„Essen ist fertig!“

6 07 2010

Essen ist fertig

Lange genug habe ich euch mit meiner Vorliebe fürs Essen, mit kulinarischen Besonderheiten und Genusserlebnissen verschont. Es ist nun ein Zeitpunkt erreicht, an dem ich mich nicht mehr zurückhalten kann: Zusammen zu essen liegt für mich im tiefen Herzen der sozialen Interaktion. Sobald wir zusammen Essen teilen und einnehmen, erschaffen wir ein familiäres oder freundschaftliches Beisammensein.

Die Übereinkunft der gleichzeitigen Nahrungsaufnahme und das Gefühl des Hungers wecken euphorische Gefühle im Menschen (jedenfalls ist das so bei mir!) und werden verstärkt, wenn man diese Emotionen mit anderen erleben kann.  Glück ist schließlich nur wirklich genießbar, wenn man es teilen kann, oder?

Die Frage wie man sich gesellschaftlicher Gruppen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund am Unkompliziertesten und Angenehmsten annähern kann, wird für mich durch eine gemeinschaftliche Nahrungsaufnahme beantwortet. Beim Essen gibt es für mich keine „Kluft“, keine kulturelle Diversion zwischen zwei Kulturen, sondern ein Geben und Nehmen von Eigenarten, Besonderheiten und einer Exotik im positiven Sinne, die man durch gemeinsamen Hunger stillen kann.

In Asien wird mir diese Erfahrung extrem leicht gemacht: Es gibt nämlich keine festen Zeiten. Es wird immer und überall gegessen. Rund um die Uhr. Hauptsache es wird gegessen. Und was ebenso wichtig ist: das Essen wird geteilt: Bestellt in Deutschland jeder sein eigenes Gericht, bekommt man in Asien leere Schälchen gereicht und bestellt mehrere verschiedene Speisen auf einmal, die dann in der Mitte des  Tisches platziert werden und für alle gleichermaßen zugänglich sind. Hier gibt es kein“ Ich bestelle mir“, kein „das ist mein mein Teller“.

Dieser Weg der Nahrungsaufnahme ist mir der Allerliebste: Das Ess-Erlebnis und den Genuss zu teilen, nicht nur durch das gleichzeitige Essen, sondern durch das gemeinsame Essen, durch das Hin- und Herreichen, das Kommunizieren über und mit dem Essen, welches letztendlich doch ein viel intensiveres Wir-Gefühl produziert, als in der westlichen Kultur.

Kulinarische Erlebnisse haben für mich auf Reisen noch eine viel höhere Bedeutung als im eigenen Land: Die Nahrung, das Essverhalten und die Produkte sind für mich Spiegel des Landes und der Organisation einer Gesellschaft. Dadurch was die Menschen zu sich nehmen, wie sie essen, zu welchen Zeiten, womit, mit wem, mit welchen Traditionen das ganze verankert ist, wie sie kochen, kommunizieren und welche Wertesysteme und Alltagsgewohnheiten mit einher gehen, sind für mich die bedeutsamsten Schlüssel für die Türen fremder Kulturen. Man kann so viel mehr verstehen, wenn man die Esskultur des Landes und das Essverhalten der Einheimischen durchblickt.

Während meiner Malaysia-Reise hatte ich das Vergnügen gleich drei neue kulturelle Einflüsse gleichzeitig zu entdecken und jeden Einheimischen, den ich vor Ort kennengelernt habe, konnte ich über andere Dinge Löcher „in den Bauch“ fragen.

Auch wenn meine kulinarischen Interessen und meine Neugierde, (sowie mein Hunger) noch lange nicht gestillt sind, möchte ich euch an Hand meiner dieser Reise ein paar Beispiele geben, wie sehr das Essverhalten und die Kultur eines Landes sich gegenseitig beeinflussen:

Die malaysische Küche ist so reich und vielfaltig (auf Grund der vielen verschiedenen …) Man findet …..Einflüsse in den meisten Regionen.

Malaien essen nicht mit Besteck sondern mit den Fingern der rechten Hand. Dafür führt man die Finger zu einer kleinen Schaufel zusammen und nimmt somit das Essen auf – die Handinnenfläche sollte dabei aber sauber bleiben. Die linke Hand darf nur zum Halten und Reichen von Tellern und Platten benutzt werden. Sie gilt als unrein, weil sich die Malaien (auch Inder und Thais) damit nach jedem Stuhlgang zusätzlich mit Wasser säubern.

Die Speisen werden wie in Vietnam auch, auf Servierplatten dargeboten, von dem sich jeder Gast bedienen kann. Im Gegensatz zu den Vietnamesen würden die Malaien das Essen aber nicht frei und gierig mit den eigenen Stäbchen ergattern, sondern mit einem vorgesehenen Servierlöffel, der nicht mit bereits angerührten Speisen in Verbindung kommen darf. Erscheint einem die Portion in der Schale zu groß, muss VOR dem Essensbeginn der überschüssige Teil in die Servierschale zurückgelöffelt werden. Andernfalls muss alles vertilgt werden.

In Malaysia und in allen anderen asiatischen Ländern, gilt das Vergeuden oder gar Wegwerfen von Essen verpönt. Ist es dem Service in einem deutschen Restaurant komplett egal, wie viel der Gast auf seinem Teller zurückgelassen hat, wird man im asiatischen Raum durchaus angesprochen, ob man vielleicht später noch daran weiteressen will, oder der Restbestand zur Mitnahme eingepackt werden soll.

Auch wenn dem Service die bestellte Anzahl von gerichten als zu hoch erscheint, wird der Gast meist getadelt und daran erinnert, er könne ja auch später nachbestellen. Diese spezielle Art von Produktliebe begegnet einem überall in Asien, ist herzlich gemeint und kommt aus tiefster Überzeugung und Rückbesinnung auf die noch nicht weitentfernte Leidensgeschichte.

Die Mehrheit der in Malaysia lebenden Inder sind Anhänger des Hinduismus. Nach dessen Lehren ist die rechte Hand heilig, die linke hingegen auch unrein.

Speisen werden, anders als bei den Malaien, zu einer kleinen Kugel gerollt und dann in den Mund geführt. Schön matschig das Ganze. Macht echt Spaß. Leider darf man dabei und danach die Finger weder ablecken noch absaugen.

Ausländern wird vorsichtshalber noch Löffel und Gabel gereicht. Messer wird man allerdings vergeblich suchen. Braucht man aber auch nicht, da alle Speisen mundgerecht zubereitet werden. Die Unterscheidung zwischen „rein“ und „unrein“ ist grundlegend für die Denkweise der Hinduisten und spiegelt sich im gesamten Essverhalten der Inder wieder: Von Menschenhand berührte Dinge gelten als unrein, das gilt auch für benutztes Besteck.

Es gilt beim Essen „kräftig“ zuzulangen und auch jedes Nachschlagangebot zu bejahen. Kritische und zurückhalten Esser sind bei indischen Gastgebern nicht sehr willkommen.

Das Highlight sind die Speisen auf Bananenblätter. Viele verschiedene Saucen und Curries werden darauf mit einem Berg Reis serviert. Am Ende der Mahlzeit wird das Blatt gefaltet. Ob man das Blatt besser vom Körper weg nach oben faltet oder eben zu sich hin nach unten – darüber wird heiß diskutiert:

Als Zeichen das einem das Essen geschmeckt hat, faltet man das Blatt gewöhnlich nach unten, also zum Körper hin. Allerdings: Manche Inder mit denen ich mich darüber unterhalten habe, empfinden diese „banana leaf behaviour“ lächerlich und haben noch nie von dieser Regeln gehört. Ich konnte jedenfalls während meiner Reise sämtliche Faltweisen beobachten, genauso wie das Einrollen oder das Offenliegen lassen und dabei mit dem Ellenbogen ausversehen die letzten Reste erwischen und sich das Outfit versauen. (Ich!)

Auch für die Chinesen ist Essen  wichtigster Bestandteil des Alltags. Sie  lieben es, darüber zu reden, dafür zu planen und viel Zeit dafür zu investieren. Allein für ein gutes Essen irgendwo im nirgendwo,                                                                                        werden durchaus gerne mal 2 Stunden Anfahrt in Kauf genommen. Einen Ort zu kennen, an dem es  überdurchschnittliche gute Speisen gibt, erhöht zudem auch das Ansehen in manchen Kreisen.

Die Vorstellung die gemeinsame Mahlzeit im stehen oder vor dem Fernseher einzunehmen ist für die meisten Chinesen nicht nachvollziehbar.

Im Durchschnitt gehören die in Malaysia lebenden Chinesen zu den Wohlhabenderen und präsentieren ihren Status  gerne durch einen reich bedeckten Tisch und bestellen für gewöhnlich mehr als der Gast essen kann. Das Essen erfolgt in Gesellschaft (am liebsten mit der Familie) und stellt zugleich ein soziales Event da. Während der Mahlzeit werden die angebotenen Speisen diskutiert und kommentiert.

Essen ist Kultur, ist Alltag, ist Kommunikation, Emotion und Leben.

Das das nicht übertrieben sondern durchaus der Realität entspricht, zeigt sich auch an der Begrüßungsformel der Chinesen, die sich in ganz Asien wiederentdecken lässt:

„Hast du schon gegessen?“ (Have you eaten already?) oder in Vietnam, Thailand und Kambodscha zum Beispiel: „Hast du schon Reis gegessen?“ –  ist nicht wörtlich zu verstehen, sondern gleichbedeutend mit einem freundlichen „Wie geht es dir?“ (How’s it going). Satt zu sein und ein genussvolles Mittag- oder Abendessen hinter sich zu haben geht einher mit starkem Wohlbefinden. Wer sich also  irgendwann alleine ein Käsebrötchen vor dem PC reinzieht – dem kann es ja nicht gut gehen.

Und während ich das alles (und noch so viel mehr!) verstehen will, nicht nur in Malaysia sondern auch in Vietnam und in jedem anderen Land dass ich sehen durfte und sehen werde, merke ich, dass die Esskulturen ein erfolgreicher Weg sind, um Asien und seine verschiedenen Einflüsse mit allen Sinnen aufnehmen zu können. Kulturen an sich heranzulassen, in dem man sich auf das Essen einlässt.

Ich esse mich quasi durch etwas hindurch, durch eine Art kulturelle Grenze und nähere mich dem Fremden mit jedem Bissen mehr an. Vielleicht ist das einer der Wege die man in Asien gehen muss, um lokale Kultur „einzunehmen“. Und auch wenn Asien so anders ist, zu Beginn so befremdlich und es viel Umstellung erfordert hier zu leben und zu arbeiten – eine Sache scheint doch überall gleich zu sein:

Das Leuchten und die Freude in den Augen aller Menschen, wenn sie die (fast) schönsten drei Worte der Welt hören:

„Essen ist fertig!“


Actions

Informationen

3 Antworten

25 04 2011
msi laptop i5

I do not even know how I ended up here, but I thought this post was great. I do not know who you are but definitely you’re going to a famous blogger if you aren’t already 😉 Cheers!

15 07 2010
Hans Feyh

Hallo Pia,

endlich komme ich dazu auf diesen neuen Eintrag zu antworten.
Diesmal habe ich was gelernt. Eine Reihe deiner Hinweise und Feststellungen waren mir so nicht bekannt und habe meinen Horizont nun wieder erweitert.
Das es wiederum schöne Fotos zu betrachten gab ist ja schon selbstverständlich soll aber deswegen nicht unerwähnt bleiben. da sie doch wesentlich zur Bereicherung betragen und wieder sehr gelungen sind.

Alle Liebe
Paps

9 07 2010
david

Jetzt hab ich Hunger! Der Artikel hat dir bestimmt am meisten Spaß gemacht zu schreiben, hm?! Merkt man! Ich freu mich drauf, mit dir essen zu gehen und ich bin froh, dass ich Rechtshänder bin. Kuss us Kölle




Zur Werkzeugleiste springen