Wie viele Gesichter hat ein Land?

24 05 2010

Nach dem ich von Halong Bay zurückkam, habe ich mir (wohl auf dem Boot) eine krasse Lebensmittelvergiftung eingefangen wankte 4 Tage zwischen Toilette und Bett umher und ins Krankenhaus. Ende der Woche wollte meine Vermieterin mich aufbauen und fragte, ob ich noch immer Interesse daran hätte, ein Motorbike zu mieten. Sie hätte mir eins besorgt. 3oo Meter fuhren wir in ihrer Gasse rauf und runter. Ich, die wackelige Fahrerin und sie, die Fahrlehrerin, mit aufgeregten Parolen auf nicht immer verständlichem Englisch. Nach ca. 10 Minuten hatte sie keine Zeit mehr und wünschte mir viel Spaß: „Take Care“ rief sie mir noch euphorisch hinterher und verschwand im Hauseingang. Mhm ja…take care ist gut, dachte ich mir, als ich auf das Cockpit meiner „Honda Wave“ blickte und überlegte, was sie mir jetzt eigentlich zu der Gangschaltung gesagt hatte, die sich da unten an meinem linken Fuß befand. Ich bin so ein Teil schließlich noch nie in meinem Leben gefahren. Und auch wenn ich durch meine Motorbike-Taxi – Erfahrung und dem Fahrradfahren doch wusste, wie der Verkehr hier funktioniert (bzw. nicht funktioniert,) hatte ich keine Ahnung von der Fahrtechnik. Unsere französischen Freunde hatten für das Wochenende einen Trip geplant und eh ich mich versah, war ich die dritte Fahrerin in unserer bunten 5er-Truppe.

Vianney, Oona, Jermey, Elodie

Roadtrips durch den Norden Vietnams, ohne jegliche Fahrpraxis. Eigentlich wollten wir deswegen die Strecke verkürzen und den furchteinflößenden Highway umfahren. Das Verkürzen ging daneben, die Highway-Vermeidung

Where to go?

hat größtenteils geklappt. Jeremy und Vianney hatten sich wirklich tolle Routen durch die Dörfer zurechtgelegt, möglichst weit weg vom Highway und seinen Gefahren. Es war so beeindruckend und einzigartig, das wir am Ende

doch 6 Stunden Uhr auf den Mopeds saßen, (und auf dem Rückweg am nächsten Tag ebenfalls), bis wir unser Ziel erreichten. Naja, eigentlich war die Fahrt dahin das Ziel: Raus aus Hanoi, der 38 Grad heißen Abgasglocke, weg von Menschenmassen und

Hupkonzerten.

Raus aus dem unbremsbaren Verkehr und geschäftlichen Gewusel auf vollgeparkten Bürgersteigen. Und ganz urplötzlich ist man umgeben vom ländlichen Treiben. Ich saß auf dem tösenden Ding und konnte nur schwer realisieren, was ich hier grade tat.

Es gab so viel zu sehen, zu entdecken, zu verstehen, zu riechen, zu spüren und das alles auf diesem knatternden Untersatz, der mir immer weniger fremd wurde, aber immer noch herausfordernd blieb.

Und diese Art der Fortbewegung in dieser netten Gruppe war nicht nur berauschend, anstrengend und abenteuerlich, sondern vor allen Dingen ein wertvolles Lehrstück über das Land und seine Menschen.

Denn so ein Paradigma der „ursprünglichen Kultur“ lässt sich in Vietnam besonders gut in den Dörfern wiederfinden. Wie bunte Blöcke des soliden Lebens inmitten des dichten Grüns der Natur, schauten sie uns freudig aus den Reisfeldern entgegen.

Making Rice

In vorkolonialer Zeit herrschte innerhalb der vietnamesischer Dorfgrenzen ein relativ hoher Grad an Autonomie, sozusagen nach dem Motto: Das Gesetz des Kaiser steht unter dem Brauchtum des Dorfes!

In den Dörfern hat sich während der französischen Kolonialzeit aber viel geändert und von den traditionellen und ursprünglichen Verhältnissen ist vieles nur noch in abgeschwächten Formen zu finden.

Trotzdem sind es genau diese kleinen Dörfer hier überall, die die traditionellen Rituale und die kostbare Kultur tragen und bewahren, welche ich doch immer überall suche, um besser verstehen zu können.

Viele der Dörfer scheinen wie Siedlungseinheiten: alte Stadttore wuchern noch im vertrockneten Gras und fast überall findet man die sogenannten ngo – ein Labyrinth an schmalen, großenteils mit Backstein gepflasterten Gassen, in die wir vergnügt hineinknatterten. Irrgärten also – vollgesogen mit Kultur, die so unberührt wirkt und mich erinnern lässt wo ich eigentlich bin, in welchem Land, bei welchem Volk.

Ein Gedanke, den man im Goethe Institut, in Hanoi, oder in der Gesellschaft mit Westler hin und wieder vergisst.

Vieles was ich über dieses Land erfahren will, was ich suche, finde ich in diesen Dorfgrenzen wieder:

Die Tradition des Respekts vor dem Alter, der Ahnenkult, die Opfergaben, der zwischenmenschliche Umgang, uralte Essgewohnheiten und Zubereitungsweisen – der vietnamesische Alltag – für einen Jeden sichtbar, greifbar, riechbar. Straßenhändler bauen ihre Waren auf: Fleisch, Gemüse, Obst und (halb)tote Tiere ziehen an uns vorbei.

Ja es ist leider das was ihr denkt...

Textilien werden an den Straßenrand gestellt, in den Straßencafés hört man das Rauschen des Fruchtshakers, ein Stückchen weiter das Schweißen des Mechanikers.

1. Panne..

Wenig später kommen wir an einer Gruppe Einheimischer vorbei, die gerade ihre Plastikstühle- und Tische zusammengereiht haben, um daran nun seelenruhig ihren Vormittag zu verbringen.

Der Geruch von Kaffee dringt in meine Nase und eh ich es richtig wahrnehmen kann, sind wir auch schon wieder weiter.

After (h) our full day driving

Die Dorfältesten sitzen im Schatten, lecken den Klebreis von ihren Fingern ab, während die kleinen Kinder im Sand mit Plastikflaschen kicken und so aussehen, als hätten sie das Glück auf Erden gekauft.

Dorfälteste

Hier kennen Kinder keine Einschränkungen. Das ganze Dorf scheint ein Spielplatz, überall wird getobt und geschrieen und keine mahnenden Stimme, die die Horde an ihre Grenzen erinnert, auch wenn es ab und zu super knapp aussieht, wenn ein Transporter an den spielenden Kindern vorbeirast und neben der dicken Staubwolke einen großen Schock bei mir hinterlässt. „Umso lauter Vietnamesen sich unterhalten, singen oder Musik hören, desto glücklicher sind sie“, erklärt mir Trang auf ihrer Verlobungsfeier, die ebenfalls in einem kleinen vietnamesischen Dorf in der Nähe Haiphongs stattfand.

Verlobungsfeiern dieser Art sind reich besetzt von rituellen Praktiken der Dorfgemeinschaften und spiegeln das wieder, was der Stadtalltag verschluckt. Dadurch dass bei der Verlobungsfeier ein deutschsprechender Vietnamese dabei war, konnte ich alles Fragen, was ich wissen wollte und mich endlich auch mal richtig mit den Einwohnern unterhalten, wenn er uns quasi simultan übersetzte.

Ein Fest zur Verlobung ist in der Tradition unumgänglich. Die Anzahl der Geschenke, die Art und die Form der Überreichung, das Essen, die Verteilung der Speisen, der ausgewählte Zeremonienmeister, die Zeiten der Übergabe, die Worte der Familienmitglieder, die Gesten und Symbole – alles hat Rang und Bedeutung.

Bei unseren Roadtrips an der Kultur vorbei zu düsen, oder als Besucher teilzunehmen, an den dörflichen Sitten und kulturellen Praxen der Vietnamesen, hat bei mir jedes Mal kleine neuen Türen geöffnet.

2. Panne...Got burned...

Es gibt hier so viel was ich nun verstanden habe, noch verstehen will, was ich wohl niemals verstehen werde, oder nur langsam erfahre, mich herantaste, als Teil, als geladener Gast, als knatternde Vorbeirauschende, oder als arbeitende und Lebende mitten in der Stadt.

Wie viele Gesichter kann ein Land also haben?


Genauso so viele, wie du bereit bist zu geben!

Auf der Rückfahrt von der Verlobungsfeier habe ich mich eine Zeit lang nach vorne zu dem deutschsprechenden Vietnamesen und unserem Fahrer gesetzt. Wir blickten gemeinsam hinaus durch die große Frontscheibe in die Abendsonne, entfernten uns langsam aus dem dörflichen Leben und fuhren der Hauptstadt wieder entgegen.

Ob es mir gefallen habe, fragte der Fahrer mich. Ich fing an zu schwärmen und erzählte, wie unbeschwert und ausgelassen die Gesellschaft auf mich gewirkt habe. Und das das bei so großen Familienfeiern ja nicht immer selbstverständlich sei. Keiner wirkte gestresst, keine Spannungen waren spürbar und wenn was entegegn der Planung lief, oder es Probleme gab, wurde darüber gelacht, statt Panik zu verbreiten.

Alle schienen einfach nur glücklich da zu sein und sich gegenseitig zu haben.

„People here smile much more than western people,“ sagte der Fahrer.

Ich wusste was er meinte. Wir schwiegen gemeinsam und blickten hinaus.

„Warum meint ihr ist das so?“, fragte ich.

Der Fahrer schaute kurz von der Straße auf in mein Gesicht, strahlte mich mit seinem nicht ganz vollständigen Gebiss an und sagte:

„Well, if you have nothing – you have nothing to lose!“


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2 Antworten

26 05 2010
David

Hey meine Süße,

Die story hast du mir ja schon via skype mitgeteilt, wo du mit Betonungen und Gestiken versucht hast, mir das Erlebte zu beschreiben. Und das hier jetzt noch mal zu lesen, wirkt ja fast schon noch lebendiger, als das erzählte. Toll!

Catch ya later my love

26 05 2010
Muck

Guten Morgen Pia!

Wollte einen abendlichen Grüß dalassen.
Klingt wieder nach einem wunderbaren Ausflug bei Dir!
Wir (Martina, Mo, mein Bruder und ich) hatten jetzt auch gerade eine kleine, nette Tour. Festivalsaison eröffnen 🙂

Du stehst wahrscheinlich gleich auf, ich geh jetzt in die Heia.
Jut Nacht und auf bald mal bei Skype?!
Muck!




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