Hallo Freunde,
da bin ich wieder. Der Oktober ist angebrochen – das heißt für mich Winterjacke an und Heizung hochdrehen… Das heißt Moment, die Heizung bleibt ja kalt? Ach ja, da war ja was von wegen Zentralheizung… Mist, dabei hat sich hier die Durchschnittstemperatur bei mickrigen +5 Grad eingependelt, Tendenz eher sinkend. Also Jacke in der Schule anbehalten und hoffen, dass ich meine Fäustlinge die nächsten Tage noch nicht benötigen werde. Über den Ausdruck „den Herbst mit ein paar schönen warmen Tagen ausklingenlassen“ kann ich jetzt echt nur lachen – hier platzt der Winter pünktlich zum Monatsanfang herein und haut erstmal allen seine Kälte in die Fr****. Wenigstens wurde mir hier garantiert, dass ich genug Schnee für die nächsten 5 Jahre Deutschland zu sehen bekomme 🙂 Wollen wirs hoffen…
Im Schulalltag stellt sich so langsam eine gewisse Routine ein – ich wache um 7:30 Uhr auf, frühstücke, liefere mir eine Wettlauf mit dem anfahrenden Bus zur Haltestelle (in 90 Prozent der Fälle gewinne ich; aber manchmal trickst mich der fiese Busfahrer auch aus und kommt 10 Minuten früher) und steuere die Schule an. Das Schulgebäude ist sehr alt und strahlt doch ein gewisses Charme aus – die Gänge und Korridore sind bunt gefärbt, die Böden teilweise noch aus getönten Holzplanken, die Wände vollgehängt mit bunten Plakaten, Urkunden und Auszeichnungen, Fototafeln mit herausragenden Schülern sowie Projektergebnissen. Ich gehe an der Empfangsdame vorbei, welche darauf achtet, dass niemand Fremdes die Schule betritt und mich mit einem argwöhnischen Kopfnicken begrüßt; und steuere den Raum 67 an, welcher sich auf der 2. Etage befinden (Funfact: Im russischen Sprachgebrauch existiert kein Erdgeschoss – deshalb befinde ich mich hiernach in der dritten Etage). Bei diesem Raum handelt es sich um einen Deutschraum, in dem vormittags ausschließlich Deutschunterricht und nachmittags DSD-Vorbereitungskurse angeboten werden. An den Wänden hängen deutsche Symbole wie Flagge und Wappen, Merkhilfen, Volksweisheiten und Fotodokumentationen vergangener Austauschprojekte. Im hinteren Teil stehen 6 Laptops in einer Reihe, von denen der allerhinterste mein ständiger Arbeitsplatz ist. Zwar gibt es auch ein Lehrerzimmer, doch ich verbringe die meiste Zeit, in der ich nicht in anderen Klassen zu tuen habe, hier im Deutschraum und arbeite, während parallel dazu Unterricht stattfindet. War ich anfangs ein wenig über diesen Umstand verwundert, finde ich das jetzt umso sinnvoller, da ich auf diese Weise ansprechbar für die Lehrkräfte bleibe und nicht das Gefühl habe, „vergessen zu werden“. Eine weitere Besonderheit stellen die vielen Zimmerpflanzen in den Klassenräumen dar, welche von den jeweiligen Lehrkräften fürsorglich gegossen und gepflegt werden.
Am Arbeitsplatz angekommen, packe ich also meinen Laptop aus (der doch ein gutes Stück schneller ist als die der Schule) und mache mich an die Arbeit, sofern etwas vom Vortag ansteht; ansonsten stöbere ich in verschiedenen Online-Unterrichtsmaterialien rum, mache mir Gedanken über möglichen Stoff für die kommenden Stunden, lese die Nachrichten und warte, bis eine der Lehrerinnen mit einem Auftrag eintrudelt. Diese sind in der Regel verwaltungstechnischer Art; d.h ich tippe etwas ab, drucke etwas aus oder übersetze. Aber auch anspruchsvollere Aufgaben werden nicht zurückgehalten; so „durfte“ ich letzten Montag zum Beispiel eine Bachelorarbeit zu der linguistischen Thematik „Verben mit trennbarem und / oder untrennbarem Präfix“ vereinfachen, was mich ziemlich viel Zeit und Mühe gekostet hat.
Manchmal werde ich eingeladen bei einer Klasse mitzuhelfen; das heißt in der Regel ein Spiel zu spielen oder Aufgabenblätter durchzunehmen. Während dies in der letzten Woche noch sehr spontan und unangekündigt kam, habe ich seit dieser Woche schon feste Stunden bei bestimmten Klassen eingeräumt bekommen, auf die ich mich auch entsprechend vorbereiten muss. Hier hängt aber alles vom jeweiligen Lehrer ab; ich denke also dass sich den Oktober über immer mehr Lehrer an mich wenden werden und ich so gegen November im Idealfall einen halbwegs festen Stundenplan bilden kann!
Außerdem biete ich seit Montag wöchentlich eine Vorbereitungsstunde für den vom Auswärtigen Amt jährlich ausgerichteten internationalen Lese-und Diskutierwettbewerb „Lesefüchse International“ an, in dessen Rahmen interessierte Schüler 4 aktuelle deutsche Jugendbücher lesen und die darin behandelten Themen erarbeiten sowie in einer finalen moderierten Diskussion echte literarische Kritik üben. Ich fand das eine super Sache, habe mir die 4 diesjährigen Bücher zum Lesen ausgeliehen und mich bereit erklärt, mit den 3 engagierten Teilnehmerinnen von unserer Schule in einer gemütlichen Runde über zentrale Sternchenthemen wie Armut, Mobbing, Flüchtlinge, Moral, Einsamkeit und Verantwortung zu diskutieren. Zwar habe ich noch keinen konkreten Plan bezüglich der genauen Gestaltung, gebe mich jedoch zuversichtlich und freue mich darauf!
Ein großer Unterschied zum Schulsystem in Deutschland ist die Abwesenheit von Doppelstunden – nach 45 Minuten Unterricht gibt es immer eine Pause, die mal 10,15 oder auch 20 Minuten lang sein kann. In diesen Pausen können die Schüler den Schulstoff wiederholen sowie in der Kantine essen gehen; eine allgemeine Mittagspause wie bei uns gibt es nicht. Dadurch, dass es sich bei den Schulen um Gesamtschulen handelt wo Kinder von der 1. Bis zur 11. Klasse unterrichtet werden, wird es beim Essen jedoch sehr laut und chaotisch; ich selbst gehe lieber zur Unterrichtszeit um während der Mahlzeit keinen Hörkollaps von schreienden Grundschülern zu bekommen. Das Essen an sich ist nicht besonders kreativ oder ausgesprochen lecker – es handelt sind um einfache Gerichte wie Reis, Kartoffelbrei, Frikadellen und Salate. Die Mahlzeiten sind nicht tiefgekühlt sondern werden frisch zubereitet und anschließend in großen Boxen an der Theke ausgestellt – so können sich die Schüler ihr Mittagessen selbst zusammenstellen. Man zeigt einfach auf die jeweiligen Boxen und die Bedienung rechnet dann die ziemlich ungeraden Mengenpreise auf dem Taschenrechner zusammen – ein ziemlich amüsantes Unterfangen, welches gerne bis zu eine Minute in Anspruch nehmen kann (noch ein Grund nicht in der Pause zu gehen). Insgesamt kommt man dann auf umgerechnet +- 50 Cent, was für unsere Verhältnisse natürlich sehr günstig ist! Die Grundschulportionen sättigen zwar keinen erwachsenen Menschen für den ganzen Tag; als Zwischenmahlzeit bis man wieder zu Hause ist reicht es jedoch allemal.
Noch ein kleiner Exkurs über die Schultoiletten (falls man ein Kloset ohne Sitzfläche und Klopapier so nennen darf) – die Schüler meiden sie, die Lehrer meiden sie, ich meide sie – Ende des Exkurses.
Ich bleibe dann in der Regel bis ca. 15 Uhr in der Schule, werfe mir mit dem DSD-Lehrer aus Deutschland ein paar amüsiert-sarkastische Bemerkungen über das Land, die Schüler und das Schulsystem zu und mache mich dann auf den Heimweg.
Ach ja, das Schulsystem… Ich habe mehrfach versucht, es mir erklären zu lassen, aber es ist doch ziemlich anders als bei uns und irgendwann wurde mir geraten, es einfach hinzunehmen; ich würde ja eh nur für 6 Monate bleiben und dann zum Glück nie wieder damit in Berührung kommen… Kurzgesagt gibt es nach der 11. Klasse zwei wichtige Abschlussetappen – die Abschlussprüfung, welche ungefähr unserem Abitur entspricht, jedoch ganz anders aufgebaut ist, sowie die Aufnahmetests für die Unis. Letztere werden direkt im Anschluss an die Abschlussprüfung absolviert, hier werden die Schüler gezwungen sich auf ein bestimmtes Studienfach festzulegen wonach sich die Tests inhaltlich dann richten. So etwas wie ein Jahr Auszeit nehmen oder vor der Studienentscheidung verschiedene Dinge ausprobieren, wie das in Deutschland durchaus üblich ist (siehe mein eigenes Leben) gibt es hier nicht – jeder Schüler muss schon vor Ende der Schule genau wissen, was er im Anschluss wo studiert. Tricky: Für die Unitests wird man in der Schule nur unzureichend bis gar nicht vorbereitet – aus diesem Grund hat fast jeder Schüler in der Abschlussklasse einen sogenannten Repetitor (Nachhilfelehrer), öfters auch zwei oder mehr, für verschiedene Fächer, wo gezielte Vorbereitung auf die Aufnahmetests betrieben wird. Dies hat in diesem Fall auch überhaupt nichts mit der Faulheit der Schüler zu tuen wie es bei uns öfters der Fall ist; sie alle haben unter dem nicht idealen Bildungssystem zu leiden :/ Leider hat das zur Folge, dass die Elftklässler eine streng durchgetaktete Woche haben – seit der Abfahrt der Deutschen war es deshalb erstmal vorbei mit den täglichen Spaziergängen und Unternehmungen… Selbst am Samstag wird fleißig gepaukt sowie Nachhilfeunterricht besucht – über mangelnde Freizeit sollten sich unsere G8-Leute also wahrlich nicht beklagen!
Beim Heimweg sehe ich noch gerne beim Markt vorbei – hier gibt es frisches regionales Obst und Gemüse aus eigenem Anbau für wenig Geld – das Gefühl an den Ständen vorbeizuschlendern und sich genüsslich die schönsten und saftigsten Tomaten aussuchen zu können ist unbeschreiblich! Der Markt ist zwar eher klein (genauso wie die Stadt an sich), aber dafür übersichtlich. Trotzdem muss es eine coole Erfahrung sein in Städten wie Istanbul oder Neu Delhi über riesige Märkte zu schlendern und Essen aus aller Welt um sich zu haben – die Erfahrung will ich definitiv auch einmal in meinem Leben machen!
Zuhause angekommen mache ich mich dann ans Kochen, wobei ich zum ersten Mal meine mangelnden Kochkünste sowie die eher spartanisch eingerichtete Küche zu spüren bekomme. Als Gegenmittel habe ich mal wieder ein für mich alt bekanntes russisches Gericht entdeckt, das immer schmeckt, super sättigt und einfach bei der Zubereitung ist – Pelmeni! Dabei handelt es sich um kleine, ufo-förmige, gefrorene Teigtaschen mit Hackfleisch als Füllung; die koche ich auf und serviere sie mit Schmand, einer russischen Sauerkrautart (kwaschennaja kapusta) sowie frischem Marktgemüse. Dazu Тархун, eine russische Waldmeisterlimonade, und der Hunger ist gegessen wie man so schön sagt 🙂 Aber wenn ich erst mal in meine eigentliche Wohnung gezogen bin kann ich mich auch häuslicher einrichten und dann stehen gewiss auch andere Gerichte auf der Speisekarte. Abends mache ich mir dann wie gewohnt einen Tee in den ich zusätzlich stets ein Blatt getrockneter Minze gebe, die mir Marina geschenkt hat – das soll gesund sein und den Organismus stärken! Mit einem Keksteller auf dem Schoß mache ich es mir dann gemütlich und lasse den Tag in Ruhe ausklingen…
Am Freitag wurde am Gymnasium der Tag des Lehrers gefeiert – die Unterrichtsstunden wurden um jeweils 10 Minuten verkürzt, alle kamen in festlichen Klamotten in die Schule, die Schüler überreichten ihren Lehrern Blumen und kleine Geschenke. Um 13 Uhr versammelte sich dann das gesamte Kollegium im Veranstaltungsraum, wo die Schüler zu Ehren ihrer Lehrer ein buntes Konzert veranstalteten. Es gab Sketche, Gesangseinlagen, Gedichte und Orchestermusik. Als dann der sympathische Elftklässler, der zusammen mit einer Klassenkameradin im Smoking das Programm moderierte, plötzlich anfing, in reinstem Tenor ein altes Liebeslied zu schmettern, in der 2. Strophe der stellvertretenden Schuldirektorin das Mikro in die Hand drückte und nach ihrer ebensotollen Gesangsprobe mit ihr einen Walzer auf dem Parkett tanzte, war es um mich schließlich geschehen -ich war vollständig ergriffen und sprachlos. Diese Hemmungslosigkeit und Motivation, mit der die Schüler ihren Teil zu dieser wunderschönen Veranstaltung beitrugen, machten mich glücklich – gleichzeitig wurde ich etwas traurig von der Erkenntnis, dass ich in Deutschland in meinem ganzen bisherigen Leben noch nie so eine Herzlichkeit bei einem Schulfest erleben durfte… Meiner Meinung nach ist der Tag des Lehrers ein toller Feiertag, bei dem die Menschen geehrt und geachtet werden, die vielerorts leider viel zu wenig positive Aufmerksamkeit geschenkt bekommen!
Freitag nach der Schule fuhr ich auf Einladung des Goetheinstitutes nach Baranowitschi, welches auf halber Strecke zwischen Pinsk und Minsk liegt. Dort fand am Samstag im Rahmen der Deutschen Wochen ein Fotomarathon statt; als Preis winkt ein professioneller Fotoworkshop bei einem bekannten Fotografen. Ich traf zu meiner großen Freude Chiara, die Kulturweit-Freiwillige aus Grodno, wieder und bildete mit ihr ein Team. Unterstützt wurden wir netterweise von Alexandra, einer gebürtigen Weißrussin mit sehr guten Englischkenntnissen, die Baranowitschi wie ihre eigene Westentasche kannte und uns so an viele interessante Orte heranführte. Der Fotomarathon bestand aus 4 dreistündigen Etappen, in denen man immer drei Begriffe genannt bekam und zu jedem jeweils ein Foto in der Stadt machen musste. Dann ging es zurück zur Basis, der Zentralbibliothek der Stadt, wo man seine Fotos abgab, sich mit Tee und Keksen aufwärmen und dann mit den nächsten Begriffen wieder losziehen konnte. Am Ende hatten wir das Gefühl, die ganze Stadt von allen Blickwinkeln gesehen zu haben, und konnten aus unserer Sicht durchaus anständige Resultate vorweisen. Erschöpft ging es dann zurück zum Hotel, von wo aus wir nach einer kleinen Ruhepause nochmal aufbrachen, um uns irgendeine Bar zu suchen und den Abend unter Leuten zu verbringen. Nach ewigem, fast vergeblichem Irren durch die leeren Straßen der Stadt bei fast 0 Grad Celsius fanden wir endlich ein italienisches Restaurant, welches im Gegensatz zu den restlichen Einrichtungen in der Stadt noch geöffnet hatte und einladend aussah. Die wärmende Pizza erwies sich als köstlich und die üppige Cocktailkarte als echtes Schnäppchen, und so verbrachten wir, den aus den Bistro-Lautsprechern schwebendenden Klängen von Elton John lauschend, den Samstagabend in erfrischender Heiterkeit…
Im Laufe des nächsten Monats werde ich übrigens noch mehrmals Baranowitschi besuchen um an weiteren Veranstaltungen, unter anderem der finalen Marathonfotoausstellung und Siegerehrung, teilzunehmen; und weiß auf jeden Fall schon jetzt, wo es uns gegen Abend wieder hin verschlagen wird:)
Doch dazu mehr wenn es soweit ist, für heute ist es erstmal genug denke ich.
Deshalb machts gut und habt euch lieb,
Euer Mr.Romantic