Liebes Berlin,
ich weiß, du bist sauer auf mich. Du dachtest, du und ich – das wäre etwas für immer. So ist es.
Ich vermisse deine Fahrradwege und deine Weihnachtsbeleuchtung, die Spree und das
S-Bahnchaos. Ich vermisse das Rascheln deiner Zeitungen, die Gespräche auf deinen Straßen, den Regen auf deinen Dachfenstern. Ich vermisse deine Clubs und deine Cocktailbars. Ich vermisse Köpenick und die volle Vertrautheit. Ich vermisse deinen Ärztesoundtrack und meine Schritte in der Bahnhofshalle. Am meisten vermisse ich jedoch deine Menschen, die echten Berliner, die du hervorgebracht hast. Frech und direkt, aber wundervoll.
Berlin, du wirst immer zu meinem Leben gehören. Aber du musst lernen, zu teilen.
Du hast alles, was mein Herz begehrt, bis auf die Ferne.
Die Ferne, die so weit weg ist, dass ich springen und lachen und zugleich weinen möchte, weil ich angekommen und doch ohne dich bin.
Diese Ferne, ohne die ich nicht leben kann.
Ich werde mit dir glücklich werden, irgendwann, wenn ich bereit dafür bin. Aber noch nicht jetzt. Es gibt zu viel zu sehen. Bitte warte auf mich, ich werde zurück kommen. Immer und immer wieder. Darauf kannst du dich verlassen.
Ich werde dich immer lieben. Du wirst immer DIE Stadt für mich sein.
Deine Caro in Nowosibirsk
P.S.: Ich schicke dir dieses Bild, damit du weißt, dass du nicht eifersüchtig sein musst.
Das hier ist anders.
Drei Monate…
„Überraschungen in den Küchen des Planeten…“
Hier der Artikel über unser Projekt aus der Nowosibirsker Lokalzeitung „Соседи“ vom 28. November 2011.
Ich bin mächtig stolz darauf, dass „weltweit lecker“ gut vorangeht. Im Moment schreibe ich einen Projektbericht, den ich dann zum Projektwettbewerb des PAD einreichen und gemeinsam mit meinen Schülern und meiner Mentorin auf den ersten Platz hoffen werde: auf 500 Euro, die der Schule zugute kommen würden.

Hier außerdem der Link zu dem Artikel, den ich über „weltweit lecker“ für die kulturweit-Homepage geschrieben habe:
http://www.kulturweit.de/index.php?id=469
Seit ich aus Sankt Petersburg wieder da bin, stand vor allem Arbeit an, da Ludmilla krank zu Hause bleiben musste. Trotzdem habe ich versucht, den Spaß nicht zu kurz kommen zu lassen und bin dabei ein paar sehr lieben Menschen begegnet.
Zuallererst bin ich ja umgezogen. Ich wohne jetzt bei meiner neuen Schwester Sonja und ihren Eltern. Sonja, die eigentlich Sofja heißt, ist 17 und geht in die 11. Klasse meiner Schule. Sie lernt schon lange Deutsch und spricht es sehr gut. Russisch spreche ich mit ihr eigentlich kaum. Zusammen mit Mama und Papa Pozalotina, Sonja und mir wohnen noch die Katzen Fenja und Busja in unserer Drei-Raum-Wohnung. Viel Platz ist also nicht, Sonja schläft zur Zeit im Wohnzimmer, weil ich ihre Couch beschlagnahmt habe, aber es ist gemütlich und wir haben meine zehntausend Koffer und Tüten irgendwie verstaut bekommen. Ich war überrascht, wie viel Krempel ich in den knapp 2 1/2 Monaten doch angesammelt habe. Ein Glück, dass ich Weihnachten nach Hause fliege, da kann ich schon einiges abladen, was ich nicht mehr brauche.
Badezimmerstaus sind in diesem Haushalt auch erstaunlich selten und es gibt immer riesige Gläser, Töpfe und Plastikboxen voller Essen im Kühlschrank. Für mich wurde speziell ein Joghurtlager eingerichtet.
So eine kleine Schwester ist gar nicht übel, wobei ich zuerst betonen muss, dass ich eher das Gefühl habe, Sonja und ich wären gleich alt, obwohl da doch 3 Jahre dazwischenliegen. Aber hier in Russland verschwimmt das für mich irgendwie alles.
Ich habe jetzt jedenfalls eine Gefährtin zum abendlichen Filmegucken und gemeinsamen Mittagessen. Außerdem kann ich mir Nagellackentferner borgen (was nicht zu unterschätzen ist), und die Privatfriseuse ist gleich mitintegriert!
Auch andere nette Menschen werden langsam zu einer, nämlich meiner, Crew. Freunde meines Alters zu finden hat sich als sehr schwierig herausgestellt, weil die 11. Klässler meistens merklich jünger sind und/oder sehr viel zu tun haben, zusätzliche Kurse zu den 6 Tagen Schule die Woche. Wie machen die das nur?
Außerdem hat man hier in Akademgorodok nicht so viele Möglichenkeiten, etwas zu unternehmen und ins Zentrum zu fahren dauert eben ca. 1 Stunde. Deshalb habe ich mich mehr mit verschiedenen einzelnen Personen oder zum Beispiel den Sprachkursleuten unternommen. Und obwohl ich jedes Wochenende unterwegs und sehr beschäftigt war, hat sich nicht das Gefühl einer Gruppe eingestellt, zu der ich gehöre.
Das hat sich jetzt geändert. Ich habe in der Uni einen Zettel ausgehangen, auf dem stand, dass ich noch bis Ende Februar in Nowosibirsk bin und liebe Leute suche, mit denen ich auf Russisch und/oder Deutsch reden und mich treffen kann. Das hat super funktioniert, fast alles Bekannte habe ich auf diesem Weg kennen gelernt und auch jetzt kommen noch neue Anfragen.
So habe ich zum Beispiel Sascha, eigentlich Alexandra, aus Jarkutsk getroffen, die im Januar 18 wird, im ersten Semester an der NGU Wirtschaft studiert und verblüffend gut Deutsch kann. Auch Slawa, 23, Doktorant der Geschichte und Deutschlehrer am Sprachlernzentrum, hat sich auf meinen Flyer gemeldet. Über ihn habe ich noch einige seiner Freunde kennen gelernt, wie Walja, der eher wie ein italienischer Teddy aussieht und möglichst viele deutsche Schimpfwörter kennen möchte. Und weil jeder jeden kennt, verknüpfen sich die Freundschaften auch mit Lena, die hier als Journalistin arbeitet und von der der bezaubernde Satz in der Überschrift des Artikels stammt, sowie mit Natascha, die Medizin studiert und auf schwindelerregend hohen Absätzen super laufen kann.
Am Anfang meines Lebens in Nowosibirsk hätte ich lieber im Stadtzentrum gewohnt, statt im ca. 30 km entfernten Akademgorodok. Auch wenn ich es toll fand, von Wald umgeben zu sein, nur 10 Minuten zur Schule zu brauchen (daran hat sich auch jetzt nichts geändert) und saubere Luft zu atmen. Aber hier ist natürlich weniger los.
Mittlerweile genieße ich es Akademgorodok und alle Vorteile sehr. Ich habe das Gefühl, ich habe mir jetzt hier mein kleines Nest gebaut, in meiner Mikroraion „Щ“, mit den Cafés, den Schlittschuhbahnen, der Schule als Mittelpunkt, den Clubs. Zur oberen Zone Akademgorodoks ist es auch nicht weit, dort wohnen alle Studenten.
Ich habe das Gefühl, ich bin endlich angekommen, denn nur wo Leute wohnen, die du magst und mit denen du dich verstehst, nur dort kann ein zu Hause entstehen, so ganz tief im Herzen.
In den letzten Wochen war ich unzählige Male im Café und in Bars. Ich bin zwei Mal bei eisiger Kälte, aber mit sehr viel Freude Schlittschuh gelaufen, auf einer Eisbahn, die einfach nur Wasser, auf eine freie Wiese gekippt, ist.
Ich habe mit Sonja, Slawa, Walja und noch einer Natascha deutsche Plätzchen gebacken und Glühwein getrunken. Ich bin mit meiner Gastfamilie nach Berdsk gefahren, um alle dort vorhandenen Kirchen anzugucken und Eis zu essen. Ich hab meine ersten eigenen Pelmeni gekocht. Ich habe mit Olga aus der 11. Klasse mit dem Layout für das weltweit-lecker-Rezeptbuch begonnen und mir von ihrer Mutter beibringen lassen, wie man Wodka richtig trinkt. Ich hatte viel Spaß.
Am Montag bin ich 20 geworden, meine zweite Null, das Jahrzehnt, in dem ich so einiges vorhabe. Sonntag Abend habe ich mit Sonja und Sascha im Club Bunker reingefeiert und als erste Handlung mit 20 an einer Stange dort getanzt. In der Schule gab es für mich viele Glückwünsche, Geschenke und eine wirklich wahnsinnig leckere Torte und Blumen von meiner 8и. Und der Geburstagstrubel hielt noch ein paar Tage an.
Nachmittags habe ich endlich das Geschenk meiner Familie aufgemacht, dass ich seit der Anreise voller Vorfreude beäugt hatte und musste fast weinen, als ich das Datum auf der Glückwunschkarte sah: „14. September 2011“. Abends versammelte sich ein kleines Grüppchen in unserem Stammcafé Bellissimo und ich bekam von Walja, Slawa und Denis wunderschöne Handschuhe geschenkt und wurde zum Abschied drei mal durch die Luft gewirbelt.
Geburtstag in einem fremden Land zu haben ist seltsam, ich war ausschließlich von Menschen umgeben, die ich weniger als 3 Monate kannte. Niemand da, der dich wirklich und wahrhaftig kennt, niemand, dem du blind vertrauen kannst. Für diese Umstände war das Älterwerden hier sehr angenehm, außerdem hatte ich mit strahlendem Sonnenschein und milden -13°C ein richtiges Winterwunderland vor dem Fenster.
Ich habe die Entscheidung, hier her als Freiwillige zu kommen, keine Sekunde bereut, nicht, als alle Kinder der Klasse keine Hausaufgaben haben und ich schmipfen musste, nicht, als ich im Krankenhaus lag, nicht, als ich mich wieder einmal in meinem Russisch verhaspelte. Aber jetzt genieße ich jeden Tag richtig und bin schon ein bisschen wehmütig, dass ich bald für 2 Wochen nach Hause fliege, auch wenn ich mich gleichzeitig unbändig darauf freue.
Ludmilla ist mittlerweile wieder gesund, ich kann mich etwas entspannen und das Schokoladenmitbringselgewicht verdoppeln. Samstag nehme ich zusammen mit zwei Mädchen aus der 9. Klasse beim Wettbewerb „Zwei Sterne“ teil, bei dem Schüler mit Eltern oder Lehrern etwas aufführen. Wir singen „Ich bin unterwegs“ aus dem Film Bärenbrüder auf Deutsch und Russisch und proben schon die ganze Woche dafür. Am Montag findet dann eine Weihnachtsparty vom Goetheinstitut im Club Integral statt, die zusammen mit den geschmückten Tannenbäumen in der Schule meine Vorfreude auf das schönste Fest des Jahres im Kreise derer, die ich liebe, sicher noch steigern wird.
„Malen nach Zaren“ – Sankt Petersburg (Teil 2)
Da meine Mentorin leider während meines Sankt Petersburg-Aufenthalts erkrankt ist und ich deshalb seit meiner Rückkehr in der Schule den Laden quasi alleine schmeiße, komme ich erst jetzt dazu, weiter über das Seminar und den anschließenden Urlaub zu schreiben.
Dabei gibt es noch so viel zu sagen. Ich hab zum Beispiel noch gar nicht erzählt, dass wir Mittwoch Abend in einer echten russischen Sauna (auch Banja genannt) waren. Wenn ich echte russische Sauna sage, dann handelt es sich dabei um einen halben Vergnügungspark jeglicher Art. Zu der Sauna gehörte ein Vorraum mit Tauchbecken und Duschen, ein großer Saal mit Spiegeln, einer Tischtennisplatte und drei Trainingsgeräten, eine Kneipe mit eigenem Wirt, einer gemütlichen Sitzecke und einem Billiardtisch, Umkleiden, verbindende Flure und drei sehr dunkle, sehr gemütliche Zimmer mit Betten, Sofas und Massagetischen. Wie gesagt: Vergnügen jeglicher Art. Ob man die passenden Frauen dazumieten kann oder sie selbst mitbringen muss, blieb jedoch schleierhaft.
Die Sauna war ganz schön heiß, aber wir haben alle die Entspannung genossen. Natürlich hatten wir auch die passenden Filzhüte auf (um unsere Haare nicht zu schädigen) und klopften uns gegenseitig mit Laubzweigen ab, was die Durchblutung fördern soll und sehr angenehm ist (wobei abklopfen jedoch ein dehnbarer Begriff ist, besonders in männlicher Hand).
Danach gingen wir noch durchs wunderschön nächtliche Sankt Petersburg in die Lieblingsbar unserer ansässigen Mitfreiwilligen Tallulah, Hannes und Daniil und ich war stolz auf mich, als ich es schaffte, das Taxi für den Heimweg von 200 auf 150 Rubel runterzuhandeln.
Donnerstag nach dem Kennenlernen der Projekte und Organisationen bekamen wir von russischen Studenten, die Deutsch lernen, eine kleine Stadtführung durch Sankt Petersburg.
Sankt Petersburg ist vergleich zu Moskau eine sehr junge Stadt, sie wurde 1703 von Peter dem Großen gegründet. Die ganze Stadt ist nach europäischem Vorbild auf Sumpfgelände errichtet worden, die Stadt sollte „Fenster nach Europa“ sein.
Peter gilt als Zar oft als grausam, denn viele Menschen sind beim Bau der Stadt umgekommen. Trotzdem war er wohl ein sehr weitsichtiger Mann, der eine Millionenstadt im Nichts erschaffen hat. Sankt Petersburg mit seinen vielen Kirchen, Sehneswürdigkeiten und Brücken, ist eine wahrgemachte Idee, ist wirklich „Malen nach Zaren“. Dieses Wortspiel verdanke ich übrigens Jonathan, der es beim Anblick auf die vielen Zarenporträts im Katharinen-Palast erfande, den ich mir mit ihm und seiner Belarus-Clique am Samstag anschaute. Aber dazu später mehr.
Donnerstag Abend stand Kultur auf dem Programm: Wir gingen alle gemeinsam in Tschaikowskys „Der Nussknacker“. Es war wirklich wunderschön, auch wenn ich so müde war, dass ich am Anfang ein paar mal einnickte. Bis mein Kopf auf Noras Schluter aufkam, der es übrigens genauso ging. Aber beim Tanz der Zuckerfee war ich natürlich hellwach. Das hätte ich nicht verpassen wollen, man verliert sich so leicht und schön in den Tänzen und dem Klang der vertrauten Musik.
Anschließend hatten wir durch das Powernapping in der Oper wieder Energie gewonnen, jedenfalls ging es danach weiter eine Kleinigkeit essen und in eine echte russische Kneipe, wo wir 3 Liter Bier und Pelmeni bestellten und an dem Abend noch sehr viel Spaß mit den getrockneten Fischen hatten, die man als Snack zum Bier dazubekam. Mehr wird hier nicht verraten, nur dass es ein sehr lustiger Abend wurde und man am nächsten Morgen auf den Petersburger Straßen so manchen Fisch in Freiheit finden konnte.
Der letzte Tag gehörte nochmal ganz seminarmäßig dem Blick in die Zukunft und der Auswertung des Seminars. Ich nahm eine „Was-ich-noch-unbedingt-in-Nowo-machen-will“-Liste mit nach Hause, von der ich zum jetztigen Zeitpunkt sagen kann, dass sie schon einige Häkchen bekommen hat.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen war dann das offizielle Seminar auch schon wieder vorbei. Nora und ich ließen die Shoppingknorken knallen, etwas, dass man weder in Tiblissi noch in Nowosibirsk so gut tun kann wie in Sankt Petersburg.
Nach einem letzten Blini und einem Besuch an der Blutskirche sowie einem Kakao in Кофе Хаус musste ich mich auch schon von Nora verabschieden, denn sie fuhr weiter nach Helsinki. Dorthin fährt von Sankt Petersburg eine Maschrutka für 15 Euro oder so und man weiß es einfach nicht so als Normalsterblicher. Dabei ist das so nah dran. Wenn man ein Russlandvisum hat perfekt.
Ich mag Abschiede nicht. Wenigstens weiß ich, dass ich Nora im Juni wiedersehe, das hat es nicht so schlimm gemacht.
Außerdem hatte ich ja genügend Ablenkung, denn an diesem Abend ging es in einem Club. Die meisten Russen wissen das nicht, aber als Ausländer kommt man eigentlich in alle Clubs frei rein. Ein großes offenes Geheimnis. Deshalb gingen wir auch gleich in zwei verschiedene Clubs.
Es hat so Spaß gemacht, endlich mal wieder auf engem Raum zu tanzen, mit lauter Menschen um dich rum. Ich lernte noch eine Gruppe Russen kennen, von denen die eine gerade von einer Expedition an den Nordpol zurück gekommen war. Sie weiß definitiv, was Kälte ist. Ich blieb mit Adriana und Hannes noch länger, also waren wir diesmal die Coolen, die als letztes nach Hause kamen. Trotzdem sprang ich am nächsten Morgen um 9 Uhr mehr oder weniger diszipliniert aus den Federn, um mir mit Jonathan, Adriana und Teresa, der Belarus-Clique, Tsarskoje Selo, das Zarendorf Pushkin, anzuschauen.
Dort war ich vor 4 1/2 Jahren damals schon mit meiner Gastfamilie gewesen und es hatte mir sehr gut gefallen. Man könnte es mit Sanscoussi in Potsdam vergleichen, also es gibt einen großen Palast und weitläufige Parkanlagen. Wir fuhren mit dem Zug nach Pushkin und hatten Glück, denn wir hatten den einzigen sonnigen Tag erwischt. Der Katharinen-Palast ist wirklich schön, russischer golden-verschnörkelter Stil, aber der Architekt war ein Italiener. Er hat es auch geschafft, dass alles nicht kitschig, sondern geschmackvoll prunkvoll geworden ist. Hier befindet sich auch das berühmte Bernsteinzimmer, das wirklich sehr beeindruckend ist.
Nach einem kleinen Spaziergang durch den Park machten wir uns dann aber wieder auf den Weg zum Bahnhof, weil für heute noch die Besichtigung der Blutskirche (eigentlich Спас на Крови, also Kirche auf dem vergossenen Blut), der schönsten und berühmtesten Kirche, auf dem Programm stand. Von außen hat sie die typischen bunten Kuppeln, innen sind die Wände über und über mit Mosaiks bedeckt. Wirklich sehr prachtvoll und farbenfroh, eigentlich müste man sich in der Mitte der Kirche auf den Boden legen, um das alles auf sich wirken zu lassen, besonders bei meiner Größe.
Den Abend ließ ich mit Hannes und Lisa bei Kakao und verrückten Spielchen ruhig angehen, während die anderen feiern waren, fand mich dann aber trotzdem mitten in der Nacht oder schon fast morgens immernoch auf der Couch im Gruppenraum wieder. Die Hostelrezeptions-Dewuschka kam schon völlig ratlos zu uns und fragte,w arum wir immer noch da seien und ob wir nicht schlafen gehen wollten. Wir erklärten ihr, dass wir es sehr gemütlich finden und gern alle zusammen sind. Als sie ging, murmelte sie aber auf russisch immernoch „Ich verstehe die Deutschen einfach nicht!“ vor sich hin. Wir sind eben ein sehr geselliges Volk, auch wenn man es uns nicht nachsagt.
Der nächste Tag, der erste Advent, floss im Petersburger Regen bei +5°C vor sich hin mit essen, dem Beusch eines Wohltätigkeitsbasares, wo ich mal wieder indisch aß, und Abschieden.
Dann war auch schon Montag, der Abreisetag gekommen und ich ließ den Urlaub mit Mina und Antonia, dem letzten Rest der Gruppe, ausklingen, bevor es mit Mina wieder in unser schönes Nowosibirsk ging, wo uns auf der Landebahn der Schnee und die Kälte freundschaftlich begrüßte.
Es war seltsam, wieder nach Hause zu kommen, ein nach-Hause-kommen zu fühlen, dass kein nach-Hause-kommen nach Berlin bedeutete. Aber zugleich war es unglaublich schön und beruhigend.
Mehr dazu bei Nora, die ich jetzt schon vermisse.
http://norasfernweh.blogspot.com/2011/12/petersburg-nachts.html
„Malen nach Zaren“ – Sankt Petersburg (Teil 1)
Tja und dann, nach langem Warten auf dem Flughafen und vielen Stücken Pizza, war ich wieder in Sankt Petersburg, 4 1/2 Jahre nach dem ersten Besuch zum Schüleraustausch im Mai 2007. Viel zu sehen bekamen wir von der Stadt aber nicht, denn nach einer sehr kurzen Nacht im Hostel „Labyrinth“ und einem gemeinsamen Frühstück mit allen Freiwilligen beim Russisch-Deutschen-Austausch im selben Haus, fuhren wir mit zwei Maschrutkas raus nach Losewo.
Dieser Ort liegt zweieinhalb Stunden von Sankt Petersburg entfernt an einem See, wir waren in einem alten Pionierlager ganz für uns untergebracht. Da kam doch ein bisschen Werbellinsee-Feeling auf. Hier würden wir für zwei Nächste bleiben und Mittwoch Morgen wieder zurück nach Sankt Petersburg fahren. Die Zeit in Losewo war für den richtigen Seminarteil gedacht, bei dem wir über unsere Einsatzstellen, Projekte, Ideen und Probleme reden und uns in aller Abgeschiedenheit ausquatschen konnten. Ich habe die Ruhe eigentlich genossen, wir warne anscheinend die einzigen auf dem Gelände und nachdem wir zusätzliche Heizlüfter in den Räumen aufgestellt hatten, fühlte ich mich ziemlich wohl.

Das Essen war auch ziemlich gut, besonders das Frühstück. So viele Blinis wie während der 10 Tage in Moskau und Piter, wie die Russen Sankt Petersburg liebevoll nennen, habe ich in den ganzen zwei Monaten hier noch nicht gegessen. Aber sie sind auch unglaublich lecker.
Unser Seminarprogramm hatten wir im Vorhinein schon zugeschickt bekommen. Montag unterhielten wir uns über unsere persönliche Situation und die Einsatzstellen, außerdem zeichneten wir unsere „Fieberkurven“ auf. Abgesehen von meinem Krankenhausaufenthalt sah meine eigentlich ziemlich gut aus. Es war schön zu hören, dass es eigentlich fast allen sehr gut in ihren Einsatzstellen und -ländern geht. Klar, irgendein Lebensbereich lässt immer Wünsche offen, aber eigentlich war nicht richtig mies. Es hat auch geholfen, sich so viel auszutauschen und zu sehen, welche Tipps und Ratschläge die anderen für einen haben oder dass es viele mit denselben Problemen oder Stolpersteinen gibt.
Der erste Abend verlief ziemlich ruhig, ich hatte mich mit Nora zurückgezogen, was echt schön war nach all dem Flugstress und den Moskauer Sehenswürdigkeiten. Am nächsten Tag nach dem beschriebenen göttlichen Frühstück, zu dem auch Eier und Orangensaft gehörten, sprachen wir über die Situation in den Einsatzstellen, machten dann einen Spaziergang am See und nach dem Mittagessen ging es um die Projekte. Mit „weltweit lecker“ bin ich schon ziemlich gut vorbereitet, viele hatten noch keine Ideen, dem wurde allerdings Abhilfe geschaffen. Am Abend wurde Ideen für einen erfolgreicheren Unterricht gesammelt und ich habe viele Anregungen erhalten, die ich an meiner 5 i, meiner Problem- und jetzt Versuchskaninchenklasse ausprobieren will, um das Lernklima zu verbessern.
Die Nacht wurden dann zur bunten GUS-Nacht, zu der alle Fotos und Geschichten aus ihren Gastländern mitgebracht hatten und wir uns an einem reichen Büffet aus unserer Region die Bäuche vollschlagen konnten. Ziemlich geil, besonders, als Georgien feststellte, dass es eigentlich verboten ist, ihr salziges Heilwasser nach Russland einzuführen.
Am nächsten Tag ging es wie gesagt schon nach Sankt Petersburg, zurück in unser Hostel. Wir lernten russische NGOs kennen, die sich natürlich auch im selben haus wie das Hostel und der Deutsch-Russische-Austausch befanden. Wir hatten übrigens in einem Café in auch diesem Haus zu Mittag gegessen, das Haus ist echt der Wahnsinn (ein 24h geöffneter Kofe Chaus befindet sich natürlich auch dort!). Nora, Kristina und ich sprachen mit Yuri Vdovin von der Menschenrechtsorganisation „Citizens‘ Watch“ über Politik, die am 4. Dezember anstehenden Wahlen, Korruption und seinen Traum, nach Europa oder Amerika auszuwandern, den er hatte, als er jung war. Jetzt ist Yuri 72 und hat das Gefühl, das ändern zu wollen, wovon er dachte, er würde sich mit dem Zerfall der Sowjetunion automatisch ändern. Er hofft, dass das wirtschaftliche System Russlands bald zusammenkrachen wird. Angst hat Yuri keine. Er ist alt, sagt er, was soll ihm schon passieren. Uns alle drei, aber besonders Kristina, die in Kasachstan geboren ist, berührten und schockierten, was hinter der Fassade zum Vorschein kommt. Ich fühle mich nicht in der Lage, über die politische Situation zu urteilen, denn verglichen mit Belarus zu Beispiel sieht die Situation nicht schlecht aus. Allerdings auch nicht gut, es wird diese Tage auch hier in meiner Schule, wo schon die Wahlkabinen herumstehen viel über Manipulation geredet. Jedinaja Rossija (Einiges Russland), die größte Partei, soll wohl laut Umfragen knapp über die Hälfte der Stimmen bekommen. An der Richtigkeit der Wahl zweifeln viele. Neulich haben Kinder diesen Witz erzählt:
„Der Präsident ist wie die Eltern. Man kann ihn nicht wählen.“
Dass Putin Präsident wird, scheint mehr als klar zu sein, in Moskau, in Sankt Petersburg, hier.
Es war schön und erleichternd zu sehen, dass es Menschen gibt, die noch an Veränderungen glauben, die im Kleinen anfangen, die nicht aufgeben, denen es nicht egal ist. Viele dieser Menschen haben wir getroffen, viele wie Yuri. Menschen mit Ideen und Visionen, so wie die Initiatoren des Projektes „Спасибо“ (Danke), die mit 1000 Euro Budget von Freunden und Familien vor einem Jahr einen der wenigen Second-Hand-Shops in Piter aufbauten. Verdient haben sie bis jetzt nichts, nur massig Klamotten gespendet und verkauft, in diesem Dezember eröffnet aber schon die zweite Filiale. Das Second-Hand-Geschäft haben Nora, Lisa, Daniil und ich am Donnerstag angeschaut. Während wir dem Projekt nach einem Gespräch mit Shopping halfen, sprachen die anderen von uns mit der liberalen Partein „Яблоко“ (Apfel), der Gegenpartei zu Edinaja Rossiya.
Danach sprachen wir mit Nadja, einer Juristin, die an Schulen und Universitäten Olympiaden und Projekttage veranstaltet, um die jungen Leute über ihre Rechte aufzuklären.
Fortsetzung folgt…
[Anmerkung: Die Partei Einiges Russland hat fast 50% der Stimmen erhalten und damit die Mehrheit. Auf die Partei entfallen laut der Zentralen Wahlkommission 238 der insgesamt 450 Mandate in der Duma, dem russischen Parlament. Zweitstärkste Kraft wurden die Kommunisten, gefolgt von der linksgerichteten Partei Gerechtes Russland und den Liberaldemokraten des Nationalisten Wladimir Schirinowski. Alle anderen Parteien verpassten den Einzug in die Duma.
Zur Zeit finden in Moskau und Sankt Petersburg große Demonstrationen statt, den Behörden wird Wahlbetrug vorgeworfen. Es wird von bis zu 6000 Teilnehmern gesprochen. Der Wahlkampf sei durch „begrenzten politischen Wettbewerb und einen Mangel an Fairness“ geprägt gewesen, sagten die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen schrieb in einer Mitteilung von „massiver Online-Zensur und Repressionen gegen kritische Journalisten und Aktivisten vor und während der Parlamentswahl“. Am Wahltag waren zahlreiche Kreml-kritische Internetseiten offenbar durch eine massive Cyberattacke lahmgelegt worden.
Quelle: http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-12/russland-demonstration-wahl, 06. Dezember 2011]
Wie wichtig Zeit ist und wie knapp Glück und Pech bei einander liegen, hat mir das Wochenende in Moskau mal wieder deutlich gezeigt. Aber auch, dass aus spontan bescheuerten Situationen die besten Lacher hervorgehen können.
Zitronenwassereis schleckend machte ich mich vorletzten Freitag auf dem Weg zum Nowosibirsker Flughafen. Andrej, der Schulfahrer, brachte mich. Was allerdings nicht eingeplant war: Die normalerweise 35-minütige Fahrt dauerte wegen Staus 2 Stunden lang. Der Flug nach Moskau war zwar nur ein Inlandsflug, aber ich war irgendwo auf der Autobahn, als es immer noch nicht richtig voranging, fest davon überzeugt, dass ich ihn verpassen würde.
Als ich um 18:11 Uhr (der Flug ging 18:45 Uhr) zum Schalter angehetzt kam, beruhigte mich die Frau dahinter „Du hast doch noch 4 Minuten.“ Boah, war das knapp. Die Überraschung ging gleich weiter. „Wir hatten übrigens keine Plätze mehr in der Economy Class, also haben wir dich Business gebucht.“ Ich war viel zu aufgekratzt, um darüber nachzudenken, was das bedeuten sollte. Erst als ich von der Stewardess zu einem von diesen herrlich breiten Sesseln vorne im Flugzeug geführt worden war und mit meinem Glas Sekt Platz genommen hatte, konnte ich es glauben. Und konnte nicht mehr aufhören zu lachen. Wie geil war das denn? Erst fast zu spät und jetzt in der ersten Klasse mit einer Schale voll angewärmter Nüsse, einem Drei-Gänge-Menü zu dem ich aus der Weinkarte (!!!) etwas auswählen sollte und meinen eigenen Aeroflot-Hausschuhen. Das Leben ist schön, so entspannt bin ich noch nie geflogen.
Irgendwann nachts um 1, für mich um 4 Uhr morgens, traf ich endlich auf die Georgienclique, nachdem ich am Flughafen mittels 20-minütiger Busfahrt den Terminal gewechselt hatte. Die Freude war groß. Ein Fahrer fuhr uns in unser Moskauer Hostel, das „Napoleon“, ca. 15 Minuten Fußweg vom Roten Platz entfernt, eine moderne und gemütliche Unterkunft im 4. Stock, aber ich hatte ein paar nette Jungs organisiert, die gern hübschen deutschen Mädchen die Koffer hochtrugen. Wir gingen schlafen, bis wir morgens um 8:30 Uhr von einem besoffenen Russen aufgeweckt wurden, der von einem ebenso besoffenen Engländer mit in unser Zimmer geschleift worden war, lautstark diskutierte und sich in gutem Englisch weigerte, ohne Kopfkissen zu schlafen. Nachdem er Noras Bettdecke als Kissen missbrauchen wollte, mir eine Plastiktüte auf den Kopf geworfen hatte und sich auf Laras Bett gesetzt hatte, um zu plaudern, versuchten wir ihn irgendwie zu überreden, die Klappe zu halten, während der Engländer wie ne Motorsäge schnarchte. Zum Glück wollten wir sowieso gleich aufstehen. Im Gegensatz zum Rest unseres Hostels, wie wir bemerkten, als wir beim morgendlichen Zähneputzen gefragt wurden, ob wir jetzt auch ins Bett gingen.
Unsere erste Station war das Eierkuchen-Schnellrestaurant „Teremok“, wo wir uns mit russischen Blinis vollstopften und eine Fangemeinde gründeten. Dann ging es zum Roten Platz. Ich musste quieken, als ich die Basilika endlich mit meinen eigenen Augen sah, da sie genauso unwirklich und märchhaft aussieht wie auf den Bildern. Auch von innen kann sie sich sehen lassen, mit den labyrinthartig verschachtelten Gängen und der farbenfrohen Blumenbemalung. Das GUM, das große Kaufhaus am Roten Platz, gefällt mir auch sehr gut, es ist hell, hübsch winterlich dekoriert und man trifft auf viele Hochzeitspaare, die im November zum Fotoshooting vor der Moskauer Kälte und dem Regen fliehen. Bloß Einkaufen ist dort schlecht, es ist alles sehr teuer.
Auch uns wurde der Regen und die Kälte nach einem Spaziergang an der Moskwa, wobei wir leider nicht auf den Gorki Park stießen, zu viel und wir legten uns im Hostel trocken, bevor das Abendprogramm losging. Restaurant- und Cafehopping: von einem amerikanischen Diner zu Kофе Хаус zu McDonald’s, voller Spaß und echtem Girly-Talk. Nachts gingen wir noch mit unserer Deutsch-Holländisch-Englisch-Brasilianisch-Russischen-Connection in einem kleinen Club tanzen, bevor wir in die Doppelstockbetten fielen.
Am nächsten Morgen und nach einem genauso leckeren Frühstück bei „Teremok“ ging es weiter, um meinen Homie Lenin zu besichtigen. Diesmal in echt und gut geschützt hinter Glas und drei Sicherheitskontrollen. Nicht mal Fotohandys waren erlaubt. Das Mausoleum an sich ist nicht besonders beeindruckend, aber Lenin zu sehen (der übrigens wohl ohne Hirn in seiner Stätte weilt), hat sich gelohnt. Unsere Statue in Nowosibirsk im Kopf war ich sehr verwundert über das schmale, bärtige Männchen im schwarzen Anzug, dass da auf der Bahre lag und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Wohin ist der große starke Mann mit wehendem Umhang und dem Visionärsblick nur verschwunden? Kommunisten sind eben auch nur Menschen.
Nach einem stärkenden Dabbel-Kapputschino bei Kофе Хаус und ein wenig Shopping liefen wir zur Fußgängerzone Arbat, bevor wir auch schon wieder ins Hostel aufbrachen. Dort ließ ich mir von der Rezeptionistin den Weg zum Flughafen erklären und mit welchem Zug wir pünktlich ankämen. Tja, nicht nur wir, sondern auch die gute Dame hatte sich ein wenig verschätzt. Der Flughafenexpress fuhr alle halbe Stunde, den um 18 Uhr hatten wir um 3 Minuten verpasst, aber wir dachten uns nichts Böses. Bis wir am Schalter ankamen und merkten, dass wir durch den Menschenstau vom Zug zum Check-in-Schalter den Flug verpasst hatten. Keiner von uns hatte damit gerechnet, denn der Zug war ca. 19 Uhr angekommen, der Flug ging 20 Uhr und als ich auf die Uhr am Schalter guckte, war es 19:38 Uhr. Da gab es bei uns großes Trara, wir waren völlig überrascht, vor allem, weil wir ja schon Witze gemacht hatten, dass, wenn wir zu spät wären, wir schlimmstenfalls in der ersten Klasse landen würden.
Am Flughafen sprach natürlich keiner Englisch (Ach, wozu denn auch?) und so war ich mal wieder froh über meine Russischkenntnisse. Wir buchten einen neuen Flug für 0:25 Uhr, ein Taxi zum Hostel in Petersburg und danach setzten wir uns zum Italiener, stießen mit dem letzten Schluck Wodka an, aßen Pizza und alle Süßigkeiten, die wir noch hatten. Moskau ist toll, sehr westlich verglichen mit Nowosibirsk und groooß. Aber Hauptstädte sind sowieso mein Ding.
Wir hatten viel Spaß beim Flughafenpicknick und die Zeit ging zu viert schnell vorbei. Aber mich lehrt die Geschichte, dass ich nie mehr knapp zum Flughafen losfahre. Obwohl… ohne dieses Risiko landet man schließlich auch nie spontan in der ersten Klasse.
Mehr dazu bei Noras Blog:
http://www.norasfernweh.blogspot.com/2011/12/moskau-moskau-werft-die-glaser-die-wand.html
„Noch dreieinhalbmal schlafen!“, schrieb mir Nora vor ein paar Tagen, als die halbe Nacht schon rum war. Mittlerweile hat sich das Ganze auf ein Mal schlafen reduziert. Es ist tatsächlich ein bisschen wie Weihnachten. Überhaupt markiert es eine Grenze, die Mitte, einen neuen Anfang. Es sind auch die letzten Nächte in meinem jetztigen Zimmer, denn nach den Reisen werde ich bei Irina aus- und bei Sonja aus der 11. Klasse einziehen.
Seit Montag steht der große Koffer in meinem Zimmer, ich schmeiße die Sachen rein, von denen mir einfällt, dass ich sie unbedingt mitnehmen muss. So packe ich immer, ein bisschen wie adventskalendertürchenöffnen. Ich liebe es, den Koffer stehen zu sehen, zu wissen, dass es bald wieder los geht, bald wieder etwas Neues zu sehen, zu erleben gibt. Und so werde ich morgen Abend, genau zwei Monate nach meiner Abreise aus Berlin, wieder ins Flugzeug steigen und endlich, endlich Russlands Hauptstadt kennen lernen. Auf dem Flughafen habe ich vier Stunden Zeit, bis die Georgienclique eintrifft, mit denen ich das Wochenende Gläser an Wände schmeiße (natürlich nur literarisch gesprochen).
Sonntag Abend geht es dann schon weiter nach Sankt Petersburg, wo von Montag bis Freitag das Zwischenseminar aller GUS-Staatler stattfindet. Ich freue mich wahnsinnig, auf das (hoffentlich) wieder eintretende kulturweit-Feeling, beklopste Energizer, auf Partying und auf den Erfahrungsaustausch. Bis Montag Abend habe ich dann noch Zeit mit ein paar anderen das nödliche Venedig einfach so zu genießen, bevor es wieder zurück nach Hause in die Kälte geht. Im europäische Teil Russlands sind es nämlich noch Plusgrade, dafür fehlt der Schnee.
Gestern habe ich mich gebührend von Nowosibirsk verabschiedet. Mit einem Fotoshooting vor unserem Homie Lenin, dem Wächter der Stadt, und einem Besuch des Operntheaters, in dem Don Quichotte wurde als wunderschönes Ballett aufgeführt. Und so verlasse ich das erste Mal meine zweite Heimat und meine lieben Schüler, die mir so viele Freundschaftsbänder geschenkt haben, dass ich bald Wolle Petry Konkurrenz machen kann, und auf meine Rückkehr warten. Zum Abschied gibts ein Foto (kleine Lina, großer Lenin) und den Songtext eines tollen Liedes über eine aufregende Stadt, die nebenbei bemerkt die teuerste der Welt ist.
Ich bin dann mal weg.
…you don’t know how lucky you are!
Moskau – fremd und geheimnisvoll,
Türme aus rotem Gold,
kalt wie das Eis.
Moskau – doch wer dich wirklich kennt,
der weiß, ein Feuer brennt
in dir so heiß.
Moskau, Moskau,
deine Seele ist so groß,
nachts da ist der Teufel los.
Heute war es dann soweit, heute sollte ich endlich in das Geheimnis des Blinibackens eingeweiht werden. So einfach wie das aussieht, ist es nämlich gar nicht.
Aber von Anfang an…
Ich habe den ersten Teil des „weltweit-lecker“-Projekts mit meiner Klasse 8 i im Rahmen ihres Technologieunterrichts durchgeführt. In Technologie lernt man kochen, nähen, bauen, also alles Handwerkliche bzw. Haushaltsmäßige. Demzufolge hatten wir hier ausreichend Herdplatten und andere Kochutensilien zur Verfügung.
Schürzen und Kopftücher sind natürlich Standard für die angehende russische Hausfrau, die Mädchen hatten alles Nötige von zu Hause mitgebracht, aber auch die Jungs rannten in Schürzen rum. Ich glaube, in Deutschland würde man nicht allzu viele 14-Jährige dazu kriegen. Die Lehrerin des Technologieunterrichts unterstützte uns beim Kochen und auch meine Mentorin Ludmilla war dabei. Die Aufgaben waren schnell verteilt. Einige Mädchen schnitten Äpfel und füllten zu Hause vorbereitete Blinis damit und mit dem süßen, körnigen russischen Quark. Zwei Jungs waren wieder als Paparazzis angestellt, vier andere Gruppen machten sich ans Teigrühren und Backen. Dabei haben mir die Mädchen die Zutaten auf Deutsch und Russisch angesagt und ich habe das Rezept gleich mitgeschrieben. Hier passend dazu ein Beispiel, wie wichtig die Betonung im Russischen ist. Betont man in dem Wort мука (muka) das „a“, heißt es Mehl. Betont man jedoch das „u“, heißt es Pein oder Qual. Da ist beim Einkauf im Supermarkt Vorsicht geboten.
Hier also, was man für Blinis braucht (Rezept nach Sonja und Wawara):
Zutaten:
2 Eier
2 EL Zucker
1/4 TL Salz
1 Msp. Backpulver
400 ml/ 2 Gläser Milch
2 EL pflanzliches Öl
200 g Mehl
Die Zutaten in der genannten Reinfolge vermischen, nachdem das Mehl dazugegeben wurde,
unbedingt ein Handrührgerät benutzen. Eventuell etwas Öl in die Pfanne geben,
aber wenn, dann nur sehr wenig, und rein mit dem Teig.
Der schwierige Teil kommt jetzt erst. Wie man schon an dem Rezept sehen kann, ist der Teig sehr flüssig und das Ziel ist es auch, ihn so dünn wie möglich in der Pfanne zu verteilen. Das ist eine Kunst für sich. Mein erstes Blin sah deshalb aus wie Medusas Schlangenhaare (wie Sonja bemerkte), nicht rund, sondern mit lauer Ausläufen. Aber ich bin im Laufe des Backens besser geworden, außerdem wird der erste Blini immer komisch, daher auch das Sprichwort. Das Wenden ist übrigens auch sehr schwierig, da der Teig leicht reißt.
Ich muss zugeben, die Jungs waren heute ganz klar die besten Bäcker. Roman hatte es sogar drauf, den Blin zum Wenden hochzuwerfen und wieder aufzufangen. Damit war er quasi die Hauptattraktion.
Nachdem wir 40 Minuten fleißig gebacken hatten, ging es zum Fotoshooting mit den Kreationen.
Erst dann konnten wir endlich losessen. Typische süße russische Blinis isst man entweder einfach mit Butter, mit Quark, mit Marmelade oder natürlich mit Sguschjönka, der gezuckerten Kondensmilch. Aber prinzipiell kann man sie mit allem füllen. In Sankt Petersburg damals habe ich einen Blini gegessen, der mit Kartoffelbrei, zwei Würstchen und Senf gefüllt war. Unsere Blinis waren sehr unterschiedlich, aber alle lecker. Und ich werde weiter üben um meine Kochkünste in Bezug auf Blinis zu perfektionieren.
Es ist ja schön und gut, täglich Montag bis Samstag Unterricht zu haben bzw. zu geben, aber was so richtig Spaß bringt, sind doch die Sachen, die außerhalb des normalen Rahmens stattfinden.
Wir sind die erste Generation von kulturweit-Freiwilligen, die während ihres Aufenthalts im Gastland ein Projekt eigenständig planen und durchführen soll. Das wurde uns auf dem Vorbereitungsseminar mitgeteilt und wir wurden auch mit allerhand Broschüren und Infomaterial ausstaffiert. Ich hätte es nicht gedacht, aber den Leitfaden „Projektmanagement leicht gemacht“ lese ich jetzt abends im Bett, denn ich will, dass „mein“ Projekt ein voller Erfolg wird.
Die Idee dazu kam eigentlich wie von selbst, als ich mich nach meiner Ankunft einige Tage durch die Leckereien der russischen Küche gefuttert hatte. Ich wollte mit meinen Schülern kochen, aber nicht unbedingt nur russisch. Überhaupt, was essen die kulturweit-Freiwillige in Mexico denn so? Und in China? Und in Chile?
Was sagt schließlich mehr über eine Kultur aus als ihre Küche?
Aus diesen Überlegungen und meiner natürlichen Veranlagung zum Naschkatzen-Dasein enstand folgendes Projektkonzept:
Alle kulturweit-Freiwillige, die Lust und entsprechend kochwütige Kinder, Jugendliche oder Erwachsene aus ihrem Gastland zur Verfügung haben, kochen gemeinsam mit dieser Gruppe Feinschmecker ein landestypisches Gericht. Das Rezept wird zusammen mit Fotos und einem erklärenden Text, in dem die Kochenden, das Land und seine Kultur sowie das Essen vorgestellt werden, an mich geschickt. Dann ist der erste Projektteil erledigt.
Ich sammle alle Texte, Bilder und Rezepte und erstelle daraus zusammen mit einem Mädchen aus der 11. Klasse, das superfit im Layouten ist, das große „weltweit lecker“-Rezeptbuch. Dieses wird dann als pdf-Datei an alle teilnehmenden Kochgruppen verschickt. Im Vorfeld hatte jeder einen Kochpartner aus einem anderen Land bekommen, woraus sich der zweite Projektteil ergibt, nämlich, das Partnergericht zu kochen und sich auch mit diesem Land zu beschäftigen. Die Kochpartner nehmen per E-Mail Kontakt zueinander auf und schreiben sich ihre Eindrücke von dem fremden Gericht. Vielleicht entsteht daraus sogar regelmäßige Kommunikation?
Das ganze Projekt wird natürlich im Rahmen des Deutsch- oder DSD-Unterrichts stattfinden und demnach auch auf Deutsch ablaufen. Ziel ist, Deutsch in einem anderem Umfeld und bei einer spaßigen Tätigkeit zu lernen, außerdem natürlich andere Länder kennen zu lernen und Bilder von Stereotypen zu überdenken. Dadurch, dass die Deutschlernende ihre eigene Kultur für so viele Menschen aus anderen Ländern auf Deutsch präsentieren, merken sie, dass sie die Sprache im wirklichen Leben zur Kommunikation einsetzten können. So viele Leute aus so vielen Ländern – eine Sprache und zwar Deutsch. Außerdem finde ich es schön, dass wir Freillige etwas zusammen auf die Beine stellen, das stärkt unser Gemeinschaftsgefühl sicher noch mehr.
Ansonsten ist es jedem Frewilligen selbst überlassen, was mit dem Rezeptbuch geschieht. Man kann es als Broschüre drucken lassen (das haben wir vor), noch mehr Rezepte aus verschiedenen Ländern nachkochen, es privat nutzen oder Unterrichtseinheiten zu fremden Ländern und deren Esskulturen vorbereiten. Es gibt viel Raum für Ideen und Fanatsie, eine weitere Möglichkeit wäre auch, einen Kochwettbwerb unter den Schülern zu veranstalten, vielleicht haben die Freiwilligen, die 12 Monate im Gastland bleiben, dazu die Gelegenheit.
So viel zur Theorie. In der Praxis war ich dann positiv überrascht, denn das Projekt ist wirklich auf viel Motivation und Begeisterung gestoßen.
34 Freiwillige aus 22 Ländern sind jetzt daran beteiligt und alle kulturweit-Kontinente sind vertreten. Es ist sehr gut angelaufen. Ich habe mit meiner Kochgruppe, der DSD-Gruppe der Klasse 8 i, eine Show veranstaltet, in der wir die Kochpartner stilvoll ausgelost haben. Weil es uns viel zu langweilig war, dann einfach nur eine Liste mit den Namen der Partner als Mail zu verschicken, haben wir das Ganze gefilmt und die Videos bei youtube hochgeladen.
Hier sieht man das Ergebnis, auf das ich mächtig stolz bin. Ich finde es auch toll, dass manche Mädchen das Wort „GlücksFEE“ wörtlich genommen haben. Allen hat es Spaß gemacht und ich freue mich auch immer, wenn mir die anderen Freiwilligen in Mails über die Freude der teilnehmenden Kinder berichten. Unser Partnerland hier in Akademgorodok ist übrigens Armenien und wir werden Blinis, die russischen Eierkuchen, zubereiten.
Die große \“weltweit lecker\“-Kochpartner-Auslosungsshow, Teil 1: Anmoderation
Die große \“weltweit lecker\“-Kochpartner-Auslosungsshow, Teil 2: Auslosung
…können stundenlang am Fenster stehen und voll Ungeduld hinauf zum Himmel sehen.
Winterkinder in den Bergen oder an der S(pr)ee, alle warten auf den ersten Schnee!
Warten musste ich zum Glück nicht lange. Ich bin ein Winterkind wie es im Buche steht und liebe den Schnee, dicke Kleidung und alles, was dazugehört. So habe ich mir Sibirien vorgestellt!
Die Welt wird leise, denn meine dicke Mütze dämpft alles und doch knirscht der Schnee laut genug, damit ich mich an dem Geräusch satthören kann.
Die Welt wird hell und ich leuchte in meinem geborgten weißen Mantel mit ihr um die Wette.
Die Welt wird ein Platz zum Toben, voller Schneeball werfender Kinder und die Holzrutsche auf dem Spielplatz wird zur Rodelbahn. Eltern ziehen ihre Kinder auf dem Schlitten, alte Leute nutzen ihn, um ihre Einkäufe zu transportieren.
Die Magie des Schnees kann sogar einen eingeschneiten Panzer hübsch aussehen lassen und zaubert unaufhörlich Winterlieder in meinen Kopf.

Das sind meine Impressionen eines wahrlich kalten Landes, das mich gelehrt hat, dass Schnee und Weihnachten eigentlich gar nicht zusammengehören.
















