Ein Besuch beim Konsulat II (alias Ich war zu optimistisch)
Am 27., also letzten Mittwoch, stand ich startbereit vor der Tür des Konsulats, um mein Visum um 12 Uhr in Empfang zu nehmen. Ich war deutschpünktlich, sprich: 15 Minuten zu früh. Mir wurde vom Einlasser mitgeteilt, dass man mich natürlich nicht eher hineinlassen würde, als russischpünktlich, sprich: 5 Minuten nach um 12. Die zwanzig Minuten ließen sich dann allerdings ganz gut totschlagen, da ich Dr. Manfred Stein kennen lernte, der mir allerhand Geschichten über den wilden Osten und Russen im Allgemeinen sowie Besonderen erzählte. Außerdem ließen sich kleine Dramen beobachten, wenn sich Leute vordrängelten und andere sich darüber aufregeten (genug Russisch, um Schimpfwörter als solche zu identifizieren, kann ich anscheinend noch).
Es ist im Allgemeinen für mich angenehm, Russisch zu hören, ob das nun Schimpfwörter oder Banalitäten sind, es ist ein Stück Kindheit und ein Stück nach Hause kommen. Trotzdem macht es mich traurig, wenn ich an meine Grenzen stoße, weil ich etwas nicht verstehe oder (was viel häufiger vorkommt) mich nicht ausdrücken kann. Aber ich bleibe zuversichtlich, da ich in Novosibirsk einen fünftägigen Sprachkurs absolvieren werde und außerdem merke, dass es beginnt, sich in meinen dunklen Hirnwindungen zu regen. Ich werde viel, was ich gelernt und augenblicklich vergessen habe, reaktivieren können. Es muss tief verankert sein, schließlich habe ich im zarten Alter von 5 Jahren und mit wesentlich keineren Öhrchen begonnen, Russisch zu hören, zu verstehen und zu sprechen.
Aber zurück zum Konsulat. 5 nach 12 ging die Tür auf und wir durften hineinströmen, wobei es nicht unbeachtliches Gezische gab, da manche Leute den Spruch „Die letzten werden die ersten sein.“ sehr ernst nahmen. Dennoch ergatterte ich einen Platz unter den ersten fünf in der Warteschlange.
Es folgte eine halbe Stunde nerviges Anstehen, obwohl nur drei Personen vor mir dran waren.
Warum? Das ging ungefähr so:
„But I called from London yesterday, because I couldn’t call from Paris and now I am flying to Ukraine and I wanted to clear things up with my visa for Russia today. Please, Sir, I’m begging you…“
Ja ja… die komischen Einreisenden sollten sich endlich daran gewöhnen, dass dieses Fleckchen in Berlin-Mitte definitiv kein Teil der EU mehr ist. Da geht es nach russischer Papierkram-Schnauze und die zeigt gleichzeitig in viele Richtungen, sodass Umwege und Verirrungen vorprogrammiert sind.
Das bekam auch ich zu spüren, nachdem ich die 30 Minuten dank Herrn Stein und seiner unterhaltsamen Anekdoten langeweilefrei durchgestanden (im wahrsten Sinne des Wortes) hatte.
Pjotr saß wieder hinter seinem Schreibtisch, ich gab ihm meine Quittung und erhielt dafür zwei Pässe. Moment mal, zwei? Ich schlug den ersten auf. Okay, das war schonmal nicht meiner, es sei denn, ich war über Nacht zum Mann geworden. Der zweite Pass war zwar der einer Frau, aber auch sie war nicht identisch mit meiner Person. Ich hatte die Wahl. Zwei Pässe auf dem Schwarzmarkt verticken oder mal nachfragen, ob sie meinen nicht auch dahatten. Also scheuchte ich Pjotr auf, der schon mit dem nächsten Visaabholenden beschäftigt war.
Angeblich war der Nachname gleich, deshalb hatte ich zwei andere Pässe bekommen. Pjotr verschwand und nach ein wenig Rumkramen fand er meinen Antrag. Er hatte zweimalige Einreise auf dem Formular angekreuzt, aber jetzt hatte sich das Konsulat wohl dazu entschieden mir sogar eine mehrmalige Einreise zu gewähren. Das dauert dann natürlich länger mit der Bearbeitung. Im Klartext: Ich darf am Freitag wiederkommen. Ich bedankte mich bei Pjotr (er hatte schließlich meinen Pass in Geiselhaft), aber nachdem ich mich umgedreht hatte, konnte ich mir ein wütendes Schnauben nicht verkneifen. Dahin war eine Stunde meiner Jugend (plus Fahrzeit!).
Ich kann nur hoffen, beim Konsulatsbesuch Nummer 3 geht alles klar und dass niemand anderes meinen Pass ausgehändigt bekommen hat.