Eine Ode an Ketchup ODER Warum ich hier so gerne einkaufe
Vor ein paar Jahren führte die Theatergruppe meiner Freundin Debbie ihr neues Stück auf. Es ging um Zeit, alle waren weiß gekleidet und trugen Kaninchenmasken. Etwas bizarr. Ich weiß nicht mehr viel von der Aufführung, aber eine auftauchende Frage ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben.
„Wann hast du das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?“
Seit diesem Tag habe ich versucht, jeden Tag etwas neues auszuprobieren. Man mag meinen, das sei zwar relativ schwer im Berliner Schulalltag und Abistress, relativ einfach hingegen in den von mir unerforschten Weiten Nowosibirsks.
Aber da ich merke, wie sich langsam die Gewohnheit einschleicht und Fahrstuhlfahren oder der Weg zur Uni den Reiz des Neuen verlieren, diese Aufgabe allerdings weiterhin besteht, muss etwas Innovatives her.
Nun fügt es sich so, dass an diesem Punkt meine Neugier auf Neues mit meinem Naschkatzeninstinkt sowie dem schmerzlichen Vermissen vieler deutscher Lebensmittel zusammentrifft. Anders gesagt: Der Supermarkt hält unendlich viele ungetestete Geschmackserlebnisse bereit, besonders das Süßigkeitenregal ruft verlockend, denn den vielen in buntes Papier verpackten Naschereien sieht man den Inhalt nicht an. Die totale Reizüberflutung!
Ich kann mich stundenlang in den verschiedenen Geschäften aufhalten, die Schokokonfektregale hinauf- und hinabtigern, das Teesortiment inspizieren oder die große Auswahl an Pelmenis bewundern, ohne dass mir langweilig wird.
Und plötzlich möchte ich Sachen kaufen, auf die ich nie gekommen wäre. Wie zum Beispiel Kiwis, Tiefkühlpizza, Knäckebrot oder Frischkäse, alles Dinge, die sich in meiner Gastküche nicht finden lassen.
Das Essen hier ist gut, keine Frage. Irina kocht jeden Tag und bringt viel frisches Gemüse von der Datscha mit. Nur bei fettem Fleisch oder irgendetwas,wo Knochen drin sind, kapituliere ich, ansonsten probiere ich immer und meistens schmeckt es gut. Russisch, fettig, anders, aber gut.
Aber ist da noch mehr drin. Vorgestern wurde ich vom Duft der Blinis (Eierkuchen) geweckt, die ich pfannenfrisch mit Butter und Marmelade zum Frühstück genießen durfte. Wenn das kein Service ist, ein Genuss auf jeden Fall.
Aus den restlichen Blinis, die ich nicht mehr verdrücken konnte, hat Irina eine Blini-Piroggentorte gebacken. Das geht so: Blini – Schicht Kartoffelpürree – Blini – Hackfleisch – Blini – Kartoffelpürree…
Die gabs zum Abendbrot pur oder wahlweise mit Smetana (einer Art Creme Fraiche). Und was macht die Deutsche? Kippt noch den kurzerhand gekaufen Heinz-Ketchup dazu. Ich war im Himmel. Seit wann schmeckt Ketchup denn so gut? Unrussisch oder nicht, ich würde es jederzeit wieder tun.
Fazit: Ein paar Dingi braucht man einfach zum Überleben in der russischen Geschmackswelt. Für mich sind das Ketchup, Crisp Bröd, Almette Frischkäse und grüner Tee. Die tausend Süßigkeiten natürlich nicht zu vergessen…
Zu meiner Verteidigung: Ich war von Montag bis Freitag jeden Tag ein oder zwei Stunden im Fitnessstudio.
EAT.THINK.SPEAK.
Man könnte trotzdem ein schlechtes Gewissen bekommen. Zum Glück gibt es eine besondere Freundin, die mit mir auf die dunkle Seite der Macht gewechselt ist, wo es nicht nur Kekse, sondern auch Berge von Schokolade gibt, die wir gemeinsam beim Skypen wegfuttern.
Vero, ich hab dich sehr lieb. Was würde ich nur ohne dich machen??? <3

