„Ich möchte mich wirklich sehr gerne mit dir begegnen.“ – Mit neuer Kraft voraus

15. Dezember 2011
von Caroline Stelzer

Seit ich aus Sankt Petersburg wieder da bin, stand vor allem Arbeit an, da Ludmilla krank zu Hause bleiben musste. Trotzdem habe ich versucht, den Spaß nicht zu kurz kommen zu lassen und bin dabei ein paar sehr lieben Menschen begegnet.
Zuallererst bin ich ja umgezogen. Ich wohne jetzt bei meiner neuen Schwester Sonja und ihren Eltern. Sonja, die eigentlich Sofja heißt, ist 17 und geht in die 11. Klasse meiner Schule. Sie lernt schon lange Deutsch und spricht es sehr gut. Russisch spreche ich mit ihr eigentlich kaum. Zusammen mit Mama und Papa Pozalotina, Sonja und mir wohnen noch die Katzen Fenja und Busja in unserer Drei-Raum-Wohnung. Viel Platz ist also nicht, Sonja schläft zur Zeit im Wohnzimmer, weil ich ihre Couch beschlagnahmt habe, aber es ist gemütlich und wir haben meine zehntausend Koffer und Tüten irgendwie verstaut bekommen. Ich war überrascht, wie viel Krempel ich in den knapp 2 1/2 Monaten doch angesammelt habe. Ein Glück, dass ich Weihnachten nach Hause fliege, da kann ich schon einiges abladen, was ich nicht mehr brauche.
Badezimmerstaus sind in diesem Haushalt auch erstaunlich selten und es gibt immer riesige Gläser, Töpfe und Plastikboxen voller Essen im Kühlschrank. Für mich wurde speziell ein Joghurtlager eingerichtet.
So eine kleine Schwester ist gar nicht übel, wobei ich zuerst betonen muss, dass ich eher das Gefühl habe, Sonja und ich wären gleich alt, obwohl da  doch 3 Jahre dazwischenliegen. Aber hier in Russland verschwimmt das für mich irgendwie alles.

Sonja und ich

Ich habe jetzt jedenfalls eine Gefährtin zum abendlichen Filmegucken und gemeinsamen Mittagessen. Außerdem kann ich mir Nagellackentferner borgen (was nicht zu unterschätzen ist), und die Privatfriseuse ist gleich mitintegriert!
Auch andere nette Menschen werden langsam zu einer, nämlich meiner, Crew. Freunde meines Alters zu finden hat sich als sehr schwierig herausgestellt, weil die 11. Klässler meistens merklich jünger sind und/oder sehr viel zu tun haben, zusätzliche Kurse zu den 6 Tagen Schule die Woche. Wie machen die das nur?
Außerdem hat man hier in Akademgorodok nicht so viele Möglichenkeiten, etwas zu unternehmen und ins Zentrum zu fahren dauert eben ca. 1 Stunde. Deshalb habe ich mich mehr mit verschiedenen einzelnen Personen oder zum Beispiel den Sprachkursleuten unternommen. Und obwohl ich jedes Wochenende unterwegs und sehr beschäftigt war, hat sich nicht das Gefühl einer Gruppe eingestellt, zu der ich gehöre.
Das hat sich jetzt geändert. Ich habe in der Uni einen Zettel ausgehangen, auf dem stand, dass ich noch bis Ende Februar in Nowosibirsk bin und liebe Leute suche, mit denen ich auf Russisch und/oder Deutsch reden und mich treffen kann. Das hat super funktioniert, fast alles Bekannte habe ich auf diesem Weg kennen gelernt und auch jetzt kommen noch neue Anfragen.
So habe ich zum Beispiel Sascha, eigentlich Alexandra, aus Jarkutsk getroffen, die im Januar 18 wird, im ersten Semester an der NGU Wirtschaft studiert und verblüffend gut Deutsch kann. Auch Slawa, 23, Doktorant der Geschichte und Deutschlehrer am Sprachlernzentrum, hat sich auf meinen Flyer gemeldet. Über ihn habe ich noch einige seiner Freunde kennen gelernt, wie Walja, der eher wie ein italienischer Teddy aussieht und möglichst viele deutsche Schimpfwörter kennen möchte. Und weil jeder jeden kennt, verknüpfen sich die Freundschaften auch mit Lena, die hier als Journalistin arbeitet und von der der bezaubernde Satz in der Überschrift des Artikels stammt, sowie mit Natascha, die Medizin studiert und auf schwindelerregend hohen Absätzen super laufen kann.
Am Anfang meines Lebens in Nowosibirsk hätte ich lieber im Stadtzentrum gewohnt, statt im ca. 30 km entfernten Akademgorodok. Auch wenn ich es toll fand, von Wald umgeben zu sein, nur 10 Minuten zur Schule zu brauchen (daran hat sich auch jetzt nichts geändert) und saubere Luft zu atmen. Aber hier ist natürlich weniger los.
Mittlerweile genieße ich es Akademgorodok und alle Vorteile sehr. Ich habe das Gefühl, ich habe mir jetzt hier mein kleines Nest gebaut, in meiner Mikroraion „Щ“, mit den Cafés, den Schlittschuhbahnen, der Schule als Mittelpunkt, den Clubs. Zur oberen Zone Akademgorodoks ist es auch nicht weit, dort wohnen alle Studenten.
Ich habe das Gefühl, ich bin endlich angekommen, denn nur wo Leute wohnen, die du magst und mit denen du dich verstehst, nur dort kann ein zu Hause entstehen, so ganz tief im Herzen.
In den letzten Wochen war ich unzählige Male im Café und in Bars. Ich bin zwei Mal bei eisiger Kälte, aber mit sehr viel Freude Schlittschuh gelaufen, auf einer Eisbahn, die einfach nur Wasser, auf eine freie Wiese gekippt, ist.

Mit Slawa und Walja beim Eislaufen am Abend

Mit Sascha auf der Schlittschuhbahn am Nachmittag

Ich habe mit Sonja, Slawa, Walja und noch einer Natascha deutsche Plätzchen gebacken und Glühwein getrunken. Ich bin mit meiner Gastfamilie nach Berdsk gefahren, um alle dort vorhandenen Kirchen anzugucken und Eis zu essen. Ich hab meine ersten eigenen Pelmeni gekocht. Ich habe mit Olga aus der 11. Klasse mit dem Layout für das weltweit-lecker-Rezeptbuch begonnen und mir von ihrer Mutter beibringen lassen, wie man Wodka richtig trinkt. Ich hatte viel Spaß.
Am Montag bin ich 20 geworden, meine zweite Null, das Jahrzehnt, in dem ich so einiges vorhabe. Sonntag Abend habe ich mit Sonja und Sascha im Club Bunker reingefeiert und als erste Handlung mit 20 an einer Stange dort getanzt. In der Schule gab es für mich viele Glückwünsche, Geschenke und eine wirklich wahnsinnig leckere Torte und Blumen von meiner 8и. Und der Geburstagstrubel hielt noch ein paar Tage an.
Nachmittags habe ich endlich das Geschenk meiner Familie aufgemacht, dass ich seit der Anreise voller Vorfreude beäugt hatte und musste fast weinen, als ich das Datum auf der Glückwunschkarte sah: „14. September 2011“. Abends versammelte sich ein kleines Grüppchen in unserem Stammcafé Bellissimo und ich bekam von Walja, Slawa und Denis wunderschöne Handschuhe geschenkt und wurde zum Abschied drei mal durch die Luft gewirbelt.

Mein Geburtstagsabendessen

Geburtstag in einem fremden Land zu haben ist seltsam, ich war ausschließlich von Menschen umgeben, die ich weniger als 3 Monate kannte. Niemand da, der dich wirklich und wahrhaftig kennt, niemand, dem du blind vertrauen kannst. Für diese Umstände war das Älterwerden hier sehr angenehm, außerdem hatte ich mit strahlendem Sonnenschein und milden -13°C ein richtiges Winterwunderland vor dem Fenster.
Ich habe die Entscheidung, hier her als Freiwillige zu kommen, keine Sekunde bereut, nicht, als alle Kinder der Klasse keine Hausaufgaben haben und ich schmipfen musste, nicht, als ich im Krankenhaus lag, nicht, als ich mich wieder einmal in meinem Russisch verhaspelte. Aber jetzt genieße ich jeden Tag richtig und bin schon ein bisschen wehmütig, dass ich bald für 2 Wochen nach Hause fliege, auch wenn ich mich gleichzeitig unbändig darauf freue.
Ludmilla ist mittlerweile wieder gesund, ich kann mich etwas entspannen und das Schokoladenmitbringselgewicht verdoppeln. Samstag nehme ich zusammen mit zwei Mädchen aus der 9. Klasse beim Wettbewerb „Zwei Sterne“ teil, bei dem Schüler mit Eltern oder Lehrern etwas aufführen. Wir singen „Ich bin unterwegs“ aus dem Film Bärenbrüder auf Deutsch und Russisch und proben schon die ganze Woche dafür. Am Montag findet dann eine Weihnachtsparty vom Goetheinstitut im Club Integral statt, die zusammen mit den geschmückten Tannenbäumen in der Schule meine Vorfreude auf das schönste Fest des Jahres im Kreise derer, die ich liebe, sicher noch steigern wird.

2 Kommentare
  1. 16. Dezember 2011
    Tatjana permalink

    Liebe Caroline,

    habe eben wieder auf deiner Seite rumgestöbert und entdeckt, dass du Geburtstag hattest! Da möchte ich natürlich auch gerne nachträglich gratulieren!

    Caroline,

    С днем рождения тебя
    Хочу поздравить очень я!
    Желаю быть всегда счастливой,
    Здоровой, милой и красивой.
    Желаю горестей не знать,
    Улыбкою своей сиять!

    Ganz Liebe Grüße zum 20. Geburtstag!!!

    • Profilbild
      17. Dezember 2011

      Liebe Tatjana,
      vielen, vielen Dank!
      Das mit dem красивой werde ich noch sehen, ich habe sooo viel Blinis gegessen und viele viele конфети noch dazu. =)

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