Heimweh nach der Zukunft

29. Februar 2012
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von Caroline Stelzer

Von Reisen, hat man mir gesagt, kehrt nie derselbe Mensch zurück!, singt die Band Ton in ihrem Lied Von hier bis in die Welt.

Ich habe mir diese Zeile oft durch den Kopf gehen lassen und jetzt, fast sechs Monate, fünfzehn Flüge und vier große Städte später bin ich überzeugt davon.

Ich hab noch nie so viel geschrieben. Ich hab noch nie öffentlich gesungen. Ich hab noch nie so laut im Unterricht geschrien. Ich bin noch nie von so vielen Kindern umarmt worden. Ich hab noch nie so gern eine Sprache gesprochen. Ich hab noch nie solches Heimweh gehabt. Ich habe noch nie so viel fotografiert. Ich hab noch nie so viel geweint. Ich hab noch nie im Whirlpool gelegen. Es war noch nie so kalt. Ich war noch nie so weit weg. Ich wollte noch nie so gern nach Hause. Ich wollte noch nie so ungern nach Hause. Ich war noch nie so einsam. Ich hab mich noch nie so wohl mit mir allein gefühlt. Ich hab noch nie so schnell so viele Freunde gefunden. Ich hab noch nie so wenig verstanden. Ich hab noch nie so viel verstanden. Ich war noch nie so stolz auf mich. Ich war noch nie so ratlos. Ich hab Deutschland noch nie so geliebt. Ich hab noch nie so früh Weihnachtsgefühle gehabt. Ich hab noch nie so gefroren. Ich war noch nie so entspannt. Ich hab noch nie so viel gelernt. Ich hab Russland noch nie so geliebt. Ich hab mich noch nie so dick angezogen. Ich hab mich noch nie so erwachsen gefühlt. Ich hab sowas noch nie geschafft. Ich hab noch nie so etwas großes in mich aufgenommen. Ich hab noch nie zwei zu Hause gehabt. Ich hab noch nie in zwei „wir“ gedacht. Ich bin noch nie hier gewesen. Ich bin noch nie ich gewesen.

Ich hab gelacht. Ich hab geweint. Ich hab gelebt.
Und ich habe jeden Tag einen Satz gedacht: Das Leben ist schön.
Ich war glücklich. Jeden Tag. Nicht den ganzen Tag lang, aber jeden Tag und wenn es nur ein kleines bisschen war.
So soll es immer bleiben.

Ich werde wiederkommen, wieder nach Hause. Wo auch immer das sein mag…

 

Mein Abschlussbericht

13. Februar 2012
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von Caroline Stelzer

Abschließen. Womit schließe ich ab? Die Quintessenz des Ganzen, die Idee war, Erfahrungen zu sammeln, Menschen zu treffen, mich zu entwickeln, mich herauszufordern, mir selbst zu begegnen. Damit schließe ich nicht ab. Ich schließe nicht mit Russland ab, nicht mit meinen Freunden, nicht mit mir, wie ich in Russland war, eben nicht mit Lina und Linas Leben. Womit ich abschieße, ist schlicht und einfach damit: Zu sagen, dass ich Lina heiße, dass ich in Nowosibirsk wohne und an einem Gymnasium Deutsch unterrichte. Diese Dinge kann ich nicht mehr sagen. Aber ich schließe nicht damit ab, dass sie zu mir gehören. Denn ich bin diese Person. Die Person, die das alles mal sagen konnte, als die Zeit noch nicht so schnell gerannt war.

Ich bin mächtig stolz auf das Projekt „weltweit lecker“, das außer den Projektwettbewerb zu gewinnen auch vom PAD den Titel „Projekt des Monats“ im März 2012 verliehen bekommen hat.
Die Preisübergabe des Projektwettbewerbs fand feierlich am 18. Februar in meinem Gymnasium statt. Ich berichte später im Zusammenhang mit dem Projekt des Monats mehr, wenn ich auch Bilder zur Untermalung habe.

Hier also erstmal nur mein Abschlussbericht, geschrieben als Abschließen eigentlich noch fern schien.

Welche Ihrer Erwartungen an den Freiwilligendienst haben sich erfüllt und welche nicht?

Eigentlich haben sich alle meine Erwartungen erfüllt. Ich habe meine Russischkenntnisse massiv verbessert, ich habe das Gefühl den Schülern an meinem Gymnasium nützlich gewesen zu sein und auch die Lehrerinnen entlastet zu haben, ich war also eine Hilfe. Außerdem konnte ich in meiner Einsatzstelle eigene Ideen anbringen und umsetzen. Ich habe soziale Kontakte aufgebaut (sowohl zu Leuten hier als auch zu kulturweit-Freiwilligen), ich bin etwas gereist und habe Russland besser kennen gelernt.
Ich habe mich weiterentwickelt und kann sagen, dass ich schöne 6 Monate verbracht habe, obwohl ich wie erwartet natürlich auch einige negative Erfahrungen gemacht hab.

Was ist für Sie der größte Gewinn Ihres Freiwilligendienstes?

Ganz besonders freue ich mich über meine verbesserten Sprachkenntnisse und darüber, dass ich mich der russischen Kultur jetzt so nahe fühle. Im Allgemeinen kann ich sagen, dass ich mich sehr freue, dass ich meinen Aufenthalt im Ganzen als sehr positive Erfahrung wahrnehme.

Wie haben Sie selber auch einen Gewinn für Ihre Einsatzstelle dargestellt?

Ich denke, meine Projektarbeit mit dem erfolgreichen Projekt „weltweit lecker“ hat sowohl Schülern als auch den Lehrern Spaß gemacht, sie inspiriert und ist eine gut Basis für weitere Projektarbeit auf diesem Gebiet. Da ich mehrmals während meiner Einsatzzeit eine der beiden Deutschlehrerinnen bei Krankheitsausfall oder sonstigen Verhinderungen vertreten habe, war ich auch so ein Gewinn. Dabei waren meine Russischkenntnisse natürlich von großem Vorteil, besonders in den unteren Klassen, die gerade erste begonnen haben, Deutsch zu lernen.
Außerdem war ich bei vielen schulischen Anlässen, zum Beispiel Konzerten, aktiv beteiligt, habe mit den Schülern gespielt und gelernt und bin der Meinung, dass viele von ihnen traurig sind, dass ich gehe, weil ich zur Ansprechperson und Lehrerfigur geworden bin.

Welches war Ihr einprägsamstes Erlebnis?

Ich kann hier keine konkrete Situation benennen, dazu war dieses halbe Jahr zu angefüllt von verschiedensten Eindrücken.
Dazu gehören meine Reisen nach Moskau, Sankt Petersburg und Shanghai; dazu gehören die fünf Tage, die ich im sibirischen Krankenhaus lag; dazu gehören die vielen Stunden Arbeit mit meinen Schülern, die jeden Tag aufs Neue kleine Kämpfe waren, obwohl ich von den Kindern mehr und mehr respektiert und gemocht wurde; dazu gehören die vielen Unternehmungen mit meinen neuen Freunden, deutschen und russischen.

Lesen Sie noch einmal Ihren Zwischenbericht – welche Aspekte haben sich seither geändert oder werden von Ihnen nun anders beurteilt?

Im Zwischenbericht schrieb ich, dass ich meinem Wohnplatzwechsel mit gemischten Gefühlen entgegenblicke, weil es mir bei meiner ersten Gastdame sehr gut gefallen hatte. Wie sich herausstellte, war der Wechsel aber ein sehr poitives Erlebnis, da ich mich mit meiner Gastschwester sehr gut verstanden habe und gerne bei ihr und ihrer Familie gewohnt habe, sie waren sehr freundlich zu mir. Ich hatte Gesellschaft in meinem Alter, wenn ich das wollte, das war ein großer Vorteil.
Mittlerweile wohne ich nun in der dritten Wohnung seit meiner Ankunft, aber ich habe es geschafft, dass sich jeder dieser Orte wie zu Hause anfühlt.
Beim Schreiben des Zwischenberichts befand ich mich außerdem in der Situation, dass sich meine Freundschaften nur sehr langsam aufbauten. Mittlerweile habe ich einige gute Freunde (was nicht zuletzt mit den Wohnungswechseln einherging) und fühle mich damit sehr wohl.

kulturweit bewegt Nowosibirsk

9. Februar 2012
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von Caroline Stelzer

Schon bald ist meine Zeit zu Ende, deshalb hat es mich besonders gefreut, ein weiteres wundervolles Projekt durchführen zu können. Auch hier entsprang diese Homezone-Idee schon während des Vorbereitungsseminars. Besser als mit Sönkes Worten kann ich es nicht beschreiben:

„kulturweitbewegt. 1. Ein Adjektiv, das den Zustand aller Teilnehmer super beschreibt. Von kulturweit bewegt, sich mit kulturweit bewegend und außerdem bewegt sich kulturweit durch uns um die Welt… 2. Der Name eines interhomezonalen Langzeitprojektes: nach dem Vorbild von „Where the hell is Matt?“ soll ein Video kreiert werden, in dem ganz viele Freiwillige in ihren Einsatzländern oder ihren Einsatzstellen zu einem Song tanzen. Ein Song. Ein gemeinsames Projekt. Ein kulturweit!“

Also habe ich getanzt, einmal natürlich mit meinen Kiddies vor unserem Gymnasium, einmal privat mit meiner Freundin Natscha sowie den bald-Eltern Katja und Dima, die ich jetzt noch kennen gelernt habe. Katja ist im achten Monat schwanger, deshalb haben wir alle zusammen den einzigen Tanz getanzt, den Katja noch tanzen kann, den „Tanz des Bauches“!
Viel Spaß beim Zugucken, wie wir uns zum Affen machen! Es hat wirklich so viel Spaß gemacht, wie es aussieht!

http://www.youtube.com/watch?v=zlfKdbWwruY (Vorbild Video „Where the Hell is Matt?“ 2008)

 http://youtu.be/ZIjZvN7rmog (kulturweit bewegt am Gymnasium № 6)

http://youtu.be/l1aZL0qVRpk (Tanz des Bauches bei Dima und Katja, mit Natascha und Lina)

Katja, ich, Natascha und Dima (und klein Sofya)

Living next door to Slawa…

6. Februar 2012
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von Caroline Stelzer

…who the…?!  Die Frage, die sich an die Überschrift anschließt, ist einleuchtend. Man fragt sich vielleicht auch noch: Warum hat Caro schon wieder den Wohnplatz gewechselt?
Umziehen sollte ich sowieso noch einmal während der letzten Wochen meines Aufenthalts hier. Eingeplant waren anfangs sogar mal 5 verschiedene Gatfamilie, deren Zahl sich dann auf drei reduzierte. Bei Sonja hat es mir supergut gefallen (bei Irina davor auch), aber es war keine Lösung für lange, da Sonja ja für mich im Wohnzimmer geschlafen hat. Und auch wenn ich zwischendurch immer auf Reisen war, braucht sie doch ihr Zimmer für sich. Deshalb sollte ich zu einer älteren Dame ziehen, einer Reisetante, wie sie im Buche steht. Leider wurde sie kürzlich operiert und wohnt deshalb bei ihrer Tochter in der Stadt. Diese Option fiel also aus. Ich bekam netterweise von einer Englischlehrerin das Angebot, bei ihr zu wohnen. Allerdings liegt ihr zu Hause eine 20-minütige Maschrutkafahrt entfernt im nächsten Dorf. Das ist mir definitiv zu weit entfernt, ich möchte nicht bei -30°C auf den Bus warten müssen, sondern wie gewohnt zu Schule laufen, eines der Highlights jedes Tages. Ich möchte auch abends nicht auf ein Taxi angewiesen sein und mich flexibel nachmittags hier in Akadem treffen können. Ich mag meine Hood, meine kleine Welt genau hier und würde das nur sehr ungern aufgeben. Also habe ich mich nach einer anderen Möglichkeit umgesehen. Zu Hilfe eilte mir mein Freund Slawa, seines Zeichens Geschichtsdoktorant und Deutschlehrer am Sprachlernzentrum. Er bewohnt mit seiner Hündin Gljascha eine sehr geräumige Dreizimmerwohnung ein Stück weiter die Straße runter und war so lieb, mich erstmal aufzunehmen. Für wie lange hängt von eventuellen Verwandtenströmen ab, die vorbeischneien könnten.
Seit Sonntag habe ich deshalb einen Whirlpool im Bad, den ich am Abend schon eine Stunde lang mit meinem Buch genossen habe. Ich hatte so viel Badezusatz reingekippt, dass ich zehn Minuten mein Shampoo in den Fluten suchen musste, bevor ich es rausfischen konnte. Ich war im Schaum fast nicht mehr zu sehen, es war ein wahrer Genuss. Und wenn ich keine Lust auf Baden habe, gibt es ja noch die Dusche mit den Massagedrüsen und dem eingebauten Spiegel.
Ein weiterer Vorteil ist die große Küche, zu deren Hüterin ich mich ernannt habe und da sich Slawa die Woche vor meinem Einzug ausschließlich von Brei ernährte, ist er sehr dankbar für alles Essbare, das ich ihm vorsetzte. Das Konzept – ich koche, er wäscht ab – geht bis jetzt auf.
Ich kann endlich rumwirbeln, wie ich möchte. Dreieinhalb Wochen sind ideal zum Austoben. Mein Chili con carne hat es schließlich doch noch in einen russischen Kochtopf geschafft.
Mit dem Dackel rede ich Russisch, mit Slawa Deutsch und so funktioniert unser WG-Prinzip perfekt. Hoffentlich beruhigt das besorgte Mentorinnen bis auf weiteres.

Ergebnis des Projektwettbewerbs

4. Februar 2012
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von Caroline Stelzer

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SEKRETARIAT DER STÄNDIGEN KONFERENZ
DER KULTUSMINISTER DER LÄNDER
IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
— PÄDAGOGISCHER AUSTAUSCHDIENST —
Nationale Agentur für EU-Programme im Schulbereich

Caroline Stelzer
Gymnasium N 6
Novosibirsk

PAD – Projektwettbewerb

Liebe Frau Stelzer,
wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass Sie mit Ihrem Projekt „weltweit lecker“
den 1. Preis unseres Projektwettbewerbs gewonnen haben.

 Ihr Projekt überzeugte die Jury, bestehend aus Vertretern der Deutschen UNESCO Kommission, der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen und des Pädagogischen Austauschdienstes, insbesondere durch dessen hohe Reichweite. So sind 34 kulturweit-Freiwillige aus 22 Ländern jeweils mit Schülergruppen beteiligt. Das Projekt hat außerdem großes Potential nachhaltig zur Förderung der Deutschen Sprache beizutragen. Es kann sich zum einen positiv auf die Motivation der beteiligten Schüler Deutsch zu lernen bzw. zu verbessern auswirken und zum anderen kann das Projekt bei weiteren Schülergruppen immer wieder eingesetzt werden. „weltweit lecker“ ist flexibel innerhalb einer Schule und als Partnerschaftsprojekt zwischen mehreren Schulen durchführbar. Auch zukünftige „kulturweit“-Freiwillige könnten das Projekt durchführen. Sie haben die Jury nicht zuletzt auch durch Ihren ansprechenden und umfangreichen Projektbericht überzeugt. Herzlichen Dank dafür!

Wir sind überzeugt, dass das Preisgeld in Höhe von 500,00 € gut eingesetzt ist. Zurzeit suchen wir noch nach einer Möglichkeit wie das Preisgeld überreicht werden kann.

 [..]

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Juhu! Ich habe mich so sehr gefreut, als ich erfahren habe, dass „weltweit lecker“ den Projektwettbewerb gewonnen hat. Mit dem Preisgeld werden wir das Rezeptbuch für alle interessierten Schüler, Lehrer und Studenten drucken lassen.
Dank Olgas schneller und hervorragender Layoutarbeit ist das Buch bald fertig und kann verschickt werden. Die Klasse 8i freut sich schon, unser Partnergericht aus Armenien zu kochen.
Vielen Dank noch einmal an alle  Interessierten und Unterstützer des Projektes, besonders an alle anderen beteiligten Freiwilligen, meine Mentorin Ludmilla, Olga und ihre Mutter sowie meine lieben Projektkiddies. Ohne eure Hilfe und Motivation wäre das Projekt nie zustande gekommen!

Shanghai Stories, Baby!

1. Februar 2012
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von Caroline Stelzer

Wie war Shanghai?
Anders, vertraut, lustig, wunderschön, aufreibend, anstrengend, atemberaubend, neu, noch tausend andere Dinge. Es ist schwer, das in Wort zu fassen, ich kann nur sagen, dass ich definitv wiederkommen werde.
Das sind die letzten vier Wochen hier in Nowo. Unglaublich, dass mein Abenteuer bald vorbei sein soll. Aber mir geht es gut.
Jetzt sitze ich hier, mit einem großen Stück Pomelo, einem Kopf voller Erinnerungen, einem Herz voller Sehnsucht, den Bauch voller Fernweh, bei -35°C und schreibe, was mir einfällt. Einige Geschichten werden kurz und andere lang sein. Einige werde ich richtig vermitteln können, andere werden für immer nur in den Tiefen meiner Erinnerung vorzufinden sein. Ich teile außerdem Fotos, die mehr erzählen, als ich kann.
Mein Tastatur wird danach kleben und ich werde ein Stück leichter sein und glücklich, etwas von den Momenten  festgehalten zu haben.
Was aber immer unbeschreiblich bleiben wird, ist das Gefühl.
Ja, ich muss unbedingt wiederkommen.
Los gehts.

Ankunft
Ich komme an, lande, bin da, nach so vielen Wochen, Tagen, Stunden, endlich. Ich tauche auf aus einem U-Bahngewirr, noch vorbei an einer Reihe an Klamottenläden, die mich auf guten chinesischen Geschmack schließen lassen. Ich schiebe einen Plastikvorhang zur Seite, und sehe endlich ein vertrautes Gesicht in dem Meer von Menschen. Reiner nimmt meinen Koffer in die pizzakartonfreie Hand und ich fahre auf der Rolltreppe ans Licht. Bäume, grüne Bäume und Palmen und Menschen und Wärme und oh, die Häuser! Die hohen Häuser! Wir gehen schnell und das wird das Tempo sein, das ist das Tempo, das Tempo, das mein Leben bestimmt. Ich staune. Ich kann nicht mehr denken. Nur staunen.

Das Drachenjahr beginnt
Chinesischer Silvesterabend, irgendwo in Pudong, Shanghai. Alle sind da: Oma, Opa, Schwiegertocher, der Sohn, andere Verwandte. Und wir.  Katharin, Reiner, Niyat und ich. Die Deutschen, die exotischen Ausländer, es ist irgendwie schick, uns dazuhaben. Alle sind freundlich und lachen viel. Extremebikingsport läuft im Fernseher des Schlafzimmers, in dem wir essen werden. Der Tisch wird gedeckt, bis er sich biegt. Fleisch, Meerestiere, Tofu, Pilze, Gemüse. Keine Beilagen, heute wird gefeiert, das Jahr des Drachen bricht an. Es kalt drinnen, wir behalten unsere Jacken und Mäntel an. Schade, ich trage extra meinen roten Minirock. Rot bringt Glück und die Wohnung ist entsprechend geschmückt. Aber noch viele andere Dinge bringen Glück: Das Wort „Fisch“ klingt im Chinesischen so ähnlich wie das Wort für „übrig bleiben“, also bringt Fisch Glück, damit man im neuen Jahr immer Geld übrig hat. Der letzte Rest Wein in der Flasche bringt dem Glück, der ihn trinkt. Mein roter Glücks-BH für 10 Yuan (1,25 Euro) bringt Glück, ebenso wie die roten Männershorts mit Drachenmotiv. Ein Löffel Reis zum Schluss des Essens bringt Glück. Mit Fleisch gefüllte Nudelteigtaschen bringen Glück, aber wirklich nur die mit Fleisch. Wahrscheinlich bringen auch die Neujahrssüßigkeiten, die Kungfu-Panda-Eistee-Trinkpäckchen, das Neujahrsfernsehprogramm und das Würfelspiel mit der hiesigen Großmutter Glück. Aber man kann davon ja nie genug haben.
Ich probiere alles, was mir in meine Essschale gelegt wird. Ob es fliegt, läuft, schwimmt, watschelt, ob es im Meer oder auf dem Land wohnt, am Ende des Abends habe ich es definitiv verspeist. Und die Reste ladylike auf den Tisch gespuckt wie alle anderen. Das wird das einzige Mal bleiben. Ich bin stolz auf mich, die ich normalerweise keine Gerichte mit Knochen oder Gräten drin esse. Richtig genießen konnte ich das Mahl allerdings nicht. Da ist mir ein Teller chinesischer Nudeln mit Fleisch und Pilzen tausendmal lieber. Wenn man anstößt, muss man übrigens das Glas leer trinken, also lieber nur zuprosten.
Wir gehen ins andere Zimmer und sehen das Neujahrsprogramm. Auftritte, Gesang, ein Kungfu-Film mit Jackie Chan in jungen Jahren. Die älteren Generationen spielen ein Spiel am blinkenden und sprechenden Würfeltisch. Wir bekommen Feigenbonbons angeboten, von denen wir uns später erzählen werden, wie wir sie unauffällig wieder losgeworden sind. Ich habe meinen in der Toilette versenkt, Katharin war genauso schlau. Das Badezimmer ist ein Erlebnis für sich. Die Hälfte des Fisches, die wir nicht serviert bekommen hatten (die untere), baumelt an einem Haken über der Badewanne, in der Plastikschalen mit Gemüse stehen.  Auf der Ablage links von mir Pfannen und Friteusen, daneben eine Haarbürste und eine Tube Creme.
Irgendwann bedanken wir uns und werden zur Metro gefahren, den Abend wollen wir am Bund, der Prachtstraße am Fluss beenden. In der Hoffnung auf ein großes Feuerwerk.
Lass es krachen im Jahr des Drachen! (http://www.youtube.com/watch?v=Stc4WmiJyzQ)

 

Die Skyline, die Stadt
Shanghai ist eine Stadt, die nicht nur leuchtet. Das wäre nicht genug für sie. Shanghai blinkt und glitzert, Shanghai wechselt die Farbe, Shanghai nimmt die seltsamsten Formen an. Shanghai braucht Aufmerksamkeit und die Bewunderung der Menschen. Die Skyline in Pudong auf der anderen Seite des Hangpu-Flusses wurde innerhalb der letzten 20 Jahre erbaut. Nicht nur darin ähnelt Shanghai mir.
Von wo kann man die Stadt sie am besten bewundern, wenn nicht von oben?
In 474 Metern Höhe vom World Financial Center, im 27. Stock von Niyats Wohnung aus, im 24 Stock vom MINT-Club, im 38. Stock von der Lounge des Marriot Hotels am People’s Square.
Der Fahrstuhl des World Financial Centers fährt so schnell so hoch, dass es David, Katharin und mir auf die Ohren drückt. Oben können wir uns kaum satt sehen  und tanzen für kulturweit bewegt an der höchstmöglichen Stelle.
Niyats Wohnung ist ein guter Ort, um die normalen Wohnviertel zu sehen und durchdringend zu spüren, dass nicht nur an Silvester geböllert wird, bis der letzte böse Geist definitiv reißaus genommen hat.
Das Mint spielt gute Musik, zieht die reichen Europäer und Amerikaner Shanghais an und überzeugt mich mit Haifischbecken und kerzenbeleuteten Waschräumen von seiner Coolness.
In die Lounge des Marriot Hotels dürfen eigentlich nur Gäste, was David, Katharin und mich jedoch nicht abhält. Mit kandierten Erdbeeren und einem gwinnenden Lächeln bewaffnet schreiten wir auf den Portier zu. Jetzt noch eins meiner wenigen chinesischen Wörter anbringen, „che-che“ fürs Türaufhalten, schon sind wir drin und haben einen fantastischen Ausblick über den ganzen People’s Square.

Das erste Mal…
… in einem Land die Sprache rein gar nicht verstanden
… zweifach Neujahr gefeiert
… Angst vor komischem Essen überwunden
… eingequetscht zwischen zwei Männern aufgewacht
… jeden zweiten Abend in einem neuen Club gewesen
… eine Nacht auf dem Flughafen verbracht
… in einem 24h geöffneten McDonalds nichts zu essen bekommen
… drinnen konstant gefroren
… richtig billig gelebt
… gesagt: „Oh, das ist ja soooooo chinesisch!“
… mich in einem Tempel drei Mal verbeugt
… einen Hund in Turnschuhen gesichtet (es waren kleine Chucks)
… so weit weg von zu Hause gewesen wie noch nie
… einen Affen an einer Leine gesehen, auf der Straße
… Frühlingsgefühle im Januar gehabt
… so viele Taschen- und Feuchtetücher für verschiedenste Zwecke in meiner Handtasche gehabt
… rote Sachen so geliebt
… jeden Tag Bubble Tea getrunken. Mit Pudding.
… eine Nackenstarre vom vielen Hochgucken bekommen
… in der U-Bahn so sehr gedrängelt
… alles, sogar Erdnüsse mit Stäbchen gegessen (daraus folgt)
… so viel gekleckert

Shanghai Nights
Shanghais Nächte sind wunderschön, mit guten Freunden erst recht. Shanghais Clubkutur kann sich sehen lassen. Ich habe das Gefühl, in der Szene nach den zwei Wochen schon richtig mitreden zu können. Der Eintritt ist meist kostenfrei, irgendwo sind immer Ladysnights mit irgendwelchen free drinks oder sonstigem Schnickschnack. Einige Clubs waren extravagant wie das MINT, andere normal wie das M2, andere berlinerisch abgewrackt wie das Dada.
Auch meine neue Kultur konnte ich anbringen, meine Freunde können jetzt alle richtig Woska trinken. Brot nicht vergessen, ihr Lieben.
Und wenn um halb zwei Uhr nachts ein fünfjähriger Junge umjubelt von Verwandten und Freunden im Windows Underground eine megakrasse Tanzshow hinlegt, kann man nur in China sein.
„No drugs, no gambling, no prostitution in Club. If we notice, we call the Police 110!“
http://youtu.be/HVykvC9wlJM

das ist das tempo
keine zeit für ganze sätze. keine zeit für großbuchstaben. ein wirbel aus erinnerungen, wenn ich nicht zugreife, ihn festhalte, ihn einfange, wird er verschwinden und nie nie wieder kommen. erinnerungen sind ein löchriges gebilde. feuerwerk die ganze nacht, jede nacht, 5 tage lang, am stärksten am 26. februar, dem letzten tag der neujahrswoche. ich bin draußen, renne von einem feuerwerk zum nächsten mit meinen beiden lieblingsjungs. wir rennen und rennen, finden eine schusslustige gruppe nach der anderen. ich schaue hoch und höher, die ohren dröhnen, die stille im haus nacher wird betörend sein. das ist krieg, sagt niyat und befördert  reiner und mich als soldaten abwechseld nach hause (woauchimmerdasseinmag) und zurück. batterien so groß wie umzugskartons, zündschnüre so kurz wie mein kleiner finger. die reste der pappe fallen vom himmel und treffen mich. wir lachen und die jungs überlegen wie immer, wie weit der nächste mcdonalds weg ist. oh diese jungs, sie kabbeln sich, sie duellieren sich, sie hassen sich, sie liebe sich. ich mittendrin, es ist wie früher. dafür bin ich hergekommen, das ist das silvester, das ist der neuanfang, den ich brauchte. nur sekt und der countdown fehlen. rush hour zum abschluss dieses tages ist perfekt. der asiate, der schwarze und ich. ich muss lachen. und auch wenn ich morgen davon geweckt werde, dass sich in dem bett, in dem ich liege, zwei jungs prügeln, wars das wert. erwachsen? was heißt das schon?


„Eine Amerikanerin!“
Ich falle natürlich auf in China, auch in Shanghai. Ich kann nicht untertauchen wie in Russland. Mein europäisches Aussehen verrät mich immer wieder. Blicke in der U-Bahn, die ich meistens mit einem breiten Grinsen beantwortete und im Tausch ein zaghaftes Lächeln erhielt, gehörten sowieso dazu. Aber auch, dass Fotos von und mit uns gemacht werden wollten oder ohne zu fragen geschossen wurden. Wie von dem niedlichen kleinen Mädchen in der Toilettenschlange hinter uns, das uns fragte, woher wir seien. Dann machte sie mit ihrem Handy Fotos von Katharin und mir und plapperte uns hüpfend alles nach. So hab ich gemerkt, dass ich viel zu viele Schimpfwörter gebrauche. „Eierkuchen“ hat die Kleine natürlich nicht nachgesprochen.
Da gab es außerdem die Gruppe von jungen Leuten, die mich an meinem ersten Tag auf meine schöne helle Haut, meine schönen Haare und meinen schönen Nagellack ansprachen. Wer hört sowas nicht gerne?
Wie ich trotzdem von mehreren Leuten für eine Chinesin gehalten werden konnte, bleibt mir ein Rätsel, war aber irgendwie schön. Außerdem wechselte ich meine Nationalität noch zu Russin, Französin, Engländerin und natürlich Amerikanerin. Ich war schließlich mit Leuten unterwegs, die verstehen, wenn fremde Leute auf mich zeigen und aufgeregt rufen: „Guck mal, eine….!“

Erster Eindruck von Shanghai

17. Januar 2012
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von Caroline Stelzer

Die Stadt ist unglaublich schön. Es ist so grün hier, das glaubt man gar nicht. Die Hochhäuser geben ein schönes Panorama, aber sie erdrücken einen nicht. Wir hatten heute 10 Grad und Sonne, es war wie Frühling für mich. Eben ein 45 Grad Unterschied. Überall gibt es Bäume, Blumen, Plamen. Dazu die bunte Werbung, die vielen Menschen, die fremde Sprache, China eben. Es ist unglaublich und alle zwei Minuten staune ich über etwas anderes. Über den Hund, der kleine Chucks an hat, über die echten chinesischen Mönche in dem Tempel, den wir heute besucht haben, über das Essen, über die Hochhäuser, über den Zier-Blumenkohl, über die Chinesen, die mit uns ein Foto machen wollten. Mir gefällt es wirklich sehr gut, die Stadt ist eine Mischung aus Berlin, London, Disneyworld und irgendetwas abgedrehtem. Es ist wirklich genauso klischeehaft, wie man sich China vorstellt. Die ganze Stadt wirkt künstlich, aber auf wunderschöne Art und Weise. Ich bin schon verliebt und will jeden Augenblick genießen.

Ich bin dann mal in China…

15. Januar 2012
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von Caroline Stelzer

Die Koffer sind gepackt und anscheinend ist ein Wodka-Mitbringsel jetzt schon obligatorisch geworden. In ein paar Stunden werde ich zum Flughafen aufbrechen, die Nacht durchfliegen, in Peking umsteigen und gegen Mittag im Reich der Mitte ankommen.
Wer mich abholt oder ob ich mich allein in den Großstadtdschungel wage, ist noch ungeklärt. In China hat niemand einen Plan, heißt es.
Ich jedoch habe einen. Den Plan, eine großartige Zeit zu verbringen, alles aufzunehmen, was ich kann, China ein Stück kennen zu lernen und vor allem ein wundervolles Neujahrsfest zu feiern.
Mit dabei sein werden Menschen, die ich vier Monate nicht gesehen, aber ein wenig vermisst habe.

„Ein Paradies für Abenteurer sei Shanghai, heißt es. Hier bin ich, prahlt die Stadt, und keine ist atmenberaubender.“

Mit diesen Worten aus meinem Reiseführer verabschiede ich mich wieder mit einem Lachen und verheulten Augen von Nowosibirsk mit dem Versprechen, danach den letzten Monat hier voll auszukosten. Diesen werde ich in einer neuen Gastfamilie verbringen, aber dazu beizeiten mehr.
Erst entfliehe ich mal der Kälte, für Dienstag Nacht wurden -35°C angekündigt, aber auch jetzt spürt man schon eine Veränderung.

Пока und Ni hao!

Olgas Geschichte

8. Januar 2012
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von Caroline Stelzer

Wir alle glauben an die Liebe. Sagen wir. Doch wie weit gehen wir für sie? Wie unsicher sind wir noch, wenn wir uns sicher sind, sie gefunden zu haben? Wie viel riskieren wir, wie viel nehmen wir auf uns?

Das hier ist Olgas Geschichte, aber es könnte genauso gut deine oder meine sein. Sie soll uns lehren, dass nichts unmöglich ist, dass die Liebe keine Erfindung der Filmindustrie ist. Sie ist hier und dort, überall und sie kann uns jederzeit begegnen. Sie ist unüberwindbar. Wir müssen nur daran glauben.

Es begann im September vor vier Jahren. Olga war 24 und mit ihren Freundinnen in einem Nowosibirsker Nachtclub unterwegs. Zwei Männer fielen ihr ins Auge, zwei Freunde, beide älter als sie. Den einen fand sie besonders anziehend. Ihre Augen begegneten sich, er lud sie zum Tanzen ein. Erst wurde ein schnelles Lied gespielt, doch bald wechselte die Musik zu einem langsamen Song.
Igor war 36, zwölf Jahre älter als Olga. Er war in Littauen geboren und sprach deshalb perfekt Russisch. Gelebt hatte er als Seemann aber überall: in England, Irland, Dänemark. Seit zwei Jahren nun wohnte er in Magdeburg, ging einer anderen, geregelteren Arbeit nach. Für einen Monat war er zu Besuch in Nowsibirsk und traf sich von dem Abend an, als er im Nachtclub mit Olga getanzt hatte, seine restliche Zeit oft mit ihr. Es geschah nichts weiter zwischen ihnen, jedenfalls nicht körperlich, dafür aber umso mehr in ihren Herzen. Sie gingen viel spazieren, wobei ihm einmal ihre kleine Zahnlücke auffiel, das einzige, das an ihr nicht perfekt zu sein schien.
Nach seiner Abreise schrieben sie sich, sie telefonierten. Ein knappes Jahr später wollte Igor sie besuchen, musste aber aufgrund seiner Arbeit kurzzeitig absagen. Auch Olga konnte nicht weg, sie studierte noch und durfte nichts verpassen. Das war das Ende ihrer Freundschaft, so schien es. Die ständige Abwesenheit des anderen machte eine Beziehung unmöglich.
So nahm das Leben seinen Lauf. Igor heiratete, Olga find an zu arbeiten und traf sich mit einem jungen Mann. Vergessen hatte sie Igor jedoch nie. Dann, an Silvester 2010, kam eine SMS. „Ich liebe dich“, stand da. Olga bemerkte nicht die unbekannte, deutsche Nummer. Sie dachte an irgendeine alte Freundin, denn „Ich hab dich lieb“ gibt es in der russischen Sprache nicht. „Ich liebe dich auch“, schrieb sie darum einfach zurück und löschte die SMS.
Zeit verging. Im Juli arbeitete Olga gerade im Büro, ihre kleine Schwester half ihr bei Erledigungen. Plötzlich eine neue SMS: „Ich habe nie aufgehört an dich zu denken. Wie geht es dir, was macht das Leben? Igor aus Madgeburg“. Olga konnte es kaum glauben. Ihre Schwester fragte sie besorgt, was los sei, weil sie völlig verdattert auf das Handy starrte. Drei Stunden brauchte Olga in ihrem kleinen Bürozimmer, bis sie sich beruhigt hatte. Zurückzuschreiben traute sie sich nicht. Es kam weitere SMS, dann zwei Tage später der Anruf. Nein, auch sie hatte nicht aufgehört, an Igor zu denken.
Der junge Mann hatte Olga inzwischen gebeten, ihn zu heiraten. Sie waren noch nicht richtig verlobt, aber von diesem Moment wusste Olga, dass sie ihn nicht heiraten würde. Sie war nicht sein Mensch und er nicht ihrer. Sie passten nicht zusammen. Ihre Familie verstand das nicht. Es war völlig verrückt, aber der Gedanke an Igor war so präsent wie noch nie.
So trafen sie sich, auf neutralem Boden in der Türkei. Im August verbachten sie zwei Wochen in einem Haus am Meer, das Igor gemietet hatte. Igor wunderte sich, dass Olga jetzt eine feste Zahnspange trug. Sie erklärte ihm, dass sei seine Schuld. weil er sie auf die Zahnlücke aufmerksam gemacht hatte, war sie zum Zahnarzte gegangen.
Nach dem Türkeiurlaub machte Olga endgültig mit dem jungen Mann Schluss, der als einziger gewusst hatte, wo Olga ihre Ferien verbrachte. Jetzt war klar, für Olga und für Igor: Das mit ihnen war etwas ernstes.
Igor kam im Herbst für drei Wochen nach Nowosibirsk. Vormittags, wenn Olga arbeitete, besuchte er seine Bekannten und abends verbrachten sie die Zeit zusammen.
Am 25. Dezember flog Olga das erste Mal nach Deutschland und wünschte sich, sie hätte in der Schule nicht Englisch, sondern Deutsch gelernt. Sie besuchte Magdeburg, Potsdam und Berlin, feierte Neujahr nicht zu Hause, sondern mit Igor und lernte seine Freunde kennen. Ihren Freunde hatte sie gesagt, sie wäre über die Ferien zur Entspannung in Sankt Petersburg.
Ich war die erste, der sie ihre Geschichte erzählt hat. Sie musste das alles loswerden. Auf dem Petersburger Flughafen überlegte sie mit mir, ob sie nach Deutschland ziehen soll. Für immer. Igor möchte mit ihr zusammen sein, aber er möchte in Deutschland bleiben. Igor möchte Kinder, auch die hätten es besser in Deutschland, sagt Igor. Olga möchte auch Kinder, Olga möchte auch mit Igor zusammenleben. Aber ihre Familie, ihre Freunde, ihre Arbeit, ihr Leben sind hier in Nowosibirsk. Was also tun?
Vielleicht kommt Igor schon Ende Februar zu Olga Geburtstag nach Russland. Noch eineinhalb Monate Warten.
Olga weiß nicht, wie es weitergeht. Sie muss nachdenken und irgendwann eine Entscheidung fällen.  Aber sie weiß, dass sie Igor liebt.

„Ein besseres Gefühl gibt es kaum!“

7. Januar 2012
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von Caroline Stelzer

Caroline Stelzer im Selbstinterview über Nowosibirsk,
Berlin, Freundschaften, Don Quichotte
und was sie alles dazugelernt hat.

Du bist also nach Hause geflogen?

Wie ist das jetzt gemeint? Berlin oder Nowosibirsk? (lächelt) Sowohl in der einen als auch in der anderen Stadt fühle ich mich irgendwie heimisch. Also, ja, ich bin nach Hause geflogen. Zuerst nach Berlin und dann wieder nach Nowosibirsk. Beides ist ein Ankommen und das fühlt sich super an.

Also könntest du auch in Nowosibirsk leben?

Jein. Auf lange Zeit nicht, denke ich. Das liegt aber nicht an der Stadt, sondern an der Entfernung zu meiner Familie, meinen Freunden. Außerdem ist Berlin Heimat. Und Heimat… das ist eben Heimat.

Was bedeutet Berlin denn für dich?

Mit meiner Familie zu Abend essen und dann im Schlafanzug mit dem Fahrrad zu meiner Freundin Becky fahren, um Schokolade zu essen und über das Leben zu reden.
Es fehlte mir sehr, mit dem Auto oder mit dem Rad schnell zu jemandem rüberfahren um einfach abzuhängen, zu kochen, Filme zu gucken. Hier trifft man sich mehr in Cafés oder an anderen öffentlichen Orten. Zum Glück habe ich ich aber in Akadem auch meine kleine Gruppe gefunden und (das wichtigste) jemanden mit einer großen Wohnung und abwesenden Eltern.

Und was bedeutet dagegen Nowosibirsk?

Die Freiheit; bei -14° durch den Schnee laufen, lächelnd Eis essen und wissen, dass auch dieser Tag wieder einige Überraschungen bringen wird.
Ein besseres Gefühlt gibt es kaum. Ich habe versucht, diese Spontaneität und Offenheit mit nach Berlin zu tragen, aber es hat nicht immer funktioniert.

Warum?

Ich weiß nicht genau, vielleicht, weil man sich in ein schon mal gelebtes Leben zu schnell wieder einfindet. Vielleicht, weil ich von so vielen Menschen umgeben war, die mich lange kennen. Da konnte ich manchmal nicht anders als wie vorher sein, obwohl ich denke, dass ich mich in Nowosibirsk entwickelt und verändert habe.
Ich spiele ja keine Rolle, aber meine Freunde hier würden mich vielleicht anders charakterisieren als meine Freunde in Berlin. Ich habe viel dazugelernt.

Und was war das wichtigste, das du gelernt hast?

Dass ich nicht immer alles verstehen muss. Ich habe aus Versehen jemandem erzählt, dass meine Mutter in Kasachstan geboren wurde. Richtig gestellt habe ich es aber nicht. Lächeln und winken ist oft die bessere Alternative. Das lässt sich von der Sprache auf alles andere übertragen.
Außerdem bin ich offener. Hätte man mich in Berlin gefragt, ob ich ins Ballett zu „Don Quichotte“ will, hätte ich sicher abgelehnt. Hier war es super.

Hast du Nowosibirsk denn vermisst, als du in Berlin warst?

Ja, natürlich. Vor allem das Wetter, auch wenn das kaum zu glauben ist. Aber mir ist Schnee tausendmal lieber als so blöder  Regen. Meine Gastschwester und meine Freunde haben mir aber auch gefehlt. Und die Sprache. Zum Glück glaube ich nicht, dass ich etwas verlernt habe.

Hast es sich dann überhaupt gelohnt, nach Berlin zu fliegen?

Ich denke schon. Weihnachten war eben wie immer und so muss es auch sein. Es hat wahnsinnig gut getan, bei meiner Familie und auch mal ganz für mich zu sein. Ich habe meine Freunde gesehen, mein Chinavisum besorgt, geshoppt, lecker gegessen. Ich weiß jetzt auch in Ansätzen wie der Eigenkulturschock aussehen kann. Und dass man Vergangenes nicht wiederholen kann. Wieder was gelernt.

Die Vergangenheit ist also abgehakt. Worauf freust du dich am meisten in der Zukunft?

Da gibt es viele Sachen. Ich werde viel Spaß mit den Kindern haben, es stehen noch ein paar tolle Projekte an. Außerdem will ich die gewonnenen Freundschaften weiter festigen und so viel Russisch sprechen, wie nur möglich. Dann kommt ja noch meine Reise nach Shanghai, zu der ich in einer knappen Woche aufbreche. Ich kanns kaum erwarten.

Das können wir verstehen. Wir bedanken uns für das Interview und wünschen dir weitere unglaubliche zwei Monate. Besonders viel Spaß natürlich bei deiner Reise nach Shanghai.

Dankeschön.

Caroline Stelzer ist klein, quirlig, 20 Jahre alt und arbeitet mit dem
kulturweit- Freiwilligendienst seit September 2011 für 6 Monate an einem
Gymnasium in Nowosibirsk, Russland.
Gerade war sie für zweieinhalb Wochen zu Besuch bei ihrer Familie in
Berlin- Köpenick, um deren Leben mal wieder ordentlich aufzumischen.
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