Mittwoch gings also trotz frischem Wind und gelegentlichen Schauern auf in ein kleines Stück Russische Förderation mitten in Berlin. Zum Glück nur eine S-Bahnfahrt entfernt, für die Leute aus Mecklenburg-Vorpommern ist die Reise da schon ein Stück länger.
Nach Pass- und Taschenkontrolle sprach ich beim Anzugyp am Infodesk vor:
Ich: Здраствуйте. Sdrastwuitje. (Guten Tag.) Ich möchte mein Visum beantragen.
Typ: Ты не говоришь по-русский? Ti ne goworisch po russki? (Sprichst du kein Russisch?)
Ich: Не очень хорошо… Ni otschen choroscho… (Nicht sehr gut…)
Das war ihm aber anscheinend ziemlich egal.
Typ: окурпарнгшйцзыьсиасщйцщисйэхж!!! (Russischer Redeschwall!!!)
Puh, ich war über mich selbst erstaunt, dass ich alles wenigstens halbwegs verstanden habe und mich auch ausdrücken konnte. Zumindest was die basics anging. Ich war froh, dass man Wörter wie passport und wisa auch ohne Wirtschaftssprachkurs versteht. Anders als Versicherungsformular.
Ziemlich beeindruckt zeigte sich der Typ von der Reiseroute auf meinem Antragsformular
Moskau – Sankt Petersburg – Omsk – Tomsk – Barnaul – Novosibirsk,
es wollen wahrscheinlich nicht besonders viele nach Sibirien.
Nachdem ich meine Nummer gezogen hatte, ging es ans Warten, wobei ich sagen muss, dass die russischen Sachbearbeiter flott vorangingen. Das war mir recht, denn nach einem halbstündigen Ordnen der fünfttausend Papiere, die ich mitgebracht hatte, war ich schon an der Reihe. Da dauerts ja bei Bürgeramt oft länger.
Es zeigte sich, dass ich wohl an den tollsten und freundlichsten Sachbearbeiter in der Geschichte russischer Beamter geraten war. Hiermit möchte ich ihm nochmal meinen Dank aussprechen!
Er (nennen wir in Pjotr), also Pjotr sah meine zwei verschiedenen Einladungen und dass sie später ausgestellt sind als mein Flug landet und ließ sich von mir das ganze Problem geduldig geschildert bekommen. Er fragte mich, was ich genau beim kulutweit-Dienst mache und ob ich Russisch spräche. Dann stelle Pjotr sein Mikro aus, qutasche mit seinem Chef, machte das Mikro wieder an und kritzelte eine Menge auf meinen Formularen herum. Er schrieb, strich durch, markierte und fügte hinzu. Schlielich verkündete Pjotr, er würde mir ein 180-Tage-Visum mit zweimaliger Einreise geben, so könnte ich einmal nach Deutschland, falls ich Heimweh bekäme. Ich hätte ihn küssen können (er war jung und sah wirklich gut aus und er hatte alle meine Probleme in Luft aufgelöst). Wenn mich eine russische Gastfamilie also über Weihnachten und Silvester bei sich behalten möchte, steht dem visumstechnisch nichts im Wege!
Gekostet hat das Visum übrigens auch nichts. Ich kann es Mittwoch abholen und habe eigentlich nicht den Zweifel, dass ich noch eine böse Überraschung erleben werde.
Diesen Punkt auf meiner To-Do-List kann ich also schonmal abhaken, bleiben noch viele andere Dinge wie zum Beispiel einen Sprachkurs zu buchen und zwei Impfungen gegen Hepatitis B.
Die angenehmen Dinge darf man allerdings auch nicht vergessen, deshalb steigt morgen die erste von (höchstwahrscheinlich) ein paar Abschiedspartys, da ich die letzte aus meinem Freundeskreis bin, die Berlin verlässt.
Nur noch etwas über eine Woche, bis Lea für 12 Monate nach Mosambique fliegt. Ich werde sie sehr vermissen, deshalb an dieser Stelle: Danke für alles, Lea! Ich hab dich sehr lieb!
Ach, lasst mich rührselig sein, alles ändert sich. Und wir freuen uns alle darauf!
Wir brauchen da noch ein paar Unterlagen – Mein Visumsantrag
Russen und Papierkram!
Wer sich noch über die Bürokratie in Deutschland beschwert, wollte eindeutig nie nach Russland einreisen!
Ohne Visum läuft natürlich nichts und um das für einen Aufenthalt von 6 Monaten zu bekommen, braucht man eine Einladung der Dienststelle – also in meinen Fall dem Gymnasium Nummer 6 „Gornostay“ in Novosibirsk.
Meine Betreuerin Ludmilla, die Lehrerin an „meiner“ Schule ist, hat sich zwar gut um alles gekümmert, trotzdem gab es da drüben im Osten ein Kuddelmuddel, dass ich trotz E-Mail-Verkehrs nicht verstanden habe. Irgendwer meinte irgendwie, dass es besser wäre, zwei Einladungen für jeweils drei Monate auszustellen, kulturweit hat das Gegenteil behauptet und ich hab mich gesträubt, weil ich nicht unbedingt während meiners FSJs nochmal ausreisen will.
Passieren kann das allerdings leicht, da die Typen im Konsulat anscheinend Russischroulette mit den Visaanträgen spielen. Mal lehnen sie einen für 6 Monate ab, mal gewähren sie ihn mit einmaliger Einreise, mal gestatten sie sogar ein Multiple-Entry-Visum für ganze 12! Das ist allerdings in der Geschichte der Menschheit so gut wie nur ein Mal vorgekommen, sagte mir eine Dame von kulturweit. Das ist auch der Grund, warum ein FSJ in Russland nur 6 Monate dauert.
Also war ich darauf eingestellt, Ende November für zwei oder drei Tage zurück nach Berlin zu reisen, um das nächte Visum ausgestellt zu bekommen. Das hätte sich sogar richtig gut an mein fünftägiges Zwischenseminar in Sankt Petersburg anschließen lassen und das Flugticket bezahlt hätte sogar das „Gornostay“ (wundert euch nicht über den Namen, er hat nichts mit Pornos zu tun, sondern heißt übersetzt nur wie ein putziges Pelztierchen: Hermelin).
Diese Pläne wurden heute allerdings um 9 Uhr morgens (in den Ferien und meinem PostABIleben also mitten in der Nacht) von einer sehr laut klingelden Deutsch-Post-Botin umgeschmissen. Sie brachte meine Einladungen per Einschreiben. Auch wenn ich glücklich war, dass ich endlich nach wochenlanger Warterei mein Visum beantragen konnte, wurde ich richtig sauer, als ich die Einladungen sah.
Die erste endet am 18. Dezember 2011, die zweite beginnt erst am 5. Januar 2012. Eine zweieinhalbwöchige Lücke. Ich wurde zwangsverweihnachtet!
Vielleicht bin ich seltsam und andere FSJler würde sich tierisch freuen, Weihnachten und Silvester zuhause im Schoße ihrer Lieben zu verbringen, ganz ohne Heimweh, das einen in der Adventszeit ja am schnellsten erfassen soll. Ich denke aber, dass das einfach dazugehört. Wenn ich das durchziehe, dann richtig und mit allen kulturellen Schikanen.
Tja, so kanns gehen.
Morgen geht es also ab zum russischen Konsulat Unter den Linden in meinem geliebten Berlin. Das Zeug für den Antrag zusammenzustellen war anstrengend. Abgesehen davon, dass man einen negativen HIV-Bescheid braucht (das wusste ich zum Glück vorher und besitze daher einen), gibt es noch tausend andere Dokumente, die man bereit halten sollte. Nicht zuletzt Flugtickets und Versicherungsnachweise sowie ein Passbild und natürlich die Einladungen.
Eines der letzten Rätsel der Menschheit besteht außerdem in dem Mysterium, warum auf Formularen nie genug Platz ist, sodass man immer gequetscht schreiben muss. Ich zeige euch hier ein Beispiel zum leichten Ausfüllen eines Antrages:
Mal sehen, was sich morgen noch in Sachen Ausreise tun lässt. Irrsinnig ist nämlich auch, dass die Einladung ab dem 19. September ausgestellt ist, ich aber schon am 18. in Moskau zwischenlande. Das kann heiter werden!
Russland ist ein schönes Land…
Warum ich freiwillig ins eiskalte Novosibirsk ziehe
Irgendwann hatte ich begonnen die Jahre zu zählen, die schnell zu Wochen und schließlich zu Tagen schrumpften. Ich bin bei null angekommen. Null Jahre, Wochen, Tage Schule. Nun bewege ich mich rückwärts durch einen Sommer, der wahrscheinlich mein letzter als die Person sein wird, die ich immer war. Das Leben steht vor der Tür und ich höre es energisch anklopfen. Noch versuche ich mich halbherzig zu verstecken, ziehe die Vorhänge zu und gebe vor, noch ein Kind zu sein, aber spätestens im September wird das Leben die Tür eintreten und mich ins kalte Sibirien schleifen. Dann arbeite ich für ein halbes Jahr an einem Gymnasium in Novosibirsk mit Kindern und Jugendlichen, die Deutsch lernen.
Russland war mein Wunschland, auch wenn ich dafür viele skeptische Blicke geerntet habe. Seit ich auf eine russische Europagrundschule gegangen bin, fühle ich mich diesem Land verbunden, es gehört irgendwie zu mir. Trotzdem hatte ich mich noch für ein Aupair-Jahr in den USA beworben. Die letztendliche Entscheidung war die schwerste meines Lebens, aber bin ich glücklich damit.
Ich gebe gerne zu, dass ich Angst habe. Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal mit meinen Freundinnen in derselben Stadt wohnen werde. Aber wenn ich eines gelernt habe, dann ist es, dass ich an meinen Aufgaben wachsen kann. Genauso gerne gebe ich nämlich zu, dass ich mich auf Russland freue. Ich freue mich darauf, wieder die Sprache zu sprechen, die ich elf Jahre lang gelernt habe. Ich freue mich auf neue Menschen, auf eine warme Tschapka im Winter, auf eine Arbeit, die mir hoffentlich Spaß machen wird.
Ich bin kein Schulkind mehr, ich bin frei. Ich bin neugierig auf mich selbst und die weite Welt, die wartet.
