„Malen nach Zaren“ – Sankt Petersburg (Teil 2)
Da meine Mentorin leider während meines Sankt Petersburg-Aufenthalts erkrankt ist und ich deshalb seit meiner Rückkehr in der Schule den Laden quasi alleine schmeiße, komme ich erst jetzt dazu, weiter über das Seminar und den anschließenden Urlaub zu schreiben.
Dabei gibt es noch so viel zu sagen. Ich hab zum Beispiel noch gar nicht erzählt, dass wir Mittwoch Abend in einer echten russischen Sauna (auch Banja genannt) waren. Wenn ich echte russische Sauna sage, dann handelt es sich dabei um einen halben Vergnügungspark jeglicher Art. Zu der Sauna gehörte ein Vorraum mit Tauchbecken und Duschen, ein großer Saal mit Spiegeln, einer Tischtennisplatte und drei Trainingsgeräten, eine Kneipe mit eigenem Wirt, einer gemütlichen Sitzecke und einem Billiardtisch, Umkleiden, verbindende Flure und drei sehr dunkle, sehr gemütliche Zimmer mit Betten, Sofas und Massagetischen. Wie gesagt: Vergnügen jeglicher Art. Ob man die passenden Frauen dazumieten kann oder sie selbst mitbringen muss, blieb jedoch schleierhaft.
Die Sauna war ganz schön heiß, aber wir haben alle die Entspannung genossen. Natürlich hatten wir auch die passenden Filzhüte auf (um unsere Haare nicht zu schädigen) und klopften uns gegenseitig mit Laubzweigen ab, was die Durchblutung fördern soll und sehr angenehm ist (wobei abklopfen jedoch ein dehnbarer Begriff ist, besonders in männlicher Hand).
Danach gingen wir noch durchs wunderschön nächtliche Sankt Petersburg in die Lieblingsbar unserer ansässigen Mitfreiwilligen Tallulah, Hannes und Daniil und ich war stolz auf mich, als ich es schaffte, das Taxi für den Heimweg von 200 auf 150 Rubel runterzuhandeln.
Donnerstag nach dem Kennenlernen der Projekte und Organisationen bekamen wir von russischen Studenten, die Deutsch lernen, eine kleine Stadtführung durch Sankt Petersburg.
Sankt Petersburg ist vergleich zu Moskau eine sehr junge Stadt, sie wurde 1703 von Peter dem Großen gegründet. Die ganze Stadt ist nach europäischem Vorbild auf Sumpfgelände errichtet worden, die Stadt sollte „Fenster nach Europa“ sein.
Peter gilt als Zar oft als grausam, denn viele Menschen sind beim Bau der Stadt umgekommen. Trotzdem war er wohl ein sehr weitsichtiger Mann, der eine Millionenstadt im Nichts erschaffen hat. Sankt Petersburg mit seinen vielen Kirchen, Sehneswürdigkeiten und Brücken, ist eine wahrgemachte Idee, ist wirklich „Malen nach Zaren“. Dieses Wortspiel verdanke ich übrigens Jonathan, der es beim Anblick auf die vielen Zarenporträts im Katharinen-Palast erfande, den ich mir mit ihm und seiner Belarus-Clique am Samstag anschaute. Aber dazu später mehr.
Donnerstag Abend stand Kultur auf dem Programm: Wir gingen alle gemeinsam in Tschaikowskys „Der Nussknacker“. Es war wirklich wunderschön, auch wenn ich so müde war, dass ich am Anfang ein paar mal einnickte. Bis mein Kopf auf Noras Schluter aufkam, der es übrigens genauso ging. Aber beim Tanz der Zuckerfee war ich natürlich hellwach. Das hätte ich nicht verpassen wollen, man verliert sich so leicht und schön in den Tänzen und dem Klang der vertrauten Musik.
Anschließend hatten wir durch das Powernapping in der Oper wieder Energie gewonnen, jedenfalls ging es danach weiter eine Kleinigkeit essen und in eine echte russische Kneipe, wo wir 3 Liter Bier und Pelmeni bestellten und an dem Abend noch sehr viel Spaß mit den getrockneten Fischen hatten, die man als Snack zum Bier dazubekam. Mehr wird hier nicht verraten, nur dass es ein sehr lustiger Abend wurde und man am nächsten Morgen auf den Petersburger Straßen so manchen Fisch in Freiheit finden konnte.
Der letzte Tag gehörte nochmal ganz seminarmäßig dem Blick in die Zukunft und der Auswertung des Seminars. Ich nahm eine „Was-ich-noch-unbedingt-in-Nowo-machen-will“-Liste mit nach Hause, von der ich zum jetztigen Zeitpunkt sagen kann, dass sie schon einige Häkchen bekommen hat.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen war dann das offizielle Seminar auch schon wieder vorbei. Nora und ich ließen die Shoppingknorken knallen, etwas, dass man weder in Tiblissi noch in Nowosibirsk so gut tun kann wie in Sankt Petersburg.
Nach einem letzten Blini und einem Besuch an der Blutskirche sowie einem Kakao in Кофе Хаус musste ich mich auch schon von Nora verabschieden, denn sie fuhr weiter nach Helsinki. Dorthin fährt von Sankt Petersburg eine Maschrutka für 15 Euro oder so und man weiß es einfach nicht so als Normalsterblicher. Dabei ist das so nah dran. Wenn man ein Russlandvisum hat perfekt.
Ich mag Abschiede nicht. Wenigstens weiß ich, dass ich Nora im Juni wiedersehe, das hat es nicht so schlimm gemacht.
Außerdem hatte ich ja genügend Ablenkung, denn an diesem Abend ging es in einem Club. Die meisten Russen wissen das nicht, aber als Ausländer kommt man eigentlich in alle Clubs frei rein. Ein großes offenes Geheimnis. Deshalb gingen wir auch gleich in zwei verschiedene Clubs.
Es hat so Spaß gemacht, endlich mal wieder auf engem Raum zu tanzen, mit lauter Menschen um dich rum. Ich lernte noch eine Gruppe Russen kennen, von denen die eine gerade von einer Expedition an den Nordpol zurück gekommen war. Sie weiß definitiv, was Kälte ist. Ich blieb mit Adriana und Hannes noch länger, also waren wir diesmal die Coolen, die als letztes nach Hause kamen. Trotzdem sprang ich am nächsten Morgen um 9 Uhr mehr oder weniger diszipliniert aus den Federn, um mir mit Jonathan, Adriana und Teresa, der Belarus-Clique, Tsarskoje Selo, das Zarendorf Pushkin, anzuschauen.
Dort war ich vor 4 1/2 Jahren damals schon mit meiner Gastfamilie gewesen und es hatte mir sehr gut gefallen. Man könnte es mit Sanscoussi in Potsdam vergleichen, also es gibt einen großen Palast und weitläufige Parkanlagen. Wir fuhren mit dem Zug nach Pushkin und hatten Glück, denn wir hatten den einzigen sonnigen Tag erwischt. Der Katharinen-Palast ist wirklich schön, russischer golden-verschnörkelter Stil, aber der Architekt war ein Italiener. Er hat es auch geschafft, dass alles nicht kitschig, sondern geschmackvoll prunkvoll geworden ist. Hier befindet sich auch das berühmte Bernsteinzimmer, das wirklich sehr beeindruckend ist.
Nach einem kleinen Spaziergang durch den Park machten wir uns dann aber wieder auf den Weg zum Bahnhof, weil für heute noch die Besichtigung der Blutskirche (eigentlich Спас на Крови, also Kirche auf dem vergossenen Blut), der schönsten und berühmtesten Kirche, auf dem Programm stand. Von außen hat sie die typischen bunten Kuppeln, innen sind die Wände über und über mit Mosaiks bedeckt. Wirklich sehr prachtvoll und farbenfroh, eigentlich müste man sich in der Mitte der Kirche auf den Boden legen, um das alles auf sich wirken zu lassen, besonders bei meiner Größe.
Den Abend ließ ich mit Hannes und Lisa bei Kakao und verrückten Spielchen ruhig angehen, während die anderen feiern waren, fand mich dann aber trotzdem mitten in der Nacht oder schon fast morgens immernoch auf der Couch im Gruppenraum wieder. Die Hostelrezeptions-Dewuschka kam schon völlig ratlos zu uns und fragte,w arum wir immer noch da seien und ob wir nicht schlafen gehen wollten. Wir erklärten ihr, dass wir es sehr gemütlich finden und gern alle zusammen sind. Als sie ging, murmelte sie aber auf russisch immernoch „Ich verstehe die Deutschen einfach nicht!“ vor sich hin. Wir sind eben ein sehr geselliges Volk, auch wenn man es uns nicht nachsagt.
Der nächste Tag, der erste Advent, floss im Petersburger Regen bei +5°C vor sich hin mit essen, dem Beusch eines Wohltätigkeitsbasares, wo ich mal wieder indisch aß, und Abschieden.
Dann war auch schon Montag, der Abreisetag gekommen und ich ließ den Urlaub mit Mina und Antonia, dem letzten Rest der Gruppe, ausklingen, bevor es mit Mina wieder in unser schönes Nowosibirsk ging, wo uns auf der Landebahn der Schnee und die Kälte freundschaftlich begrüßte.
Es war seltsam, wieder nach Hause zu kommen, ein nach-Hause-kommen zu fühlen, dass kein nach-Hause-kommen nach Berlin bedeutete. Aber zugleich war es unglaublich schön und beruhigend.
Mehr dazu bei Nora, die ich jetzt schon vermisse.
http://norasfernweh.blogspot.com/2011/12/petersburg-nachts.html



