering (unter 10%), so dass Vietnam weiterhin mit gesenktem Kopf im Schatten seines großen Bruders Thailand verschwindet. Mit der Kommunikation ist das auch so eine Sache: Die englische Sprache wurde in Vietnam an Schulen und Universitäten bis in die 90er Jahren nur wenig gelehrt. Als Folge des Vietnamkriegs war Englisch verpönt und es gab nur wenige Englischlehrer. Für den Touristen ist Vietnam deswegen eine echte Herausforderung und selbst Hanoi scheint ihm auf den ersten Eindruck  ein fremdsprachliches Niemandsland. So versucht man sich mit Händen und Füßen und einzelnen englischen Signalwörtern durchzuschlagen und sucht beim komplizierten Anliegen gezielt die jüngere Generation auf, in der Hoffnung auf eine Verständigung.

Für Westler mit längerer Verweildauer ist es ratsam, wenigstens die „Basics“ der vietnamesischen Sprache zu lernen. Das hilft nicht nur weiter, sondern kommt auch gut an bei den Einheimischen und wird mit viel Herzlichkeit und Respekt belohnt. Ich habe das in meinem Alltagsrhythmus oft gespürt und wurde dadurch motivierter mehr Wörter und Sätze zu lernen.

Communication

Es hat immer irgendwie geklappt. Bis auf diese eine Situation:

Die totale Lost-in-Translation Situation, die ich euch nicht vorenthalten möchte und für mich umso absurder klingt, wenn ich das ganze Erlebnis nun von zu Hause aus resümiere:

Juli 2010, Hanoi. Regenzeit. Es regnete seit Tagen stark in Hanoi. Einen Tag konnte ich nicht zum Goethe-Institut fahren, weil selbst noch gegen Mittag die Straßen voller Wasser waren und nicht ablaufen konnte. Schwimmende Hondas, Strohhüte und Plastikhocker schwammen einem entgegen – und nein ich bediene mich jetzt nicht aus dem vietnamesischen Klischee-Kistchen – es war wirklich so.

Hochwasser in Hanoi

Eines Abends klarte der Himmel auf. Regenpause. Endlich. Ich atmete erleichtert aus und knatterte grinsend durch die nassen Straßen nach Hause. Ich wollte raus, frische Luft schnappen und diese trockene Phase ausnutzen, bevor die neue Regenfront anrückte. Ich zog meine Laufschuhe an und rannte zu meinem Lieblingsee. Shorts, Shirt, den Ipod in der Hand und nur mit ein paar Dong-Scheinen in der Tasche, lief ich meine Runden. Schon nach wenigen Umkreisungen spürte ich die ersten Tropfen auf meinem Kopf ankommen.

„Scheiße“, dachte ich. Ich konnte den Regen immer noch nicht einschätzen, wusste nicht wie schnell es, wie stark, die ganze Stadt erneut ertränken würde. Ich lief zurück zur Straße, hob die Hand und warf mich in das nächste Taxi. Besser so schnell es geht nach Hause, bevor ich nicht mehr reinkomme, in meine eigene Straße und in mein Haus.

Der Taxifahrer ließ mich am Anfang meines Viertels raus, so wie die meisten Autofahrer, aus Angst in die sehr schmalen und verwinkelten Gassen meiner Siedlung reinfahren zu müssen.

My Street

So stand ich da. Der Regen hatte schon sein Hardcore-Programm eingeschaltet. Shorts und T-Shirts wurden in sekundenschnelle Nass. Ich wischte mir die Tropfen aus der Stirn und guckte auf meine Hand: Mein IPod. Der gute neue IPod. Es wäre doch wirklich zu schade, wenn der jetzt draufgehen würde, bei dem kurzen Sprint den ich im Regen noch nach Hause machen muss. „Das kann ich nicht machen, das übersteht der nicht bei dem Regen. Und ich brauche doch die Musik hier…“ Von westlichen Luxussorgen geplant, sah ich mich hilflos  um.

Welcome to asian Venedig

Ich sprang durch das Wasser zur nächsten Bude und stand vor einer Pharmazie . Alles was ich wollte war eine Plastiktüte. Vietnamesen lieben Plastiktüten, so wie alle Asiaten. Immer und überall bekommt man sie ungefragt zu seinen Waren dazu. Es wird ja wohl nicht so schwer sein eine dieser Plastiktüten zu bekommen, dachte ich. Der Verkäufer kam lächelnd näher zur Verkaufstheke geschlurft. Ich grüßte: „Chào Anh!“ und suchten mit schnellen Blicken den hinteren Ladenbereich nach einer Plastiktüte ab, damit ich wenigstens drauf zeigen konnte.

Plastiktüte. Warum habe ich das im Vietnamesisch-Kurs bloß nie gelernt? Was mach ich jetzt? Es war keine Tüte im Laden zu sehen. Ich wurde nervös, spürte wie das Regenwasser sich langsam durch meine Turnschuhe kämpfte. Ich musste mich beeilen. Der Vietnamese stand nach wie vor geduldig und neugierig hinter seiner Theke und lächelte etwas zögernd. Okay, ich probier’s auf Englisch. Wer weiß, dachte ich….

„Do you have a bag? I need a bag!“ Ich hob meinen IPod hoch und zeigte immer wieder darauf. Er lächelte bewegungsstarr. „ I need a bag to save it. I need to protect it!“ Wieder zeigte ich auf den IPod: „Look, it’s raining“, (ich untermalte den Regen mit einem panischen Fingerzeig hinaus in den Sturm) „I have to safe it“ Dabei hüllte ich den Ipod ganz eng an meinen Körper und formte mit der Handfläche eine schützende Form: „It gets wet when I run out now.“ Ich versuchte mit meinen Fingerkuppen plätschernden Regen nachzuahmen, der auf meinen IPod traf.

Was für eine Show.

Oh nein. Was Nun?

Der Pharmaziebesitzer lächelte und entfernte sich von der Ladentheke weg zu einem Regal. „Oh man wie cool, ich hab‘s geschafft“, freute ich mich, während ich auf der Straße schon wieder die ersten Mopeds schwimmen sah.

Floaded Hanoi, Juli 2010

Gemächlich kam er zurück. Dabei keine Plastiktüte aber einen Blog und einem Stift.

Ich guckte geschockt auf das weiße Blatt Papier.  Oh nein. Was nun? Was will er? Vielleicht erkennt er das englische Wort nur in schriftlicher Form?

Ich nahm den Stift, gefolgt von freundlich-neugierigen Blicken des Verkäufers und schrieb in Großbuchstaben „BAG“ auf das Blatt.

1. Versuch: Schrift

„I need a BAG“, rief ich erneut. (Nun deutlich nervöser.) Nervöser auch deswegen, weil mir jetzt klar wurde, dass ich nicht drum rumkommen würde, mein Anliegen aufzumalen. Malen? Zeichnen? Sowas kann ich nicht. Sowas will ich gar nicht. Und jetzt soll ICH auch noch eine Plastiktüte malen. Wie malt man denn eine Plastiktüte? Jetzt mal ganz abgesehen von meinem nichtvorhandenen Talent – wie malt man denn generell eine Plastiktüte? Der will jetzt wirklich dass ich hier ne Tüte male?

Die Zeit lief mir davon. Ich hob kurz mein Bein und schüttelte meine Füße hin und her: Vielleicht ist die Konzentration besser, mit weniger Wasser in den Schuhen. Um mich herum wurden Wasser und unfallverdächtige Geräusche lauter. Es war nun höchste Zeit zu gehen. Wäre mir Musik nicht so wichtig und wäre ich in der Lage gewesen mir locker einen neuen IPOD zu leisten, hätte ich spätestens jetzt den Griffel fallen gelassen und wäre losgelaufen.

Ich packte  erneut zum Stift, bis mir auf dei Lippen und legte los:

2. Versuch: Zeichnen

Zugegeben, schlechter geht es nicht. Aber der Durchschnittszeichner an sich ist auch nicht viel besser. Ich habe nach meiner Rückkehr immer wieder die Leute aufgefordert SPONTAN eine Plastiktüte zu malen und kann euch leider auch nicht viel mehr loben. Es ist einfach ne absurde Sache an sich.

Der alte vietnamesische Mann grinsete nun noch mehr. Er drehte das Blatt in seine Richtung und fing sogar herzhaft anzulachen. „Ne wie geil, er hat mich verstanden. Cool. Er lacht weil er sich freut, dass diese Kommunikation geglückt ist! Super Pia. Gar nicht übel deine Zeichnung. So nun Beeilung!“ sagte ich erleichtert zu mir selbst und mein Blick folgte dem Verkäufer, wie er gezielt zu einem Regal ging.

Zurück kam er weniger zügig. Viel zu langsam näherte er sich mir wieder. Viel zu langsam für die Panik und dem Zeitmanagement, das ich verfolgte. Sein Gang, sein Gesichtsausdruck und seine Geste der Überreichung wirkten fast schon feierlich. Als ich hinab starrte auf seine Interpretation meiner Zeichnung, wurde mir die Begründung der Zelebrierung auch bald verständlich:

Eine Packung Kondome.

Er hatte in meiner Zeichnung das männliche Geschlechtsteil gesehen. Ich war erschöpft. Und ich musste seine Bemühung belohnen und sein Gesicht wahren, woran man sich in Vietnam unbedingt anpassen sollte. Konnte ihn nun unmöglich „bloßstellen“, sprich seine Interpretation als Fehldeutung bekannt machen. Davon abgesehen hätte ich eh keine Zeit gehabt, meine Ziele erneut verfolgen zu können. Ich senkte als Zeichen der Dankbarkeit leicht den Kopf und gab ihm meine restlichen und durchnässten Dong-Scheine.

Ich drehte mich – sah auf die schwimmende Staße und dann auf meine Hände. In der einen der halbtrockene IPOD, der als einziger Zeuge dieser Kommunikation geduldig in meiner Hand ruhte, in der anderen eine Packung Kondome und: EINE PLASTIKTÜTE. Nun hatte ich für den Regenschutz also die Auswahl zwischen 18 unterschiedlich großen Kondomen in allen Farben dieser Welt, oder einer Plastiktüte.

"I have to save it" - Meine neuste Sammlung

Ich entschied mich für Letzteres. Sonst wäre das ganze Drama ja umsonst gewesen, dacht ich mir. „Cảm ơn Anh, tạm biệt!“ rief ich ihm zu und lief dann zügigen Schwimmens  zu meinem Haus. Ich plätscherte durch den Flur und rannte, jeweils zwei Stufen aufeinmal nehmend ganz nach oben in den 4. Stock, riss die Tür auf und war endlich da. Uff. Fix und Fertig setzte ich mich komplett durchnässt aufs Bett. Die Kondompackung konnte durch den IPOD Rettungsverusch nicht geschützt werden und die neonleuchtende Packung sifte nun triefend auf meinem Bettlaken. Was ein Affentheater dachte ich und holte den IPOD aus der Plastiktüte.

Need my Music

Glücklich hielt ich meine geliebte Musik in der Hand: „ Et hätt noch immerjot jejange“, sagt ich laut zu mir selbst. Und erst in diesem Augenblick wurde mir bewusst, was ich da grad erlebt hatte.

Was muss der alte Mann von mir gedacht haben, als er auf die Idee kam, ich könnte Kondome haben wollen: Da steht ein junges Mädchen, komplett durchnässt in Shorts und T-shirt, hinter ihr beginnt der Monsumregen sein Unwesen zu treiben, während sie panisch vor ihm steht und an nichts anderes denken kann, als an SEX? Und zwar genau jetzt und sofort und mit flehendem Blicke und panischen Gesten, weil sie nur dieses eine Ziel verfolgt: Jetzt unbedingt Sex haben zu können. Ja ja, schon komisch diese Westler. Deren Sorgen möchte man haben…


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3 Antworten

23 10 2010
Hans Feyh

Hi Pia,

wirklich cool!
Äußerst unterhaltsam zu lesen. Würde man gerne mehr von haben.

LG Paps

23 10 2010
David

haha, großartig Pia! Was eine Geschichte.

Meine Eltern haben mir gerade im Update aus Deutschland gesagt: „Du, diesen Kulturweit-Blog musst Du dir umbedingt ansehen.“ Sie hatten recht. Wirklich … interessante Erfahrungen über die Du toll berichtest! Ich bin gespannt und freue mich auf weitere Artikel!!

22 10 2010
Rainer

Super story !
Marian hat sich in Indonesien immer naß regenen lassen, weil danach alles wieder vorbei war und die angenehme Wärme einen trocknen ließ. Allerdings gab es noch keine i-pods!




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