Vielleicht ist das einer der friedlichsten Städte Asiens: Luang Prabang in Laos.
Diese Stadt verkörpert den Zauber einer Kultur, die das selbstgenügsame Verweilen im Moment dem rastlosen Aufbruch in die Zukunft vorbeizieht. Dieser Ort hat Magie. Die Zeit steht still hier. Die Menschen laufen nicht. Sie schlurfen. Sie schreien nicht, sie flüstern. Sie gucken nicht, sondern lachen. Ja wirklich, es hat schon fast etwas meditatives, wenn man die ersten Sonnenstrahlen über dem Nam-Fluss blinzeln sieht, beobachtet wie die Markfrauen ihre Waren in den Gassen ausbreiten und sich die Mönche auf den allmorgendlichen Almosengang begeben. Wenn man unmittelbar erleben darf, wie die Stadt erwacht ohne dabei richtig aufzuwachen. Luang Prabang schläft eigentlich immer sanft, aber sobald sie in den frühen Morgenstunden ihre Augen aufschlägt ist sie doch empfangsbereit und zugänglich für all ihre Besucher. Ja, es das Erwachen einer Stadt, ohne dabei in einen hektischen, lauten und verzerrten Alltagsrhythmus zu zerfallen.
Dieser Ort hat alles, was der Reisende sucht um wieder in Balance zu geraten und innere Ausgeglichenheit zu sammeln.
Das 40.000-Einwohner-Städtchen liegt in seiner Tallage, umgeben von dichtbewachsenen Bergen, hunderten von Tempelanlagen, alten Kolonialvillen und traditionellen Holzhäusern einfach nur da, grinst seine Besucher neugierig an, mit unendlich viel Charme. Ruht in sich, ohne von modernen Neubauten und industrieller Reizüberflutung zerstört zu werden.
Ich lasse mich fallen in das beschauliche Treiben, genieße den typischen Zitronengrastee zum Frühstück und spüre, dass ich endlich mal durchatmen kann.
Der Touristenaufschwung begann hier 1995, als die UNESCO Luang Prabang als Weltkulturerbe nominierte. Davor glich der Ort einer „Geisterstadt“, erzählt mir der Manager unseres Resorts. Im Laufe der Zeit hat die Stadt ihr Gewand gewechselt, möchte zugänglicher erscheinen, für die Fremden aus aller Welt und hat versucht sich schick zu machen.
Das Resultat sind einige Internetcafés, Reisebüros, oder erotikfreie Massagesalons. Tuk-Tuk Fahrer stehen ungeduldig bereit, und wollen einen zum Fluss runter bringen. Trotz aller neumodischen Versuche – das Gewand der Stadt bleibt orange.
Orange – Buddhistisch. Luang Prabang als der Teil Indochinas, indem die Religion noch den Rhythmus der Stadt bestimmt.
Dennoch bleibt die Anzahl der Touristen hier angenehm übersichtlich: Neben den vielen Backpackern mischen sich auch immer mehr Jetsetter, die müde und ausgepowert vor dem asiatischen Großstadtwahnsinn flüchten. Tagsüber haben Elodie und ich die Stadt der Stille für uns. Den meisten Touris ist es zu heiß. Die Straßen sind leer, die Internetcafes jedoch bis auf den letzten Platz besetzt.
Die Backpacker sitzen dort mit ihren Webcams, viele von ihnen haben ein Headset auf. Sie wollen wissen was zu Hause passiert, oder planen ihren nächsten Trip, bevor sie den gegenwärtigen überhaupt richtig erleben können. Es wird ihnen aber auch immer einfacher gemacht: Es scheint als entwickeln die Länder eine neue Form der Tourismusindustrie, die sich ganz stark den Bedürfnissen der Backpacker anzupassen versucht. So sehr, dass der Backpacker kaum noch Unternehmungen startet, sich selbst dem Land anzupassen.
Elodie und ich gucken hinein und gehen weiter. Wir freuen uns, dass die Tempel menschenleer sind, kommen ins Gespräch mit einigen Mönchen und die Markverkäufer machen uns gute Preise, weil die Kundschaft der Hitze fern bleibt. Ein Taxifahrer fährt uns umsonst zu seinem Lieblingslokal.
Die laotische Küche wurde – im Zentrum Südostasiens gelegen – von Indien und Kambodscha, China und Vietnam beeinflusst, und ähnelt der Thai-Küche, wobei sie sich allerdings auch viele Eigenheiten bewahrt hat…(ich verkneife mir an dieser Stelle weitere kulinarische Ausführungen, sonst endet dieser Blogeintrag gar nicht mehr)… Wir lassen uns treiben und verlieren uns mit jedem Schritt mehr in diesem eigenartigen Vibe der Stadt.
Die Menschen hier erscheinen uns überaus freundlich und respektvoll, nicht so ungehalten neugierig, sondern eher entspannt und irgendwie im Einklang mit der Welt.
Die Stadt ist klein, und schon abends auf dem Nachtmarkt erkenne ich Gesichter wieder, die beim Frühstück im Hotel gesehen habe. Man kommt ins Gespräch. Ich spreche gerne mit Backpackern die durch Südostasien touren – nicht nur weil ich vorhabe sie für meine Masterarbeit auszuquetschen, sondern auch weil mich interessiert, auf welche Art sie reisen. Die kulturwissenschaftliche Brille kann ich dabei nie ganz abnehmen, das muss ich dabei wohl verschämt zugeben. Vor allen Dingen in diesen 6 Monaten, wo ich mich nicht als Backpacker, sondern als Expat unterwegs sehe. Was mir bei dem ein oder anderen Drink mit Langzeitbackpackern aufgefallen ist, ist ihr dramatische Versuch, sich mit ihrem Backpacking von anderen Touristenformen abzuheben. Immer und immer wieder wird betont, etwas untouristisches zu tun, etwas Außergewöhnliches zu erleben, ohne dabei konkretisieren zu können, was das genau ist.
Ja auch einzigartig muss es sein. Das Problem ist, dass die meisten von ihnen längst erkannt haben, dass die Suche nach unberührten Kulturen und einsamen Stränden eine Illusion ist. Deswegen reisen sie gerne direkt in kleinen Gruppen. Ist auch viel einfacher. Und das Bier schmeckt dann gleich auch viel besser. Dennoch fühlt sich das alles „total individuell“ an und die meisten glauben wirklich, ein echtes Abenteuer zu erleben, wenn sie für viel Geld die 10 Tages-Adventure-Tour buchen – mit Heerscharen von „Individualisten“.
Was mich traurig gemacht hat, waren die Geschichten die ich gehört hab. Fast jede Story endet in irgendeinem Pub oder in einer Bar, oder wechselt zu ausgereiften Sexerfahrungen über. Party machen und Spaß haben scheint für die Backpacker die ich dort getroffen habe, wertvollster Ertrag zu sein. Kulturelle Differenzen, positive und negative Begegnungen mit Land und Leuten, Faszination für bestimmte Orte,
gute oder schlechte Erlebnisse mit der Fremde, fanden kaum Erwähnung in ihren Schilderungen. Wie kann man als Reisender kulturelle Erfahrungen in eine Nebensatzfunktion absetzen? Ich weiß nicht was mit diesen Reisenden passiert ist. Vielleicht war ich in meinem Backpacker-Jahr genauso, ohne es gewusst zu haben? Ich hoffe es nicht. Ich habe mich später jedenfalls köstlich amüsiert mit den Backpacker in Luang Prabang. Sie beschimpfen den Pauschaltouristen mit seinem langweiligen Tunnelblick, während sie mit I Phone in der Hand, Ipod und Lonely Planet Guide auf dem Tisch, ihren nächsten Trip planen. Herauszuarbeiten gilt dabei, auf welchem Wege sie am Bequemsten und Unkompliziertesten in die nächste Stadt kommen. Und dabei grübeln sie noch, wer von den anderen eigentlich gerade den Memory Stick mit den ganzen Partybildern im Laptop stecken hat. Einfach und bequem soll das Reisen jetzt sein. Und billig. Abendteuer und Herausforderung hören sich zu anstrengend an. Und zu ungewiss. „Dem Fleisch kannste nie trauen“ – und massenhaft Reis hier: „Schrecklich nach einiger Zeit“, jammern sie.
Jemand ruft jubelnd von hinten, er hätte im Lonely Planet von einer ganz tollen Bäckerei gelesen: „Mit einem deutschen Bäcker. Voll der Geheimtipp. Und mal ne Abwechslung“… Einige von ihnen scheinen genau zu wissen, wer sie sind, ihre Definitionen und selbstvorgegeben Wertesysteme werden dann aber völlig widersprüchlich und sinnfrei ausgelebt. Ihre Interaktion mit dem Reise-Alltag unterscheidet sich somit doch dann eigentlich null von all den anderen Touristen.
Statt dass der Backpacker versucht eine Brücke zur lokalen Alltagskultur zu schlagen, zählt er die Minuten bis zur Nächsten happy hour runter und versucht sein deutschen Brötchen zu ergattern? Ich unterdrückte meine kritischen Einwände und schluckte sie mit einem kühlen Schluck laotischem Bier hinunter.
Ein Backpacker aus dieser Truppe beobachtet mein genussvolles Erlebnis und unterbricht mich dabei laut und euphorisch: „Das ist es doch oder? So ein kühles Bier frisch und auch so landestypisch. Auf die Art kannste das fremde Land am Besten mit allen Sinnen aufnehmen. Ähm und einnehmen!“ Heiter und über sich selbst lachend prostet er mir zu.
Unsere Gläser stoßen zusammen. Ich grinse. Seine Aussage tut mir fast ein bisschen leid. Nur um dieses Bier trinken zu wollen, muss ich bestimmt keine 9000km reisen. Zum Glück weiß ich, dass es genug Backpacker gibt, die nicht nur wegen Bier und Disco ihren Rucksack packen. Der Gedanke beruhigt mich. Irgendwann in der Nacht haben wir genug Backpacker-Stories gehört. Elodie und ich schlurfen zurück zu unserem Resort. Die frühere Heimkehr hat sich an diesem Abend gelohnt. Als wir den Vorhof erreichen wird uns schlagartig wieder bewusst gemacht, dass
in Laos nicht nur das Bier fließt, sondern auch die Entspannung:
Luang Prabang war eine wunderbare Erfahrung. Ein echtes Abenteuer mit verrückten, gefährlichen, anstrengenden und extrem gechillten Situationen. Obwohl die Stadt so klein ist – ich hätte meinen Aufenthalt gerne verlängert.
Ich lehne mich zurück, lasse mich fallen in die Magie der Stadt, genieße das Leben der Menschen, ihren Alltag, ihre Traditionen, ihr Essen – lehne mich vor, höre als stiller Beobachter den Backpackern zu, fahre hinaus in den Regenwald, kehre zurück in das Alltagsleben der Laoten… Sammle Kraft und Energie für Hanoi und packe all das eifrig neben mein kulturelles Gepäck mit ein: Die Tasche war leer als ich ankam. Ohne jegliche Erwartungshaltung bin ich in dieses Land gereist. Ohne irgendeine Vorstellung. Mit wertvollen Gütern kehre ich heim.
„Der einzige Nachtteil ist, dass wir alle die gleiche Idee haben. Wir reisen Tausende von Meilen, nur um fernzusehen und irgendwo einzukehren wo wirs genauso komfortabel haben wie zu Hause. Und du fragst dich: Was hat das alles für einen Sinn?“ (Aus: The Beach, Danny Boyle, USA 1999)
Hi Pia,
wahnsinn! Echt toll geschrieben – hab teilweise sogar Gänsehaut bekommen…
Wie immer, ein echt guter Artikel/Bericht! Nicht schlecht Frau Feyh
Liebe Grüße aus dem Bergischen
Danke schön.
Hallo Pia,
Prima gemacht, kultur-philosophisch mit coolen Gedanken zum Backpacker-Tourismus und wie immer echt gute Bilder! Dabei fügst du immer noch gute Infos zum Reiseort hinzu. Deine Bildbearbeitungen gefallen mir jetzt sehr gut.
Wir sind schon sehr gespannt auf deinen Malaysia-Bericht
Gruß aus Bolsena
Paps
Ein absolut toller Bericht. Wunderbar. Bitte tu‘ mir den Gefallen und schreibe irgendwann ein ganzes Buch
Du schreibst einfach fantastisch …
toll!