Ich dachte mir es wäre nach Hongkong, Macau und Saigon vielleicht mal wieder an der Zeit, den Radius etwas enger zu ziehen und einen Trip in der Region zu machen, in der ich zurzeit Lebe.
Denn wer zu viel fernsieht, verliert den Weitblick.
Und um das Land, Hanoi und seine Menschen verstehen zu lernen, eignet sich nichts besser, als die vielen kleinen Dörfer zu bereisen, die nur einen Steinwurf von Hanoi entfernt liegen und sich in einer Weise präsentieren, die meinem Bild von Vietnam wieder tausend feine Farbkleckse dazu schenken, obwohl ich dachte: Bunter geht es ja kaum noch! Es gibt auf diesem Bild natürlich auch einige Pinselstriche, die durch Fremdeinflüsse auf mein Bild geraten sind.
Es sind die grobmotorischen, dunklen Anstreicher des Massentourismus.
Der erfolgreichste unter ihnen befindet sich wohl in der Ha Long Bucht. Kein Bildband, kein Hochglanzkatalog, auf dem sie nicht an vorderster Stelle auftauchen würde.
Die Ha Long Bucht, mit ihren knapp 2000 Kalksteinfelsen, die wie mystische Wesen aus dem Wasser ragen. Jährlich zieht es Millionen in- und ausländische Touristen in den Nordosten, um dieses Naturwunder zu erleben. Die eigentliche Legende vom „herabsteigenden Drachen“ (HaLong) verschwindet mehr und mehr in dieser bizarren Inselwelt. 
Die nüchterne Sachlichkeit hat alle Erklärungsversuche überholt. Und die Dynamik der Moderne lässt jegliche Romantik langsam weichen. Die in den meisten Bildbänden malerisch durch die Buchten gleitenden hölzerneren Dschunken sind immer seltener zu sehen. Sie wurden Opfer der Mechanisierung.
Die Entzauberung der Moderne macht nicht einmal vor der urtümlichen Landschaft der Halong-Bucht halt.
Das wir nicht einsam zwischen einem mythologischen Steingarten umher schippern würden, war uns natürlich vorher schon bewusst. Und wenn man den ganzen Tourismus-Hype und die zahlreichen Tour-Anbieter um sich herum ausblenden kann, offenbart sich einem eine einzigartige Inselwelt, dichtbewachsene Felsen, Grotten und Höhlenlandschaften, die früher idealen Unterschlupf für Piraten boten. Heute sind die Buchten Heimat vieler Familien, die in Schwimmenden Dörfern leben.
Ich hatte auf dieser Tour wirklich unheimliches Glück. Die Idee entstand spontan mit Leuten die ich hier in meinem Expat- Stipendium- Praktikum- Umfeld kennengelernt habe und die ebenfalls für mehrere Monate in Hanoi arbeiten. Jeremy (Vietnamese/Franzose), Elodie (Französin) und Tamas (Ungar)
Eine Übernachtung auf dem Boot, einen Übernachtung auf Monkey Island, mit Zwischenstopp auf Cat Ba und Besuch des Nationalparks da.
Das gemietete Boot war schön, das Wetter unerwartet ideal und eh ich mich versah, war ich raus aus dem lauten, wilden und unvorhersehbaren Hanoi, mitten auf dem Meer, auf dem Sonnendeck, umgeben von salziger Luft, Ruhe und dem Blick auf dem Horizont, der bekanntlich jedes Mal meinen Kopf aufräumt und alles lichtet, was sich so vorher angestaut hatte.
Die Halong Bucht ist beeindruckend, aber das Einzigartige und Mystische ist durch die Pinselstriche des Massentourismus übermalt – wie an so vielen schönen Orten dieser Welt. Meistens kann ich das gut ignorieren. Wenn man dann jedoch von seinem „Guide“ in einer der Grotten geführt wird und sich kaum fortbewegen kann, weil ALLE Boote in dieser „besonderen“ Grotte halten und ALLE Guides ihre Gruppe dadurch schleppen wollen, wird es schon ne Herausforderung, vor allen Dingen als Platzangst-Gefährdete wie mich. Und als der Guide dann mit seiner Taschenlampe in die mit Neonlicht bestrahlten Grotte auf einen simplen Felsen leuchtete und sagte „Thats the turtle-stone. Because it really looks like a turtle!!!“ (Nein, sorry – selbst mit sämtlichen Kräften meiner Phantasie nicht!) – wollte ich nur noch raus aus dieser „Grotte“, vorbei an den Verkaufsständen, Mülleimern und Besuchermassen, ganz schnell hinauf auf unser Boot und irgendwo hin, wo ich mir wenigstens einbilden kann, keiner von denen zu sein, die sich in den Fängen des sterilen, wohlbehüteten und streng kontrollierten Armen des Pauschaltourismus befinden.
Ein guter Platz um die Halong Bucht in ihrer vollen Schönheit genießen zu können und trotzdem ungestört zu sein, bot sich uns dann wenig später: Monkey Island.
Eine Insel, dicht bewachsen und ne wunderschöne Bucht links und rechts. Wir hatten tatsächlich ein komplettes Resort nur für unsere Gruppe (ca. 12 Leute) und eine Bucht ohne andere Besucher. Als wir vom Boot runter stiegen und die Füße den Sand berührten, als wir wenig später mit netten Menschen zusammen im Liegestuhl saßen, die Sonne auf die Haut drückte und wir schon am ersten Bierchen nippten, war ich total überfordert. Ich konnte einfach nicht glauben, wo ich grade bin, wie schön das alles ist. Naja kurz gesagt: Ich hab mich nicht mehr eingekriegt. Ich habe versucht auf Deutsch, Französisch und Englisch kundzutun, wie toll das hier ist und am Schluss aus meiner Verzweiflung noch auf Kölsch einen oben drauf gesetzt.
Es hat nichts geholfen. Die Welt umarmen kann ich ja doch nicht. Aber sie genießen immerhin.
Irgendwann haben wir aus dem Liegestuhl aufgerafft und haben die komplette Insel ausgecheckt.
Die schwarzen Pinselstriche des Massentourismus waren rasch übermalt: Inmitten der bewachsenen Wälder sind wir auf Einheimische gestoßen, haben uns am Ufer mit Fischertypen unterhalten (dank Jermey’s vietnamesischer Herkunft und Übersetzungskunst) und sind irgendeinem Pfad gefolgt, der uns an einen anderen Strandabschnitt geführt hat. Abends gab es ein gemeinschaftliches Grillen am Strand, nur wir, das Meer und diese Insel, bestes Essen und jede Menge Alkohol. Irgendwann kamen auch die Ansässigen aus ihren Unterschlüpfen heraus und haben sich mit uns amüsiert.
Die Gruppe war so gut gemischt und der Kulturaustausch sehr wertvoll und sehr wohltuend, dass ich gerne die Zeit angehalten hätte und mir einfach ein paar Wochen diesen erlebten Tag und diese aufregende Nacht angeguckt hätte. Ich wollte nicht, dass es vorbei geht. Wollte nicht dass die Sonne wieder aufgeht und die Sterne da oben verschwinden.
– Wollte nicht aufhören mit den Einheimischen und den anderen Reisenden Reiswein zu trinken und über das Leben zu sprechen. Und wie immer natürlich über das Lieblingsthema aller: Fremde Kulturen und das Reisen. Für einen Moment hab ich mich entfernt und mir das Schauspiel dieser Nacht aus der Ferne angeguckt. Aber die Intensität war immer noch da.
Und während ich da so saß und die Atmosphäre inhalierte,
ist mir bewusst geworden, dass man anderen niemals einen Ort, oder ein Reiseziel empfehlen kann. Denn das was befürwortet, ist niemals der Ort selbst. Das was man anderen empfiehlt ist die Zeit, die man an dem Ort erlebt hat. Die Zeit macht den Ort zu dem, was er ist.
Irgendwann kamen zwei vietnamesische Frauen aus der Truppe zu uns. Eine kam mit Jeremy intensiver ins Gespräch und er übersetzte fleißig. Als die Zeit und der Wein dahinflossen, bot sie uns irgendwann an, „uns etwas mit auf unseren Lebensweg“ zu geben. Wie bei den Vietnamesen weit verbreitet, glaubt sie an das Händelesen, an Zeichen und sagt von sich, dass sie Menschen deuten kann, sobald sie Handkontakt mit ihnen hat.
Drei oder vier grölende Alkoholleichen verzogen sich nach diesen einleitenden Worten in ihre Bambushütten, zurück blieben nur noch meine Leute und die beiden vietnamesischen Frauen.
Ich weiß woran ich glaube und ich weiß woran nicht, trotzdem finde ich solche tiefverwurzelten Traditionen total spannend und war sehr dankbar das erleben zu dürfen. Bevor ich verstand, hatte sie auch meine Hand gegriffen. Die Art wie sie mich berührte und Kontakt zu mir aufnahm, die Art wie sehr erst grob meine Hand tatschte, dann die Augen zusammenkniff und vorsichtig über meine Linien strich, war so anders, so weit weg, und doch so unmittelbar greifbar (im warten Sinne des Wortes) dass es mich wirklich sehr bewegt hat. Teil zu sein, von einer so fremden Zeremonie, die so weit weg ist von unserer westlich modernen Welt und so weit weg von meinen Glaubensvorstellungen und Orientierungssystemen.
Hatte ich mich am Vormittag noch über fehlende Mystik und Romantik beklagt, so lag dieser Zauber nun überall um uns herum, inmitten auf einer Insel, an einem Strand, in dunkler sternklarer Nacht, mit einer vietnamesischen Handleserin. Ihre Worte klangen ruhig und ich hätte gerne wieder die Zeit angehalten. Wenn sie sich in der englischen Sprache verlor, redet sie mit Jeremys Übersetzungshilfe auf Vietnamesisch weiter. Wir haben uns alle fast komplett wiedergefunden, indem was sie über unsere Vergangenheit und Gegenwart gesagt hat. Es ist schon unheimlich, weil man für diesen Moment wirklich das Gefühl hat „gelesen“ zu werden. Wie kann es sein, dass dieser fremde Mensch „Bescheid weiß“, über unsere Ängste, unser Leiden, über unsere Freuden, über unsere Wünsche, über unsere Rückschläge und Erfolge?
(Keine Angst, ihr werdet mich später bestimmt nicht aus einer neonbeleuchteten Zauberbox im Phantasialand ziehen müssen, wo ich mir für 12 Euro pro Minute Geschichten eines Kartenlesers anhören muss.)Nach dem Vergangenheit- und Gegenwartssteil folgte der berüchtigte Zukunftsteil. Sie nahm meine Hand dabei noch fester, drückt sie intensiv und strahlte mich wenig später überzeugend an: „Lucky You“, sagte sie.
Und ich fragte: „Lucky Me? Why?“ und sie antwortete: Someday, you had lost your laugh. But you’ve recovered your own laugh. Hard work. Strong and real laugh now. And lucky you: You will keep it!”
Das sind die letzten zarten Pinselstriche an die ich mich erinnern kann, bevor ich das Bild meines Halong Bay- und Monkey Island – Trips vorsichtig zum Trocknen weggestellt habe. Dort bleibt es wohlbehütet und vor sämtlichen Farbklecksattacken geschützt, bis ich es wieder angucken möchte und zurückdenken will an einen Zauber und eine wunderbare Zeit, die den Ort zu einem wunderbaren Ort gemacht hat!












hey
oh men … das sieht alles so atemberaubend aus … hammer!
ich würde deine reise gerne für einen tag begleiten!
ich hoffe du genießt jeden moment, viel spaß noch auf deiner tour!
viele liebe grüße
domi
Hallo Pia,
viel Spass noch bei Deiner Raum/Zeit-Findung und den damit verbundenen, zwingend notwendigen Exkursionen. Sieht toll aus und viel Spass noch. 😉
Was für eine tolle Ablenkung, hier auf der Arbeit einen solchen Text zu lesen und auch mal für ein paar Minuten „weg zu sein“
Monkey Island? Le Chuck? Guybrush Threepwood? 😉
Ist auf jedenfall mal wieder ein toller Artikel und tolle Bilder ^^ …
lg aus dem regnerischen Deutschland!
Florian