Von Mammut-Projekten im Niemandsland

Ein neues Wochenende in Armenien ließ uns den Südosten des kleinen Landes besichtigen. Nachdem 50 Mio. $ Investitionskapital für den Tourismus dieser Region bereitgestellt wurden, gibt es einige Sehenswürdigkeiten, deren tieferen Sinn es zu hinterfragen gilt.

Armenien als Touristendomizil zu bezeichnen wäre anmaßend. Dafür ist die Infrastruktur viel zu schlecht, da bis heute, 21 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, der zivile Zugverkehr komplett zum Erliegen gekommen ist und auch die Straßenverhältnisse eher für Gelände- denn für Leihwagen sprechen. Dass das Land dennoch einige interessante Erlebnisse offenbart, beweisen die Stadt Goris und das Kloster Tatev, das mit Hilfe einer nagelneuen Seilbahn zu erreichen ist.

das Kloster Tatev

das Kloster Tatev

Nachdem ich die ganze Autofahrt unterschiedlichste Landschaften und Wetter aller Jahreszeiten am Fenster vorbeiziehen sah, musste ich zwangsläufig überlegen, was sich wohl das Wort „unbeständig“ auf Englisch oder gar Russisch übersetzen ließ. Es verdient eine völlig neue Bedeutung, wenn sich innerhalb von 250 Kilometern regnerisches Aprilwetter in der Araratebene, frühlingshafter Sonnenschein der fruchtbarsten Region „Wajoz Dsor“ oder gar eiskalter Schneesturm auf dem 2480 Meter hohen Tashtunpass die Hand geben.

Wings of Tatev

Wings of Tatev

Mit hoher Beteiligung der Öffentlichkeit ist 2010 die weltweit längste Seilbahn gleicher Bauart zum Kloster Tatev eröffnet worden. Die 5 Touristen, mit denen wir uns die Gondel teilen, zeugen jedoch davon, dass es die Neuigkeit allerhöchstens bis in den Süden Russlands geschafft hat. Es bleibt wohl fraglich, ob sich die 18 Mio. Dollar teuren „Wings of Tatev“ jemals rentieren werden. Die umgerechnet 8 $ für die Tickets sind angemessen, das Kloster ist nett. Für verwöhnte Europäer vielleicht etwas rustikal aufbereitet, doch es wird noch gearbeitet in Tatev. Und auch in das wenige Autominuten entfernte Stadt Goris ist investiert worden.

das Tor zur Stadt

das Tor zur Stadt

Sobald man jedoch die das Tor zur Stadt entert und einen Blick auf die malerisch gelegenen Häuser inmitten eines Talkessels erhascht, scheinen die Strapazen der Hinfahrt vergessen: Goris ist erreicht. Selbst der Rücken erholt sich von der Tortur armenischer Schnellstraßen, wenn man sich den interessanten Fragen zum Beobachteten zuwendet: Wieso ist diese Stadt mit seiner schachbrettartigen Struktur Manhattan näher als es der eigenen Phantasie lieb ist? Wie auf dem Reißbrett entworfen, ziehen sich die Straßen von Nordwesten nach Südosten parallel zum Fluss „Vararak“. In den Bergen aus Sandstein, welche die Stadt umgeben, sind mit bloßem Auge hunderte kleinere und größere Höhlen auszumachen.

Höhle über Goris

Höhle über Goris

Noch vor 70 Jahren dienten die Höhlen den Menschen als Behausung. Somit ist es durchaus empfehlenswert, einige eigenmächtige Erkundungstouren der näheren Umgebung zu unternehmen. Besonders der Friedhof ist mit seiner malerischen Lage am Fuße Stadt von vielen Höhlen umgeben, in denen sich im Sommer mit Sicherheit nette Parties inklusive schauriger Atmosphäre feiern ließen.

Gleichzeitig liegt Goris am Scheideweg. Wer in Richtung Süden fährt, erreicht binnen weniger Stunden den Iran. Wer sich jedoch wenige Kilometer gen Westen wagt, müsste sich eigentlich darauf einstellen, eine internationale Grenze zu überqueren: Goris liegt nicht weit von Aserbaidschan entfernt. Allerdings erreicht man ein besetztes, unabhängiges, international nicht anerkanntes Territorium namens „Republik Bergkarabach“. Man erreicht ein Gebiet, das sich nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einem weiteren militärischen Konfliktherd im Kaukasus entwickelte und einen entscheidenden Faktor der armenischen Identität darstellt. Man erreicht den „gebirgigen schwarzen Garten“ (aserbaidschanische Translation), der von Armeniern gerne nach der Provinz eines antiken armenischen Königreiches mit „Arzach“ betitelt wird.

Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/cd/Nagorno-Karabakh_Occupation_Map.jpg

Armenien und Aserbaidschan mit dem früheren Autonomen Gebiet Bergkarabach (dunkelbraun) und den armenisch kontrollierten Gebieten (hellbraun).

Somit gilt es zu hinterfragen, warum die hohe Summe von 50 Millionen US-Dollar gerade in diese Region investiert worden ist. Politische Gründe sind hier weder belegt noch bewiesen, jedoch fließt Geld außerhalb deutscher Steuersünden meistens, um irgendetwas zu bezwecken. Die Republik Karabach kämpft nach wie vor erfolglos um internationale Anerkennung. Nicht mal die inoffizielle Schutzmacht Armenien hat das autonome Territorium bisher anerkannt. Aus politischen Gründen…

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Ausflug, Erlebnis, Gastland, Geschichte, Gesellschaft, Menschen, Politik, Reise veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.