Hallo Freunde,
jetzt sind zwar erst 2 Wochen seit dem letzten Eintrag verstrichen; und trotzdem passiert einfach so viel, dass ich Angst habe, schnell etwas wichtiges auszulassen und zu vergessen:
In der Schule gibt es mittlerweile viel zu tuen für mich – auch wenn ich leider nicht richtig unterrichten darf, biete ich Zusatzkurse mit vertieftem Stoff an. Montags findet mein Vorbereitungskurs für den Lesefüchse-Wettbewerb statt, Dienstags bin ich bei zwei 11 Klassen in der Deutschstunde, Mittwochs trainiere ich mit einer 7. Wortschatz und Schreibfertigkeiten, Donnerstag kommt dann bei selbiger Klasse Grammatik auf den Plan und Freitags geht es wieder zu einer 11. Das bedeutet, ich habe also jeden Tag mindestens eine feste Stunde bei irgendeiner Klasse. Das klingt jetzt erstmal wenig, aber für mich als Abiturienten ohne Lehrerfahrung stellt das eine gewisse Herausforderung dar – eine Stunde mag gut vorbereitet sein, Leerlauf ist Tabu! Bei den 7ern geht es noch, da bekomme ich Material von den Lehrern gestellt und und kann mich dann ausgehend davon vorbereiten. Aber bei den 11ern bin ich „komplett frei in der Gestaltung“, wenn man es positiv ausdrückt. Das bedeutet, ich setze mich vor jeder Stunde hin, mache mir Gedanken zu einem möglichen Unterrichtsthema und zimmere mir dann aus den verschiedensten Bausteinen mein Material zusammen – und glaubt mir, das kann dauern…
Gut, ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich dabei nicht auch Spaß hätte 🙂 Letzte Woche habe ich zum Beispiel eine Stunde dem Song „Auf anderen Wegen“ von Andreas Bourani gewidmet – ein wunderschönes deutsches Lied mit einem tiefsinnigen Text, also meiner Meinung nach perfekt geeignet für den Einsatz im Daf-Unterricht! Um aber mit den Schülern effektiv darüber sprechen zu können, musste ich mich ersteinmal selbst mit dem Inhalt konkreter auseinandersetzen und das Lied analysieren – auf jeden Fall eine superspannende Aufgabe, bei der mir die aus der Schule vorhandenen Kenntnisse zu sprachlichen Mitteln und Textinterpretation auch zu gute kamen (!) Wenn dann anschließend die Stunde wie im Flug vorübergeht und ich den Eindruck habe, die Schüler aus dem tristen Schulalltag für eine kurze Zeit entführt zu haben, indem ich Ihnen die deutsche Sprache auf eine alternative und moderne Art nähergebracht habe; dann bin ich glücklich und schöpfe neue Motivation, um mich am nächsten Tag wieder hinzusetzen und aufs neue eine Unterrichtsstunde nach meinen Vorstellungen zu entwerfen!
Das funktioniert natürlich nicht immer so glatt wie ich es gerne hätte; wie bei uns sind die hiesigen Schüler ebenfalls nur Menschen, die auch mal müde und antriebslos sein können – wer könnte es ihnen bei dem stressigen Alltag auch verdenken… Trotzdem freuen sie sich immer schon auf mich und die Abwechslung, die ich ihnen verschaffe, weshalb ich dennoch immer ziemlich optimistisch und erwartungsvoll dem Anfang der anstehenden Stunde entgegenblicke – wie zufrieden ich sie dann beende hängt in der Regel von der Tagesform der Schüler ab; Totalausfälle kamen aber glücklicherweise noch nie vor!
Haupteingang des Gymnasiums Nr. 2
Neben der Unterrichtsvorbereitung-und Durchführung werden die sonstigen verwaltungstechnischen Aufgaben auch nicht weniger – wenn ich nach Hause komme bin ich also ziemlich platt. Besonders aufreibend war der Aufwand um ein Diktat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) letzte Woche. Dieses wurde zeitgleich in vielen belarussischen Städten sowohl mit Schülern als auch mit Studenten durchgeführt, die hier im Land Deutsch als Fremdsprache lernen. Als Kulturweitfreiwilliger wurde ich kurzerhand zum Hauptverantwortlichen für die Stadt Pinsk ernannt – eine Ehre, aber natürlich auch ein Haufen Arbeit! Die fing schon mehrere Wochen vorher damit an, dass ich die Teilnehmer aus unserer Schule registrieren musste: Während es in Deutschland für gewöhnlich reicht, den Schülern den Link aufzuschreiben und eine strikte Frist zu nennen, musste ich hier jedem einzelnen Teilnehmer hinterherrennen, ihn zum Laptop schleifen und dann aufpassen, dass er oder sie auch ordnungsgemäß das entsprechende Onlineformular ausfüllt und ja nicht vergisst, auf den „Senden“-Knopf zu drücken. Dünn wie ich bin, habe ich in diesen Tagen bestimmt vom Rumgerenne noch ein paar Kilos abgenommen – jetzt muss ich mehr Pelmeni essen um das wieder auszugleichen 😉 Anschließend musste alles organisationstechnisch mit unserer Schule koordiniert werden, die uns immerhin einen ganzen Raum sowie die nötigen technischen Utensilien zur Verfügung stellen musste. Am Stichtag hieß es dann Tische und Technik aufbauen, die Schüler einweisen sowie während des gesamten Diktates beaufsichtigen und am Ende die Arbeiten einsammeln und unterschriebene Teilnehmerurkunden austeilen. Das selbe Spiel wiederholte sich dann nochmal mit den Studenten aus der Pinsker Uni, die einen schwierigeren Text zu schreiben hatten. Man muss dazu sagen – das eigentliche Diktat war uns zum Glück als Audiodatei vom DAAD zugesendet geworden – die charismatische Stimme einer eher unbekannten deutschen Kinderbuchautorin rettete mich also vor einem (erneuten) Stimmbruch.
Als dann gegen 13 Uhr die Studis sich wieder davonmachten ging es für mich erst richtig los – und zwar an die Korrektur :/ Genaugenommen bin ich selbst Schuld – habe ich mich doch freiwillig bereiterklärt, diese Bürde aufzunehmen. Irgendwie hat es mich eben gereizt, bei Kaffee und Kuchen mit einem Rotstift die Fehler der Schüler zu korrigieren und sich bei der Bewertung als diejenige Autorität zu fühlen, der ich noch vor einem halben Jahr vollkommen unterstand. Doch meine erste richtige Korrektur wird definitiv auch meine letzte sein – mit jeder korrigierten Arbeit wuchs mein Respekt vor unseren Lehrern, die tag-täglich soetwas handhaben müssen. Ich dachte ja, ich lese mir schnell den Text durch und streiche ein paar Rechtschreibfehler an – Pustekuchen! Viele Schüler waren mit dem komplexen Diktat einfach komplett überfordert. Statt einzelner Wörter fehlten oft ganze Sätze, in mehreren Fällen glich das fertige Produkt einem gigantischen Lückentext… Da wurde aus einem schlichten, einseitigen Text plötzlich eine riesige Herausforderung für mich, denn die Leute bei der Prüfungsstelle wollten dennoch von mir wissen, wie viele Fehler jeder einzelne Schüler fabriziert hat. Von wegen Korrigieren ist das Einfachste der Welt… Wenn hier jedes fehlende Wort als halber Fehler angerechnet werden muss, wird aus einer Fabel über Hase und Igel für mich schnell eine komplexe Rechenaufgabe! Dann gab es auch noch besonders schlaue Leute, die füllten die Lücken in ihrem Text einfach mit irgendwelchen anderen Worten die ihnen in den Sinn kamen! Sehr schön gedacht, nur leider gibt es für Kreativität keine Punkte – stattdessen muss ich hier die überflüssigen Wörter auch noch subtrahieren bevor ich mit dem Addieren der fehlenden Wörter anfangen konnte 😀 Ihr merkt, worauf es hinausläuft… Bei mindestens einer halben Stunde Korrekturzeit pro Arbeit saß ich bis kurz vor Mitternacht an den Schülerdiktaten, musste ich doch die Ergebnisse am nächsten morgen spätestens in die Zentrale schicken. Die unerwartete Siegerin hatte dann erfreulicherweise nur 3 Fehler vorzuweisen; ich hätte am liebsten alle umarmt bei denen ich weniger als 20 Fehler anstreichen musste 😉 Der Text der Studenten war wirklich anspruchsvoll und die Ergebnisse dementsprechend unterirdisch, nach der Tortur am Vortag machte ich es mir jedoch einfacher und pickte das Mädchen als Siegerin heraus, welche als einzige im ersten (Ab)Satz keine 15-20 Fehler hatte und insgesamt mit nur 12 Fehlern eine hervorragende Figur machte! Dann fix die Ergebnisse weggeschickt und aufgeatmet; ein zusätzlicher Urlaubstag für die geleisteten Überstunden ist mir auf jeden Fall sicher!
Ein paar Mal habe ich bei der Korrektur dennoch geschmunzelt, dies lag an den wirklich kreativen Wortneuschöpfungen der Schüler: Aus „Kohlköpfen“ wurden „Kühlköpfe“ oder „Kuhköpfe“ oder aber „Cool-Köpfe“; aus dem „Igel“ wurde plötzlich ein „Gel“; den „Wettlauf“ hat man zu einem „Bettlauf“ umgewandelt und aus dem Schlussatz „Der Sieger bekommt einen goldenen Taler und eine Flasche Wein“ hat jemand „der Sieger bekommt einen geilen Metall und einen flachen Wald“ gemacht 😀 Da bekommt der ganze Satz teilweise eine komplett neue Bedeutung…
Die beiden Wochenenden habe ich viel mit Polina gemacht. Polina ist ein ganz besonderes Mädchen – sie kann so gut wie alles! In Mathe und Physik ist sie ein absolutes Ass und in Englisch räumt sie bei allen Olympiaden ab, obwohl sie das Fach gar nicht in der Schule lernt sondern freiwillig zusätzliche Stunden besucht. Und ihre Deutschkenntnisse suchen ihresgleichen. Dementsprechend hat sie auch eine vollgetaktete Woche, jeden Tag irgendeinen Repetitor oder Zusatzkurs nach der Schule,außerdem spielt sie noch Klavier… Allein am Samstag (!) nimmt sie tagsüber an 4 (!) außerschulischen Lernveranstaltungen teil. Nach Abschluss des Schuljahres möchte Polina es nach Deutschland schaffen und dort studieren, am besten mit Stipendium. Das zu bekommen ist jedoch für einen Weißrussen sehr sehr schwer, ihr stehen schwierige Tests und Prüfungen bevor. Zusätzlich ist sie begeisterte und engagierte Teilnehmerin meines Lesefuchs-Kurses, nimmt an scheinbar jeder Schulolympiade teil und wird auch noch für sämtliche schulische Veranstaltungen als Moderatorin herangezogen. Ich finde das einfach nur beeindruckend, mache mir aber gleichzeitig auch ständig Sorgen, dass es zu viel für sie wird und sie unter der Last der Erwartungen zusammenbrechen könnte. Auf meine Ängste hin angesprochen lächelt mich Polina immer strahlend an und meint „Das ist lieb – aber mir geht es gut“. Dabei ist Polina charaktermäßig auch keinesfalls ein Streber, wie er im Buche steht – im Gegenteil! Arroganz, Eitelkeit, Überheblichkeit, aber auch Introversion und Einsamkeit sind ihr vollkommen fremd – Polina ist selbstbewusst, freundlich, hilfsbereit und einfach nur liebenswert. Doch ihre vielleicht größten Eigenschaften sind ihre Neugier und Zielstrebigkeit – wo wir auch wieder bei meiner Wochenendgestaltung wären. Da kam Polina zu mir nach Hause und wollte von mir das deutsche Wahl-und Politiksystem erklärt bekommen. Gesagt, getan – die nächsten 3 Stunden sprachen wir über Erst-und Zweitwahl, über die repräsentative Demokratie, die Deutsche Gewaltenteilung, das Parteiensystem, Koalitionen und viel mehr. Anschließend habe ich sie den WahlOMaten machen lassen und ihr jede These so neutral wie möglicht versucht zu erklären – für Polina resultierte die SPD als wählenswerteste Partei, die AFD dümpelte dagegen ganz unten im Ranking vor sich hin 🙂 Auch für mich war dieser Abend sehr interessant, musste ich doch mein komplettes theoretisches Wissen über das politische System Deutschlands abrufen, bündeln und dann auf russisch einem Menschen erklären, der in einem komplett anderen System großgeworden ist. Am Ende der Lektion war ich dann heiser und total erschöpft, aber auch glücklich von der Erkenntnis, einem interessierten Gleichgesinnten Deutschland ein Stück greifbarer gemacht zu haben – und ist das nicht das Ziel von Kulturweit?
Jedenfalls traf ich Polina anschließend noch mehrmals zu gemeinsamen Spaziergängen, bei denen wir über Gott und die Welt redeten – mit ihr vergeht die Zeit einfach wie im Flug, dass sie „erst“ 16 ist merkt man ihr gar nicht an. Nur bei StarWars musste sie passen und fragte mich, was das sei – da werden wir definitiv noch dran arbeiten 😉 Aber auch mit anderen Bekanntschaften kann ich etwas unternehmen – wie zum Beispielt mit Vadim, den ich zufällig in der Mensa kennenlernte. Bei ihm handelt es sich übrigens um den symphatischen 11.-Klässler, der beim Tag des Lehrers so toll gesungen hat! Er ist das komplette Gegenteil von Polina – ein bodenständiger Romantiker. Er schreibt Gedichte, besucht oft die russisch-orthodoxe Kirche und möchte nach Abschluss der Schule Pfarrer werden. Mit ihm ziehe ich auch durch die Stadt und führe lange Unterhaltungen – die Themen sind jedoch komplett andere. Er ist zwar manchmal ein bisschen abgehoben und irrational (und für meinen Geschmack zu fromm), aber das macht ein Gespräch mit ihm auf jeden Fall zu einer interessanten Erfahrung.
Generell finde ich mich dank der vielen gemeinsamen Aktivitäten in Pinsk schon einigermaßen gut zurecht, was konkret heißt das wenn ich an irgendeinen Platz komme ich im Hinterkopf habe, dass ich hier irgendwann schon mal war (was aber nichts bedeuten muss…). Pinsk ist eine sehr saubere und „helle“ Stadt, bei schöner Sonne strahlt sie nur so wenn man die zentrale Fußgängerzone entlangläuft!
Gestern war ein besonderer Tag – wir hatten exklusiven Besuch von Manfred Theisen, Autor des modernen und wirklich guten Jugendromanes „Checkpoint Europa“. Im Vorleseraum warteten interessierte Schüler der 10. und 11. Klassen sowie Gäste aus anderen Schulen und Institutionen schon gespannt auf den Autor. Dieser stellte sich schnell als sehr gesellig, charismatisch und offen heraus. Trotz einiger technischer Schwierigkeiten gelang es ihm, alle Anwesenden (einschließlich mir) in seinen Bann zu ziehen, indem er Stellen aus seinem Werk las und diese durch sehr viel Hintergrundinformationen ergänzte. Zwischendurch erzählte er uns etwas über sich, seinen Eindruck zu Belarus und seine (fundierte) Meinung zu vielen aktuellen internationalen Diskursen und Problematiken. Auch ein paar skurile Geschichten aus seinem Alltag bekamen wir zu hören; dank der wundervoll-lockeren und humorvollen Vortragsart gab es viele Gelegenheiten zum gemeinsamen Lachen. Nach dem Vortrag gab es außerdem noch die Möglichkeit, Herrn Theisen mit verschiedenen Fragen zu löchern, was vor allem den Leuten zugute kam, die zusammen mit mir Checkpoint Europa für den Wettbewerb Lesefüchse International gelesen haben und hier nochmal konkrete inhaltliche Punkte erörtern konnten. Aber auch über die Intention des Autors wurde viel gefragt, genauso über zukünftige Projekte… Nach Abschluss der offiziellen Veranstaltung sowie einem gemeinsamen Erinnerungsfoto führte ich Herrn Theisen ein wenig durch die Schule und unterhielt mich angeregt mit ihm. Eine 7. Klässlerin gab uns außerdem noch eine interessante Führung durch das schuleigene Museum der belarussischen Kultur mit jahrhundertealten Exponaten. Schließlich zeigte ich ihm noch die Altstadt und setzte ihn in seinen Bus nach Minsk, jedoch nicht ohne vorher Kontaktdaten ausgetauscht zu haben. Er zeigte großes Interesse an meinem Blog und versprach, bei Gelegenheit mal vorbeizuschauen; für mich natürlich eine große Ehre :D.
Heute findet die Verleihung der Sprachdiplome der ersten Stufe (DSD 1) statt; ein wichtiges Ereignis, für das schon seit mehreren Wochen eifrig geprobt wird. Ich wurde gebeten ein paar Reden zu schreiben, welche mit den Schülern so lange eingeübt wurden bis diese sie perfekt beherrschten. Alle sind etwas nervös und aufgeregt, immerhin erwarten wir hohen Besuch – den Koordinator der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in Belarus Herrn Lieberknecht sowie Angehörige der Deutschen Botschaft! Auch ich freue mich schon, die hohen Herrschaften persönlich kennenzulernen!
Die Zeit drängt, deshalb war es das für heute. Für die kommenden Wochen steht wieder sehr viel an; ich sage nur Minsk, Goetheinstitut, Baranowitschi, Verwandschaftsbesuch, Zwischenseminar,… Aber ich melde mich wieder! Bis dahin machts gut und habt euch lieb!